Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 84/2004
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I 84/04

Urteil vom 13. September 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Flückiger

B.________, 1956, Beschwerdeführerin, vertreten
durch Rechtsanwalt Markus Peyer, Ankerstrasse 24, 8004 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 7. Januar 2004)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 5. Februar 1999 lehnte es die IV-Stelle des Kantons Zürich
ab, der 1956 geborenen B.________ eine Rente auszurichten. Die dagegen
erhobenen Rechtsmittel wiesen das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich (Entscheid vom 30. August 2000) und das Eidgenössische
Versicherungsgericht  (Urteil vom 6. Juni 2001, I 564/00) ab.
Am 22. August 2002 liess sich die Versicherte durch Dr. med. L.________,
Allgemeine Medizin FMH, erneut zum Leistungsbezug anmelden. Die IV-Stelle zog
Berichte dieses Arztes vom 5. September 2002 (mit Beiblatt
"Arbeitsbelastbarkeit: Medizinische Beurteilung") sowie des Spitals
X.________, Dermatologische Klinik, vom 17. Februar und 12. September 2002
bei. Anschliessend lehnte sie das Leistungsgesuch - nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens - mit Verfügung vom 16. Dezember 2002 wiederum ab.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab (Entscheid vom 7. Januar 2004). Im Verlauf des
Rechtsmittelverfahrens hatte die Versicherte einen Bericht des Spitals
Y.________, Institut für Medizinische Radiologie und Nuklearmedizin, vom 7.
Januar 2003 und ein Zeugnis des Dr. med. L.________ vom 28. August 2003
auflegen lassen.

C.
B. ________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Rechtsbegehren,
es sei ihr eine ganze Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die Sache zu
neuer Beurteilung an die Vorinstanz oder die IV-Stelle zurückzuweisen. Ferner
wird um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ersucht. Mit der
Beschwerdeschrift wurde eine Stellungnahme des Dr. med. L.________ vom 22.
Januar 2004 eingereicht.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da die Vernehmlassung der IV-Stelle keine neuen Argumente enthält, ist dem in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten Begehren um Durchführung eines
zweiten Schriftenwechsels nicht stattzugeben (vgl. BGE 119 V 323 Erw. 1 mit
Hinweisen).

2.
2.1 Die IV-Stelle und das kantonale Gericht haben die bis Ende 2002 gültig
gewesenen Bestimmungen und die Grundsätze über die Voraussetzungen und den
Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG), die Ermittlung des
Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG), die Aufgabe des Arztes oder
der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit
Hinweisen) sowie die Bedeutung der so genannten Tabellenlöhne für die
Ermittlung der hypothetischen Vergleichseinkommen (BGE 126 V 77 f. Erw. 3b/bb
mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Richtig ist auch, dass das Gericht, wenn
die Verwaltung auf eine Neuanmeldung eingetreten ist (Art. 87 Abs. 4 IVV),
das Leistungsgesuch aber erneut abgelehnt hat, im Beschwerdeverfahren prüft,
ob im Sinne von Art. 41 IVG eine für den Rentenanspruch relevante Änderung
des Invaliditätsgrades eingetreten ist (BGE 117 V 198 Erw. 3a; AHI 1999 S. 84
Erw. 1b). Dies beurteilt sich durch den Vergleich des Sachverhaltes, wie er
im Zeitpunkt der letzten materiellen Abweisung bestanden hat, mit demjenigen
bei Erlass der streitigen neuen Verfügung (BGE 130 V 66 Erw. 2, 77 Erw.

3.2.3 ). Beizupflichten ist auch der Feststellung des kantonalen Gerichts,
dass die materiellrechtlichen Bestimmungen des am 1. Januar 2003 und somit
nach dem Erlass der Verfügung vom 16. Dezember 2002 in Kraft getretenen
Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6.
Oktober 2002 (ATSG) nicht anwendbar sind (BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw. 1,
356 Erw. 1).

2.2  Tritt die IV-Stelle auf eine Neuanmeldung ein, so hat sie - in analoger
Weise wie bei einem Revisionsfall nach Art. 41 IVG - die Sache materiell
abzuklären und sich zu vergewissern, ob die von der versicherten Person
glaubhaft gemachte Veränderung des Invaliditätsgrades oder der Hilflosigkeit
tatsächlich eingetreten ist (BGE 117 V 198 Erw. 3a mit Hinweis). Gemäss dem
auch diesbezüglich geltenden Untersuchungsgrundsatz hat die Verwaltung -
unter Vorbehalt der Mitwirkungspflichten der Parteien - von sich aus für die
Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen (BGE 125 V 195 Erw. 2
mit Hinweis). Dies bedeutet unter anderem, dass Abklärungen vorzunehmen sind,
wenn hiezu auf Grund der Parteivorbringen oder anderer sich aus den Akten
ergebender Anhaltspunkte hinreichender Anlass besteht (BGE 117 V 282 Erw. 4a;
AHI 1994 S. 212 Erw. 4a; SVR 1999 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 2c). Von zusätzlichen
Untersuchungsmassnahmen kann jedoch abgesehen werden, wenn davon keine
weiteren erheblichen Erkenntnisse zu erwarten sind (antizipierte
Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b; SVR 2003 AHV Nr. 4 S. 11 Erw. 4.2).

3.
Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch. Dieser hängt davon ab, ob sich
der Invaliditätsgrad während des Zeitraums zwischen der Verfügung vom 5.
Februar 1999 und derjenigen vom 16. Dezember 2002 in einer für den Anspruch
erheblichen Weise verändert hat.

3.1  Bei Erlass der Verfügung vom 5. Februar 1999 ging die IV-Stelle davon
aus, die Versicherte könne ihren angestammten Beruf als Zimmermädchen nur
noch im Rahmen von 50 % ausüben, während in einer leichten,
wechselbelastenden Tätigkeit ohne Verharren in vornübergeneigter Haltung und
ohne repetitives Heben von Lasten über 10 kg eine Arbeitsfähigkeit von 75 %
bestehe. Diese Einschätzung stützte sich insbesondere auf das Gutachten des
Spitals Z.________, Rheumaklinik und Institut für Physiotherapie mit
Poliklinik, vom 8. Dezember 1998. Die dortigen Ärzte diagnostizierten ein
Lumbovertrebralsyndrom, anamnestisch mit spondylogener Komponente links bei
Fehlform/-haltung der Wirbelsäule, degenerativen Veränderungen der lumbalen
Wirbelsäule, grosser, medialer Diskushernie L4/L5, leichter
Haltungsinsuffizienz und Status nach Morbus Scheuermann sowie ein
Cervicovertebral-Syndrom. Im Vordergrund stünden eindeutig die seit langem
vorhandenen lumbalen Beschwerden. Für die aktuell bestehende
Arbeitsunfähigkeit mache die Patientin einzig diese Beschwerden geltend.
Deren Vorhandensein erscheine im Rahmen der beschriebenen morphologischen
Wirbelsäulenveränderungen als glaubhaft, insbesondere soweit sie als
bewegungsabhängig beschrieben würden. Die Schmerzen hätten sich in der
Untersuchung dementsprechend auch durch die Bewegungen auslösen lassen. Bei
verschiedenen Untersuchungen habe allerdings ein unterschiedliches Ausmass
der funktionellen Einschränkung und der angegebenen Beschwerden resultiert,
welches die Ärzte als Symptomausweitung interpretierten, die möglicherweise
im Rahmen einer psychosozialen Belastung zu sehen sei. Die anamnestisch als
Periarthropathia humero-scapularis erscheinenden Armbeschwerden hätten bei
den Untersuchungen nicht ausgelöst werden können und tangierten die
Arbeitsfähigkeit nicht. Diese betrage in einer Tätigkeit als Zimmermädchen 50
%, steigerungsfähig auf 75 %, und in einer angepassten Arbeit 75 %, nach
absolvierter Physiotherapie steigerungsfähig auf 100 %. Die gerichtlichen
Beschwerdeinstanzen bestätigten die Beweiskraft dieses Gutachtens, auch unter
Berücksichtigung weiterer, anders lautender medizinischer Stellungnahmen.
Bezüglich des geltend gemachten psychischen Beschwerdebildes führte das
Eidgenössische Versicherungsgericht in seinem Urteil vom 6. Juni 2001 aus,
die begutachtenden Rheumatologen seien mit der hier im Gefolge des
chronischen Rückenleidens und der schwierigen psychosozialen Situation
aufgetretenen depressiven Problematik vertraut. Es dürfe deshalb angenommen
werden, dass sie ihre Stellungnahme zur Arbeitsfähigkeit unter
Berücksichtigung der depressiven Symptomatik abgegeben hätten. Eine schwere,
zusätzlich invalidisierende Depression sei nach den gesamten Akten indessen
nicht ersichtlich, weshalb kein Anlass zu weiteren Abklärungen bestehe.

3.2  In seiner durch die Verwaltung als Neuanmeldung entgegengenommenen
Stellungnahme vom 22. August 2002 stellt Dr. med. L.________ die Diagnose
eines hyperkeratotisch rhagadiformen Handekzems beidseits, eines chronischen
lumbospondylogenen Schmerzsyndroms und einer PHS (Periarthropathia
humero-scapularis) calcarea links. Er führt aus, seit 23. November 2001
bestehe ein stark chronifiziertes Handekzem, welches trotz wiederholter
Therapien nicht beherrschbar sei und einer Arbeit in der Küche entgegenstehe.
Diese Diagnosen werden im Arztbericht vom 5. September 2002 bestätigt. In
seiner gleichentags abgegebenen Beurteilung der Arbeitsbelastbarkeit
(Beiblatt zum Arztbericht) erklärt der Arzt auf die Frage nach den
psychischen Funktionen, es bestehe ein reaktiv depressives Zustandsbild bei
chronifiziertem Schmerzsyndrom mit Fixation auf die Bewegungseinschränkung
sowie zunehmender Erschöpfung mit Müdigkeit. Gemäss dem Bericht der
Dermatologischen Klinik des Spitals X.________ vom 12. September 2002 leidet
die Patientin an einem hyperkeratotisch-rhagadiformen, teils dyshidrosiformen
Handekzem mit Streuung bei epicutaner Sensibilisierung auf Thiuram Mix und
Nickel(II)-Sulfat. Es bestehe eine deutliche Arbeitsabhängigkeit der
Effloreszenzen. Nach Abheilung der Hautveränderungen, unter Meidung der oben
erwähnten Allergene sowie konsequenter Durchführung von Hautschutzmassnahmen
könne eine Arbeitsfähigkeit von 100 % angestrebt werden. In seinem Schreiben
vom 22. Januar 2004 erklärt Dr. med. L.________, die Behauptung, es habe sich
seit Februar 1999 keine wesentliche Veränderung der gesundheitlichen
Situation ergeben, sei nicht haltbar. Wegen deutlich reduzierter sozialer
Kompetenzen und mangelnder Sprachkenntnisse werde generell dem Leiden der
Patientin nicht genügend Rechnung getragen. Das chronische somatische Leiden
habe sich zunehmend verschlechtert, und die Patientin sei seit 2002
ausgebrannt und in keinem Arbeitsprozess integrierbar. Vom 11. Dezember bis
22. Dezember 2003 habe sie sich in der Psychiatrischen Klinik Q.________
aufgehalten, wo ihr Leiden fachärztlich genau beschrieben worden sei.

3.3  Aus der als Neuanmeldung entgegengenommenen Stellungnahme des Dr. med.

L. ________ vom 22. August 2002 ging hervor, dass die Beschwerdeführerin seit
November 2001 neu an einem Handekzem leide. Die IV-Stelle tätigte
diesbezüglich Abklärungen, welche zum Ergebnis führten, die Arbeitsfähigkeit
in einer leidensangepassten Tätigkeit werde durch dieses zusätzliche Leiden
nicht wesentlich beeinträchtigt. Bezüglich der vom Hausarzt ausserdem
diagnostizierten Periarthorpathia humero-scapularis konnte zulässigerweise
von neuen Untersuchungen abgesehen werden, da dieses bereits damals
angegebene Leiden Gegenstand der Begutachtung durch das Spitals Z.________
vom 8. Dezember 1998 gebildet hatte und keine Hinweise auf eine
diesbezügliche relevante Veränderung bestanden. Bezogen auf das somatische
Beschwerdebild haben Verwaltung und Vorinstanz demnach zu Recht von weiteren
Untersuchungen abgesehen.
Zur psychischen Verfassung der Beschwerdeführerin äusserte sich  Dr. med.

L. ________ in der Neuanmeldung vom 22. August 2002 nicht. Den im Bericht vom
5. September 2002 und der diesem beigefügten Beurteilung der
Arbeitsbelastbarkeit enthaltenen Hinweis auf eine reaktive depressive
Problematik konnte die Verwaltung zulässigerweise als im Rahmen der
bisherigen Erkenntnisse liegend interpretieren. Mit der letztinstanzlich
vorgebrachten, im Rahmen der vollen Kognition (Art. 132 OG) zu
berücksichtigenden (RKUV 1999 Nr. U 333 S. 197 Erw. 1 mit Hinweisen) Aussage
im Schreiben des Dr. med. L.________ vom 22. Januar 2004, die
Beschwerdeführerin habe sich im Dezember 2003 während rund zehn Tagen in
einer psychiatrischen Klinik aufgehalten, sind nunmehr Anhaltspunkte für das
Vorliegen eines psychischen Leidens gegeben, welches über die im Rahmen der
rheumatologischen Untersuchung mit berücksichtigten Symptomatik hinausgeht.
Es kann jedoch auch auf dieser Grundlage mit der für eine antizipierte
Beweiswürdigung (Erw. 2.2 hievor) erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen
werden, dass ein allfälliges psychisches Leiden mit Krankheitswert bereits
während des vorliegend relevanten Zeitraums bis zum Erlass der Verfügung vom
16. Dezember 2002 (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen) zu einer den
Rentenanspruch begründenden Invalidität geführt hat. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist dementsprechend abzuweisen. Die Verwaltung
wird jedoch auf Grund der neuen Informationen zu prüfen haben, ob in der
Zwischenzeit eine anspruchserhebliche Veränderung eingetreten ist.

4.
Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne
der Befreiung von den Gerichtskosten ist deshalb gegenstandslos. Die
unentgeltliche Verbeiständung kann dagegen gewährt werden (Art. 152
Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die
Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten
war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird
indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die
begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie
später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Markus
Peyer, Zürich, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons Zürich überwiesen, damit sie im
Sinne von Erw. 3.3 in fine verfahre.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Schweizer Hoteliervereins  und dem Bundesamt
für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 13. September 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: