Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 158/2004
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U 158/04

Urteil vom 6. Dezember 2004
III. Kammer

Bundesrichter Rüedi, Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Ackermann

S.________, 1952, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Jacques
Schlegel, Schweizergasse 6, 8001 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 24. März 2004)

Sachverhalt:

A.
S. ________, geboren 1952, arbeitete ab 1980 als Aufsichtsbeamter für die
Betriebe X.________ und war bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unfallversichert. Als er am 8. März 1994
mit seinem Velo unterwegs war, wurde er von einem Mofalenker angefahren. In
der Folge war S.________ bis zum 16. März 1994 im Spital Y.________
hospitalisiert, welches eine Fraktur des Condylus occipitalis links, eine
Kontusion der Halswirbelsäule (HWS), einen Verdacht auf eine
Navicularefraktur sowie einen Zahnschaden diagnostizierte. Die SUVA erbrachte
die gesetzlichen Leistungen und nahm medizinische Abklärungen vor
(insbesondere Beizug des Berichts der Rheuma- und Rehabilitationsklinik
Z.________ vom 22. Juli 1994 über die Hospitalisation vom 30. Juni bis 21.
Juli 1994). Nachdem S.________ ab Ende Februar 1995 zu 50 % und ab November
1995 zu 75 % als Mitarbeiter im Kundendienst seiner Arbeitgeberin tätig
gewesen war, arbeitete er ab April 1996 wiederum zu 100 % in seiner
angestammten Tätigkeit als Aufsichtsbeamter. Mit Verfügung vom 13. März 1997
sprach die SUVA S.________ wegen einer minimalen bis leichten
Hirnfunktionsstörung eine Integritätsentschädigung von 10 % zu; diese
Verfügung blieb unangefochten.

Am 19. April 2001 stiess sich S.________ während der Arbeit den Kopf am
Türrahmen eines Autos an und verspürte darauf wieder die gleichen Schmerzen
wie nach dem Unfall von 1994. Der am nächsten Tag aufgesuchte Dr. med.
R.________ diagnostizierte ein chronisch rezidivierendes Zervikalsyndrom
infolge Sturz 1994, aktualisiert durch Anschlagen des Kopfes, sowie eine
Lumbago und einen Verdacht auf eine Anpassungsstörung. Die SUVA erbrachte
wiederum die gesetzlichen Leistungen und zog medizinische Berichte bei
(insbesondere denjenigen des medizinischen Zentrums G.________ vom 13. Mai
2002 über eine intensive ambulante acht-Wochen-Rehabilitationsbehandlung). Ab
Mai 2002 arbeitete S.________ im (aufgrund einer Änderung des
Arbeitsvertrages definitiv gewordenen) Umfang von 50 % an seinem angestammten
Arbeitsplatz. Mit Verfügung vom 21. November 2002 stellte die SUVA ihre
Leistungen per Anfang Dezember 2002 ein, da keine organischen Unfallfolgen
mehr vorlägen und die psychischen Beschwerden nicht in rechtserheblichem
Zusammenhang zum Unfall von 1994 stünden; dies wurde durch
Einspracheentscheid vom 27. Juni 2003 bestätigt.
Mit Verfügung vom 20. Juni 2003 sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau
S.________ mit Wirkung ab dem 1. April 2002 eine halbe Rente der
Invalidenversicherung zu.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die gegen den
Einspracheentscheid der SUVA erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 24. März
2004 ab.

C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem sinngemässen
Antrag, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des
Einspracheentscheides seien ihm die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Zutreffend sind die Ausführungen der Vorinstanz über die Rechtsprechung zu
dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten
natürlichen (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, 117 V 376 Erw. 3a
Hinweisen) und adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 123 III 112 Erw. 3a, 123 V
103 Erw. 3d, 139 Erw. 3c, 122 V 416 Erw. 2a, je mit Hinweisen) zwischen dem
Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod).
Dies betrifft insbesondere auch die Adäquanzbeurteilung bei Unfällen und der
in der Folge eingetretenen psychischen Fehlentwicklung mit Einschränkung der
Arbeits- und Erwerbsfähigkeit (BGE 115 V 133) sowie die bei Schleudertraumen
der HWS, Schädel-Hirntraumen und äquivalenten Verletzungen massgebende
Rechtsprechung (BGE 117 V 359 und 369). Das kantonale Gericht hat sodann
richtig ausgeführt, dass die Beurteilung der Adäquanz in denjenigen Fällen,
in welchen die zum typischen Beschwerdebild eines Schleudertraumas der HWS
oder eines Schädel-Hirn-Traumas gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise
gegeben sind, im Vergleich zu einer bestehenden ausgeprägten psychischen
Problematik aber ganz in den Hintergrund treten, nach der für psychische
Fehlentwicklungen nach Unfällen geltenden Rechtsprechung (BGE 115 V 133)
vorzunehmen ist (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb). Dasselbe gilt für die Erwägungen
über die Rückfälle und Spätfolgen (BGE 118 V 296 f. Erw. 2c mit Hinweisen).
Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig ist der Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung.

2.1 Für das kantonale Gericht sind die ab April 2001 geklagten Beschwerden
zwar "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Sinne einer Spätfolge auf den
Unfall vom 8. März 1994 zurückzuführen", jedoch fehle es an einem adäquaten
Kausalzusammenhang, da die beim Vorliegen eines mittleren Unfalles
notwendigen Kriterien - ohne zwischen physischen und psychischen Kriterien zu
unterscheiden - weder in gehäufter noch in auffallender Weise erfüllt seien.
Der Beschwerdeführer ist demgegenüber im Wesentlichen der Ansicht, dass diese
Kriterien gegeben seien.

2.2 Vorab ist festzuhalten, dass der Versicherte zwei Unfälle erlitten hat:
Einerseits die Kollision mit einem Mofafahrer im März 1994 und andererseits
den Stoss mit dem Kopf an den Türrahmen seines Autos im April 2001. Im
Weiteren ist zu berücksichtigen, dass das Ereignis von April 2001 nicht nur
einen eigenen Unfall darstellt, sondern unter Umständen auch einen Rückfall
zum Unfall von März 1994 bewirkt haben kann, kam es doch in der Folge zu
einem Wiederaufflackern einer vermeintlich geheilten Krankheit (vgl. BGE 118
V 296 Erw. 2c), wobei unerheblich ist, ob der Rückfall spontan auftritt oder
Folge eines erneuten (aber möglicherweise zu keinen Leistungen
berechtigenden) Unfalles ist.

2.3 Das medizinische Zentrum G.________ hat im Bericht vom 13. Mai 2002 eine
Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (ICD-10 F43.21) sowie
eine HWS-Distorsion diagnostiziert. Dies wird im Wesentlichen vom SUVA-Arzt
Dr. med. O.________ im Bericht vom 15. November 2002 bestätigt: Der Arzt
beschreibt - neben intermittierend lumbalen Beschwerden sowie einer Myogelose
gluteal links - eine leichte Funktionseinschränkung der HWS und eine
rechtsbetont verspannte Muskulatur im Schulter- respektive Nackenbereich.
Eine physisch mittelschwere Beanspruchung sei zumutbar, jedoch liege das
Problem vor allem auf der psychologisch-psychiatrischen Ebene.

Diese medizinisch beschriebenen Beschwerden wären ohne die Unfälle von März
1994 (Kollision mit Mofafahrer) und April 2001 (Anschlagen des Kopfes am
Türrahmen) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht in der gleichen Art und
Weise oder nicht zur gleichen Zeit eingetreten, so dass ein natürlicher
Kausalzusammenhang zwischen diesen beiden Unfällen und den geklagten
Beschwerden anzunehmen ist; die beiden Ereignisse stellen dabei Teilursachen
dar, was jedoch für die Bejahung der natürlichen Kausalität ausreichend ist
(BGE 119 V 337 Erw. 1). Nicht überzeugend ist die Auffassung des SUVA-Arztes
Dr. med. O.________, wonach sich "auch ohne das Geschehen vom 8.3.94 ... die
gleiche Situation eingestellt hätte", denn dies wird nur damit begründet,
dass das "Schlüsselelement" die Persönlichkeit des Beschwerdeführers sei,
ohne dass ausgeführt wird, weshalb die Persönlichkeit auch ohne die Unfälle
von 1994 und 2001 zu den heute geklagten Beschwerden geführt hätte. Wohl mag
die Persönlichkeit ebenfalls eine Teilursache des heutigen Beschwerdebildes
darstellen, jedoch ist nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dargetan,
dass sie die alleinige Ursache ist und auch ohne die beiden Unfälle zur
gleichen Zeit zum gleichen Beschwerdebild wie heute geführt hätte.

2.4 Zu prüfen bleibt die Adäquanz der geklagten Beschwerden zu den Unfällen
von 1994 und 2001. Es ist davon auszugehen, dass der Versicherte im März 1994
ein Schädel-Hirntrauma, ein Schleudertrauma der HWS oder eine äquivalente
Verletzung erlitten hat: Das am Unfalltag aufgesuchte Spital Y.________ hat
eine Fraktur des Condylus occipitalis links sowie eine Kontusion der HWS
diagnostiziert und der Unfall hatte eine minimale bis leichte
Hirnfunktionsstörung zur Folge (für welche die SUVA im März 1997 eine
Integritätsentschädigung zusprach); weiter klagte der Versicherte über
Nacken-, Kopf- und Schulterschmerzen sowie Seh- und
Konzentrationsschwierigkeiten sowie allgemeine Müdigkeit. Im November 1994
verschwanden zwar sowohl die kognitiven Störungen als auch die
Konzentrationsstörungen, jedoch klagte der Beschwerdeführer weiterhin über
Schulter- und Kopfschmerzen.

Der Unfall von April 2001 ist als banal einzustufen, da es sich allein um ein
Anschlagen des Kopfes am Türrahmen eines Automobils handelte. Bei einem
solchen Ereignis ist der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und
den geklagten Gesundheitsstörungen zu verneinen (BGE 117 V 383).

Der Velounfall von März 1994 ist anhand des augenfälligen Geschehensablaufs
(Zusammenstoss mit einem Mofafahrer, Sturz vom Fahrrad) und der erlittenen
Verletzungen (Fraktur des Condylus occipitalis links, Kontusion der HWS,
Verdacht auf Navicularefraktur, Zahnschaden) als mittlerer Unfall
einzustufen, wobei es sich jedoch eher um einen leichteren Fall in diesem
Bereich handelt. Da ein Schleudertrauma der HWS, eine dem Schleudertrauma
äquivalente Verletzung respektive ein Schädel- Hirntrauma vorliegt und der
Unfall von März 1994 als im mittleren Bereich liegend anzusehen ist, sind die
in BGE 117 V 367 Erw. 6a und 383 Erw. 4b umschriebenen Kriterien anzuwenden.
Dabei ist jedoch nicht zwischen physischen und psychischen Komponenten zu
unterscheiden (BGE 117 V 367 Erw. 6a in fine), weil die Differenzierung
angesichts des komplexen und vielschichtigen Beschwerdebildes in heiklen
Fällen gelegentlich grosse Schwierigkeiten bereitet (BGE 117 V 364 Erw. 5d/aa
mit Hinweisen). Die zum typischen Beschwerdebild einer solchen Verletzung
gehörenden Beeinträchtigungen treten zudem im Vergleich zur psychischen
Problematik nicht ganz in den Hintergrund (BGE 123 V 99 Erw. 2a; RKUV 2002
Nr. U 465 S. 437), so dass auch in dieser Hinsicht die Rechtsprechung gemäss
BGE 117 V 366 Erw. 6a und 382 Erw. 4b anwendbar ist (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb
mit Hinweisen):

- Dem Verkehrsunfall vom 8. März 1994 (Kollision zwischen Mofa-        und
Velofahrer) kann zwar eine gewisse Eindrücklichkeit nicht ab- gesprochen
werden, dennoch war die Eindrücklichkeit objektiv nicht   besonders
ausgeprägt (vgl. BGE 115 V 141 oben). Es lagen auch      keine
besonders dramatischen Begleitumstände vor.

- Die erlittenen Verletzungen waren zwar nicht leicht, aber dennoch
 nicht besonders schwer oder von besonderer Art.

- Die Dauer der ärztlichen Behandlung ist zusammen mit der Vorin- stanz
nicht als ungewöhnlich lang anzusehen, da eine Behand- lungsbedürftigkeit
während zwei bis drei Jahren nach Schleuder- trauma der HWS durchaus
üblich ist (Urteil H. vom 30. Mai 2003,        U 353/02). Jedenfalls teilte
die Hausärztin der SUVA am 22. Januar   1996 mit, es werde zur Zeit keine
Behandlung durchgeführt; am 9. April 1996 schloss sie die Behandlung ab.

- Eine ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich
 verschlimmert hätte, ist nicht ersichtlich.

- Zusammen mit der Vorinstanz sind dagegen die Kriterien der
kör- perlichen Dauerschmerzen sowie des Grades und der Dauer der
 Arbeitsunfähigkeit zu bejahen, wenn auch nur (aber immerhin) in
 leichterem Ausmass.
Damit sind nur zwei der notwendigen Kriterien in leichterem Ausmass erfüllt,
weshalb der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall von 1994 und den
geklagten Beschwerden verneint werden muss (BGE 117 V 367 Erw. 6b).

2.5 Entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann auch
nicht auf den Entscheid der Invalidenversicherung abgestellt werden, wonach
bei einem Invaliditätsgrad von 50 % seit April 2002 eine halbe Rente
ausgerichtet wird. Denn für diese Sozialversicherung sind - wegen ihrer
Ausgestaltung als finaler Versicherung (vgl. BGE 124 V 178 Erw. 3b mit
Hinweisen) - die (unter Umständen verschiedenen) Ursachen der Invalidität
nicht massgebend, solange sie Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder
Unfall sind (Art. 4 Abs. 1 IVG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 6. Dezember 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Vorsitzende der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: