Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 131/2004
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2004
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2004


U 131/04

Urteil vom 13. September 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin
Bollinger

M.________, 1964, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Herbert
Menzi, Badenerstrasse 334, 8040 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 17. März 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1964 geborene M.________ war seit 1988 als Maschinist bei der Firma
Q.________ AG, Gleisbau + Schweissunternehmung, tätig und bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die
Folgen von Unfall und Berufskrankheit versichert. Am 10. Mai 2001 machte er
beim Befestigen eines Weichenteils auf der Plattform eines
Weichentransporters einen Fehltritt und fiel rückwärts aus etwa 1,8 m Höhe
auf das Schotter-Bankett neben dem Gleis. Dabei zog er sich eine lumbale
Rückenprellung mit Fraktur des Processus transversus Lendenwirbelkörper (LWK)
3 und 4 rechts zu und blieb bis zum 12. Mai 2001 hospitalisiert. Am 17.
August 2001 meldete Hausarzt Dr. med. L.________, Allgemeine Medizin FMH, der
SUVA, M.________ sei aufgrund der Unfallverletzungen wieder arbeitsfähig,
wolle die Arbeit aber nicht aufnehmen. Anlässlich der Untersuchung vom 30.
August 2001 stellte der Kreisarzt mässige Restbeschwerden fest und
attestierte eine 50%ige Arbeitsfähigkeit ab 10. September 2001. Ein
Arbeitsversuch vom 10. September 2001 scheiterte. Mit Verfügung vom 13.
September 2001 teilte die SUVA M.________ mit, sie gehe ab 17. September 2001
von einer hälftigen Teilarbeitsfähigkeit aus. In der Folge nahm der
Versicherte seine Arbeitstätigkeit zu 50 % wieder auf, konnte diese aber
nicht wie vorgesehen auf 100 % steigern. Vom 30. Oktober bis 8. November 2001
war M.________ im Spital X.________, Rheumaklinik und Institut für
Physikalische Medizin, hospitalisiert. Die dortigen Ärzte diagnostizierten
ein therapie-resistentes chronisches Lumbovertebral-Syndrom, eine
Wirbelsäulen (WS)-Fehlform (leichte rechtskonvexe-Skoliose der
Brustwirbelsäule [BWS] mit Kyphose, Hyperlordose), Haltungsinsuffizienz sowie
eine posttraumatische Verarbeitungsstörung und attestierten eine 100 %
Arbeitsunfähigkeit vom 30. Oktober bis 30. November 2001. Am 19. November
2001 begab sich M.________ stationär in die Höhenklinik Y.________, wo er bis
22. Dezember 2001 behandelt wurde. Anlässlich dieses Aufenthalts wurden
insbesondere eine ängstlich-depressive Anpassungsstörung mit rezidivierenden
Alpträumen (F 43.2) und eine inadäquate Schmerzverarbeitung (F 54)
festgestellt. Eine Schmerztherapie (Teilnahme am Ambulanten
Interdisziplinären Schmerz-Programm; AISP) im Spital X.________ konnte die
ausgeprägte Schmerzfixierung nicht lösen. Mitte April 2002 nahm M.________ im
angestammten Betrieb seine Arbeitstätigkeit in reduziertem Umfang (ca. 2 bis
2 ½ Stunden täglich) wieder auf, wobei die Arbeitgeberin dafür sorgte, dass
er nur leichte Bürohilfsarbeiten zu verrichten hatte. Am 11. Juli 2002 wurde
er durch Dr. med. A.________, FMH für physikalische Medizin speziell
Rheumaerkrankungen, begutachtet. Dr. med. A.________ diagnostizierte eine
inadäquate Unfall- und Schmerzverarbeitung sowie eine ängstlich-depressive
Anpassungsstörung und stellte fest, aus rheumatologischer Sicht seien die
Folgen des Unfalles vom 10. Mai 2001 längst abgeheilt; aus somatisch
unfallbedingter Sicht - nicht aber aus psychischen Gründen - sei die
angestammte Tätigkeit als Maschinist zumutbar (Gutachten vom 10. August
2002). Am 30. September 2002 verfügte die SUVA die Einstellung ihrer
Leistungen ab diesem Datum. Hiegegen liess M.________ Einsprache erheben und
einen Bericht des Dr. med. L.________ vom 6. November 2002 einreichen, in
welchem Letzterer eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert. Am 30.
Januar 2003 sandte Dr. med. L.________ der SUVA einen Bericht der
Psychiatrischen Poliklinik am Spital X.________ vom 10. Januar 2003, in dem
festgehalten wird, dass der Versicherte an einem anhaltenden Schmerzsyndrom
im unteren Rückenbereich und einer chronischen posttraumatischen
Belastungsstörung mit verzögertem Beginn leide. Ebenfalls eine
posttraumatische Belastungsstörung diagnostizierte Frau Dr. med. F.________,
Spezialärztin für Psychiatrie und Psychotherapie (Bericht vom 22. Februar
2003). Mit Einspracheentscheid vom 10. März 2003 hielt die SUVA an ihrer
Leistungsablehnung fest.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 17. März 2004 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ die Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheides und die weitere Ausrichtung der bisherigen
Versicherungsleistungen durch die SUVA beantragen.
Am 3. Juni 2003 legt er eine Stellungnahme des med. pract. K.________ und des
Dr. phil. S.________, Medizinisches Zentrum Z.________, vom 26. Mai 2004 auf.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde; das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Mit Schreiben vom 11. August 2004 lässt M.________ um Kostenübernahme für die
ärztliche Stellungnahme vom 26. Mai 2004 ersuchen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Im zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteil L. vom 4.
Juni 2004, H 6/04, erwog das Eidgenössische Versicherungsgericht, dass Art.
82 Abs. 1 ATSG nur eine beschränkte Tragweite zukommt, indem diese Bestimmung
- vorbehältlich Anpassungen rechtskräftig verfügter Leistungskürzungen
aufgrund von Art. 21 Abs. 1 und 2 ATSG - lediglich diejenigen Fälle von der
Anwendbarkeit des ATSG ausnehmen will, in denen vor dem 1. Januar 2003
rechtskräftig verfügt worden ist. Erging der Einspracheentscheid zwar nach
In-Kraft-Treten des ATSG, sind jedoch auch vor dem 1. Januar 2003
eingetretene Sachverhalte zu beurteilen, ist der Beurteilung der im Streite
liegenden Rechtsverhältnisse bis 31. Dezember 2002 das alte Recht, ab 1.
Januar 2003 das ATSG in Verbindung mit den revidierten Einzelgesetzen zu
Grunde zu legen.
Art. 4 ATSG enthält einen redaktionell neu gefassten Unfallbegriff. Mit
Urteil F. vom 5. Juli 2004, U 123/04, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht erkannt, dass die Legaldefinition des Art. 4 ATSG keine
materiellrechtliche Änderung bringt, weshalb die bisherige Rechtsprechung zum
Unfallbegriff und zu den einzelnen charakteristischen Merkmalen weiterhin
Geltung behält.

2.
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die verschiedenen erhobenen, teils
unterschiedlich diagnostizierten psychischen Beeinträchtigungen, an welchen
der Versicherte leidet, unfallbedingt sind.

2.1  Lehre und Rechtsprechung lassen den sozialen Unfallversicherer nur für
Schäden einstehen, die sowohl in einem natürlichen wie auch in einem
adäquaten Kausalzusammenhang mit dem schädigenden Ereignis stehen. Der
Voraussetzung des adäquaten Kausalzusammenhangs kommt dabei die Funktion
einer Haftungsbegrenzung zu (BGE 129 V 181 Erw. 3.1 mit Hinweisen). Ob
psychische Störungen mit einem Unfall oder einer Berufskrankheit in einem
adäquaten Kausalzusammenhang stehen, hängt davon ab, ob der Unfall oder die
Berufskrankheit unter Berücksichtigung der weiten Bandbreite von
Versicherten, für welche die soziale Unfallversicherung Schutz bieten soll,
nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung
geeignet ist, zu solchen Störungen zu führen (BGE a.a.O. 182 Erw. 3.3).
Für die Beurteilung der Adäquanz psychischer Unfallfolgen gelten besondere
Regeln. Grundsätzlich muss dem Unfallereignis für die Entstehung einer
psychisch bedingten Erwerbsunfähigkeit eine massgebende Bedeutung zukommen,
was dann zutrifft, wenn dieses eine objektive Schwere aufweist oder mit
anderen Worten ernsthaft ins Gewicht fällt (BGE a.a.O. 183 Erw. 4.1 mit
Hinweis auf BGE 115 V 141 Erw. 7). Die dabei vorzunehmende Katalogisierung in
leichte, mittelschwere und schwere Unfälle hat nicht nach dem subjektiven
Unfallerlebnis, sondern ausgehend vom objektiv erfassbaren Ereignis zu
erfolgen (BGE 115 V 139 Erw. 6). Während ein gewöhnlicher Sturz oder ein
Ausrutschen als leichte Unfälle anzusehen sind (BGE 115 V 139 Erw. 6a), kommt
bei Stürzen von Leitern u.ä. nebst den erlittenen Verletzungen der Fallhöhe
ein grosses Gewicht zu (vgl. RKUV 1998 Nr. 307 S. 449 Erw. 3a mit Hinweisen).

2.2  Ob es sich bei der psychischen Gesundheitsstörung um eine natürliche
Folge des versicherten Unfalles handelt, braucht nicht näher geprüft zu
werden. Denn selbst wenn aufgrund zusätzlicher Abklärungen der natürliche
Kausalzusammenhang zu bejahen wäre, fehlt es - wie die nachstehenden
Erwägungen zeigen - an der Adäquanz (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67, Erw. 3c).

2.3  Die Vorinstanz hat den Unfall als mittelschwer qualifiziert und offen
gelassen, ob dieser im Grenzbereich zu den leichten Unfällen einzuordnen ist.
Der Beschwerdeführer lässt vorbringen, er habe seinen Sturz als akute
Lebensbedrohung mit entsprechenden Angstgefühlen erlebt, die ihn bis heute
nicht verlassen hätten.

2.4  Unter Berücksichtigung vergleichbarer Fälle (BGE 115 V 144 Erw. 11) ist
der Sturz des Versicherten von einem Eisenbahnwagen aus rund 1,8 m Höhe auf
das Schotterbankett neben dem Gleis in Übereinstimmung mit der Vorinstanz als
mittelschwer zu qualifizieren. Dass der Beschwerdeführer den Unfall subjektiv
als lebensbedrohlich erlebt hat, spielt nach dem Gesagten (Erw. 2.1 hievor)
keine Rolle.

2.5  Für das Vorliegen des adäquaten Kausalzusammenhangs müssen somit die
weiteren Kriterien gehäuft oder eines in auffallender Weise erfüllt sein.
Mit dem kantonalen Gericht ist festzuhalten, dass die erlittenen Verletzungen
weder von besonderer Art noch derart schwer waren, dass sie sich
erfahrungsgemäss eigneten, psychische Fehlentwicklungen auszulösen.
Hinsichtlich der hier einzig massgebenden physischen Unfallfolgen (BGE 115 V
140 Erw. 6c/aa) sind sodann nach den zutreffenden Erwägungen des kantonalen
Gerichts die Kriterien einer ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen
Behandlung, eines schwierigen Heilungsverlaufs und erheblichen Komplikationen
sowie von Grad und Dauer der somatisch bedingten Arbeitsunfähigkeit zu
verneinen. Das Kriterium der körperlichen Dauerschmerzen ist in Anbetracht
des fehlenden somatischen Substrates (vgl. Gutachten Dr. med. A.________ vom
10. August 2002) ebenfalls nicht erfüllt, zumal der psychische
Gesundheitsschaden nicht in die Adäquanzbeurteilung einbezogen werden darf
(RKUV 1999 Nr. U 341 S. 409 Erw. 3b).
Dem Unfall vom 10. Mai 2001 kommt somit - ungeachtet dessen, ob er zu den
mittleren Fällen im Grenzbereich zu den leichten oder dem übrigen mittleren
Bereich zugeordnet wird - für die psychisch bedingte Einschränkung der
Arbeits- und Erwerbsfähigkeit keine massgebliche Bedeutung zu.

3.
Ob zwischen Unfall und gesundheitlicher Schädigung ein adäquater
Kausalzusammenhang besteht, ist keine medizinische, sondern eine Rechtsfrage,
die von der Verwaltung oder im Beschwerdefall vom Gericht zu beantworten ist
(BGE 123 V 105 Erw. 3e in fine, 117 V 382 Erw. 4a mit Hinweisen). Eine
neuerliche ärztliche Beurteilung, wie sie mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
angekündigt und in der Folge dem Gericht eingereicht wurde, ist somit für die
Beurteilung der Anspruchsberechtigung nicht entscheidend (Erw. 2.5 hievor).
Auch wenn der Versicherte aus medizinischer Sicht an einer posttraumatischen
Belastungsstörung leiden mag, ist damit über die Adäquanz des
Kausalzusammenhangs nichts gesagt. Ob die nach Ablauf der Beschwerdefrist und
ohne dass ein zweiter Schriftenwechsel angeordnet wurde, eingereichte
ärztliche Stellungnahme überhaupt zu berücksichtigen ist (BGE 127 V 356 f.
Erw. 3b und 4 mit Hinweisen), braucht daher nicht geprüft zu werden. Bei
dieser Sach- und Rechtslage kann der Versicherte für die nachgereichte
ärztliche Stellungnahme vom 26. Mai 2004 keine Kostenübernahme beanspruchen,
weshalb auch dieses Begehren unbegründet ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.
Luzern, 13. September 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: