Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 727/2004
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I 727/04

Urteil vom 16. Februar 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger;
Gerichtsschreiber Fessler

M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch die Beratungsstelle für
Ausländer, Weinbergstrasse 147, 8006 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 1. Oktober 2004)

Sachverhalt:

A.
A.a Der 1946 geborene M.________ ersuchte im August 1995 die
Invalidenversicherung um Leistungen. Nach Abklärungen (u.a. Begutachtung
durch die MEDAS) verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügung vom
27. Januar 1998 den Anspruch auf eine Invalidenrente, was das Eidgenössische
Versicherungsgericht letztinstanzlich mit Urteil vom 8. November 2001
bestätigte.

A.b Am 12. Dezember 2001 ersuchte M.________ die Invalidenversicherung erneut
um Leistungen. Die IV-Stelle klärte die gesundheitlichen und erwerblichen
Verhältnisse ab. U.a. liess sie den Versicherten wiederum durch die MEDAS
abklären (Gutachten vom 21. Februar 2003).

Mit Verfügung vom 4. September 2003 sprach die IV-Stelle M.________ aufgrund
einer Erwerbsunfähigkeit von 43 % eine ab 1. Dezember 2002 laufende
Viertelsrente samt Zusatzrente für seine Ehefrau zu. Daran hielt die
Verwaltung mit Einspracheentscheid vom 8. Dezember 2003 fest.

B.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde des M.________ hob das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid vom 8.
Dezember 2003 auf und wies die Sache mit der Feststellung, es bestehe ab 1.
Dezember 2001 gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 44 % Anspruch auf eine
Invalidenrente, an die IV-Stelle zu neuer Verfügung auch über den Anspruch
auf eine Zusatzrente zurück (Entscheid vom 1. Oktober 2004).

C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und es sei ihm eine ganze
Invalidenrente zuzusprechen.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2003 sind das Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) und die dazugehörige
Verordnung vom 11. September 2002 (ATSV) in Kraft getreten. Mit ihnen sind
verschiedene materiellrechtliche Normen im Bereich der Invalidenversicherung
geändert oder aufgehoben worden. In BGE 130 V 445 hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht entschieden, dass bei Erlass des Einspracheentscheides
nach dem 1. Januar 2003 der Anspruch auf eine Invalidenrente für die Zeit bis
31. Dezember 2002 auf Grund der bisherigen Normen und ab diesem Zeitpunkt
nach ATSG zu prüfen ist.

1.2 Der Beschwerdeführer stellte nach der rechtskräftigen Verneinung des
Anspruchs auf eine Invalidenrente (Verfügung vom 27. Januar 1998) im Dezember
2001 ein neues Leistungsgesuch. Der Anfechtungsgegenstand des
erstinstanzlichen Beschwerdeverfahrens bildende Einspracheentscheid wurde am
8. Dezember 2003 erlassen. Somit ist an sich eine zeitlich getrennte
Beurteilung der Anspruchsberechtigung erforderlich. Davon kann indessen
insofern abgesehen werden, als die Begriffe der Arbeitsunfähigkeit,
Erwerbsunfähigkeit, Invalidität sowie der Einkommensvergleichsmethode und der
Revision (der Invalidenrente und anderer Dauerleistungen) gemäss Art. 6, 7
und 8 Abs. 1 ATSG sowie Art. 16 und 17 ATSG nach der bisherigen
Rechtsprechung auszulegen und anzuwenden sind (BGE 130 V 343). Im Weitern hat
die Regelung über das Eintreten sowie die Prüfungsbefugnis der IV-Stelle und
im Beschwerdefall des Sozialversicherungsgerichts bei einer Neuanmeldung nach
einer früheren rechtskräftigen Leistungsverweigerung (Art. 87 Abs. 3 [in der
bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung] und 4 IVV) durch den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrecht keine Änderung erfahren (Urteil
Z. vom 26. Oktober 2004 [I 457/04] Erw. 2.1; vgl. auch AHI 2002 S. 260). Die
hiezu ergangene, im angefochtenen Entscheid richtig wiedergegebene
Gerichtspraxis (vgl. BGE 117 V 198 Erw. 3a und 200 Erw. 4b; ferner BGE 130 V
64 und 71) hat daher nach wie vor Gültigkeit.

1.3 Die am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Gesetzes- und
Verordnungsänderungen im Rahmen der 4. IV-Revision haben nach zutreffender
Feststellung der Vorinstanz unberücksichtigt zu bleiben (BGE 129 V 4 Erw.
1.2).

2.
Es steht fest und ist unbestritten, dass der Gesundheitszustand des
Beschwerdeführers seit der rechtskräftigen Leistungsverweigerung gemäss
Verfügung vom 27. Januar 1998 sich erheblich verschlechtert hat. Folgerichtig
hat die IV-Stelle den Anspruch auf eine Invalidenrente neu und umfassend,
insbesondere ohne Bindung an die seinerzeitige Invaliditätsbemessung geprüft
(BGE 117 V 200 f. Erw. 4b und 5 sowie AHI 2002 S. 164; vgl. auch BGE 130 V 77
Erw. 3.2.3). Die Verwaltung hat einen Einkommensvergleich nach Art. 16 ATSG
durchgeführt. Der ermittelte Invaliditätsgrad von 43 % gibt Anspruch auf eine
Viertelsrente (Art. 28 Abs. 1 IVG).
Das kantonale Gericht hat die Invaliditätsbemessung der IV-Stelle im
Wesentlichen bestätigt. Sie hat für 2000 ein Valideneinkommen von Fr.
51'899.- und ein Invalideneinkommen von Fr. 29'074.10 ermittelt. Dies ergibt
einen Invaliditätsgrad von 44 % ([Fr. 22'825.-/Fr. 51'899.-] x 100 %). Für
die Festlegung der trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung zumutbaren
Arbeitsfähigkeit im Besonderen hat das kantonale Gericht auf das Gutachten
der MEDAS vom 21. Februar 2003 abgestellt. Danach besteht in körperlich
leichten und auch mittelschweren Tätigkeiten eine Arbeitsfähigkeit von 60 %.
Limitierend wirken sich die psychischen Störungen aus. Dagegen sind aus
rheumatologischer und auch otologischer Sicht keine Einschränkungen gegeben.

3.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird die Schlüssigkeit des
MEDAS-Gutachtens vom 21. Februar 2003 bestritten. Es wird geltend gemacht,
die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit trage den multiplen Beschwerden zu
wenig Rechnung. Insbesondere attestiere Dr. med. S.________, bei welchem der
Versicherte seit 1998 in psychiatrischer Behandlung stehe, eine
Arbeitsunfähigkeit von 100 %.

3.1 Der psychiatrische Konsiliararzt der MEDAS hat aufgrund der bei der
Untersuchung vom 30. Oktober 2002 erhobenen Befunde sowie der Angaben des
Versicherten die Diagnose einer chronifizierten depressiv gefärbten
Anpassungsstörung im Sinne von ICD-10 F43.21 gestellt. Er hat dem psychischen
Leiden Krankheitswert zugemessen und die Arbeitsunfähigkeit aus rein
psychiatrischer Sicht für jegliche in Frage kommende berufliche Tätigkeit auf
40 % beziffert (Bericht vom 5. November 2002). In der zusammenfassenden
Beurteilung des Gutachtens vom 21. Februar 2003 wird festgehalten, wenn der
psychiatrische Konsiliararzt die letzten 3 1/2 Jahre überblicke, während
welcher der Versicherte in psychotherapeutischer Behandlung gestanden habe,
komme er zur Auffassung, dass inzwischen eine Verbesserung des depressiven
Leidens stattgefunden habe. Der Explorand stehe unter Antidepressiva und
werde auch weiterhin in Psychotherapie gehen. Zum Beginn der (einzig) aus
psychischen Gründen reduzierten Arbeitsfähigkeit wird ausgeführt, die
Einschränkung habe sicher am 10. Dezember 2001 bereits vorgelegen. Ab diesem
Datum attestiere der Hausarzt unter Hinweis auf eine deutliche
Verschlechterung auch des psychischen Zustandes in letzter Zeit eine
Arbeitsunfähigkeit von 70 %.

Der Psychiater und Psychotherapeut Dr. med. S.________ hält in seinem Bericht
vom 28. September 1998 an den Hausarzt fest, der Versicherte stehe seit 31.
Januar 1998 bei ihm in Behandlung. Er leide an einem depressiven Zustand,
welcher aufgrund seiner körperlichen Krankheit entstanden sei. Er sei ein
einfach strukturierter Mensch, welcher auf seine körperliche Tätigkeit
angewiesen sei. Es sei somit verständlich, dass er nach Aufgabe der Tätigkeit
als Gartenarbeiter wegen der körperlichen Beschwerden in eine ängstliche
Depression geraten sei. Aus psychiatrischer Sicht bestehe eine
Arbeitsunfähigkeit von 100 %. Auf Grund der wegen seines depressiven
Zustandes verordneten Therapie mit Antidepressiva und Psychopharmaka habe
sich der Zustand nur wenig gebessert.

3.2 Nach der Beurteilung der Ärzte der MEDAS befand sich der Beschwerdeführer
bei Beginn der psychotherapeutischen Behandlung Ende Januar 1998 in einer
psychisch schlechteren Verfassung als bei der Untersuchung durch den
psychiatrischen Konsiliararzt der Abklärungsstelle am 30. Oktober 2002.
Demzufolge war die Arbeitsfähigkeit stärker eingeschränkt als die im
Gutachten vom 21. Februar 2003 angegebenen 40 %. Bezogen auf die
gesundheitlichen Verhältnisse Anfang 1998 weichen somit der psychiatrische
Konsiliararzt der MEDAS und der behandelnde Psychotherapeut Dr. med.
S.________ in der Diagnose einer psychischen Störung sowie deren Auswirkungen
auf die Arbeitsfähigkeit nicht erheblich voneinander ab. Unter diesen
Umständen sowie unter der nach der Aktenlage nicht gesicherten Annahme, dass
das Leiden Krankheitswert hat, interessiert aber, inwiefern und in welchem
Ausmass die ambulante psychotherapeutische Behandlung zu einer Verbesserung
des Gesundheitszustandes führte. Dazu äussert sich weder der psychiatrische
Konsiliararzt der MEDAS in seinem Bericht vom 5. November 2002 noch das
Gutachten vom 21. Februar 2003. Die aufgeworfene Frage stellt sich umso mehr,
als Dr. med. S.________ im Bericht vom 28. September 1998 ausführte, es sei
kaum eine Verbesserung eingetreten. In diesem die ersten acht Monate der
Behandlung betreffenden Sinne äusserte sich auch der Hausarzt. Danach
verschlechterte sich der psychische Zustand in den letzten Jahren deutlich
und die Psychotherapie ergab keine Besserung (Berichte vom 10. Dezember 2001
und 3. Januar 2002).

Das MEDAS-Gutachten vom 21. Februar 2002 kann somit in psychiatrischer
Hinsicht nicht als schlüssig bezeichnet werden.

3.3 Im Weitern ist fraglich, ob die bestehende hochgradige gemischte
Schwerhörigkeit beidseits tatsächlich die Arbeitsfähigkeit nicht einschränkt.
Der Beschwerdeführer gab zwar an, es gehe mit Hörgeräten recht gut und er
habe keine Kommunikationsprobleme. Er verstehe auch das Fernsehen und könne
bei Diskussionen mithalten. Bei der ersten MEDAS-Begutachtung im Sommer 1997
hatte der Versicherte sich dahingehend geäussert, er fühle sich durch die
deutliche Gehörsminderung in seiner Arbeitsfähigkeit in keiner Weise
behindert. In der Expertise vom 25. August 1997 wurde gestützt auf diese
Angaben festgehalten, die beidseitige Schwerhörigkeit aufgrund
rezidivierender Otitiden mit konsekutiver Otosklerose beidseits hätte die
Arbeitsfähigkeit nie beeinträchtigt. Auf die Selbstangaben des
Beschwerdeführers kann indessen nicht ohne weiteres abgestellt werden, war er
doch seit 13. April 1995 nicht mehr erwerbstätig. Es kommt dazu, dass eine
oto- und audiologische Abklärung bisher nicht stattgefunden hat. Der
behandelnde Ohrenarzt äusserte sich letztmals im Bericht vom 20. Dezember
1994 zur Arbeitsfähigkeit aus otologischer Sicht.

3.4 Nach dem Gesagten wird die IV-Stelle nochmals eine psychiatrische
Begutachtung durchzuführen haben. Dabei wird der Experte insbesondere zu
beurteilen haben, ob überhaupt ein psychisches Leiden mit Krankheitswert
gegeben ist und bejahendenfalls, ob es unter die Kategorie der
invalidisierenden somatoformen Schmerzstörungen fällt (vgl. dazu die jüngste
Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts gemäss BGE 130 V 352
und 396). Im Weitern wird die Verwaltung den Versicherten oto- und
audiologisch abzuklären haben. Danach wird sie unter Berücksichtigung
allfälliger seit der MEDAS-Begutachtung Ende Oktober 2002 eingetretener
rheumatologischer Verschlechterungen des Gesundheitszustandes über den
streitigen Rentenanspruch neu verfügen.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der durch die Beratungsstelle für
Ausländer vertretene Beschwerdeführer Anspruch auf eine reduzierte
Parteientschädigung (Urteile J. vom 16. Juli 2001 [U 146/01] Erw. 5, F. vom
26. Juni 2000 [I 655/99] und M. vom 10. Februar 2000 [I 142/99]).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 1. Oktober
2004 und der Einspracheentscheid vom 8. Dezember 2003 aufgehoben werden und
die Sache an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen wird, damit sie
nach weiteren Abklärungen im Sinne der Erwägungen über den Rentenanspruch des
Beschwerdeführers neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung
(einschliesslich Mehrwertsteuer) von Fr. 500.- zu bezahlen.

4.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hat über eine Neuverlegung
der Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang
des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse Gärtner und Floristen und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 16. Februar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: