Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 125/2004
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U 125/04

Urteil vom 11. April 2005
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Traub

M.________, 1965, Beschwerdeführer, vertreten durch Frau Regula Schwaller,
Rechtsberatung/Vertretungen, Frankengasse 6, 8001 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 25. Februar 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1965 geborene M.________ erlitt am 6. September 1998 bei einem
Auffahrunfall eine Kontusion und Schleuder-Distorsion der Halswirbelsäule. In
der Folge entwickelte sich ein zervikozephales und lumbovertebrales
Schmerzsyndrom. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) als
zuständiger obligatorischer Unfallversicherer erbrachte die gesetzlichen
Leistungen (Heilbehandlung, Taggelder). Gestützt auf ein interdisziplinäres
Gutachten, das im Herbst 2001 erstattet wurde, stellte die SUVA die
Leistungen mit Wirkung ab dem 31. Oktober 2001 ein, weil weder körperlich
noch psychisch eine Einschränkung in der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit
bestehe (durch Einspracheentscheid vom 27. Februar 2002 bestätigte Verfügung
vom 21. November 2001).

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab (Entscheid vom 25. Februar 2004).

C.
M.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es
seien ihm, unter Aufhebung von vorinstanzlichem und Einspracheentscheid, die
gesetzlichen Leistungen zu erbringen; eventuell sei eine traumatologische
Begutachtung anzuordnen.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit enthält sich der Stellungnahme.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Streitig und zu prüfen ist, ob der Versicherte im Zeitpunkt, zu welchem
die SUVA die bis dahin ausgerichteten Leistungen eingestellt hatte (31.
Oktober 2001), noch unter den Folgen des Unfalls vom 6. September 1998 litt.

1.2 Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Bestimmung über den Anspruch
auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1 UVG)
sowie die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des
Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen (BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 406
Erw. 4.3.1, 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b) und adäquaten
Kausalzusammenhang (BGE 129 V 181 Erw. 3.2, 405 Erw. 2.2) zutreffend
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

Wie die Vorinstanz ebenfalls schon festgehalten hat, entfällt die
Leistungspflicht des Unfallversicherers in einem Fall, in welchem der Unfall
einen krankhaften Vorzustand verschlimmert oder überhaupt erst manifest
werden lässt, erst, wenn der Unfall nicht mehr die natürliche und adäquate
Ursache des Gesundheitsschadens darstellt, wenn dieser also nur noch und
ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht. Dies trifft dann zu, wenn
entweder der (krankhafte) Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor dem
Unfall bestanden hat (Status quo ante) oder aber derjenige Zustand, wie er
sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch
ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (Status quo sine), erreicht
ist. Ebenso wie der leistungsbegründende natürliche Kausalzusammenhang muss
das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von unfallbedingten Ursachen eines
Gesundheitsschadens mit dem im Sozialversicherungsrecht allgemein üblichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Die blosse
Möglichkeit nunmehr gänzlich fehlender ursächlicher Auswirkungen des Unfalles
genügt nicht. Da es sich hierbei um eine anspruchsaufhebende Tatfrage
handelt, liegt die entsprechende Beweislast - anders als bei der Frage, ob
ein leistungsbegründender natürlicher Kausalzusammenhang gegeben ist - nicht
beim Versicherten, sondern beim Unfallversicherer (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 328
Erw. 3b mit Hinweisen).

2.
2.1 Den Akten ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer bereits vor dem
Unfall vom 6. September 1998 an Rückenschmerzen muskulärer Genese im Bereich
der Lenden- und der Halswirbelsäule litt, welche zu zum Teil längerdauernden
Phasen der Arbeitsunfähigkeit führten (Bericht des Dr. U.________ vom 10.
Juli 2000). Nach kreisärztlicher Beurteilung waren diese Beschwerdeschübe -
mangels gravierender anatomisch fassbarer Pathologie - zumindest teilweise
mit der Verunsicherung zu erklären, die mit einer auf Ende September 1998
erklärten Kündigung des Arbeitsverhältnisses verbunden war (Bericht vom 17.
November 2000). Die Entwicklung des gesundheitlichen Zustandes nach dem
Unfall ist vor diesem Hintergrund zu betrachten. Unbestritten ist, dass das
versicherte Ereignis zunächst ohne weiteres geeignet war,
leistungseinschränkende Beeinträchtigungen hervorzurufen bzw. den
vorbestehenden Zustand in erheblichem Mass zu verschlimmern. Ein
unfallanalytisches Gutachten vom 9. April 1999 zeigt, dass die
kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung (von 17 km/h) die
"Harmlosigkeitsgrenze" deutlich überschritt und unfallkausale Beschwerden der
Halswirbelsäule somit plausibel waren. Im Weitern findet sich in einem
psychosomatischen Konsilium der Klinik B._______ vom 3. Juni 1999 der Hinweis
auf eine erhöhte Vulnerabilität im Bereich von Kopf und Nacken, die sich
möglicherweise aus einem früher erlittenen Unfall ergab. Die SUVA hat
zunächst offenkundig zu Recht Leistungen erbracht. Hingegen deuten die
gesamten Akten darauf hin, dass die Symptomatik spätestens zum Zeitpunkt der
umstrittenen Leistungseinstellung ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen
beruhte bzw. gar keine krankheitswertigen Befunde mehr feststellbar waren.

2.2 Die Vorinstanzen stützen sich in erster Linie auf ein Gutachten des
Zentrums R.________ vom 31. September (recte: 30. September) 2001, dessen
beweisrechtliche Validität der Beschwerdeführer bestreitet. Die
Sachverständigen kommen aus internistischer, rheumatologischer und
psychiatrischer Sicht zum Schluss, es liege kein Gesundheitsschaden vor; es
bestehe vollständige Arbeitsfähigkeit. Dabei lassen sie deutlich
durchblicken, dass die geklagte Symptomatik ihrer Auffassung nach auf
(willkürlicher) Aggravation beruhe. Sobald er sich unbeobachtet wähne, zeige
der Versicherte ein Verhalten, das auf Beschwerdefreiheit schliessen lasse.
Die Feststellung, der Beschwerdeführer verhalte sich inkonsistent, steht in
Widerspruch zu früheren ärztlichen Beurteilungen. So wurde anlässlich der
Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL) am Institut
P.__________ festgehalten, die Leistungsbereitschaft sei zwar schlecht, die
Selbstlimitierung aber nachvollziehbar und die "Konsistenz bei den Tests" gut
(Bericht vom 29. August 2000). Der Kreisarzt der SUVA kommentierte diese
Feststellungen mit der Aussage, es könne nicht von Aggravation gesprochen
werden (Abschlussbericht vom 17. November 2000). Offen bleiben kann, ob sich
die Ursachen des gezeigten Beschwerdebildes in der verhältnismässig kurzen
Zeit zwischen den erwähnten divergierenden Einschätzungen effektiv dermassen
grundlegend zuungunsten des Versicherten verändert haben. Möglicherweise
haben die Gutachter gewissen Umständen des Einzelfalls zu wenig Beachtung
geschenkt, welche an der Vorwerfbarkeit des objektiv offenkundig gegebenen
aggravatorischen Verhaltens zweifeln lassen (so die bereits erwähnte erhöhte
physische Vulnerabilität und die von beteiligten Ärzten diskutierte
Verarbeitungsstörung im Verein mit verschiedenen Belastungsfaktoren
beruflicher und familiärer Art). Hinzu kommt, dass Aggravation schon rein
begrifflich eine - eben übertrieben dargebotene - Grundbeeinträchtigung
voraussetzt. Diese Vorbehalte vermögen die Beweiswertigkeit des Gutachtens
(vgl. BGE 125 V 352 Erw. 3a) in den entscheiderheblichen Punkten aber nicht
in Zweifel zu ziehen. Denn massgebend für die hier zu entscheidende Frage ist
allein, ob Unfallfolgen mit Einfluss auf die Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit
gegeben sind. In dieser Hinsicht sind die übrigen medizinischen
Stellungnahmen deckungsgleich mit den gutachtlichen Ausführungen, wie das
kantonale Gericht mit sorgfältiger und überzeugender Begründung dargetan hat.
Alle Befundaufnahmen weisen darauf hin, dass der Beschwerdeführer von den
organischen und psychischen Gegebenheiten her in der Lage wäre, jede für ihn
in Frage kommende Arbeit auszuüben. Es spielt mithin keine Rolle, ob die
subjektiv empfundenen Beeinträchtigungen und Zwänge, die ihn hievon abhalten,
einer willentlich-zweckgerichteten Aggravation entsprechen oder aber als zwar
nicht steuerbare, jedoch invaliditätsfremde Faktoren angesehen werden müssen.
Lässt sich die Symptomatik also keinem krankheitswertigen physischen oder
psychischen Geschehen mehr zuordnen, stellt sich Frage der Unfallkausalität,
insbesondere das Problem der mitunter fehlenden Objektivierbarkeit der für
die Beschwerden verantwortlichen Läsionen nach Schleudertrauma (vgl. BGE 117
V 360 Erw. 4b), nicht mehr.

2.3 Daran vermögen auch die Stellungnahmen des Dr. I.________ vom 27.
November 2001 und vom 19. April 2004 nichts zu ändern. Dessen Beurteilung
stützt sich direkt auf die Beschwerden und funktionellen Einschränkungen, wie
sie sich aus Sicht des Versicherten darstellen. Nicht beigepflichtet werden
kann auch der Rüge, der vorliegende Fall weise eine neurologische Dimension
auf, welche bei der interdisziplinären (internistischen, rheumatologischen
und psychiatrischen) Begutachtung unberücksichtigt geblieben sei. Die
abweichende Einschätzung des Neurologen Dr. I.________ beruht just auf
rheumatologischen Befunden (eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule,
Druckempfindlichkeit der Nacken-, Schulter- und paravertebralen Muskulatur).
In neurologischer Hinsicht konnte auch er keine Ausfälle namhaft machen.

3.
Liegt nach dem Gesagten keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit vor, die
einem nach UVG versicherten Schaden gleichgestellt werden könnte, so bestehen
der Einsprache- sowie der vorinstanzliche Entscheid zu Recht.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 11. April 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: