Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 152/2004
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U 152/04

Urteil vom 20. September 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Seiler;
Gerichtsschreiber Ackermann

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdeführerin,

gegen

Z.________, 1981, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ludwig
Raymann, Witikonerstrasse 15, 8032 Zürich

Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal

(Entscheid vom 28. Januar 2004)

Sachverhalt:

A.
Z. ________, geboren 1981, arbeitete ab dem 17. Juli 2002 für die Firma
P.________ als kurzfristig (und "schwarz") engagierter Hilfsarbeiter für die
Fenstermontage auf einer Baustelle. Am 18. Juli 2002, d.h. am zweiten
Arbeitstag, erlitt Z.________ einen schweren Unfall. Die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) anerkannte ihre Leistungspflicht und sprach
Z.________ mit Verfügung vom 28. März 2003 ab dem 21. Juli 2002 ein Taggeld
in Höhe von Fr. 0.80 zu, wobei sie von einer zeitlich befristeten Tätigkeit
von maximal zehn Tagen ausging. Mit Einspracheentscheid vom 27. Juni 2003
erhöhte die SUVA das Taggeld auf Fr. 4.-.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit
Entscheid vom 28. Januar 2004 gut und setzte - aufgrund des vor dem Unfall
bezogenen Lohnes - das Taggeld auf Fr. 102.80 fest.

C.
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den
vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben.

Z. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen,
während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Zutreffend sind die Erwägungen des kantonalen Gerichts über die Höhe der
Taggelder (Art. 17 Abs. 1 UVG in den vor und nach dem 1. Januar 2003
geltenden Fassungen) sowie deren Bemessung im Allgemeinen (Art. 15 UVG; Art.
22 UVV), ebenso wie die Darstellung der Sonderfälle des massgebenden Lohnes
bei Fehlen einer regelmässigen Erwerbstätigkeit oder bei stark schwankendem
Lohn (Art. 23 Abs. 3 UVV) sowie bei Saisonbeschäftigungen (Art. 23 Abs. 4
UVV). Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig ist der Anspruch auf Taggelder und dabei allein die für deren
Bemessung massgebende Höhe des versicherten Verdienstes. Weder aufgrund der
Vorbringen der Parteien noch anderer sich aus den Akten ergebender
Anhaltspunkte besteht demgegenüber hinreichender Anlass, im Rahmen dieses
Verfahrens weitere die Taggeldermittlung betreffende Elemente zu prüfen (vgl.
BGE 125 V 417 Erw. 2c).

2.1 Die Vorinstanz ist zunächst der Auffassung, es könne für die Bemessung
des versicherten Verdienstes nicht auf Art. 22 Abs. 4 Satz 3 UVV abgestellt
werden, da es sich dabei um eine für die Renten- und nicht die
Taggeldberechnung massgebende Norm handle. Auszugehen sei von einem gültigen
Arbeitsvertrag, wobei keine Saisonbeschäftigung bestehe, was die Anwendung
des Art. 23 Abs. 4 UVV ausschliesse. Aufgrund des bestehenden
Arbeitsverhältnisses sei weder eine unregelmässige Erwerbstätigkeit noch ein
starken Schwankungen unterliegender Lohn anzunehmen, weshalb kein Sonderfall
gemäss Art. 23 Abs. 3 UVV vorliege, sondern auf die Grundregel des Art. 15
Abs. 2 UVG abzustellen und der letzte vor dem Unfall erhaltene Lohn
herbeizuziehen sei. Ausgehend von einem Stundenlohn von Fr. 22.-, einer
durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 41 Stunden sowie 52 Wochen pro Jahr
führe dies zu einem versicherten Verdienst von jährlich Fr. 46'904.-, woraus
ein Taggeld von Fr. 102.80 resultiere (Fr. 46'904.- / 365 x 80 %).
Die Beschwerde führende SUVA ist demgegenüber der Meinung, es liege hier eine
einmalige Gelegenheitsarbeit vor, weshalb der versicherte Verdienst nicht
anhand der Grundregel des Art. 15 Abs. 2 UVG bestimmt werden könne. Wegen der
grossen Lohnschwankung zwischen der Nichterwerbsphase und dem befristeten
Arbeitsverhältnis sei gemäss der Vorschrift des Art. 23 Abs. 3 UVV zu
verfahren und auf einen Durchschnittslohn über die gesamte Periode
abzustellen.

2.2 Zu Recht ist nicht bestritten, dass der Beschwerdegegner und der
Arbeitgeber einen für die Dauer von etwa zehn Tagen befristeten
Arbeitsvertrag für den Einsatz auf einer bestimmten Baustelle abgeschlossen
haben und dass dieses Verhältnis am Unfalltag noch bestand. Daran ändert
nichts, dass im Rahmen dieser Vereinbarung offenbar stillschweigend davon
ausgegangen worden ist, die zuständigen Behörden (Ausgleichskasse, Steuer-
und Fürsorgeamt) nicht über diesen Vertrag zu informieren und auch die für
Asylbewerber notwendige Bewilligung (vgl. Art. 43 AsylG) nicht einzuholen,
weshalb insofern eine "schwarze" Beschäftigung vorliegt; derartige Verstösse
werden im Rahmen der Unfallversicherung nicht mit der Nichtigkeit des
Arbeitsvertrages sanktioniert, da andernfalls der Versicherungsschutz
verunmöglicht würde. Weiter stand diesem Verhältnis nicht entgegen, dass der
Beschwerdegegner Asylbewerber ist, denn diesen ist - nach einer anfänglichen
dreimonatigen Sperrfrist - eine Erwerbsarbeit grundsätzlich gestattet (wenn
auch mit Bewilligung; vgl. Art. 43 AsylG). Entgegen der Auffassung in der
Vernehmlassung des Versicherten ist die Beschäftigung auf der Baustelle aber
nicht als Einstieg in den Arbeitsprozess zu betrachten: Der Beschwerdegegner
hatte zwischen der Einreise als Asylbewerber am 5. Februar 2001 und der
Aufnahme der befristeten Tätigkeit Mitte Juli 2002 während fast anderthalb
Jahren keinerlei Erwerbstätigkeit aufgenommen und er hat nicht einmal
behauptet, früher Arbeit gesucht zu haben. Ausserdem erfolgte die Aufnahme
der Beschäftigung auf der Baustelle nicht infolge planmässiger Arbeitssuche
des Beschwerdegegners, sondern weil der Arbeitgeber wegen des Ausfalls einer
Hilfskraft dringend Ersatz benötigte und nur per Zufall mit dem
Beschwerdegegner in Kontakt kam. Es ist deshalb von einem einmaligen und für
eine beschränkte Dauer eingegangenen Arbeitsverhältnis auszugehen.

2.3 Anders als es die SUVA im Einspracheentscheid vom 27. Juni 2003
(implizit) angenommen hat, kann der versicherte Verdienst nicht gestützt auf
Art. 22 Abs. 4 Satz 3 UVV festgelegt werden, gemäss welcher Norm bei einer
zum Voraus befristeten Beschäftigung die Umrechnung des bisher bezogenen
Lohnes auf die vorgesehene Dauer beschränkt bleibt. Denn Art. 22 Abs. 4 UVV
bildet nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung allein Grundlage für die
Bemessung der Renten, nicht aber der Taggelder und ist deshalb hier
grundsätzlich nicht anwendbar. Dass der versicherte Verdienst von Taggeld und
Rente nach verschiedenen Regeln festgelegt wird, ergibt sich denn auch schon
aus Art. 15 Abs. 2 UVG.

2.4 Es ist im Weiteren die Frage zu beantworten, ob der massgebende Lohn
allenfalls anhand einer der zwei Sonderfälle des Art. 23 Abs. 3 UVV
festzusetzen ist. Gemäss dieser Norm ist auf einen angemessenen
Durchschnittslohn abzustellen, wenn der Versicherte keine regelmässige
Erwerbstätigkeit ausübt oder sein Lohn starken Schwankungen unterliegt.

2.4.1 Massgebend für die nach der abstrakten Methode erfolgende Berechnung
des Taggeldes ist nicht der mutmasslich entgangene Verdienst, sondern jener,
den der Versicherte vor dem Unfall bezogen hat. Das gilt grundsätzlich auch
für die in Art. 23 UVV geregelten Sonderfälle. Mit Ausnahme von Abs. 7 (lang
andauernde Taggeldberechtigung) und Abs. 8 (Rückfall) knüpfen die Regeln des
Art. 23 UVV allesamt an Tatsachen an, die sich vor dem Unfall verwirklicht
haben. Art. 23 Abs. 3 UVV zielt darauf, dort einen Ausgleich zu schaffen, wo
ein Versicherter einen Unfall zufälligerweise in einer Tief- oder eventuell
gar einer Nichtlohnphase im Rahmen der bislang ausgeübten Erwerbstätigkeit
erleidet. Damit wird nichts am Prinzip geändert, wonach die bis zum Unfall
geltenden Verhältnisse massgebend sind: Arbeitsverhältnisse, die erst nach
dem Unfallereignis angetreten oder umgestaltet werden (sollten), bleiben bei
der Taggeldberechnung ausser Acht. Das Kriterium der starken Lohnschwankungen
ist erfüllt, wenn es im Arbeitsverhältnis auftritt, in welchem der
Versicherte im Unfallzeitpunkt stand (BGE 128 V 300 Erw. 2b/aa mit
Beispielen).
Ereignet sich ein Unfall während eines seit längerer Zeit dauernden
Arbeitsverhältnisses, birgt die Beurteilung, ob der Lohn starken Schwankungen
gemäss Art. 23 Abs. 3 UVV unterliegt, keine grösseren Probleme. Anzuknüpfen
ist an die in der Vergangenheit erzielten Entgelte. Diese (rückblickende)
Möglichkeit entfällt, wenn - etwa bei erst seit kurzem bestehendem
Arbeitsvertrag - im Zeitpunkt des Unfalls noch keine Löhne geleistet worden
sind. Die kurze Dauer des Arbeitsvertrages und der Umstand, dass bis zum
Unfallereignis keine Entgelte ausbezahlt wurden, schliessen die Anwendung von
Art. 23 Abs. 3 UVV indes nicht grundsätzlich aus. Es ist Zufall und mit Blick
auf den Normzweck unbeachtlich, ob ein Unfall in ein mehrjähriges
Arbeitsverhältnis fällt oder sich bereits kurz nach Antritt einer neuen
Stelle ereignet. Es verstösst weiter nicht gegen das Prinzip, wonach die
Verhältnisse im Zeitpunkt des Unfalles massgebend sind, wenn die Auswirkungen
der aktuellen Lohnabrede geprüft werden (BGE 128 V 301 Erw. 2b/bb).

2.4.2 Der Beschwerdegegner hatte sich verpflichtet, zu einem fixen
Stundenlohn während einer gewissen Zeit seinem Arbeitgeber auf einer
bestimmten Baustelle bei der Montage von Fenstern zu helfen. Damit liegt kein
Fall eines Lohnes vor, der starken Schwankungen unterworfen ist, denn der
Stundenansatz und die tägliche Arbeitsdauer sind im Voraus festgelegt worden
und unterlagen höchstens minimalen (und alltäglichen) Schwankungen
hinsichtlich der täglichen Arbeitszeit. Die in Art. 23 Abs. 3 UVV vorgesehene
Variante der starken Lohnschwankungen bezieht sich dagegen auf - in der Regel
länger dauernde - Arbeitsverhältnisse, wobei das Entgelt von externen
Faktoren abhängig ist, wie z.B. bei einem Taxifahrer von den Fahrgästen oder
bei einem Eishockeyspieler von den durch die Mannschaft erzielten Punkten und
der Zuschauerzahl (vgl. BGE 128 V 300 Erw. 2b/aa mit Hinweisen). In der Folge
ist der massgebende Lohn hier nicht nach dieser Variante des Art. 23 Abs. 3
UVV zu bestimmen.

2.4.3 Vor seiner auf etwa zehn Tage befristeten Beschäftigung auf der
Baustelle war der Beschwerdegegner nicht erwerbstätig und es ist auch nicht
überwiegend wahrscheinlich, dass diese Tätigkeit den Einstieg in den
schweizerischen Arbeitsmarkt bedeutet hätte (vgl. Erw. 2.2 hievor). Damit ist
(anders als etwa im Urteil C. vom 15. Januar 2002, U 403/00, wo überdies die
Frage der Wiedererwägung zu beantworten war) von einer ausnahmsweise
aufgenommenen, einmaligen und für sehr kurze Zeit bestimmten Arbeit
auszugehen, weshalb keine regelmässige Erwerbstätigkeit vorliegt. Die Lage
des Versicherten ist vergleichbar mit derjenigen der Ferienbeschäftigung
eines Studenten (vgl. RKUV 1997 Nr. U 274 S. 187 Erw. 4b mit Hinweis) oder
mit einer auf zehn Tage befristeten Tätigkeit als Obstpflücker (BGE 121 V 325
Erw. 3d; die Qualifikation einer unregelmässigen Erwerbsarbeit ist im Übrigen
durch die Änderung der Rechtsprechung in BGE 128 V 302 Erw. 2c nicht
betroffen). Es liegt also eine unregelmässige Erwerbsarbeit im Sinne des Art.
23 Abs. 3 UVV vor und das Taggeld bestimmt sich in der Folge nach dieser
Norm, welche bezweckt, einen Ausgleich zu schaffen, wenn ein Versicherter
einen Unfall zufällig in einer Tief- oder Niedriglohnphase erleidet (BGE 128
V 300 Erw. 2b/aa). Dem Normzweck gilt es aber auch in der umgekehrten
Konstellation Rechnung zu tragen: Der Beschwerdegegner darf nicht davon
profitieren, dass er zur Zeit des Unfalls per Zufall vorübergehend ein hohes
Einkommen erzielt hat. In der Folge ist auf einen angemessenen
Durchschnittslohn pro Tag abzustellen und das - in Anwendung der
Rechtsprechung nach BGE 121 V 325 Erw. 3d, welche nur hinsichtlich
Saisonniers durch BGE 128 V 302 Erw. 2c geändert worden ist - von der SUVA
auf Fr. 4.- festgesetzte Taggeld ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

2.5 Da der Beschwerdegegner offensichtlich kein Saisonnier ist, findet hier
im Übrigen Art. 23 Abs. 4 UVV (sowie die Rechtsprechung gemäss BGE 128 V 298)
für die Festsetzung des massgebenden Lohnes keine Anwendung, abgesehen davon,
dass diese Bestimmung für die Dauer der Saisonbeschäftigung auf die
allgemeine Regelung des Art. 23 Abs. 3 UVV verweist und nur für die nicht
erwerbstätige Zeit eine Sonderregelung aufweist.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die SUVA als obsiegende Behörde
hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 135 OG in Verbindung mit
Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 28. Januar 2004 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.
Luzern, 20. September 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: