Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 148/2004
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2004
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2004


U 148/04

Urteil vom 2. Dezember 2004
IV. Kammer

Bundesrichter Meyer, Ursprung und Kernen; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

U.________, 1966, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur.
Claudia Giusto, Sonneggstrasse 55, 8006 Zürich

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 25. März 2004)

Sachverhalt:

A.
U. ________ (geboren 1966) ist seit 2. Juni 1998 bei der M.________ GmbH als
Mitarbeiter im Versand angestellt und bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (nachfolgend: SUVA) gegen die Folgen von Unfällen
versichert. Am 23. Januar 2003 verspürte er bei der Arbeit einen Schmerz im
Knie. In der Folge setzte er mit der Arbeit aus. Dr. med. J.________ nahm am
24. März 2003 eine arthroskopische Teilmeniskektomie medial rechts vor. Mit
Verfügung vom 15. Mai 2003, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 2.
September 2003, lehnte die SUVA jegliche Leistungen ab.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 25. März 2004 gut, hob den
Einspracheentscheid vom 2. September 2003 auf und verpflichtete die SUVA zur
Erbringung der gesetzlichen Leistungen.

C.
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der
vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. U.________ lässt auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Bundesamt für Gesundheit,
Abteilung Kranken- und Unfallversicherung, verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die zeitliche
Anwendung des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG; BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit
Hinweisen) und den Begriff der unfallähnlichen Körperschädigung (Art. 6 Abs.
2 UVG; Art. 9 Abs. 2 UVV; BGE 129 V 466 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt.
Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig ist, ob der Beschwerdegegner sich die Verletzung am Meniskus durch
ein unfallähnliches Ereignis zugezogen hat.

2.1 Die einzelnen Umstände des Unfallgeschehens sind von der versicherten
Person glaubhaft zu machen. Kommt sie dieser Forderung nicht nach, indem sie
unvollständige, ungenaue oder widersprüchliche Angaben macht, die das
Bestehen eines unfallmässigen Schadens als unglaubwürdig erscheinen lassen,
besteht keine Leistungspflicht des Unfallversicherers. Im Streitfall obliegt
es dem Gericht, zu beurteilen, ob die einzelnen Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Untersuchungsmaxime entsprechend hat es von Amtes wegen die notwendigen
Beweise zu erheben und kann zu diesem Zweck auch die Parteien heranziehen.
Wird auf Grund dieser Massnahmen das Vorliegen eines Unfalles nicht
wenigstens mit Wahrscheinlichkeit erstellt - die blosse Möglichkeit genügt
nicht -, so hat dieses als unbewiesen zu gelten, was sich zu Lasten der
versicherten Person auswirkt (SVR 1997 UV Nr. 74 S. 256 Erw. 2c mit
Hinweisen). Diese Rechtsprechung findet auf den Nachweis unfallähnlicher
Körperschädigungen sinngemäss Anwendung (BGE 116 V 140 Erw. 4b). Die
spontanen "Aussagen der ersten Stunde" sind in der Regel unbefangener und
zuverlässiger als spätere Darstellungen, die bewusst oder unbewusst von
nachträglichen Überlegungen versicherungsrechtlicher Art beeinflusst sein
können, und daher den Angaben, welche die versicherte Person kurz nach dem
Ereignis macht, meistens grösseres Gewicht zukommt als jenen nach Kenntnis
einer Ablehnungsverfügung des Versicherers (BGE 121 V 47 Erw. 2a; RKUV 2004
Nr. U 515 S. 420 Erw. 1.2, je mit Hinweisen). Sofern der Unfallversicherer
die tatsächlichen Verhältnisse mittels Frageblättern detailliert erhoben und
damit seine Verpflichtung zur richtigen und vollständigen Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts erfüllt hat, überzeugt es
rechtsprechungsgemäss nicht, wenn die versicherte Person den entsprechenden
Sachverhalt erst nach der abschlägigen, einlässlich begründeten Verfügung
darlegt; der Unfallversicherer ist nicht gehalten, diesfalls die versicherte
Person zur weiteren Substantiierung des gemeldeten Geschehnisses aufzufordern
(RKUV 2004 Nr. U 515 S. 422 Erw. 2.2 mit Hinweisen).

2.2 Aus der Unfallmeldung vom 19. März 2003 ergibt sich nur, der Versicherte
habe sich am 23. Januar 2003 "im Versand" und "beim Arbeiten" am rechten Knie
verletzt. Der Bericht des Dr. med. J.________, welcher am 24. März 2003 eine
arthroskopische Teilmeniskektomie medial rechts und eine Resektion der Plica
infrapatellaris vorgenommen hatte, enthält als Indikation:
"Stark störende Meniskusbeschwerden nach Drehtrauma."
In seinem Arztzeugnis vom 1. April 2003 verweist Dr. med. J.________ auf die
Angaben des Patienten. Im Fragebogen der SUVA gibt der Versicherte am 7.
April 2003 an, die Beschwerden hätten sich sofort bemerkbar gemacht, und
führt aus:
"Am Arbeitsplatz Waage gehoben und sich gedreht, dadurch entstand ein Schmerz
im Knie."
Die Fragen, ob es sich um eine für ihn gewohnte Tätigkeit gehandelt hat und
ob sie unter normalen äusseren Bedingungen verlief, bejahte er. In seiner
Einsprache vom 5. Juni 2003 schildert er den Hergang neu:
"Am 23. Januar 2002 ist mir am Arbeitsplatz bei einer besonderen Bewegung ein
Schmerz im Knie entstanden."
Dr. med. J.________ gibt in seinem Schreiben vom 2. Dezember 2003 an, der
Patient habe ein adäquates Drehtrauma erlitten und sich dabei eine
Meniskusquetschung bzw. einen unvollständigen Meniskusriss zugezogen; er sei
nicht einverstanden, dass das Ganze ein normales Krankheitsgeschehen
darstelle. In seiner Beschwerde vom 3. Dezember 2003 schildert der
Versicherte seine gewöhnliche Tätigkeit sowie das Geschehen vom 23. Januar
2003 erstmals ausführlich:
"Der Beschwerdeführer arbeitet als Packer bei der Firma M.________. In dieser
Funktion ist es insbesondere seine Aufgabe, die ihm von den sog. Rüstern an
seinen Arbeitsplatz gebrachten Pakete mit Adressen an einem dafür
vorgesehenen Ort anzubringen. Die Pakete befinden sich dabei jeweils bereits
auf Paletten. In der Regel ist es dem Beschwerdeführer möglich, die auf dem
Palett aufgestapelten, teilweise sehr schweren Pakete (zwischen 20 kg bis 30
kg), zu drehen, bis die Stelle, an dem die Adresse aufgeklebt werden muss,
zum Vorschein kommt. So gelingt es dem Beschwerdeführer, zu vermeiden, dass
er die Pakete aufheben muss. Der Beschwerdeführer achtet darauf, seinen
Rücken und insbesondere seine Gesundheit durch die von ihm ausgeübte
Tätigkeit nicht zu schädigen, indem er angemessene und schonende Bewegungen
macht. Sobald alle Pakete beschriftet sind, fährt der Beschwerdeführer diese
mit einem Palettrolli an einen dafür vorgesehenen Ort und stellt sie dort ab.
Bevor der Beschwerdeführer die Pakete an die nächste Arbeitsstation abgibt,
prüft er jeweils die Anzahl Stücke, den Inhalt der Pakete sowie die Termine.
Ein Staplerfahrer holt die Palette ab und transportiert sie in einen Lift,
welcher sie zur Spedition weiterbefördert. Von dort aus werden die Pakete an
die Kunden ausgeliefert.

Am 23. Januar 2003 erhielt der Beschwerdeführer von einem Rüster ein Palett,
auf welchem fünf Pakete gestapelt waren. Beim Durchlesen des Auftrages
bemerkte er, dass bei dieser Sendung eigentlich sechs Pakete dazugehören. Der
Beschwerdeführer sah sich veranlasst, das sechste Paket selber zu suchen. Er
hätte indessen auch den Rüster damit beauftragen können, ihm das sechste
Paket zu suchen und zu überbringen. Der Beschwerdeführer suchte das sechste
Paket in einem von seinem Arbeitsplatz nahe gelegenen Speziallager, in
welchem die fertige Ware jeweils bereit gestellt ist. Dort hatte er es auch
gefunden. Das ca. 20 kg schwere Paket befand sich auf einem Palett auf einer
Höhe von ca. 1.60 m. Zu erwähnen ist auch, dass die Palette in diesem
Speziallager sehr eng plaziert sind. Es besteht jeweils zwischen den Paletten
ein Durchgang von lediglich ca. 80 cm. Die engen Platzverhältnisse
erschwerten es ihm, ein Paket mit einem Gewicht von ca. 20 kg über Kopf zu
heben. Der Beschwerdeführer ergriff das Paket mit einem Format von 60 cm
(Höhe) x 70 cm (Breite) x 80 cm (Länge), welches ihm von oben herab kurz auf
die Brust fiel und er eine kleine Rückwärtsbewegung machen musste. In dieser
engen Position machte er sodann mit dem Oberkörper mit einem Paket in der
oben erwähnten Grösse und einem Gewicht von ca. 20 kg über Kopf eine
ungünstige Drehbewegung von ca. 90 Grad. Darauf verspürte er unmittelbar
einen Schmerz und musste das Paket auf den Boden stellen. Er war nicht mehr
im Stande, seine Arbeit weiter zu verrichten und begab sich notfallmässig ins
Spital Z.________."
Anlässlich seiner Stellungnahme im letztinstanzlichen Verfahren wiederholt er
im Wesentlichen die Ausführungen vor der Vorinstanz.

2.3 Auf Grund der geschilderten Aktenlage ist erstellt, dass der Versicherte
beim Anheben einer ca. 20 kg schweren Waage und anschliessendem Abdrehen
einen Schmerz im Knie verspürte und unter sofort einschiessenden Schmerzen
litt. Dies wird auch von der SUVA nicht bestritten. Uneinigkeit besteht
hingegen, ob diese Drehbewegung mit gebeugtem Knie und das Anheben des Pakets
über Kopf erfolgte sowie ob es sich beim Anheben der Waage um einen für ihn
alltäglichen Vorgang handelte.

Auffallend ist, dass die Schilderungen des Vorfalles vom 23. Januar 2003 kurz
gehalten sind. Dies ist nicht allein auf die geltend gemachten sprachlichen
Schwierigkeiten des Versicherten zurückzuführen. Denn aus der Einsprache
ergibt sich ohne Zweifel, dass er bei deren Verfassen auf die Hilfe seines
Arbeitgebers zurückgreifen konnte; auch beim Ausfüllen des Fragebogens der
SUVA scheint er Unterstützung erhalten zu haben. Dennoch ist in beiden Fällen
das Geschehen des 23. Januar 2003 knapp beschrieben. Auch aus den Berichten
des Dr. med. J.________ lässt sich nichts Zusätzliches gewinnen. Wenn der
Versicherte im Nachgang zur ablehnenden Verfügung und dem ebenfalls negativen
Einspracheentscheid in seiner Beschwerde alsdann umso ausführlicher seine
normale Tätigkeit sowie den Vorfall vom 23. Januar 2003 schildert, so vermag
dies rechtsprechungsgemäss nicht zu überzeugen. Denn es ist nicht
nachvollziehbar, weshalb bis zum kantonalen Verfahren die für
Durchschnittspersonen doch körperlich anspruchsvolle Bewegung des
Anhebens-über-Kopf nirgends auch nur ansatzweise erwähnt wurde, zumal es sich
- gemäss Schilderung in der Beschwerde - um eine für den Versicherten nicht
alltägliche Verrichtung gehandelt haben soll (vgl. RKUV 2004 Nr. U 515 S. 421
Erw. 2 mit Hinweisen). Damit ist für die Beurteilung der Leistungspflicht der
SUVA weder von einer Vornahme der Drehbewegung in gebeugter Körperhaltung
noch von einem Anheben der Waage über Kopf auszugehen. Bleibt es demnach bei
den bis zur Beschwerdeerhebung gemachten Angaben, ist mit der SUVA von einer
im Rahmen der üblichen Arbeit und unter normalen Bedingungen erfolgten
Bewegung auszugehen, sodass der äussere Faktor infolge fehlendem gesteigertem
Schädigungspotenzial und somit ein unfallähnliches Ereignis im Sinne der
Rechtsprechung zu verneinen sind (BGE 129 V 471 Erw. 4.3).

3.
Nach Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG darf im Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde obsiegenden Behörden oder mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel keine
Parteientschädigung zugesprochen werden. In Anwendung dieser Bestimmung hat
das Eidgenössische Versicherungsgericht der SUVA und privaten
UVG-Versicherern sowie - von Sonderfällen abgesehen - den Krankenkassen keine
Parteientschädigung zugesprochen, weil sie als Organisationen mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben zu qualifizieren sind (BGE 123 V 309 Erw. 10
mit Hinweisen). Demnach hat die SUVA keinen Anspruch auf eine
Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. März 2004 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 2. Dezember 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Vorsitzende der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: