Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 163/2004
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U 163/04

Urteil vom 8. Oktober 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und nebenamtlicher Richter Bühler;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

D.________, 1964, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Viktor
Györffy, Gartenhofstrasse 15, 8004 Zürich,

gegen

Zürich Versicherungs-Gesellschaft, Talackerstrasse 1, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 16. März 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1964 geborene indische Staatsangehörige D.________ war ab Dezember 1989
als Kellner für die X.________ AG tätig und gestützt auf dieses
Arbeitsverhältnis bei der "Zürich" Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend:
"Zürich") obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen
sowie Berufskrankheiten versichert. Am 28. Oktober 1990 zog er sich als
Beifahrer bei einem Motorradunfall in Indien Frakturen der Grundglieder des
Mittel- und Ringfingers der rechten Hand zu. Der Kleinfinger rechts musste im
Grundgelenk amputiert werden. Die "Zürich" anerkannte ihre Leistungspflicht,
erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld) und
stellte diese mit Verfügung vom 3. Juni 1991 unter Zusprechung einer
Integritätsentschädigung aufgrund einer Integritätseinbusse von 7,5 % (Fr.

6120. -) ein.

Am 8. Mai 1999 liess D.________ durch Dr. med. G.________, Spezialarzt für
Innere Medizin FMH, der "Zürich" einen ersten Rückfall melden. Am 29. Juli
1999 überwies Dr. med. G.________ den Versicherten zur weiteren Behandlung an
Dr. med. K.________, Leitender Arzt Chirurg. Klinik im Spital Y.________. Der
Unfallversicherer anerkannte seine Leistungspflicht für diesen Rückfall und
richtete hiefür die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld) aus.
Ab 17. Januar 2000 attestierte Dr. med. K.________ D.________ wieder eine
100%ige Arbeitsfähigkeit.

Mitte Juli 2001 klagte D.________ gegenüber Dr. med. G.________ erneut über
Schmerzen in der rechten Hand, worauf ihn dieser Arzt am 25. August 2001 zur
weiteren Behandlung wieder an den Spezialarzt für Chirurgie Dr. med.

K. ________ überwies. Das am 14. September 2001 im Spital Y.________
durchgeführte Arthro-MRI des rechten Handgelenkes ergab die Diagnose eines
Ganglions zwischen dem distalen Radius und dem Musculus pronator quadratus.
Da sich Dr. med. K.________ die geklagten Schmerzen in der rechten Hand
trotzdem nicht erklären konnte, ersuchte er um eine vertrauensärztliche
Untersuchung. Die "Zürich" holte hierauf bei Dr. med. B.________, Chirurgie
FMH, spez. Handchirurgie, einen konsiliarischen Bericht vom 20. November 2001
und einen Ergänzungsbericht vom 11. Dezember 2001 ein. Gestützt darauf lehnte
die "Zürich" ihre Leistungspflicht für die vom Versicherten ab Juli 2001
geklagten Beschwerden in der rechten Hand mit Verfügung vom 6. September 2002
mangels Nachweises der Unfallkausalität ab. An ihrem Standpunkt hielt sie mit
Einspracheentscheid vom 16. Januar 2003 fest.

B.
Beschwerdeweise liess D.________ beantragen, es seien ergänzende Abklärungen
vorzunehmen und die "Zürich" sei zu verpflichten, ihm die gesetzlichen
Leistungen auszurichten. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
wies die Beschwerde mit Entscheid vom 16. März 2004 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt D.________ beantragen, die Sache sei
zur ergänzenden Abklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen und es sei ihm die
unentgeltliche Verbeiständung zu gewähren.

Die "Zürich" schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf
eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
In intertemporalrechtlicher Hinsicht hat die Vorinstanz zunächst zutreffend
festgehalten, dass im vorliegenden Fall die materiell- und formellrechtlichen
Bestimmungen des auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 nicht anwendbar sind.

2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über die
grundsätzliche Leistungspflicht der obligatorischen Unfallversicherung (Art.
6 Abs. 1 UVG), über die Leistungspflicht des Unfallversicherers für Rückfälle
und Spätfolgen (Art. 11 UVV) und über die Anspruchsvoraussetzungen der
Heilbehandlungs- und Taggeldleistungen (Art. 10 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 1 und
2 UVG) sowie die Rechtsprechung zu dem hiefür vorausgesetzten natürlichen
Kausalzusammenhang (BGE 129 V 181 Erw. 3.1 und 406 Erw. 4.3.1, je mit
Hinweisen) zutreffend dargelegt. Richtig wiedergegeben hat die Vorinstanz
auch die Rechtsprechung zur Anwendung der Beweislastregeln im
sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren
(BGE 117 V 264 Erw. 3b mit Hinweisen) und zu den aus dem Grundsatz der freien
Beweiswürdigung abgeleiteten Anforderungen an die Beweiskraft von
Arztberichten (BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweisen). Darauf kann verwiesen
werden.

Zu ergänzen ist, dass die Leistungspflicht des Unfallversicherers ausser dem
natürlichen auch den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis
und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) voraussetzt (BGE
129 V 181 Erw. 3.2). Bei somatischen Unfallfolgen spielt die Adäquanz als
rechtliche Eingrenzung der sich aus dem natürlichen Kausalzusammenhang
ergebenden Haftung des Unfallversicherers jedoch praktisch keine Rolle, weil
dieser auch für seltenste, schwerwiegendste Komplikationen haftet, welche
nach der unfallmedizinischen Erfahrung im Allgemeinen gerade nicht
einzutreten pflegen (BGE 118 V 291 Erw. 3a, 117 V 365 Erw. 5d/bb mit
Hinweisen).

3.
Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, das kantonale Gericht sei
bezüglich der ab August (recte: Juli) 2001 aufgetretenen Beschwerden in der
rechten Hand zu Unrecht von einem zweiten Rückfall ausgegangen und habe
demgemäss die Beweislast für die natürliche Unfallkausalität dieser
Beschwerden falsch verteilt. Namentlich habe die Vorinstanz übersehen, dass
die "Zürich" ihre Leistungspflicht für den im Mai 1999 aufgetretenen Rückfall
anerkannt und diesen in der Folge nicht abgeschlossen habe.

3.1  Rückfälle und Spätfolgen stellen besondere revisionsrechtliche
Tatbestände dar (Art. 22 UVG; BGE 127 V 457 Erw. 4b). Bei einem Rückfall
handelt es sich um das Wiederaufflackern einer vermeintlich geheilten
Krankheit, so dass es zu ärztlicher Behandlung, möglicherweise sogar zu
(weiterer) Arbeitsunfähigkeit kommt; von Spätfolgen spricht man, wenn ein
scheinbar geheiltes Leiden im Verlaufe längerer Zeit organische oder
psychische Veränderungen bewirkt, die zu einem anders gearteten
Krankheitsbild führen. Rückfälle und Spätfolgen schliessen somit begrifflich
an ein bestehendes Unfallereignis an. Entsprechend können sie eine
Leistungspflicht des (damaligen) Unfallversicherers nur auslösen, wenn
zwischen den erneut geltend gemachten Beschwerden und der seinerzeit beim
versicherten Unfall erlittenen Gesundheitsschädigung ein natürlicher und
adäquater Kausalzusammenhang besteht (BGE 118 V 296 f. Erw. 2c mit Hinweisen;
RKUV 1994 Nr. U 206 S. 327 Erw. 2).

3.2  In Bezug auf einen streitigen Rückfall kann der Unfallversicherer nicht
auf der Anerkennung des natürlichen Kausalzusammenhanges beim Grundfall und
bei früheren Rückfällen behaftet werden, weil die unfallkausalen Faktoren
durch Zeitablauf wegfallen können. Vielmehr obliegt es dem
Leistungsansprecher, das Vorliegen eines natürlichen Kausalzusammenhanges
zwischen dem als Rückfall postulierten Beschwerdebild und dem Unfall
nachzuweisen. Nur wenn die Unfallkausalität mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit erstellt ist, entsteht eine erneute Leistungspflicht des
Unfallversicherers. Je grösser der zeitliche Abstand zwischen dem Unfall und
dem Auftreten der gesundheitlichen Beeinträchtigung ist, desto strengere
Anforderungen sind an den Beweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines
natürlichen Kausalzusammenhanges zu stellen (RKUV 1997 Nr. U 275 S. 191 Erw.
1c am Ende). Im Falle der Beweislosigkeit fällt der Entscheid zu Lasten des
Versicherten aus, der aus dem unbewiesen gebliebenen natürlichen
Kausalzusammenhang als anspruchsbegründender Tatsache Rechte ableiten will
(RKUV 1994 Nr. U 206 S. 328 Erw. 3b).

3.3  Im vorliegenden Fall liess der Beschwerdeführer im Mai 1999 durch Dr.
med. G.________ einen Rückfall mit folgendem Befund in der beim Unfall vom
28. Oktober 1990 verstümmelten rechten Hand melden:
"Rechter Kleinfinger am Grundgelenk amputiert. Im Bereich dieses Grundgelenks
an der Amputationsstelle Druckdolenz, ebenfalls am Grundgelenk des
Ringfingers leichte Druckdolenz. Schmerzen ausstrahlend bis in die Mitte des
rechten Handtellers, wo ebenfalls eine Druckdolenz besteht. Im rechten
Handgelenk b. Bewegungen ganz wenig Schmerzen."
Im Juli 1999 überwies Dr. med. G.________ den Beschwerdeführer zur weiteren
Behandlung an den Spezialarzt für Chirurgie Dr. med. K.________. Dieser Arzt
untersuchte den Versicherten letztmals am 21. Februar 2000, attestierte ihm
volle Arbeitsfähigkeit ab 17. Januar 2000 und teilte der "Zürich" mit
Formularbericht vom 22. Februar 2000 mit, subjektiv sei der Patient wieder
völlig beschwerdefrei. Damit war die ärztliche Behandlung der als Rückfall
gemeldeten und als solcher von der "Zürich" anerkannten Beschwerden in der
rechten Hand abgeschlossen.

Mitte Juli 2001, also fast 1 1/2 Jahre später, verspürte der Beschwerdeführer
erneut Schmerzen im Bereich der rechten Hand und begab sich wieder in
ärztliche Behandlung bei Dr. med. G.________, der ihn am 25. August 2001
wiederum an den Spezialarzt für Chirurgie überwies. Dieser konnte sich die
erneut geklagten Beschwerden medizinisch nicht erklären, obschon am 17.
September 2001 röntgenologisch ein Ganglion zwischen distalem Radius und
Musculus pronator quadratus, also im rechten Handgelenk, diagnostiziert
worden war. In der Folge vermutete der von der "Zürich" mit der Abklärung der
Kausalitätsfrage beauftragte Spezialarzt für Handchirurgie Dr. med.

B. ________ ausserdem eine diskrete arthrotische Veränderung im distalen
Radio-Ulnar-Gelenk (Handgelenk) rechts (Bericht vom 20. November 2001).

3.4  Fraglich ist, ob diese Befunde überhaupt als Rückfall und nicht eher als
Spätfolge zu qualifizieren sind, weil Befund und Diagnose nicht mehr mit den
nach dem Unfall vom 28. Oktober 1990 fortbestehenden Funktionsausfällen in
der rechten Hand übereinstimmten. Indessen kann diese Frage offen bleiben, da
sich dadurch an der entscheidenden Frage der Unfallkausalität und der
diesbezüglichen Beweislast nichts ändert.

Ausschlaggebend ist, dass die "Zürich" ihre Leistungspflicht für die vom
Beschwerdeführer ab Mitte Juli 2001 geklagten Beschwerden in der rechten Hand
nie ausdrücklich oder konkludent anerkannt hat. Im Gegenteil, sie hat in der
nach der Rückfallmeldung vom 25. August 2001  mit dem Beschwerdeführer
geführten Korrespondenz ausdrücklich festgehalten, dass die Unfallkausalität
der "Arbeitsunfähigkeit seit August 2001" noch abgeklärt werden müsse und bis
dahin nur eine Akonto-Zahlung für (allfällige) Taggeldansprüche ausgerichtet
werde. Damit hat sie dem Beschwerdeführer ausreichend deutlich mitgeteilt,
dass ihm (Taggeld-) Leistungen nur unter dem Vorbehalt des Nachweises der
Unfallkausalität der geklagten Beschwerden im Rahmen der noch
durchzuführenden medizinischen Abklärungen ausgerichtet würden. Es trifft
somit nicht zu, dass die "Zürich" mit der Ausrichtung von Heilbehandlungs-
und Taggeldleistungen für den ersten, im Mai 1999 gemeldeten Rückfall ihre
Leistungspflicht auch für die ab Mitte Juli 2001 aufgetretenen Beschwerden in
der rechten Hand anerkannt habe. Vielmehr hat die Vorinstanz die ab diesem
Zeitpunkt in der rechten Hand aufgetretene Gesundheitsstörung sowie die
dadurch bedingte ärztliche Behandlung und Arbeitsunfähigkeit zu Recht als
selbständigen, zweiten Rückfall eingestuft. Das kantonale Gericht hat
demgemäss bundesrechtskonform erkannt, dass der Beschwerdeführer die
Beweislast für die diesbezügliche leistungsbegründende Unfallkausalität zu
tragen hat.

3.5  Für die Beweiswürdigung der medizinischen Akten zur Frage, ob zwischen
dem beim Unfallereignis vom 28. Oktober 1990 erlittenen Gesundheitsschaden
und den ab Mitte Juli 2001 aufgetretenen Beschwerden in der rechten Hand mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht
oder nicht, kann auf den vorinstanzlichen Entscheid verwiesen werden. Der
entsprechende medizinische Kausalitätsbeweis ist nicht mit dem erforderlichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit geleistet, weshalb die
Leistungspflicht der "Zürich" zu Ungunsten des beweisbelasteten
Beschwerdeführers zu verneinen ist. Die Frage, ob die für die eindeutige
Klärung der Kausalitätsfrage erforderliche Ganglion-Operation zumutbar sei
oder nicht, ist hiefür ohne Belang. Denn dabei geht es um eine Frage der
Schadenminderungspflicht des Versicherten, welche die Leistungspflicht des
Versicherers voraussetzt, und nicht um eine Beweisregel.

4.
Da es im vorliegenden Verfahren um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss
Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Die unentgeltliche
Verbeiständung für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
kann gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die
Bedürftigkeit des Beschwerdeführers aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als
aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw.
4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art.
152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der
Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande
ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Viktor
Györffy für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus
der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer)  ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 8. Oktober 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin:
i.V.