Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 769/2004
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I 769/04

Urteil vom 27. April 2005
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiberin
Bollinger

Y.________, 1962, Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Philippe Zogg,
Henric Petri-Strasse 19, 4051 Basel,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 20. Oktober 2004)

Sachverhalt:

A.
Die 1962 geborene Y.________, Mutter zweier 1991 und 1995 geborener Knaben,
meldete sich unter Hinweis auf ein chronisches lumbospondylogenes Syndrom,
Zervicobrachialgie links und Depression am 19. November 2001 bei der
Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Die IV-Stelle Basel-Stadt führte
erwerbliche Abklärungen durch und holte einen Bericht des Hausarztes Dr. med.
S.________, Innere Medizin FMH, vom 2. Januar 2002 ein, dem weitere Berichte
(des Dr. med. G.________, Rheumatologie FMH, vom 2. Juni 1998, der X.________
Rheumalabor AG, vom 9. Juni 1998, des P.________-Spitals vom 27. April 2000
[Orthopädische Klinik O.________] sowie vom 18. April, 4., 12. und 16. Juni
2001 [Rheumatologische Klinik R.________], der Klinik U.________ und
-Institut für Nuklearmedizin am Spital Z.________ vom 14. Juli 2001, des
Instituts für MRI, vom 23. März und 19. Dezember 2000 sowie vom 4. Juli 2001,
des Spitals Z.________, Departement Anästhesie, Schmerzsprechstunde, vom 31.
Juli und 23. August 2001 und des Spitals Z.________, Bereich Innere Medizin,
Abteilung für Psychosomatik, vom 1. Oktober 2001) beilagen. Am 11. Juni 2002
reichte Dr. med. S.________ weitere medizinische Unterlagen (Kurzbericht und
Schreiben der behandelnden Psychologin Frau M.________ am Spital Z.________
vom 18. April und 21. Mai 2002) zu den Akten.

Die IV-Stelle veranlasste ein Gutachten durch die Psychiatrische Klinik
V.________ am Spital Z.________ vom 26. Juli 2002 sowie ein rheumatologisches
Gutachten bei Dr. med. B.________, FMH für Rheumatologie, Physikalische
Medizin und Rehabilitation, vom 12. Dezember 2002. Am 1. April 2003 liess sie
eine Abklärung betreffend der Invalidität als Selbstständigerwerbende
durchführen und verfügte am 11. Juni 2003 die Abweisung des
Leistungsbegehrens, da der Invaliditätsgrad unter 40 % liege.

Die dagegen erhobene Einsprache wies die IV-Stelle am 10. Februar 2004 ab.

B.
Y.________ liess hiegegen Beschwerde führen, welche das
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt am 20. Oktober 2004 abwies.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Y.________ die Zusprechung einer
halben Rente ab November 2001 beantragen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die für den Rentenanspruch in der Invalidenversicherung geltenden
Voraussetzungen (Art. 28 Abs. 1 [in der bis 31. Dezember 2003 gültig
gewesenen Fassung sowie in der ab 1. Januar 2004 anwendbaren Form] sowie Art.
28 Abs. 1bis IVG [in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2003]) und die für die
Invaliditätsbemessung nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs
massgebenden Regeln (Art. 28 Abs. 2 IVG [in der bis 31. Dezember 2002 gültig
gewesenen Form; vom 1. Januar bis 31. Dezember 2003: Art. 16 ATSG; ab 1.
Januar 2004: Art. 28 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG) sowie die
Aufgaben des Arztes und der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE
125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen und AHI 2002 S. 70 Erw. 4b/cc) und die
Grundsätze über den Beweiswert von Arztberichten (BGE 122 V 160 Erw. 1c; vgl.
auch BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweis) legt das kantonale Gericht zutreffend
dar. Darauf wird verwiesen.

Richtig sind auch die Hinweise auf die intertemporalrechtlichen Regelungen.
Zu ergänzen ist, dass es sich bei den in Art. 3-13 ATSG enthaltenen
Legaldefinitionen in aller Regel um eine formellgesetzliche Fassung der
höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den entsprechenden Begriffen vor
In-Kraft-Treten des ATSG handelt, weshalb sich inhaltlich - insbesondere in
Bezug auf die Bestimmungen zur Arbeitsunfähigkeit (Art. 6),
Erwerbsunfähigkeit (Art. 7) und Invalidität (Art. 8) - keine Änderung ergibt.
Die zum bisherigen Recht entwickelte Rechtsprechung kann folglich übernommen
und weitergeführt werden (BGE 130 V 345 ff. Erw. 3.1, 3.2 und 3.3). Gleiches
gilt bezüglich der Festsetzung der Invalidität nach der allgemeinen Methode
des Einkommensvergleichs (BGE 130 V 349 Erw. 3.4.2).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch.

2.1 Das kantonale Gericht erwog, in einer leidensangepassten Tätigkeit sei
von einer 70%igen Restarbeitsfähigkeit auszugehen. Demgegenüber bringt die
Beschwerdeführerin vor, die Einschätzungen des Dr. med. B.________ (welcher
von einer um 25 % eingeschränkten Arbeitsfähigkeit ausgeht) und der
Psychiater am Spital Z.________ (die eine Einschränkung von 30 %
attestierten) seien zumindest insoweit widersprüchlich, als sie nicht für
eine abschliessende Beurteilung herangezogen werden könnten. Darüber hinaus
berücksichtigten Vorinstanz und Verwaltung die psychische Beeinträchtigung
und die psychosomatische Belastung nur ungenügend, denn die Versicherte sei
unbestrittenermassen wegen ihrer körperlichen Beschwerden in ihrer
Arbeitsfähigkeit eingeschränkt und aus psychischen Gründen ebenfalls
unstreitig mindestens im Umfang von 30 % arbeitsunfähig. Daraus ergebe sich
zumindest die starke Vermutung einer Beeinträchtigung von gesamthaft 50 %,
wie dies Hausarzt Dr. med. S.________ (Bericht vom 2. Januar 2002) und die
behandelnde Psychologin an der Abteilung für Psychosomatik am Spital
C.________ (Schreiben vom 21. Mai 2002) attestierten.

2.2
2.2.1Soweit die Versicherte unter Hinweis auf die fehlende Übereinstimmung
zwischen dem rheumatologischen und dem psychiatrischen Gutachten deren
Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehen will, kann ihr nicht gefolgt, werden.
Ärztliche Stellungnahmen zur Arbeits(un)fähigkeit tragen naturgemäss
Ermessenszüge, weshalb schon aus diesem Grund jedenfalls geringgradig
abweichende Einschätzungen die Glaubwürdigkeit der medizinischen Ausführungen
für sich allein nicht zu erschüttern vermögen. Darüber hinaus handelt es sich
bei der im psychiatrischen Gutachten vom 26. Juli 2002 vorgenommenen
Schätzung der Arbeitsunfähigkeit nicht um eine ziffernmässig exakte, sondern
um eine annäherungsweise ("rund 30 %") vorgenommene Beurteilung, wobei die
Gutachter explizit darauf hinweisen, dass von einer konsequenten adäquaten
Depressionsbehandlung eine weitere Verbesserung erwartet werden kann.

Sodann trifft es auch nicht zu, dass Dr. med. B.________ die körperlichen
Beeinträchtigungen zu wenig berücksichtigt hätte. Vielmehr führt der
Gutachter im Einzelnen aus, ob und inwiefern sich die somatischen Befunde auf
die Arbeitsfähigkeit auswirken. Seine Beurteilung ist nachvollziehbar und
schlüssig begründet. Von seinen Ausführungen abzuweichen besteht umso weniger
Anlass, als - wie bereits die IV-Stelle in ihrem Einspracheentscheid vom 10.
Februar 2004 richtig erwog - eine blosse Addition der mit Bezug auf einzelne
Funktionsstörungen und Beschwerdebilder geschätzten Arbeitsunfähigkeitsgrade
nicht zulässig ist. Vielmehr überschneiden sich beim Zusammentreffen
verschiedener Gesundheitsbeeinträchtigungen deren erwerblichen Auswirkungen
in der Regel, weshalb der Grad der Arbeitsunfähigkeit diesfalls aufgrund
einer sämtliche Behinderungen umfassenden ärztlichen Gesamtbeurteilung zu
bestimmen ist (SVR 2000 IV Nr. 1 S. 2 Erw. 2 i.f.; Urteil R. vom 11. November
2002, I 368/01, mit Hinweisen). Eine Addition der durch Dr. med. B.________
einerseits und der durch die Ärzte der Psychiatrischen Klinik V.________
anderseits attestierten Arbeitsunfähigkeiten ist vorliegend schon deshalb
unzulässig, weil Dr. med. B.________ die Einschätzungen der Psychiater in
seine Beurteilung einbezog. Die von ihm attestierte Arbeitsunfähigkeit ist
somit - worauf er selbst hinweist - nicht ausschliesslich somatisch bedingt,
sondern berücksichtigt auch die psychischen Beeinträchtigungen.

2.2.2 Darüber hinaus darf - wie das kantonale Gericht zutreffend erwägt - bei
der Würdigung der ärztlichen Berichte und Gutachten zum einen der
Erfahrungstatsache Rechnung getragen werden, dass Hausärzte mitunter wegen
ihrer auftragsrechtlichen Vertrauensstellung im Zweifel eher zu Gunst ihrer
Patienten aussagen (BGE 125 V 353 Erw. 3b/cc) und im Hinblick auf einen
möglichen Ziel- und Interessenkonflikt (Behandlung versus Begutachtung) -
namentlich in umstrittenen Fällen regelmässig auch nicht unbesehen auf die
Angaben behandelnder Spezialisten abgestellt werden kann (Urteil P. vom 5.
April 2004, I 814/03). Wenn Vorinstanz und Verwaltung unter Berücksichtigung
dieser Tatsachen den wohlbegründeten und nachvollziehbaren Einschätzungen
(vgl. Erw. 2.2.1 hievor) der beiden fachärztlichen Gutachten Vorrang
eingeräumt haben, ist dies nicht zu beanstanden. Schliesslich gilt es zu
berücksichtigen, dass Dr. med. S.________ eine chronische depressive
Entwicklung mit somatoformer Schmerzstörung in seine Beurteilung einbezog und
auch die behandelnde Psychologin Frau M.________ von der Diagnose einer
somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) ausgeht. Letzte aber vermag in der
Regel keine lang dauernde, zu einer Invalidität führende Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit zu bewirken. Vielmehr kommt einer anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung nur ausnahmsweise invalidisierender Charakter zu, wenn diese
nach Einschätzung des Arztes eine derartige Schwere aufweist, dass der
versicherten Person die Verwertung ihrer verbleibenden Arbeitskraft auf dem
Arbeitsmarkt bei objektiver Betrachtung - und unter Ausschluss von
Einschränkungen der Leistungsfähigkeit, die auf aggravatorisches Verhalten
zurückzuführen sind - sozial-praktisch nicht mehr zumutbar oder dies für die
Gesellschaft gar untragbar ist (BGE 130 V 354 Erw. 2.2.3 mit Hinweisen). Dies
trifft insbesondere dann zu, wenn eine mitwirkende, psychisch ausgewiesene
Komorbidität von erheblicher Schwere, Intensität, Ausprägung und Dauer
besteht oder aber andere qualifizierte, mit gewisser Intensität und Konstanz
erfüllte Kriterien erfüllt werden (BGE, a.a.O.), was vorliegend nicht der
Fall ist.

3.
Führen die von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärungen die Verwaltung oder das
Gericht bei pflichtgemässer Beweiswürdigung zur Überzeugung, ein bestimmter
Sachverhalt sei überwiegend wahrscheinlich und weitere Beweismassnahmen
könnten an diesem feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern, ist auf die
Abnahme weiterer Beweise zu verzichten (antizipierte Beweiswürdigung; SVR
2001 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 4b mit Hinweisen auf BGE 124 V 94 Erw. 4b und 122 V
162 Erw. 1d). Angesichts dessen, dass nach den Einschätzungen der Gutachter
am Spital Z.________, auf welche nach dem Gesagten abzustellen ist (Erw.
2.2.1 und 2.2.2 hievor), aus psychiatrischer Sicht für eine den somatischen
Beschwerden angepasste Tätigkeit eine um rund 30 % eingeschränkte
Arbeitsfähigkeit besteht und der Rheumatologe Dr. med. B.________ eine um 25
% verminderte Arbeitsfähigkeitattestierte, durften Vorinstanz und Verwaltung
insbesondere auch unter Berücksichtigung der detaillierten Begründung des Dr.
med. B.________, weshalb trotz der zahlreichen somatischen Befunde deren
Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit eher gering bleiben - selbst wenn der
Hausarzt und die behandelnde Psychologin eine höhere Arbeitsunfähigkeit
bescheinigten -, von einer 70%igen Arbeitsfähigkeit in einer angepassten
Tätigkeit ausgehen.

4.
Gegen den vorinstanzlichen Einkommensvergleich wurden keine Einwände erhoben.
Auch aus den Akten ist nichts ersichtlich, was zu einer anderen Beurteilung
führen würde.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt,
der Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 27. April 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: