Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 776/2004
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I 776/04

Urteil vom 29. März 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Flückiger

L.________, 1943, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat
Ludwig Schmid, Falknerstrasse 26, 4001 Basel,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 6. September 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1943 geborene L.________ war zuletzt seit 1995 als Maler/ Tapezierer beim
Malergeschäft X.________ angestellt. Im September 2001 musste er die Arbeit
aus gesundheitlichen Gründen (insbesondere wegen Bein- und Fussbeschwerden)
aussetzen. Am 2. Oktober 2002 meldete er sich bei der Invalidenversicherung
zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Basel-Stadt tätigte Abklärungen in
erwerblicher und medizinischer Hinsicht. Anschliessend sprach sie dem
Versicherten berufliche Eingliederungsmassnahmen in Form von
Arbeitsvermittlung (Beratung und Unterstützung bei der Stellensuche) zu
(Mitteilung vom 28. August 2003). In der Folge brach sie diese Leistung
jedoch ab mit der Begründung, der Versicherte habe ohne hinreichenden Anlass
die Absolvierung eines Arbeitsversuchs verweigert, und verneinte mit
Verfügung vom 28. Oktober 2003 einen Anspruch auf berufliche Massnahmen.
Daran hielt die Verwaltung auf Einsprache hin mit Entscheid vom 16. März 2004
fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht
Basel-Stadt ab (Entscheid vom 6. September 2004).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt L.________ die Zusprechung von
Eingliederungsmassnahmen, eventuell die Rückweisung der Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz beantragen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Mit ergänzenden Eingaben vom 26. Januar (Beschwerdeführer) und 2. März 2005
(Beschwerdegegnerin) reichen die Parteien zusätzliche Unterlagen ein.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die ohne Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels mit den nachträglichen
Eingaben vom 26. Januar und 2. März 2005 eingereichten Beweismittel können
nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 353).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob es die IV-Stelle mit dem vorinstanzlich
bestätigten Einspracheentscheid und der durch diesen ersetzten Verfügung vom
28. Oktober 2003 zu Recht abgelehnt hat, dem Versicherten berufliche
Eingliederungsmassnahmen zu gewähren. Konkret zur Diskussion stand die am 28.
August 2003 zugesprochene Arbeitsvermittlung. Art. 18 Abs. 1 Satz 1 IVG,
welcher die gesetzliche Grundlage des entsprechenden Anspruchs bildet, wurde
im Rahmen der am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des
Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 21. März 2003 (4.
IVG-Revision) modifiziert. Praxisgemäss bezieht sich die gerichtliche Prüfung
auf den Zeitraum bis zum Einspracheentscheid (BGE 121 V 366 Erw. 1b, 116 V
248 Erw. 1a), der vorliegend am 16. März 2004 erging. In dieser Konstellation
ist der materiellrechtlichen Beurteilung für die Zeit bis Ende 2003 die bis
dahin gültig gewesene und ab 1. Januar 2004 die seither geltende Fassung zu
Grunde zu legen (vgl. BGE 130 V 445 ff. Erw. 1).

3.
3.1 Gemäss der bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen Fassung von Art. 18 Abs.
1 Satz 1 IVG wird eingliederungsfähigen Invaliden nach Möglichkeit geeignete
Arbeit vermittelt. Die für den Anspruch auf Arbeitsvermittlung vorausgesetzte
Invalidität liegt vor, wenn die versicherte Person bei der Suche nach einer
geeigneten Arbeitsstelle aus gesundheitlichen Gründen Schwierigkeiten hat.
Für die Bejahung einer Invalidität im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Satz 1 IVG ist
somit vorausgesetzt, dass zwischen dem Gesundheitsschaden und der
Notwendigkeit der Arbeitsvermittlung ein Kausalzusammenhang besteht (AHI 2003
S. 269 Erw. 2c mit Hinweisen).

3.2 Solange die Voraussetzungen erfüllt sind, ist der Anspruch auf
Arbeitsvermittlung grundsätzlich in zeitlicher Hinsicht nicht begrenzt,
sondern besteht - dem Sinn dieser Massnahme entsprechend - bis zur
erfolgreichen Eingliederung. Trotz dieses Grundsatzes unterliegt aber auch
der Anspruch auf Arbeitsvermittlung dem Prinzip der Verhältnismässigkeit,
d.h. die Arbeitsvermittlung ist nur solange zu erbringen, als der dafür
notwendige Aufwand nicht unverhältnismässig ist. In dieser Hinsicht ist zu
berücksichtigen, dass die Arbeitsvermittlung keine besonders kostspielige
Eingliederungsmassnahme darstellt, weshalb zur Anspruchsbegründung bereits
ein relativ geringes Mass an gesundheitlich bedingten Schwierigkeiten bei der
Suche einer neuen Arbeitsstelle genügt. Dieser Gesichtspunkt ist auch im
Hinblick auf die Dauer des Anspruches massgebend. Die Gewährung der
Arbeitsvermittlung wird allerdings dann unverhältnismässig, wenn von weiteren
Bemühungen der Verwaltung keinerlei Erfolg erwartet werden kann, obwohl sich
die IV-Stelle vorher intensiv bemüht hat (Urteil K. vom 22. Dezember 2004, I
412/04, Erw. 2.4).
3.3 Im Rahmen der 4. IVG-Revision wurde Art. 18 Abs. 1 Satz 1 IVG, wie
bereits erwähnt, geändert. Nach dem neuen Wortlaut der Bestimmung haben
eingliederungsfähige invalide Versicherte unter anderem Anspruch auf aktive
Unterstützung bei der Suche eines geeigneten Arbeitsplatzes. Diese Änderung
war in der bundesrätlichen Botschaft nicht enthalten gewesen und wurde durch
die vorberatende Kommission des Nationalrates eingefügt. Der Grundgedanke der
Neuformulierung bestand darin, die Unterstützung von Amtes wegen bei der
Eingliederung zu verstärken. Es gehe darum, die IV-Stellen zu verpflichten,
in dieser Hinsicht deutlich mehr zu unternehmen. Der Kommissionssprecher
Gross hielt im Plenum des Nationalrates fest, die Kommission habe einstimmig
beschlossen, die Rechte der Versicherten auf aktive Beratung und
Unterstützung bei der Arbeitssuche zu verstärken (Amtliches Bulletin
Nationalrat 2001 S. 1934). Die neue Fassung wurde im Nationalrat - nach dem
Rückzug eines weiter gehenden Antrags - diskussionslos angenommen (a.a.O., S.
1935). Im Plenum des Ständerates führte die Kommissionssprecherin Forster zur
Begründung des Antrages, dem Beschluss des Nationalrates zuzustimmen -
welchem der Rat ohne weitere Diskussion folgte -, unter anderem aus, mit
dieser Bestimmung werde eine verbindliche Grundlage für die
Arbeitsvermittlungstätigkeit der IV-Stellen eingeführt (Amtliches Bulletin
Ständerat 2002 S. 756).

4.
4.1 Es ist unbestritten und erstellt, dass dem Beschwerdeführer auf Grund
seiner gesundheitlichen Probleme, insbesondere der Einschränkungen im Gehen
und längeren Stehen, bei der Suche nach einer geeigneten Anstellung
Schwierigkeiten erwachsen. Er erfüllt daher, wie die IV-Stelle am 28. August
2003 zu Recht festgestellt hat, prinzipiell die invaliditätsmässigen
Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitsvermittlung gemäss Art. 18 Abs. 1
Satz 1 IVG in der bis Ende 2003 gültig gewesenen Fassung. Die neue
Formulierung sollte diesen Anspruch nach dem Gesagten nicht einschränken,
sondern tendenziell ausweiten, sodass die grundsätzliche Berechtigung auch
für die Zeit ab 1. Januar 2004 ausser Frage steht.

4.2 Die Verwaltung hat die Weiterführung der Arbeitsvermittlung mit der
Begründung abgelehnt, der Versicherte habe einen Arbeitsversuch bei der Firma
Y.________ AG verweigert, obwohl ihm die Ausübung dieser Tätigkeit und die
Bewältigung des Arbeitswegs auch mit den gesundheitlichen Einschränkungen
möglich gewesen wäre. Sinngemäss verneinte die IV-Stelle damit die subjektive
Eingliederungsfähigkeit (vgl. dazu AHI 2002 S. 108). Dieser Vorwurf ist
jedoch nicht hinreichend erhärtet und substanziiert. So wird das Verhalten
des Versicherten nicht nur in seinen eigenen Stellungnahmen, sondern auch in
der (arbeitslosenversicherungsrechtlichen) Verfügung des Kantonalen Amtes für
Industrie, Gewerbe und Arbeit vom 27. Oktober 2003 anders bewertet. Zudem
hätte eine auf diese Begründung gestützte Verweigerung weiterer Leistungen
die vorgängige Durchführung des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens gemäss Art. 21
Abs. 4 ATSG vorausgesetzt (Urteil A. vom 11. Januar 2005, I 605/04, Erw. 3).

4.3 Die Vorinstanz ihrerseits verneinte die Verhältnismässigkeit einer
Weiterführung der Arbeitsvermittlung. Der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt
des Einspracheentscheides viereinhalb Jahre vor der AHV-rechtlichen
Pensionierung gestanden. Die Chance, für einen Versicherten in diesem Alter,
der zusätzlich die beim Beschwerdeführer gegebene gesundheitliche
Beeinträchtigung aufweise, eine geeignete Stelle zu finden, sei derart
gering, dass sich eine Weiterführung der Arbeitsvermittlung unter
Berücksichtigung des damit verbundenen Aufwands nicht rechtfertige.
Auch diesem Argument kann nicht beigepflichtet werden. Die blosse Vermutung,
der Arbeitsmarkt biete für Personen ab 60 Jahren keine der Behinderung des
Beschwerdeführers angepassten Tätigkeiten an, bildete keine hinreichende
Grundlage, um die Arbeitsvermittlung nur zwei Monate nach der am 28. August
2003 erfolgten Zusprechung wieder - mit der Verfügung vom 28. Oktober 2003 -
einzustellen. Hiezu wäre vielmehr der Nachweis erforderlich, dass die
IV-Stelle intensive Bemühungen getätigt hat, dem Versicherten eine Stelle zu
vermitteln, welche aber keinerlei Erfolg gezeitigt haben und deren Ergebnisse
die Schlussfolgerung zulassen, weitere Aktivitäten seien praktisch
aussichtslos (vgl. Erw. 3.2 hievor). So verhält es sich jedoch nicht. Eine
Verstärkung der bisherigen, aktenmässig dokumentierten Bemühungen erscheint
vielmehr als durchaus vorstellbar und im Lichte der mit der Neufassung von
Art. 18 Abs. 1 Satz 1 IVG verbundenen Zielsetzungen (Erw. 3.3 hievor) auch
geboten. Die IV-Stelle hat deshalb weiterhin Arbeitsvermittlung zu gewähren.

5.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Der Beschwerdeführer hat
ausgangsgemäss Anspruch auf eine Parteientschädigung zu Lasten der IV-Stelle
(Art. 159 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 6. September 2004 und der
Einspracheentscheid vom 16. März 2004 aufgehoben und es wird festgestellt,
dass der Beschwerdeführer Anspruch auf Arbeitsvermittlung hat.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle Basel-Stadt hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt wird über eine Parteientschädigung
für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt,
der Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 29. März 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: