Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 146/2004
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U 146/04
Urteil vom 25. Oktober 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Jancar

B.________, 1945, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans W.
Stössel, Wylenstrasse 8,
6440 Brunnen,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Schwyz

(Entscheid vom 22. März 2004)

Sachverhalt:

A.
B. ________, geboren 1945, beabsichtigte, von N.________ einen
Gastwirtschaftsbetrieb zu kaufen und übernahm diesen vorerst ab 1. Mai 1999
in Pacht. Bei anschliessenden Umbau- und Abbrucharbeiten erlitt er am 14.
September 1999 einen Unfall mit schweren, bleibenden Verletzungen. Gestützt
auf die Unfallmeldung vom 16. September 1999, welche von N.________ als
Arbeitgeber ausgefüllt worden war, den Bericht der Kantonspolizei Schwyz vom
16. Oktober 1999 sowie weitere Abklärungen durch den Versicherungsinspektor
anerkannte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) die
Leistungspflicht und gewährte B.________ die gesetzlichen Leistungen
(Heilbehandlung und Taggeld).

Am 14. Februar 2003 erfuhr die SUVA, dass das Kantonsgericht des Kantons Zug
(nachfolgend Kantonsgericht) am 5. August 2002 entschieden hatte, es habe zum
Zeitpunkt des Unfalls am 14. September 1999 zwischen B.________ und
N.________ kein Arbeitsverhältnis bestanden. Gestützt darauf verfügte die
SUVA am 13. Juni 2003 die nachträgliche Ablehnung der Leistungspflicht, da
diese anhand eines falschen Sachverhaltes bejaht worden und zweifellos
unrichtig sei. Mit Einspracheentscheid vom 2. September 2003 hielt die SUVA
an ihrer Verfügung fest.

B.
Beschwerdeweise liess B.________ beantragen, der Einspracheentscheid vom 2.
September 2003 sei aufzuheben und die SUVA sei zu verpflichten, sämtliche
gesetzlichen Leistungen aus dem Arbeitsunfall vom 14. September 1999 zu
erbringen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz zog vom Kantonsgericht
die Akten im Zivilprozess zwischen B.________ und N.________ bei und gab den
Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme. Aufgrund dieser Akten verneinte das
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz ein Arbeitsverhältnis zwischen
B.________ und N.________ zum Zeitpunkt des Unfalls am 14. September 1999 und
betrachtete dies als eine neue erhebliche Tatsache, die es rechtfertige, die
damals nach dem Unfall erfolgte Anerkennung der Leistungspflicht in Revision
zu ziehen und die Leistungspflicht mangels Arbeitnehmerstatus nachträglich
abzuerkennen. Demnach wies es die Beschwerde vom 2. September 2003 ab
(Entscheid vom 22. März 2004).

C.
B. ________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen,
unter Aufhebung des kantonalen Entscheides und des Einsprachentscheides "sei
die Leistungspflicht der SUVA gegenüber dem Einsprecher bezüglich des
Unfallereignisses vom 14. September 1999 festzustellen".

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das Kantonsgericht stellte mit Entscheid vom 5. August 2002   fest, dass
zwischen dem Beschwerdeführer und N.________ im Unfallzeitpunkt (14.
September 1999) kein Arbeitsverhältnis bestand. Es stützte diese
Schlussfolgerung in tatsächlicher Hinsicht auf das fehlende
Unterordnungsverhältnis, die Nicht-Einordnung in die Betriebsorganisation des
N.________ sowie die übereinstimmenden Aussagen, wonach der Beschwerdeführer
bestimmte, welche Umbauarbeiten vorgenommen wurden. Streitig und zu prüfen
ist, ob darin neue erhebliche Tatsachen zu erblicken sind, die gemäss Art. 53
Abs. 1 ATSG eine Revision der von der SUVA jahrelang erbrachten Leistungen
rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung sind die Grundsätze zur prozessualen
Revision auch auf faktisches Verwaltungshandeln anwendbar, sofern dieses
rechtsbeständig geworden ist (BGE 129 V 111 Erw. 1.2). Dieser Grundsatz gilt
auch unter Art. 53 Abs. 1 ATSG.

1.2 Nicht zu überprüfen ist eine allfällige Rückforderung bereits bezogener
Leistungen, da die SUVA in der Verfügung vom 13. Juni 2003 dem
Beschwerdeführer lediglich mitteilte, die erbrachten Leistungen primär von
der zuständigen Krankenkasse zurückzufordern und sich bezüglich den nicht
einbringbaren Leistungen weitere Schritte vorzubehalten. Am 20. Oktober 2003
verfügte sie dann auch die Rückforderung von Taggeldleistungen, welche
Gegenstand eines separaten Verfahrens bildet. Zu prüfen ist allein, ob die
Vorinstanz zu Recht erkannte, dass die SUVA gestützt auf Art. 53 Abs. 1 ATSG
(prozessuale Revision) auf die Anerkennung ihrer Leistungspflicht zurückkam.

2.
2.1 Wie im angefochtenen Entscheid zutreffend festgehalten wird, bestimmt sich
das Verfahren seit dem In-Kraft-Treten des ATSG (1. Januar 2003) nach dem
neuen Recht, weshalb die formellen Bestimmungen (Art. 27bis Art. 62 ATSG)
anwendbar sind (BGE 130 V 4 Erw. 3.2). Zu ergänzen ist, dass der Grundsatz,
wonach die Sozialversicherungsgerichte an die Beurteilung durch andere
Gerichte grundsätzlich nicht gebunden sind (RKUV 2003 Nr. U 485 S. 253),
unter der Herrschaft des ATSG prinzipiell weiterhin Geltung hat.

2.2 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat demzufolge im Rahmen der
Prüfung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde selbstständig zu beurteilen, ob die
SUVA sich im Sinne von Art. 53 Abs. 1 ATSG auf erhebliche neue Tatsachen zu
berufen vermag. Es ist zu prüfen, ob die ursprüngliche Annahme, der
Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt des Unfalls obligatorisch versicherter
Arbeitnehmer des N.________ im Sinne von Art. 1a Abs. 1 UVG gewesen, was die
Leistungspflicht der SUVA begründen würde, sachverhaltswidrig ist. Der
Beschwerdeführer macht geltend, dass N.________ nur deshalb vor dem
Kantonsgericht Zug ausgesagt habe, es sei nie ein Arbeitsvertrag
abgeschlossen worden, um nicht aus Arbeitsvertrag leisten zu müssen. Deshalb
könne diese Aussage nicht dahingehend umgedeutet werden, N.________ habe die
falschen Angaben gegenüber der SUVA zugegeben.

Im Rahmen des arbeitsrechtlichen Verfahrens vor dem Kantonsgericht wurden
verschiedene Abklärungen und Zeugeneinvernahmen durchgeführt. Anhand dieser
vorliegenden umfangreichen Akten und nicht nur alleine infolge der Aussage
des N.________ ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer nicht Arbeitnehmer
des N.________, sondern als faktischer Bauherr auf eigene Kosten und Gefahr
an den Umbauarbeiten beteiligt war. Der Beschwerdeführer und N.________ waren
Geschäftspartner, die gemeinsam den Umbau der Liegenschaft realisieren
wollten. Diesbezüglich kann auf die ausführlichen zutreffenden Erwägungen der
Vorinstanz verwiesen werden.

3.
3.1 Nach Art. 53 Abs. 1 ATSG müssen formell rechtskräftige Verfügungen und
Einspracheentscheide in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person
oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen
entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich
war. Die zu Art. 137 lit. b OG erarbeiteten Grundsätze (BGE 127 V 358 Erw.
5b) gelten auch für Art. 53 Abs. 1 ATSG.

Als "neu" gelten Tatsachen, welche sich bis zum Zeitpunkt, da im
Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen prozessual zulässig waren,
verwirklicht haben, jedoch der um Revision ersuchenden Person trotz
hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen ferner
erheblich sein, d.h. sie müssen geeignet sein, die tatbeständliche Grundlage
des angefochtenen Urteils zu verändern und bei zutreffender rechtlicher
Würdigung zu einer andern Entscheidung zu führen. Beweismittel haben entweder
dem Beweis der die Revision begründenden neuen erheblichen Tatsachen oder dem
Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt
gewesen, aber zum Nachteil der gesuchstellenden Person unbewiesen geblieben
sind. Sollen bereits vorgebrachte Tatsachen mit den neuen Mitteln bewiesen
werden, so hat die Person auch darzutun, dass sie die Beweismittel im
früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Entscheidend ist ein
Beweismittel, wenn angenommen werden muss, es hätte zu einem andern Urteil
geführt, falls das Gericht im Hauptverfahren hievon Kenntnis gehabt hätte.
Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der
Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient. Es genügt
daher beispielsweise nicht, dass ein neues Gutachten den Sachverhalt anders
bewertet; vielmehr bedarf es neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die
Entscheidungsgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen. Für die
Revision eines Entscheides genügt es nicht, dass die Gutachterin oder der
Gutachter aus den im Zeitpunkt des Haupturteils bekannten Tatsachen
nachträglich andere Schlussfolgerungen zieht als das Gericht. Auch ist ein
Revisionsgrund nicht schon gegeben, wenn das Gericht bereits im
Hauptverfahren bekannte Tatsachen möglicherweise unrichtig gewürdigt hat.
Notwendig ist vielmehr, dass die unrichtige Würdigung erfolgte, weil für den
Entscheid wesentliche Tatsachen nicht bekannt waren oder unbewiesen blieben
(BGE 127 V 358 Erw. 5b, 110 V 141 Erw. 2, 293 Erw. 2a, 108 V 171 Erw. 1; vgl.
auch BGE 118 II 205).

3.2 Anhand der Unfallmeldung des N.________ vom 16. September 1999, dessen
Angaben über geleistete Arbeitsstunden vom 3. September 1999 und 30.
September 1999 sowie dessen Aussagen vom 24. November 1999 ging die SUVA
anfänglich davon aus, dass der Beschwerdeführer ein Arbeitnehmer im Sinne von
Art. 1a Abs. 1 UVG sei. Alle diese behaupteten Tatsachen entsprechen indes
nicht der Wirklichkeit, wie das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
zutreffend dartut. Der tatsächliche zutreffende Sachverhalt schliesst aus,
zwischen dem Beschwerdeführer und N.________ ein Arbeitsverhältnis anzunehmen
(vgl. Erw. 2.2 hievor). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers liegen
klar neue Tatsachen im Sinne von Art. 53 Abs. 1 ATSG vor, da der SUVA diese
Sachverhaltselemente im Zeitpunkt der Leistungsanerkennung wegen falschen
Aussagen sowie unrichtigen Angaben und damit in unverschuldeter Weise nicht
bekannt waren. Die SUVA musste sich auf die Angaben des N.________ abstützen,
weil beim Beschwerdeführer nach dem Unfall (infolge der sehr schweren
Verletzungen) keine zusätzlichen Abklärungen getroffen werden konnten.

3.3 Obligatorisch versichert sind nach Art. 1a Abs. 1 UVG die in der Schweiz
beschäftigten Arbeitnehmer (zum Begriff vgl. Urteil M. vom 15. Dezember 2000,
U 85/00). Daher hat die nachträgliche prozessual revisionsrechtlich gebotene
Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Unfallzeitpunkt nicht Arbeitnehmer
war, zur Folge, dass er nicht obligatorisch unfallversichert war, was der
bisherigen und einer künftigen Leistungserbringung die Grundlage entzieht.

3.4 Der Beschwerdeführer wendet noch ein, die SUVA sei grundsätzlich an ihren
Entscheid vom November 1999 gebunden, da sie die Deckungsfrage umfassend
geprüft und ihm aufgrund dieser Erhebungen die gesetzlichen
Versicherungsleistungen zugesprochen habe. Dieser Auffassung kann nicht
zugestimmt werden. Gemäss Art. 53 Abs. 1 ATSG ist das Revisionsverfahren bei
Vorliegen eines Revisionsgrundes von Amtes wegen einzuleiten (Kieser Ueli,
ATSG-Kommentar, Zürich 2003, Art. 53 Rz 14). Es liegt mithin nicht im
Ermessen der Versicherungsträgerin, ob sie eine Revision vornehmen soll oder
nicht. Ein Revisionsgrund (eine neue erhebliche Tatsache) ist gegeben, sodass
die SUVA verpflichtet war, das Revisionsverfahren einzuleiten.

4.
Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 25. Oktober 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: