Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 745/2004
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I 745/04

Urteil vom 23. Mai 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Lanz

A.________, 1955, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg
Baur, Bahnhofstrasse 55, 8600 Dübendorf,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 18. Oktober 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1955 geborene A.________, mazedonischer Staatsangehöriger, war nach
seiner Einreise in die Schweiz zuerst als Angestellter und später als
Selbstständigerwerbender im Gartenbau tätig. Ab 1997 war er Inhaber und
Geschäftsführer eines Gastwirtschaftsbetriebes. Am 15. November 2001 wurde
A.________ als Autolenker in eine Auffahrkollision verwickelt. Er klagte in
der Folge über gesundheitliche Beschwerden und ging keiner Erwerbstätigkeit
mehr nach. Im Mai 2003 meldete sich A.________ unter Hinweis auf diesen
Sachverhalt bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Die IV-Stelle
des Kantons Zürich holte Arztberichte ein und zog die Akten des
Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherers des Unfallverursachers (worunter ein
polydisziplinäres Gutachten des Zentrums X.________ vom 28. Januar 2003) bei.
Mit Verfügung vom 8. Januar 2004 wies sie das Leistungsbegehren ab, da der
Versicherte bereits ein halbes Jahr nach dem Unfall wieder voll arbeitsfähig
gewesen und der geltend gemachte Erwerbsausfall nicht durch den
Gesundheitszustand bedingt sei. Daran hielt die Verwaltung auf Einsprache hin
fest (Einspracheentscheid vom 19. März 2004).

B.
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde mit Antrag auf Zusprechung
einer ganzen Rente ab 1. November 2002 wies das Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich nach Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung mit
Entscheid vom 18. Oktober 2004 ab.

C.
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
in Aufhebung von Einsprache- und kantonalem Entscheid sei ihm mit Wirkung ab
1. November 2002 mindestens eine halbe Invalidenrente zuzusprechen. Zudem
wird um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für das
letztinstanzliche Verfahren ersucht.

Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, ohne
sich weiter zur Sache zu äussern. Das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Nach der Rechtsprechung stellt das Sozialversicherungsgericht bei der
Beurteilung einer Streitsache in der Regel auf den bis zum Zeitpunkt des
Erlasses der streitigen Verwaltungsverfügung resp. (seit der Einführung des
Einspracheverfahrens auch im Invalidenversicherungsverfahren durch Art. 52
des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts
[ATSG], welche Bestimmung infolge ihrer verfahrensrechtlichen Natur mit
In-Kraft-Treten dieses Erlasses am 1. Januar 2003 sofort anwendbar wurde [SVR
2003 IV Nr. 25 S. 76 Erw. 1.2 mit Hinweisen]) des streitigen
Einspracheentscheids (hier: 19. März 2004) eingetretenen Sachverhalt ab (BGE
129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweis). Tatsachen, die den Sachverhalt seither
verändert haben, sollen im Normalfall Gegenstand einer neuen
Verwaltungsverfügung sein (BGE 130 V 140 Erw. 2.1 mit Hinweis).

Ferner sind in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend, die bei Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes
Geltung hatten (BGE 130 V 259 Erw. 3.5, 333 Erw. 2.3, 425 Erw. 1.1, 447 Erw.
1.2.1, je mit Hinweisen).

2.
2.1 Verwaltung und Vorinstanz gehen von der zeitlichen Anwendbarkeit auch der
materiellrechtlichen Bestimmungen des ATSG aus. Dies trifft grundsätzlich zu,
wobei zu präzisieren ist, dass die Prüfung eines allfälligen schon vor dem
In-Kraft-Treten des ATSG auf den 1. Januar 2003 entstandenen Anspruchs auf
eine Rente der Invalidenversicherung für die Zeit bis 31. Dezember 2002
aufgrund der bisherigen und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen erfolgt
(BGE 130 V 445).

Aus den gleichen intertemporalrechtlichen Überlegungen sind für eine
allfällige Rentenberechtigung ab 1. Januar 2004 die in diesem Zeitpunkt im
Rahmen der 4. IV-Revision in Kraft getretenen Änderungen des IVG vom 21. März
2003 und der IVV vom 21. Mai 2003 sowie die damit einhergehenden Anpassungen
des ATSG zu berücksichtigen.

2.2 Im Einspracheentscheid vom 19. März 2004, auf den die Vorinstanz
verweist, sind die für eine allfällige Rentenberechtigung vom 1. Januar bis
31. Dezember 2003 massgebenden Bestimmungen über den Begriff der Invalidität
(Art. 4 Abs. 1 IVG [in der seit Anfang 2003 geltenden Fassung] in Verbindung
mit Art. 8 Abs. 1 ATSG), den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 [in
der bis Ende 2003 gültig gewesenen Fassung] und Abs. 1bis [in Kraft gewesen
bis Ende 2003]), die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen
Versicherten nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16
ATSG) und den Beginn des Rentenanspruchs (Art. 29 Abs. 1 IVG [in der seit
Anfang 2003 geltenden Fassung] in Verbindung mit Art. 29 und Art. 29ter IVV)
zutreffend dargelegt.

Hinsichtlich einer Rentenberechtigung bis 31. Dezember 2002 hat es mit dem
Hinweis sein Bewenden, dass die dafür massgebenden altrechtlichen Grundsätze
inhaltlich im Wesentlichen der dargelegten neurechtlichen Ordnung entsprechen
und auch die vom Eidgenössischen Versicherungsgericht unter Herrschaft des
früheren Rechts entwickelten Regeln weiterhin anwendbar bleiben (BGE 130 V
343, auch zum Folgenden). Es betrifft dies namentlich auch die in Einsprache-
und kantonalem Entscheid richtig wiedergegebene Rechtsprechung über die
Aufgabe des Arztes bei der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit
Hinweisen) und die richterliche Beweiswürdigung, insbesondere im Hinblick auf
ärztliche Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweis).

Mit Blick auf eine Rentenberechtigung ab 1. Januar 2004 zu erwähnen ist, dass
Art. 28 Abs. 1 IVG in der seit diesem Zeitpunkt geltenden Fassung eine
geänderte Rentenabstufung vorsieht und Art. 28 Abs. 1bis IVG über die
Härtefallrente aufgehoben wurde.

3.
3.1 Verwaltung und Vorinstanz verneinen einen Rentenanspruch mit der
Begründung, der Beschwerdeführer sei vor Ablauf des Wartejahres gemäss Art.
29 Abs. 1 lit. b IVG, welches mit dem Unfallereignis vom 15. November 2001
und der ab diesem Zeitpunkt verzeichneten Einschränkung der funktionellen
Leistungsfähigkeit begonnen habe, wieder voll arbeits- und erwerbsfähig
gewesen. Sie stützen sich dabei auf das Gutachten des Zentrums X.________ vom
28. Januar 2003. Danach lag (spätestens) ab 1. Juni 2002 kein den
Versicherten in der Tätigkeit eines Gärtners und/oder eines
Restaurant-Geschäftsführers einschränkendes gesundheitliches Leiden mehr vor.
Diese Beurteilung wiederum beruht auf den - rheumatologisch und psychiatrisch
- erhobenen Befunden einer Dysthymie mit neurotischen Zügen bei Status nach
HWS-Distorsion am 15. November 2001 mit Restbeschwerden sowie leichten
degenerativen Veränderungen der HWS (Osteochondrosen, Spondylose).
Eine abweichende ärztliche Stellungnahme, welche die dargelegten
fachärztlichen Folgerungen gegebenenfalls in Frage stellen könnte, findet
sich, wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat, in den ihm
vorgelegenen medizinischen Akten nicht.

3.2 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt der Versicherte indessen - in
prozessual zulässiger Weise - neue medizinische Belege einreichen.

Gemäss Bericht des Medizinisch-Radiologischen Institutes an der Klinik
Y.________ vom 28. September 2004 wurden bei der CT-Untersuchung vom 27.
September 2004 folgende Befunde erhoben: Mittelgrosse rechtsseitige
medio-laterale Diskushernie auf Höhe HWK 5/6; Spondylose der unteren HWS;
kleine mediane Diskushernien auf Höhe HWK 3/4 und HWK 4/5; anlagebedingt
enger Spinalkanal auf Höhe HWK 4/5 und 6 mit einem minimalen Durchmesser von
9 mm ap. Weiter finden sich Aussagen, wonach das Rückenmark auf Höhe HWK 3/4
durch den eingeengten Spinalkanal komprimiert und auf Höhe HWK 5/6 durch die
breitbasige Vorwölbung der Bandscheibe leicht dekonfiguriert werde.

Vergleichbare Aussagen zur HWS-Region finden sich - bis auf die ebenfalls
erwähnte Spondylose - im Gutachten des Zentrums X.________ vom 28. Januar
2003 nicht. Es fragt sich zunächst, ob die neu beschriebenen Veränderungen
der HWS eine gegebenenfalls aufgrund ihrer erwerblichen Auswirkungen
rentenbegründende Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben, und bejahendenfalls
sodann, ob dies bereits für den hier zu beurteilenden Sachverhalt bis zum
Erlass des Einspracheentscheides vom 19. März 2004 (Erw. 1 hievor) der Fall
war. Dies lässt sich mit den vorhandenen ärztlichen Stellungnahmen - auch mit
den ebenfalls mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufgelegten Arztzeugnisse
des seit 12. März 2004 behandelnden Rheumatologen - gerichtlich zuverlässig
weder bejahen noch verneinen. Damit kann der Versicherte im jetzigen
Zeitpunkt auch nicht auf den Weg der Neuanmeldung im Sinne von Art. 87 Abs. 3
(in der seit Anfang 2003 geltenden Fassung) und Abs. 4 IVV verwiesen werden.
Der medizinische Sachverhalt bedarf somit der Ergänzung. Die Verwaltung wird
im Rahmen dieser Abklärungen ihr Augenmerk auch darauf zu richten haben, ob
in anderer Weise eine - gegebenenfalls revisionsweise - anspruchsrelevante
gesundheitliche Verschlechterung eingetreten ist.

4.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend
steht dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu (Art. 135 in
Verbindung mit Art. 159 Abs. 1 OG). Das Gesuch um unentgeltliche
Verbeiständung ist damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. Oktober
2004 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 19.
März 2004 aufgehoben werden und die Sache an die IV-Stelle des Kantons Zürich
zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der
Erwägungen, über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers neu verfüge.

2.
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr.
1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

3.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 23. Mai 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: