Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 129/2004
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U 129/04

Urteil vom 25. Oktober 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Ackermann

S.________, 1959, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Urs
Rudolf, Ober-Emmenweid 46, 6021 Emmenbrücke 1,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 17. März 2004)

Sachverhalt:

A.
S. ________, geboren 1959, war als Arbeitslose bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unfallversichert. Am 7. November 2001 wurde
sie beim Überqueren eines Fussgängerstreifens von einem Auto angefahren;
anschliessend war sie bis zum 11. November 2001 im Spital L.________
hospitalisiert, welches eine Commotio cerebri, eine Distorsion der
Halswirbelsäule (HWS), eine Thoraxkontusion sowie eine Kontusion der
Brustwirbelsäule diagnostizierte. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen
Leistungen und veranlasste umfassende medizinische Abklärungen. Mit Verfügung
vom 17. Januar 2003 stellte sie ihre Versicherungsleistungen per Ende Januar
2003 ein, da die geklagten Beschwerden keine organischen Unfallfolgen
darstellten und die psychischen Beschwerden nicht adäquat kausal auf den
Unfall von November 2001 zurückzuführen seien. Dies wurde durch
Einspracheentscheid vom 1. April 2003 bestätigt.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern mit Entscheid vom 17. März 2004 ab, nachdem es einen Bericht des
Spitals L.________ vom 21. Dezember 2001 zu den Akten genommen hatte.

C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides
seien ihr über den 31. Januar 2003 hinaus Taggelder und "die weiteren
gesetzlichen Leistungen" zuzusprechen; ferner lässt sie die Gewährung der
unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung beantragen.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Korrekt sind die Erwägungen der Vorinstanz über die Rechtsprechung zu dem für
die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen (BGE
129 V 181 Erw. 3.1 mit Hinweisen) und adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 123
III 112 Erw. 3a, 123 V 103 Erw. 3d, 139 Erw. 3c, 122 V 416 Erw. 2a) zwischen
dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität,
Tod), insbesondere auch zur Adäquanzbeurteilung bei Unfällen und der in der
Folge eingetretenen psychischen Fehlentwicklung mit Einschränkung der
Arbeits- und Erwerbsfähigkeit (BGE 115 V 133). Darauf wird verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass die Beurteilung der Adäquanz in denjenigen Fällen, in
welchen die zum typischen Beschwerdebild eines Schleudertraumas der HWS oder
eines Schädel-Hirn-Traumas gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise
gegeben sind, im Vergleich zur bestehenden ausgeprägten psychischen
Problematik aber ganz in den Hintergrund treten, nach der für psychische
Fehlentwicklungen nach Unfällen geltenden Rechtsprechung (BGE 115 V 133)
vorzunehmen ist (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb mit Hinweis).

2.
Streitig ist der Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung und in diesem
Zusammenhang insbesondere die Frage, ob die geklagten Beschwerden adäquat
kausale Unfallfolgen sind.

2.1 Die Vorinstanz ist aufgrund der medizinischen Akten zu Recht davon
ausgegangen, dass keine somatischen Unfallfolgen mehr vorliegen. Dies wird in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde denn auch nicht bestritten und bietet zu
keinen weiteren Abklärungen Anlass (BGE 110 V 53 Erw. 4a). Insbesondere
handelt es sich bei den auftretenden Ohnmachtsanfällen nicht um somatische,
sondern um psychische Beschwerden.

2.2 Zu prüfen bleibt die Unfallkausalität des psychischen Beschwerdebildes.

Der natürliche Kausalzusammenhang ist in dieser Hinsicht zumindest als
Teilursache (da die Versicherte nach Angabe des Hausarztes schon vorher bei
kleinen Problemen "schnell nervlich dekompensiert" sei) zu bejahen: Ohne
Unfall im November 2001 wären die Ohnmachtsanfälle und weitere Symptome mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b mit Hinweisen) nicht
oder nicht im gleichen Umfang aufgetreten.

Der adäquate Kausalzusammenhang ist nach der für psychische Fehlentwicklungen
nach Unfällen geltenden Rechtsprechung (BGE 115 V 133) zu beurteilen. Die
psychische Problematik dominierte nämlich bereits kurz nach dem Unfall
eindeutig (RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437; vgl. BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb), sind
doch die heute im Vordergrund stehenden Ohnmachtsanfälle unmittelbar nach dem
Unfall aufgetreten und anlässlich der polizeilichen Befragung am 14. November
2001 erstmals von dritter Seite beobachtet worden. Da hier
unbestrittenermassen ein mittelschwerer Unfall vorliegt, ist in der Folge bei
der Prüfung der weiteren Kriterien zwischen physischen und psychischen
Komponenten zu unterscheiden (BGE 117 V 367 Erw. 6a e contrario):
Dem Verkehrsunfall vom 7. November 2001 kann zwar eine gewisse
Eindrücklichkeit nicht abgesprochen werden, dennoch war diese objektiv nicht
besonders ausgeprägt (vgl. BGE 115 V 141 oben); die Versicherte wurde nicht
besonders schwer oder gar lebensgefährlich verletzt. Besonders dramatische
Begleitumstände lagen ebenfalls nicht vor.
Entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde waren die
erlittenen Verletzungen nicht besonders schwer oder von besonderer Art;
insbesondere handelt es sich bei den heute auftretenden Ohnmachtsanfällen um
keine anlässlich des Unfalles zugezogenen physischen Verletzungen.
Die Dauer der ärztlichen Behandlung und die geklagten Dauerschmerzen basieren
nicht auf einem somatischen Substrat, sondern auf der rasch erfolgten
psychischen Überlagerung; damit fallen Grad und Dauer der physisch bedingten
Arbeitsunfähigkeit kaum ins Gewicht.
Eine ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich
verschlimmert hätte, ist nicht ersichtlich.

Somit liegen die gemäss Rechtsprechung bei einem mittleren Unfall notwendigen
objektiven Kriterien weder gehäuft vor, noch ist eines davon besonders
ausgeprägt (BGE 115 V 140 Erw. 6c/bb), weshalb der adäquate
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den psychischen Beschwerden zu
verneinen ist.

3.
3.1 Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne
der Befreiung von den Gerichtskosten ist deshalb gegenstandslos.

3.2 Nach Gesetz (Art. 152 OG) und Praxis sind in der Regel die
Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung und
Verbeiständung erfüllt, wenn der Prozess nicht aussichtslos erscheint, die
Partei bedürftig und die anwaltliche Verbeiständung notwendig oder doch
geboten ist (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Als
aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren
anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die
Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können.
Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten
und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer
sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen
finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem
Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf
eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen
können, weil er sie nichts kostet (BGE 129 I 135 Erw. 2.3.1, 128 I 236 Erw.
2.5.3 mit Hinweis).

Da die Adäquanzprüfung offensichtlich gemäss der Praxis zur psychischen
Fehlentwicklung mit Einschränkung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit (BGE 115
V 133; vgl. Erw. 2.2 hievor) vorzunehmen und demzufolge zwischen physischen
und psychischen Komponenten zu unterscheiden ist, diese Unterscheidung in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde jedoch nicht vorgenommen wird, hätte sich eine
Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, bei vernünftiger
Überlegung nicht zu einem Prozess entschlossen. Wegen Aussichtslosigkeit des
Prozesses sind die Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen
Verbeiständung daher nicht erfüllt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
(BAG) zugestellt.

Luzern, 25. Oktober 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: