Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 750/2004
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I 750/04

Urteil vom 5. April 2006

I. Kammer

Pr sidentin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Bundesrichterin Widmer,
Bundesrichter Borella und Kernen; Gerichtsschreiberin Hofer

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdef hrerin,

gegen

B.________, 1970, Beschwerdegegner, vertreten durch den Rechtsdienst f r
Behinderte, B rglistrasse 11, 8002 Z rich

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 19. Oktober 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1970 geborene B.________ ist seit 1985 als selbstst ndiger Scheren- und
Messerschleifer t tig. Am 7. M rz 2002 meldete er sich unter Hinweis auf
R ckenbeschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. In der
Stellungnahme vom 25. M rz 2002 gab er an, seit 1997 sei die
Leistungsf higkeit durch erhebliche Schmerzen beeintr chtigt. Die IV-Stelle
Luzern kl rte daraufhin die erwerblichen und medizinischen Verh ltnisse ab.
Dazu holte sie unter anderem den Bericht des Hausarztes Dr. med. T.________
vom 23. April 2002 ein und veranlasste das rheumatologische Gutachten des Dr.
med. J.________ vom 19. August 2002 samt Erg nzungsbericht vom 30. September
2002 sowie das psychiatrische Gutachten des Dr. med. M.________ vom 22. Juli
2003. Gest tzt darauf verneinte sie mit Verf gung vom 4. September 2003 einen
Anspruch auf Invalidenrente. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 27.
Mai 2004 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern mit Entscheid vom 19. Oktober 2004 in dem Sinne gut, als es den
Einspracheentscheid aufhob und die Sache zur erg nzenden Abkl rung im Sinne
der Erw gungen und neuer Verf gung an die Verwaltung zur ckwies.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die IV-Stelle, es sei der
vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Richtigkeit des
Einspracheentscheids vom 27. Mai 2004 zu best tigen; eventuell sei die Sache
zwecks Abkl rung der Einschr nkung in der bisherigen Erwerbst tigkeit unter
Ber cksichtigung der ergonomischen Vorgaben und zur Pr fung eines allf lligen
Berufswechsels an die Verwaltung zur ckzuweisen.

B. ________ l sst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Das Bundesamt f r Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erw gung:

1.
1.1 Streitig und zu pr fen ist, ob dem Beschwerdegegner gest tzt auf den
Sachverhalt, wie er sich bis zum Erlass des rechtsprechungsgem ss die
zeitliche Grenze der gerichtlichen  berpr fungsbefugnis bildenden (BGE 130 V
446 Erw. 1.2 mit Hinweisen) Einspracheentscheides vom 27. Mai 2004 darstellt,
Rentenleistungen zustehen. Da keine laufenden Leistungen im Sinne der
 bergangsrechtlichen Ausnahmebestimmung von Art. 82 Abs. 1 des auf den 1.
Januar 2003 in Kraft getretenen ATSG, sondern Dauerleistungen im Streit
liegen,  ber welche noch nicht rechtskr ftig verf gt worden ist, beurteilt
sich die strittige Frage nach den allgemeinen intertemporalrechtlichen
Regeln, und zwar f r die Zeit bis 31. Dezember 2002 aufgrund der bisherigen
Rechtslage und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen des ATSG und dessen
Ausf hrungsverordnungen (BGE 130 V 445). Ebenfalls Anwendung finden die seit
1. Januar 2004 geltenden  nderungen des IVG vom 21. M rz 2003 (vgl.
insbesondere auch die Schluss- und  bergangsbestimmungen lit. d-f) und der
IVV vom 21. Mai 2003 (4. IV-Revision) sowie die damit einhergehenden
Anpassungen des ATSG.

1.2 Im vorinstanzlichen Entscheid werden die f r die Beurteilung massgebenden
Bestimmungen und Grunds tze zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu
erg nzen ist, dass es sich bei den in Art. 3 13 ATSG enthaltenen
Legaldefinitionen in aller Regel um eine formellgesetzliche Fassung der
h chstrichterlichen Rechtsprechung zu den entsprechenden Begriffen vor
In-Kraft-Treten des ATSG handelt und sich inhaltlich damit, insbesondere in
Bezug auf die Bestimmungen zur Arbeitsunf higkeit (Art. 6),
Erwerbsunf higkeit (Art. 7) und Invalidit t (Art. 8), keine  nderung ergibt.
Die dazu entwickelte Rechtsprechung kann folglich  bernommen und
weitergef hrt werden (BGE 130 V 345 ff. Erw. 3.1, 3.2 und 3.3). Hieran  ndert
der Umstand, dass der bisherige Begriff der Krankheit in Art. 3 Abs. 1 ATSG
("Krankheit ist jede Beeintr chtigung der k rperlichen oder geistigen
Gesundheit ...") - und mithin auch die entsprechende Formulierung in den Art.
6, 7 und 8 Abs. 2 sowie 3 ATSG - im Zuge der 4. IV-Revision auf den 1. Januar
2004 um den psychischen Gesundheitsschaden erweitert worden ist ("Krankheit
ist jede Beeintr chtigung der k rperlichen, geistigen oder psychischen
Gesundheit ..."), nichts, diente die entsprechende Anpassung doch lediglich
der formellen Bereinigung der festen Verwaltungs- und Gerichtspraxis zum
Krankheitsbegriff (in HAVE 2004 S. 241 zusammengefasstes Urteil M. vom 8.
Juni 2005, I 552/04; Urteil M. vom 28. Februar 2005, I 380/04). Auch Art. 16
ATSG bewirkt, wie in BGE 130 V 348 f. Erw. 3.4 dargelegt wird, keine
Modifizierung der bisherigen Judikatur zur Invalidit tsbemessung bei
erwerbst tigen Versicherten (BGE 128 V 30 Erw. 1, 104 V 136 f.).

2.
2.1 Der Rheumatologe Dr. med. J.________ diagnostizierte im Gutachten vom 19.
August 2002 ein therapieresistentes Ganzk rperschmerzsyndrom ohne somatisches
Korrelat (Differentialdiagnose: Fibromyalgiesyndrom/somatoforme
Schmerzst rung) und Fehlform/ Fehlstatik der Wirbels ule bei Zustand nach
thorakalem Morbus Scheuermann. Der Versicherte klage  ber Schmerzen im ganzen
K rper, f r die sich kein somatisches Korrelat finden lasse. Wandernde
Weichteilschmerzen h tten im Laufe der Zeit zugenommen und sich in den
letzten Jahren zu einer ausgedehnten, therapieresistenten Schmerzkrankheit
entwickelt. Dabei handle es sich nicht um ein typisches Fibromyalgiesyndrom.
Wahrscheinlicher sei eine anhaltende somatoforme Schmerzst rung. Aus
rheumatologischer Sicht betrage die Arbeitsf higkeit im angestammten Beruf
als fahrender Scheren- und Messerschleifer 50 %. Im Erg nzungsbericht vom 30.
September 2002 h lt Dr. med. J.________ fest, zumutbar seien k rperlich
leichte bis mittelschwere, m glichst nicht stereotyp repetitiv auszuf hrende
alternative T tigkeiten mit Lastenheben bis h chstens 15 kg. Gem ss
psychiatrischem Gutachten des Dr. med. M.________ vom 22. Juli 2003 l sst
sich das Schmerzverhalten diagnostisch als unspezifische
Somatisierungsst rung einordnen, wobei als wichtigste Ursache der kulturelle
Hintergrund in Frage komme. Sowohl die bisherige als auch eine angepasste
T tigkeit sei aus psychiatrischen Gr nden uneingeschr nkt zumutbar.

2.2 Unbestritten ist, dass der Beschwerdegegner in einer leidensangepassten
k rperlich leichten bis mittelschweren Erwerbst tigkeit voll arbeitsf hig
ist. Nach Ansicht der Beschwerdef hrerin entspricht die bisher ausge bte
T tigkeit als Messer- und Scherenschleifer den medizinischen Vorgaben. Gem ss
den Angaben des Versicherten vom 25. M rz 2002 ist er jeweils mit dem Auto
als hausierender Messerschleifer unterwegs. Die Schleifmaschine f hrt er im
Anh nger des Autos mit. Die eigentliche Schleifarbeit verrichtet er stehend.
Dabei w rden H nde, Arme, Schulterg rtel, Beine und R cken stark beansprucht.
Dr. med. J.________ veranschlagt f r diese T tigkeit eine Arbeitsf higkeit
von 50 %, ohne sich indessen mit den dabei auf den K rper einwirkenden
Kr ften eingehender auseinandergesetzt zu haben. Unklar ist insbesondere, ob
Gewichte von  ber 15 kg gehoben werden m ssen, weil beispielsweise schwere
Ger te aus dem Fahrzeug zu laden sind. Die Vorinstanz hat zu dieser Frage
keine Feststellungen getroffen, da sie die Sache an die Verwaltung
zur ckwies, damit diese einen Bet tigungsvergleich durchf hre, bei dem zu
pr fen sei, welche bisherigen Arbeiten der Versicherte wegen seines
Gesundheitsschadens nicht mehr ausf hren k nne. In welchem Umfang die
T tigkeit als Messer- und Scherenschleifer noch zumutbar ist, braucht
indessen aus den nachstehenden Gr nden nicht abschliessend beurteilt zu
werden.

3.
3.1 Streitig ist, anhand welcher Methode der Invalidit tsgrad zu bemessen ist.
Die Vorinstanz hat erwogen, dem Versicherten sei ein Berufswechsel aufgrund
seiner ethnisch-kulturellen Zugeh rigkeit zum fahrenden Volk nicht zumutbar.
Eine andere als die seit jeher vertraute Lebensweise eines Fahrenden, wozu
die selbstst ndige T tigkeit als Messer- und Scherenschleifer geh re, k nne
von ihm nicht verlangt werden. Sie hat die IV-Stelle daher verpflichtet,
einen Bet tigungsvergleich durchzuf hren und die dadurch festgestellten
Einschr nkungen im Leistungsverm gen als Messer- und Scherenschleifer
erwerblich zu gewichten.

3.2 Die Beschwerdef hrerin stellt sich demgegen ber auf den Standpunkt, ein
Berufswechsel sei zumutbar. Sie wirft der Vorinstanz insbesondere vor, die
Gefahr einer Entwurzelung ohne Mitber cksichtigung der konkreten pers nlichen
Verh ltnisse bejaht zu haben. Die Familie des Beschwerdegegners sei sesshaft
geworden und der Versicherte selber jeweils nur noch zwischen Mai und
September mit dem Wohnwagen unterwegs. Unter diesen Umst nden sei ihm die
Aufnahme einer leidensangepassten unselbst ndigen Erwerbst tigkeit zumutbar
und zwar ganztags w hrend zw lf Monaten oder zumindest w hrend den Monaten
Oktober bis April. Da ihm ein breites Spektrum an leichten
Hilfsarbeitert tigkeiten offen stehe, sei es ihm durchaus m glich, ein
rentenausschliessendes Einkommen zu erzielen. Sollte wider Erwarten die
Aufgabe der (teilweise) fahrenden Lebensweise vom Versicherten nicht verlangt
werden k nnen, m sse zun chst durch eine Fachperson vor Ort die effektive
Behinderung in der bisherigen T tigkeit abgekl rt und gegebenenfalls gepr ft
werden, ob die Aus bung einer anderen k rperlich wenig anstrengenden
Erwerbst tigkeit als Selbstst ndigerwerbender in Frage komme, welche mit der
fahrenden Lebensweise vereinbar ist.

3.3 Der Beschwerdegegner beruft sich auf sein Recht auf Beibehaltung seiner
Identit t als Zugeh riger zur Gemeinschaft der Fahrenden und auf F hrung der
traditionellen Lebensweise. Die Tatsache, dass er trotz Sesshaftigkeit der
Ehefrau und des Sohnes einen fahrenden Lebensstil pflege, beweise seine
starke Verbundenheit mit der Kultur des Fahrenden Volkes. Dabei sei es
durchaus  blich, dass Fahrende sich w hrend der Wintermonate an einem festen
Standplatz aufhielten und w hrend der Sommermonate unterwegs seien. Er sei
als Fahrender aufgewachsen und f hre ein seit Generationen ausge btes
Handwerk weiter. Zudem verweist er auf das Rahmen bereinkommen des
Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten (R SNM) vom 1. Februar 1995
(SR 0.441.1), welches f r die Schweiz am 1. Februar 1999 in Kraft getreten
ist und auf den Schutz des kulturellen Lebens von ethnischen Minderheiten
gem ss Art. 27 des Internationalen Pakts  ber b rgerliche und politische
Rechte (UNO-Pakt II) vom 16. Dezember 1966 (SR 0.103.2), welcher f r die
Schweiz am 18. September 1992 in Kraft getreten ist.

4.
4.1 Der UNO-Pakt II garantiert in Teil I das Selbstbestimmungsrecht der V lker
(Art. 1), welches keine individualrechtliche Garantie darstellt. Teil II
regelt die Geltung des Paktes und bestimmt u.a. im Sinne eines akzessorischen
Diskriminierungsverbotes, dass die garantierten Rechte ohne Unterschied wie
insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der
Religion, der politischen oder sonstigen Anschauungen, der nationalen oder
sozialen Herkunft, des Verm gens, der Geburt oder des sonstigen Status zu
gew hrleisten sind (Art. 2 Abs. 1). Teil III enth lt die Liste der
garantierten Rechte (Walter K lin, Der Pakt  ber die b rgerlichen und
politischen Rechte und seine Bedeutung f r die schweizerische Rechtspraxis,
in: Anwaltsrevue 2004, S. 167). Das allgemeine Diskriminierungsverbot von
Art. 2 des Paktes ist nur in Verbindung mit den durch den Pakt
gew hrleisteten Rechten anwendbar (vgl. BGE 121 V 232 Erw. 3; Christian
Tomuschat, Der Gleichheitssatz nach dem Internationalen Pakt  ber b rgerliche
und politische Rechte, in: EuGRZ 1989, S. 37; Edgar Imhof, Die Bedeutung
menschenrechtlicher Diskriminierungsverbote f r die Soziale Sicherheit, in:
Jusletter vom 7. Februar 2005, Rz 40). Wegen des von der Schweiz angebrachten
Vorbehalts zu Art. 26 des Pakts als selbstst ndiges Diskriminierungsverbot
ist die Gleichheit aller Personen vor dem Gesetz und ihr Recht auf gleichen
Schutz des Gesetzes ohne Diskriminierung ebenfalls nur in Verbindung mit
anderen im Pakt enthaltenen Rechten garantiert und kann daher im Bereich der
Sozialversicherung nicht geltend gemacht werden (BGE 121 V 234 Erw. 3b; vgl.
auch Giorgio Malinverni, Les r serves de la Suisse, in: Walter K lin/Giorgio
Malinverni/Manfred Nowak [Hrsg.], Die Schweiz und die
UNO-Menschenrechtspraxis, Basel 1997, S. 100; Claude Rouiller, Le Pacte
international relatif aux droits civils et politiques, in: ZSR 1992, 1.
Halbbd., S. 119). Nach Art. 27 des Paktes darf in Staaten mit ethnischen,
religi sen oder sprachlichen Minderheiten Angeh rigen solcher Minderheiten
nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angeh rigen ihrer
Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu
bekennen und auszu ben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.
Angesichts ihres Wortlautes geht diese Bestimmung jedoch nicht  ber die
Garantien hinaus, welche die schweizerische Rechtsordnung gegen ber den
Minderheiten gew hrt (Claude Rouiller, a.a.O., S. 129; vgl. zudem Giorgio
Malinverni, La Suisse et la protection des minorit s [art. 27 Pacte II], in:
Walter K lin/Giorgio Malinverni/Manfred Nowak [Hrsg.], a.a.O., S. 233 ff.).
So verankert der sich an den internationalen Grundrechtsgarantien
orientierende Art. 8 Abs. 2 BV verschiedene spezifische
Diskriminierungsverbote (J rg Paul M ller, Grundrechte in der Schweiz, 3.
Aufl., Bern 1999, S. 417).

4.2 Das Rahmen bereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten richtet sich
an die Mitgliedstaaten. Dessen Bestimmungen sind nicht direkt anwendbar,
sondern bed rfen der Umsetzung durch die Unterzeichnerstaaten (Giorgio
Malinverni, La Convention-cadre du Conseil de l'Europe pour la protection des
monorit s nationales, in: Schweizerische Zeitschrift f r internationales und
europ isches Recht, 1995, S. 531; Gutachten des Bundesamtes f r Justiz vom
27. M rz 2002 zur Rechtsstellung der Fahrenden in der Schweiz hinsichtlich
ihrer Eigenschaft als anerkannte nationale Minderheit, S. 8 und S. 10
[abrufbar unter http://www.vpb.admin.ch/deutsch/doc/66/66.50.html]).

4.3 Aufgrund von Art. 8 Abs. 2 BV darf niemand aufgrund seiner Lebensform
diskriminiert werden. Gesch tzt werden Personengruppen, die durch bestimmte
Handlungs- und Lebensweisen eine eigene Identit t erhalten haben, wozu die
Fahrenden zu z hlen sind (Markus Schefer, Grundrechte in der Schweiz,
Erg nzungsband zur 3. Aufl. des gleichnamigen Werks von J rg Paul M ller,
Bern 2005, S. 248; Andreas Rieder, Indirekte Diskriminierung - das Beispiel
der Fahrenden, in: Walter K lin [Hrsg.], Das Verbot ethnisch-kultureller
Diskriminierung, Basel 1999, S. 164). Indessen k nnen sich nur jene
Handlungen zu einer Lebensform im Sinne von Art. 8 Abs. 2 BV verdichten, die
zugleich vom Schutzbereich eines Freiheitsrechts erfasst sind. Mit Bezug auf
die Fahrenden betrifft dies das Recht, zwischen sesshafter oder nomadischer
Lebensweise zu w hlen, welches Recht als Ausdruck elementarer
Pers nlichkeitsentfaltung unter dem Schutz der pers nlichen Freiheit (Art. 10
Abs. 2 BV) sowie dem Grundrecht auf Privatsph re und Wohnungsfreiheit (Art.
13 Abs. 1 BV) steht (Bernhard Waldmann, Bauen und die Lebensform der
Fahrenden - ein Widerspruch ?, in: Gauchs Welt, Festschrift f r Peter Gauch,
Z rich 2004, S. 951). Indessen verleiht der Grundrechtskatalog der
Bundesverfassung dem Einzelnen im Bereich der Sozialversicherung keine
unmittelbaren Leistungsanspr che. Vielmehr obliegt es dem Gesetzgeber,
allenfalls solche vorzusehen (H felin/Haller, Schweizerisches
Bundesstaatsrecht; Die neue Bundesverfassung, 6. Aufl., Z rich 2005, Rz 214;
Rhinow, Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsverfassung, in: Ulrich Zimmerli
[Hrsg.], Die neue Bundesverfassung: Konsequenzen f r Praxis und Wissenschaft,
Bern 2000, S. 174).

4.4 Art. 8 Abs. 2 BV verbietet nicht nur eine direkte Diskriminierung,
sondern auch die indirekte Diskriminierung, welche Rechtsakte untersagt, die
zwar in ihrer  usseren Form neutral ausgestaltet sind, in den tats chlichen
Auswirkungen jedoch Fahrende benachteiligen, ohne dass dies durch
qualifizierte Gr nde gerechtfertigt werden kann (Bernhard Waldmann, a.a.O.,
S. 952; Walter K lin/Martina Caroni, Das verfassungsrechtliche Verbot der
Diskriminierung wegen der ethnisch-kulturellen Herkunft, in: Walter K lin
[Hrsg.], Das Verbot ethnisch-kultureller Diskriminierung, a.a.O., S. 67 ff.).
Die massgebende Methode der Invalidit tsbemessung bestimmt sich - wie sich
aus den nachstehenden Erw gungen ergibt - keineswegs nach kulturspezifischen
oder verfassungs- und konventionsrechtlichen Diskriminierungsverboten.
Insbesondere sind die vom Versicherten angerufenen Gr nde der Lebensform
keine zus tzlichen Faktoren, welche neben der Zumutbarkeit einer
Erwerbst tigkeit das Ausmass der Invalidit t mitzubestimmen verm chten (vgl.
BGE 107 V 21 Erw. 2c).

5.
5.1 Nach der Rechtsprechung gilt im Gebiet der Invalidenversicherung ganz
allgemein der Grundsatz, dass die invalide Person, bevor sie Leistungen
verlangt, alles ihr Zumutbare selber vorzukehren hat, um die Folgen ihrer
Invalidit t bestm glich zu mildern; deshalb besteht kein Rentenanspruch, wenn
die Person selbst ohne Eingliederungsmassnahmen zumutbarerweise in der Lage
w re, ein rentenausschliessendes Erwerbseinkommen zu erzielen. Die
Selbsteingliederung als Ausdruck der allgemeinen Schadenminderungspflicht ist
eine Last, welche die versicherte Person auf sich zu nehmen hat, soll ihr
Leistungsanspruch - auf gesetzliche Eingliederungsmassnahmen oder Rente -
gewahrt bleiben. Von der versicherten Person d rfen dabei nur Vorkehren
verlangt werden, die unter Ber cksichtigung der gesamten objektiven und
subjektiven Gegebenheiten des Einzelfalles zumutbar sind (BGE 113 V 28 Erw.
4a; AHI 2001 S. 282 Erw. 5a/aa).

5.2 In BGE 113 V 31 hat das Eidgen ssische Versicherungsgericht erwogen, die
Schadenminderungspflicht k nne in Konflikt zu den Grundrechten auf freie Wahl
des Wohnsitzes (vgl. Art. 24 Abs. 1 nBV), des Arbeitsortes und des Berufes
(vgl. Art. 27 Abs. 2 nBV) treten. Die Ablehnung von Versicherungsleistungen
auf der Grundlage der priorit ren Schadenminderungspflicht stelle indessen
keinen Grundrechtseingriff im herk mmlichen Sinne dar, weil der
leistungsansprechenden Person dadurch nicht untersagt werde, den Wohnsitz
oder Arbeitsort - auf eigene Kosten oder unter Inanspruchnahme Dritter - zu
verlegen. Doch k nne die Ablehnung der Versicherungsleistungen die
Wohnsitzverlegung erschweren oder verunm glichen, wodurch die versicherte
Person in der Wahrnehmung ihrer Grundrechte mittelbar beeintr chtigt werde;
es k nne daraus eine faktische Grundrechtsverletzung resultieren. Dies
bedeute indessen nicht, dass die versicherte Person durch Berufung auf ihre
Grundrechte direkt Leistungsanspr che gegen ber dem Staat geltend zu machen
verm ge. Anerkanntermassen sei aber bei der Auslegung
sozialversicherungsrechtlicher Leistungsnormen sowie bei der Ermessenspr fung
den Grundrechten und verfassungsm ssigen Grunds tzen Rechnung zu tragen,
soweit dies im Rahmen von Art. 113 Abs. 3/114bis Abs. 3 aBV (Art. 191 nBV)
m glich sei. Bei den Anforderungen, welche unter dem Titel der
Schadenminderung an die versicherte Person gestellt werden, d rfe sich daher
die Verwaltung nicht einseitig vom  ffentlichen Interesse an einer sparsamen
und wirtschaftlichen Versicherungspraxis leiten lassen, sondern sie habe auch
die grundrechtlich gesch tzten Bet tigungsm glichkeiten der
leistungsansprechenden Person in ihrer Lebensgestaltung angemessen zu
ber cksichtigen. Welchem Interesse der Vorrang zukomme, k nne nicht generell
entschieden werden. Als Richtschnur gelte, dass die Anforderungen an die
Schadenminderungspflicht zul ssigerweise dort strenger seien, wo eine erh hte
Inanspruchnahme der Invalidenversicherung in Frage stehe. Dies treffe
beispielsweise zu, wenn der Verzicht auf schadenmindernde Vorkehren
Rentenleistungen ausl sen w rde.

5.3 Der Begriff der zumutbaren T tigkeit im Rahmen der Invalidit tsbemessung
nach Art. 16 ATSG (alt Art. 28 Abs. 2 IVG) bezweckt die
Schadenminderungspflicht zu begrenzen oder - positiv formuliert - deren Masse
zu bestimmen (Maurer, Begriff und Grundsatz der Zumutbarkeit im
Sozialversicherungsrecht, in: Festschrift 75 Jahre EVG, Bern 1992, S. 236;
R edi, Invalidit tsbemessung nach einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt, in:
Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Rechtsfragen der Invalidit t in der
Sozialversicherung, St. Gallen 1999, S. 32). Eine versicherte Person ist
daher unter Umst nden invalidenversicherungsrechtlich so zu behandeln, wie
wenn sie ihre T tigkeit als Selbstst ndigerwerbende aufgibt, d.h. sich im
Rahmen der Invalidit tsbemessung jene Eink nfte anrechnen lassen muss, welche
sie bei Aufnahme einer leidensangepassten unselbstst ndigen Erwerbst tigkeit
zumutbarerweise verdienen k nnte. F r die Auslegung des unbestimmten
Rechtsbegriffs der zumutbaren T tigkeit im Allgemeinen, wie bei der Aufgabe
der selbstst ndigen Erwerbst tigkeit im Besonderen, sind die gesamten
subjektiven und objektiven Gegebenheiten des Einzelfalles zu ber cksichtigen.
Im Vordergrund stehen bei den subjektiven Umst nden die verbliebene
Leistungsf higkeit sowie die weiteren pers nlichen Verh ltnisse, wie Alter,
berufliche Stellung, Verwurzelung am Wohnort etc.. Bei den objektiven
Umst nden sind insbesondere der ausgeglichene Arbeitsmarkt und die noch zu
erwartende Aktivit tsdauer massgeblich (AHI 2001 S. 283 Erw. 5a/bb mit
Hinweisen).

5.4 Der 1970 geborene Beschwerdegegner war im Zeitpunkt des Erlasses des
strittigen Einspracheentscheids am 27. Mai 2004 rund 34 Jahre alt, was f r
die Zumutbarkeit eines Berufswechsels spricht. Hinzu kommt, dass er die
selbstst ndige Erwerbst tigkeit als fahrender Scheren- und Messerschleifer
aus invalidit tsfremden Gr nden jeweils nur in den Monaten Mai bis September
aus bt. Dabei erzielte er gem ss Beitragsverf gung der Ausgleichskasse vom
29. Mai 2000 in den Jahren 1995/96 ein beitragspflichtiges Einkommen von Fr.
13'300.- im Jahr. Da sich der Versicherte aus eigenem Willen von der
Gemeinschaft der Fahrenden, die den Winter an ihren Standpl tzen im Wohnwagen
verbringen, gel st hat, w re es ihm zumutbar, w hrend des Winterhalbjahres
einer leidensangepassten selbstst ndigen oder unselbstst ndigen
Erwerbst tigkeit nachzugehen, ohne dass er damit eines weiteren Teilgehalts
seiner kulturbedingten Lebensform verlustig ginge.

5.5 W re eine versicherte Person gesundheitlich in der Lage, voll
erwerbst tig zu sein, reduziert sie aber ihr Arbeitspensum aus freien
St cken, sei es um mehr Freizeit zu haben, sei es um einer
(Weiter-)Ausbildung nachzugehen, oder ist die Aus bung einer
Ganztagest tigkeit aus Gr nden des Arbeitsmarktes nicht m glich, hat daf r
nicht die Invalidenversicherung einzustehen (BGE 131 V 53 Erw. 5.1.2; 125 V
157 Erw. 5c/bb mit Hinweisen). Gleiches hat auch zu gelten, wenn ein
Selbstst ndigerwerbender - wie der Beschwerdegegner - aus invalidit tsfremden
Gr nden nur w hrend einigen Monaten des Jahres eine Erwerbst tigkeit aus ben
will oder kann. Nach der Rechtsprechung ist daher unter dem Erwerbseinkommen,
das die versicherte Person erzielen k nnte, wenn sie nicht invalid geworden
w re, nach Art. 28 Abs. 2 IVG (Art. 16 ATSG) jenes Einkommen zu verstehen,
welches sie als Gesunde tats chlich erzielen k nnte. Ist aufgrund der
Umst nde des Einzelfalles anzunehmen, dass die versicherte Person sich ohne
gesundheitliche Beeintr chtigung voraussichtlich dauernd mit einer
bescheidenen Erwerbst tigkeit begn gte, so ist darauf abzustellen, auch wenn
sie an sich besser entl hnte Erwerbsm glichkeiten h tte (BGE 125 V 157 Erw.
5c/bb mit Hinweisen). Steht fest, dass ein Versicherter bereits als Valider
aus invalidit tsfremden Gr nden (wie beispielsweise der Tatsache, dass er ein
Fahrender ist) nur ein erheblich unterdurchschnittliches Erwerbseinkommen
erzielte, so ist diesem Umstand im Rahmen der Invalidit tsbemessung entweder
 berhaupt nicht oder bei beiden Vergleichseinkommen Rechnung zu tragen (BGE
129 V 225 Erw. 4.4 mit Hinweisen). Wird diesfalls beim Invalideneinkommen die
der verbliebenen Leistungsf higkeit entsprechende  bliche Entl hnung
herangezogen, so darf das Valideneinkommen nicht nach Massgabe des vor
Eintritt der Invalidit t effektiv erzielten Lohnes ermittelt werden. Es ist
vielmehr f r die Ermittlung des Valideneinkommens auf die entsprechenden
statistischen Tabellenl hne und nicht auf das letzte Einkommen abzustellen
(Urteil B. vom 5. Mai 2000, I 224/99). Das Invalideneinkommen bestimmt sich
danach, was die versicherte Person nach Eintritt der Invalidit t und nach
Durchf hrung allf lliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare
T tigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen k nnte. Dabei kann das
- vom Arzt festzulegende - Arbeitspensum unter Umst nden gr sser sein als das
ohne gesundheitliche Beeintr chtigung geleistete (BGE 131 V 53 Erw. 5.1.2).
5.6 Da der Versicherte nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine oder
jedenfalls keine ihm an sich zumutbare neue Erwerbst tigkeit aufgenommen hat,
ist von den vom Bundesamt f r Statistik herausgegebenen Tabellenl hnen der
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) auszugehen (BGE 126 V 76 Erw.
3b/bb). Wie die Verwaltung im Einspracheentscheid aufgezeigt hat, k nnte mit
einer T tigkeit aus dem niedrigsten Anforderungsniveau 4 bezogen auf das Jahr
2002 ein Jahreseinkommen von Fr. 57'008.- erzielt werden. Unter
Ber cksichtigung eines leidensbedingten Abzuges von 10 % w rde dieses Fr.
51'307.- betragen. Im Vergleich mit einem gest tzt auf die LSE-Tabelle 2002
ermittelten Valideneinkommen im Dienstleistungssektor von Fr. 52'617.- (Fr.
4206.- aufgerechnet auf eine Wochenarbeitszeit von 41.7 Stunden) im Jahr oder
von Fr. 26'308.- in sechs Monaten, wie auch mit dem Einkommen als
selbstst ndigerwerbender Scheren- und Messerschleifer resultiert somit in
jedem Fall ein rentenausschliessender Invalidit tsgrad.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 19. Oktober 2004 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem
Bundesamt f r Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 5. April 2006

Im Namen des Eidgen ssischen Versicherungsgerichts

Die Pr sidentin der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: