Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 831/2004
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I 831/04

Urteil vom 9. Februar 2006
III. Kammer

Bundesrichter Lustenberger, Kernen und Seiler; Gerichtsschreiber Lanz

V.________, 1956, Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin,

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 18. November 2004)

Sachverhalt:

A.
Am 14. Dezember 1990 wurde die Ehe des 1956 geborenen V.________ mit
D.________ rechtskräftig geschieden unter Genehmigung eines Konveniums über
die Scheidungsfolgen: Danach hatte V.________ der geschiedenen Gattin an den
Unterhalt der ihrer elterlichen Sorge unterstellten gemeinsamen Kinder
A.________ (geb. 1985) und C.________ (geb. 1988) je einen monatlichen
Unterhaltsbeitrag von (mindestens) Fr. 450.- zu bezahlen. Am 18. Juni 2003
vereinbarten V.________ und D.________ die Unterhaltsbeiträge ab 1. Juli 2003
auf Fr. 350.- pro Monat und Kind herabzusetzen, und sie einigten sich über
eine Regelung betreffend die Auszahlung der aufgrund der IV-Anmeldung des
Mannes vom Februar 2001 zu erwartenden IV-Kinderrenten. Diese Vereinbarung
wurde am 25. Juni 2003 in Abänderung des Scheidungsurteils vom 14. Dezember
1990 richterlich genehmigt.

Mit Verfügung vom 30. Juni 2004 sprach die IV-Stelle Bern V.________
rückwirkend ab 1. Januar 2001 eine ganze Invalidenrente zu. Gleichentags
verfügte sie zu dieser Rente separat zwei Kinderrenten für A.________ und
C.________ sowie eine Kinderrente für die aus einer späteren Beziehung des
Versicherten stammende Tochter R.________, wobei sie die Auszahlung der
laufenden Kinderrenten und der nach Verrechnung mit Drittansprüchen
verbleibenden Nachzahlungen der Kinderrenten an die Mütter vorsah. V.________
machte einspracheweise geltend, ein Anteil von Fr. 11'952.- der
nachzuzahlenden Kinderrenten für A.________ und C.________ aus dem Zeitraum
vom 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2003 sei an ihn zu entrichten. Die IV-Stelle
wies die Einsprache ab; die Kinderrenten seien vollumfänglich an D.________ -
unter dem Vorbehalt der Verrechnung mit Drittforderungen aus
Alimentenbevorschussung - zu bezahlen (Einspracheentscheid vom 11. August
2004).

B.
Die von V.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern ab (Entscheid vom 18. November 2004) ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert V.________ das einsprache- und
beschwerdeweise gestellte Rechtsbegehren. Weiter ersucht er um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.
Die IV-Stelle schliesst sich dem angefochtenen Entscheid an, ohne einen
formellen Antrag zu stellen. D.________ lässt die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Hiezu hat sich V.________ erneut
geäussert. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob von der Nachzahlung des zur Invalidenrente des
Beschwerdeführers bestehenden Kinderrentenanspruchs für A.________ und
C.________ aus dem Zeitraum vom 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2003 ein Anteil
von Fr. 11'952.- an den Versicherten zu entrichten ist, wie er geltend macht,
oder ob die gesamte Kinderrentennachzahlung, nach Verrechnung mit Forderungen
aus Alimentenbevorschussung, der Mutter der Kinder zusteht, wie Verwaltung
und Vorinstanz entschieden haben.

2.
Da Streitigkeiten über den Auszahlungsmodus rechtsprechungsgemäss nicht die
Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen betreffen, hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche
Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit
Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG; BGE 129 V 364 Erw. 2).

3.
Die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der Streitfrage sind im
angefochtenen Entscheid einlässlich dargelegt und hier nur zusammengefasst zu
wiederholen.

Demnach galt bis 31. Dezember 2001 die Auszahlung der Kinderrenten an den vom
Anspruchsberechtigten getrennt lebenden oder geschiedenen Elternteil unter
der Voraussetzung als zulässig, dass dieser die elterliche Gewalt innehat,
das Kind nicht beim rentenberechtigten Elternteil wohnt und sich dessen
Unterhaltspflicht in einem Kostenbeitrag erschöpft. Letzteres trifft zu, wenn
die Unterhaltsbeiträge bestimmte Ansätze für den Unterhaltsbedarf von Kindern
nicht erreichen (vgl. BGE 129 V 364 f. Erw. 3.2 und 3.3 mit Hinweisen).

Seit 1. Januar 2002 ist gemäss Art. 82 IVV für die Auszahlung von
Kinderrenten der Invalidenversicherung die Regelung des Art. 71ter AHVV
sinngemäss anwendbar (vgl. BGE 129 V 365 f. Erw. 3.4 mit Hinweisen). Nach
Abs. 1 dieser Bestimmung ist die Kinderrente, wenn die Eltern des Kindes
nicht oder nicht mehr miteinander verheiratet sind oder getrennt leben, auf
Antrag dem nicht rentenberechtigten Elternteil auszuzahlen, wenn diesem die
elterliche Sorge über das Kind zusteht und es bei ihm wohnt (Satz 1);
abweichende vormundschaftliche oder zivilrichterliche Anordnungen bleiben
vorbehalten (Satz 2). Laut Abs. 2 gilt dies auch für die Nachzahlung von
Kinderrenten (Satz 1); hat der rentenberechtigte Elternteil seine
Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind erfüllt, so steht ihm die Nachzahlung im
Umfang der monatlich erbrachten Leistungen zu (Satz 2).

Zu erwähnen bleibt, dass die seit 1. Januar 2002 geltende Ordnung der
Kinderrentenauszahlung durch die mit Ziff. I der Verordnung vom 28. Januar
2004, in Kraft getreten am 1. März 2004 (AS 2004 743), erfolgte Änderung des
Art. 82 IVV unberührt geblieben ist.

4.
4.1 Wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat, sind die Voraussetzungen
für die - mit dem Vorbehalt der Verrechnung mit bevorschussten Alimenten
verbundene - Nachzahlung der rückwirkend zugesprochenen Kinderrenten an die
geschiedene Ehefrau des anspruchsberechtigten Beschwerdeführers grundsätzlich
erfüllt. Namentlich steht fest und ist unbestritten, dass der
Beschwerdeführer die gemäss Scheidungsurteil vom 14. Dezember 1990 für den
hier interessierenden Zeitraum vom 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2003
geschuldeten monatlichen Unterhaltsbeiträge für A.________ und C.________
nicht geleistet hat.

4.2 Es stellt sich einzig die Frage, ob für den vom Beschwerdeführer geltend
gemachten Teilbetrag der Kinderrentennachzahlung eine abweichende
zivilrichterliche Anordnung im Sinne von Art. 71ter Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2
Satz 1 AHVV (in Verbindung mit Art. 82 IVV) vorliegt.

Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist eine solche Anordnung im
zivilrichterlichen Genehmigungsentscheid vom 25. Juni 2003 über die
Vereinbarung vom 18. Juni 2003 zu sehen. Demgegenüber vertreten Vorinstanz
und D.________, wie schon die Verwaltung, den Standpunkt, der
Genehmigungsentscheid enthalte keine abweichende Anordnung des Zivilrichters.

4.3 Die Darstellungen von Beschwerdeführer und ehemaliger Gattin darüber, wie
sie und der Zivilrichter bei dessen Genehmigung der Vereinbarung vom 18. Juni
2003 die darin enthaltene Regelung des Auszahlungsmodus der bis 30. Juni 2003
angefallenen Kinderrenten verstanden haben, widersprechen sich diametral.
Keinen weiteren Aufschluss geben die Äusserungen der damals auf beiden Seiten
beteiligt gewesenen Rechtsanwältinnen, welche jeweils den Standpunkt der
eigenen Mandanten bekräftigen. Von ergänzenden Beweiserhebungen können zu
dieser Frage ebenfalls keine entscheidrelevanten Erkenntnisse erwartet
werden. Es bleibt zu prüfen, ob sich aufgrund des Wortlautes der Vereinbarung
und der bekannten Begleitumstände ermitteln lässt, welches der divergierenden
Verständnisse betreffend den Auszahlungsmodus wahrscheinlicher dem der
Vereinbarung und der richterlichen Genehmigung zugrunde gelegenen Willen
entspricht.

4.4 Hauptgegenstand der Vereinbarung vom 18. Juni 2003 bildete die
Herabsetzung der gemäss Scheidungsurteil vom 14. Dezember 1990 vom
Beschwerdeführer monatlich geschuldeten Unterhaltsbeiträge von Fr. 450.- auf
Fr. 350.- je Kind. Zudem verpflichtete sich der Beschwerdeführer in der
Vereinbarung, den Fr. 350.- im Monat je Kind übersteigenden Betrag einer
allfälligen IV-Kinderrente den Kindern zu überlassen, und er erklärte sich
damit einverstanden, dass die IV-Kinderrenten den Kindern resp. bis zu deren
Mündigkeit ihrer Mutter überwiesen würden. Diese Umschreibung des
Auszahlungsmodus stützt die Auffassung des Beschwerdeführers, wonach
nachzuzahlende Kinderrenten zumindest teilweise an ihn gehen sollten, nicht.
Was aber weiter auffällt, ist der Umstand, dass die genannten Regelungen
gemäss dem Wortlaut der Vereinbarung allesamt erst ab dem 1. Juli 2003
wirksam wurden. Dass dies ausdrücklich so in die Vereinbarung aufgenommen
wurde, spricht dafür, dass die Regelung, wonach die Kinderrenten an die
Mutter auszuzahlen sind, nur für die ab dem genannten Zeitpunkt laufenden und
nicht für die bis dahin angefallenen Rentenbetreffnisse gelten soll. Zu
beachten ist weiter, dass die sich zugunsten von D.________ auswirkende
Regelung der Kinderrentenauszahlung im Zusammenhang mit der Herabsetzung der
Kinderunterhaltsbeiträge vereinbart wurde. Diese Reduktion der Alimente kam
dem Beschwerdeführer zugute, der darauf wegen seinen finanziellen
Verhältnissen unbestrittenermassen auch Anspruch hatte. Der Umstand, dass er
die Zustimmung zur Kinderrentenauszahlung an die Kinder resp. deren Mutter im
Zusammenhang mit der vereinbarten Herabsetzung der Kinderunterhaltsbeiträge
gab und beides ab dem 1. Juli 2003 wirksam wurde, bildet nun aber ein
weiteres Indiz dafür, dass für den vorhergehenden Zeitraum, in welchem höhere
Kinderunterhaltsbeiträge geschuldet, wenn auch nicht bezahlt worden waren,
ein allenfalls nach Abzug von Alimentenbevorschussungen verbleibender
Überschuss von Kinderrenten an den Beschwerdeführer gehen sollte. Bei
gesamtheitlicher Würdigung sämtlicher bekannter Anhaltspunkte muss daher mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b) darauf geschlossen
werden, dass dieses letztere Verständnis des Auszahlungsmodus dem Abschluss
der Vereinbarung vom 18. Juni 2003 und deren zivilrichterlichen Genehmigung
vom 25. Juni 2003 zugrunde lag. Damit ist eine zivilrichterliche Anordnung im
Sinne von Art. 71ter Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 AHVV (in Verbindung mit
Art. 82 IVV) gegeben und hat der Beschwerdeführer Anspruch auf die
anteilsmässige Auszahlung von nachzuzahlenden Kinderrenten aus dem Zeitraum
bis 30. Juni 2003. Dieser Anteil beträgt unbestrittenermassen Fr. 11'952.-.

5.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist infolge Obsiegens des
Beschwerdeführers gegenstandslos. Dieser ist nicht vertreten, weshalb sich
die Frage einer Parteientschädigung ebenfalls nicht stellt.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 18. November 2004 und, soweit die
Auszahlung von Kinderrentennachzahlungen an den Beschwerdeführer betreffend,
der Einspracheentscheid der IV-Stelle Bern vom 11. August 2004 aufgehoben und
wird die IV-Stelle Bern verpflichtet, von den für den Zeitraum bis 30. Juni
2003 nachzuzahlenden IV-Kinderrenten für A.________ und C.________ Fr.
11'952.- dem Beschwerdeführer auszuzahlen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons
Bern, dem Bundesamt für Sozialversicherung und D.________ zugestellt.

Luzern, 9. Februar 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Vorsitzende der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: