Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 68/2004
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I 68/04

Urteil vom 12. Oktober 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Traub

C.________, 1956, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Reto
Zanotelli, Weinbergstrasse 43, 8006 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 17. Dezember 2003)

Sachverhalt:

A.
C. ________ (geb. 1956), von 1980 bis zum 11. November 2001 als
Sachbearbeiterin Zahlungsverkehr bei der Bank X.________ tätig, meldete sich
am 12. März 2002 wegen einer Muskelerkrankung zum Leistungsbezug bei der
Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich nahm Abklärungen
medizinischer und erwerblicher Art vor und lehnte den Antrag auf Ausrichtung
einer Invalidenrente ab, weil sie von einem Invaliditätsgrad von unter 40 %
ausging (durch Einspracheentscheid vom 26. Juni 2003 bestätigte Verfügung vom
16. April 2003). Hingegen erteilte sie mit Verfügung vom 15. April 2003 eine
Kostengutsprache für Dienstleistungen Dritter (Taxikosten) in Höhe von
höchstens Fr. 1583.- monatlich.

B.
Die gegen den Einspracheentscheid vom 26. Juni 2003 erhobene Beschwerde wies
das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 17.
Dezember 2003).

C.
C.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde einreichen mit dem
Rechtsbegehren, es sei ihr, unter Aufhebung von Einspracheentscheid und
kantonalem Entscheid, eine ganze Invalidenrente zuzusprechen, eventuell sei
ein medizinisches Gutachten anzuordnen.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über den
Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG [sowohl in der bis Ende 2002 als
auch in der ab 1. Januar 2003 geltenden Fassung]; Art. 8 Abs. 1 ATSG), den
Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 [in der bis Ende 2003 gültig
gewesenen Fassung] und Abs. 1bis IVG [in Kraft gestanden bis Ende 2003])
sowie zur Aufgabe des Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V
261 Erw. 4 mit Hinweisen; AHI 2002 S. 70 Erw. 4b/cc) zutreffend
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.
Zu ergänzen ist, dass bei erwerbstätigen Versicherten der Invaliditätsgrad
aufgrund eines Einkommensvergleichs bestimmt wird. Dazu wird das
Erwerbseinkommen, das der Versicherte nach Eintritt der Invalidität und nach
Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihm zumutbare
Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung
gesetzt zum Erwerbseinkommen, das er erzielen könnte, wenn er nicht invalid
geworden wäre (Art. 28 Abs. 2 IVG [in der bis Ende 2002 gültig gewesenen
Fassung]; Art. 16 ATSG).

1.2 Bei der Prüfung eines Anspruchs auf eine Rente der Invalidenversicherung,
der allenfalls schon vor dem Inkrafttreten des ATSG am 1. Januar 2003
entstanden ist, sind die allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln
heranzuziehen. Danach sind grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend,
die bei Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts galten.
Demzufolge ist der Rentenanspruch für die Zeit bis zum 31. Dezember 2002
aufgrund der bisherigen und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen zu
prüfen (noch nicht in der Amtlichen Sammlung publiziertes Urteil M. vom 5.
Juli 2004, I 690/03, Erw. 1 mit Hinweisen).

Das seit 1. Januar 2003 geltende ATSG brachte hinsichtlich der
Invaliditätsbemessung keine substantiellen Änderungen gegenüber der bis zum
31. Dezember 2002 gültig gewesenen Rechtslage (noch nicht in der Amtlichen
Sammlung veröffentlichtes Urteil A. vom 30. April 2004, I 626/03), so dass
die zur altrechtlichen Regelung ergangene Judikatur weiterhin massgebend ist.
Ferner finden die am 1. Januar 2004 - und somit nach dem Erlass des
Einspracheentscheides vom 26. Juni 2003 - in Kraft getretenen Änderungen des
Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 21. März 2003 (4.
IVG-Revision) und der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 21. Mai
2003 keine Anwendung (vgl. BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

2.
Strittig und zu prüfen ist der Rentenanspruch der Versicherten, die nach
Beurteilung des Internisten Dr. G.________ an einer unklaren Myopathie in
Form einer facio-scapulo-humeralen Muskeldystrophie leidet (Berichte vom 25.
Mai 2002 und vom 13. März 2003; vgl. auch den Bericht des Neurologen Dr.
B.________ vom 11. Januar 2002). Ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit seien
die Diagnosen eines Diabetes mellitus Typ II ("Zuckerkrankheit"), einer
arteriellen Hypertonie (Bluthochdruck) und Adipositas (Übergewicht).

2.1 Nach zutreffender Feststellung von Verwaltung und kantonalem Gericht
musste aufgrund der im Zeitpunkt der Verfügung vom 16. April 2003 zur
Verfügung stehenden Akten darauf geschlossen werden, dass die
Beschwerdeführerin in ihrer angestammten Tätigkeit zu 80 % arbeitsfähig war.
Im Rahmen der Bemessungsmethode des Prozentvergleichs ergab sich ein
rentenausschliessender Invaliditätsgrad von jedenfalls unter 40 %; der
behinderungsbedingten Unmöglichkeit, den Arbeitsweg mit öffentlichen
Verkehrsmitteln zu bewältigen, wurde mit der Zusprechung von Beiträgen an die
Transportkosten (Taxi) Rechnung getragen (vgl. Art. 21bis Abs. 2 IVG).
Insoweit kann auf die Begründung im vorinstanzlichen Entscheid verwiesen
werden.

2.2 Das Verwaltungsverfahren wird unter der Geltung des ATSG erst mit dem
Einspracheentscheid abgeschlossen; die Einspracheinstanz hat daher bei der
Anspruchsprüfung Entwicklungen des entscheiderheblichen Sachverhalts bis zum
Zeitpunkt ihres Entscheids (26. Juni 2003) zu berücksichtigen (BGE 121 V 366
Erw. 1b mit Hinweisen; RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101; Kieser, ATSG-Kommentar,
Art. 52 Rz 25).

Nach Erlass der Verfügung vom 16. April 2003 teilte der behandelnde Arzt der
Versicherten, Dr. G.________, auf dessen Einschätzung der Arbeitsfähigkeit
die IV-Stelle massgebend abgestellt hatte, derselben mit, die
Rückenbeschwerden hätten sich "in letzter Zeit" trotz Therapie stetig
verschlechtert; die Arbeit in Y.________ könne nicht mehr aufgenommen werden
(Eingabe vom 15. Mai 2003; vgl. nunmehr auch den Bericht des
Praxisnachfolgers, Dr. U.________, vom 3. Februar 2004). Der damit
angesprochene Gesundheitsschaden spielte zuvor offenbar keine Rolle; noch in
seinem Bericht vom 26. Mai 2002 hatte Dr. G.________ darauf hingewiesen, eine
beidseitige Lumboischialgie habe sich unter ständiger Physiotherapie
gebessert. Die Verwaltung begnügte sich im Einspracheentscheid vom 26. Juni
2003 damit festzustellen, sie sehe sich nicht "veranlasst, zusätzliche
medizinische Berichte einzuholen oder sonstige Abklärungen zu tätigen",
weshalb am Entscheid festzuhalten sei. Angesichts der - mit der Frage nach
dem weiteren Vorgehen verbundenen - vorerwähnten Mitteilung des Arztes wäre
es indes unumgänglich gewesen, zumindest in Erfahrung zu bringen, ob und -
gegebenenfalls - inwiefern die frühere Stellungnahme zur Arbeitsfähigkeit
aktuell als Entscheidungsgrundlage noch Geltung beanspruchen konnte. Unter
diesen Umständen durfte die Beschwerdeführerin nicht auf den Weg der
Neuanmeldung verwiesen werden.

3.
In ihrer Vernehmlassung zuhanden des kantonalen Gerichts vom 10. September
2003 machte die IV-Stelle - ausgehend von den damaligen
Entscheidungsgrundlagen - geltend, es sei der Versicherten im Sinne der
Schadenminderung zumutbar, einen geeigneten Arbeitsplatz in der Nähe des
Wohnorts zu suchen. Dem ist unter Vorbehalt des Folgenden grundsätzlich
zuzustimmen. Vorausgesetzt ist dabei indes die Prüfung des Anspruchs auf
Arbeitsvermittlung (Art. 18 IVG), fallen die gesundheitlichen Einschränkungen
doch deutlich ins Gewicht (vgl. BGE 116 V 81 Erw. 6a; AHI 2000 S. 70 Erw.
1a). Dem Eingliederungsaspekt ist vorliegend auch insofern besonders Rechnung
zu tragen, als der frühere Arbeitgeber der Versicherten gegenüber der
IV-Stelle erklärt hatte, er sei grundsätzlich weiterhin bereit, einen
Arbeitsplatz im angestammten Bereich auch in reduziertem Umfang zur Verfügung
zu stellen (vgl. Aktennotiz vom 26. März 2003).

4.
Die Sache ist zur weiteren Abklärung und neuen Verfügung im Sinne des in den
Erw. 2 und 3 hievor Gesagten an die IV-Stelle zurückzuweisen. Bei diesem
Verfahrensausgang hat die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 17. Dezember
2003 und der Einspracheentscheid vom 26. Juni 2003 aufgehoben und es wird die
Sache an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit diese, nach
erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr.
2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse für das schweiz. Bankgewerbe und dem Bundesamt
für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 12. Oktober 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: