Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 671/2004
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I 671/04

Urteil vom 30. Dezember 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Fessler

L.________, 1947, Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin

AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 17. September 2004)

Sachverhalt:

A.
A.a Die 1947 geborene L.________ meldete sich wegen Rückenbeschwerden im Juli
1997 bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Die IV-Stelle des
Kantons Thurgau klärte die gesundheitlichen und erwerblichen Verhältnisse ab.
U.a. liess sie die Versicherte durch die MEDAS Zentralschweiz untersuchen
(Expertise vom 16. November 1998). Mit Verfügung vom 8. Juli 1999 lehnte die
IV-Stelle das Leistungsbegehren ab, was das Eidgenössische
Versicherungsgericht letztinstanzlich mit Urteil vom 10. November 2000
bestätigte.

A.b Am 11. Dezember 2000 ersuchte L.________ die Invalidenversicherung erneut
um eine Rente. Mit Verfügung vom 25. April 2001 trat die IV-Stelle auf das
Begehren mangels Glaubhaftmachung einer für den Anspruch erheblichen Änderung
der tatsächlichen Verhältnisse seit 8. Juli 1999 nicht ein. Mit Entscheid vom
12. November 2001 wies die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau die
Beschwerde  der L.________ ab. In Gutheissung der hiegegen erhobenen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde hob das Eidgenössische Versicherungsgericht mit
Urteil vom 5. März 2002 Entscheid und Verfügung auf und wies die Sache an die
IV-Stelle zurück, damit sie das Rentengesuch vom 11. Dezember 2000 materiell
behandle.
Im August 2003 wurde L.________ erneut durch die MEDAS Zentralschweiz
untersucht (Gutachten vom 25. September 2003). Mit Verfügung vom 7. Januar
2004 verneinte die IV-Stelle den Anspruch auf eine Invalidenrente. Zur
Begründung führte sie an, auf Grund der medizinischen Abklärungen sei eine
Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht ausgewiesen. Daran hielt die
IV-Stelle mit Einspracheentscheid vom 29. April 2004 fest.

B.
Die Beschwerde der L.________ wies die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau mit Entscheid vom 17. September 2004 ab.

C.
L.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei
ihr eine Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter sei die Sache zur Vornahme
weiterer medizinischer Abklärungen an das kantonale Gericht oder an die
IV-Stelle zurückzuweisen.
Die kantonale Rekurskommission und die IV-Stelle, unter Berücksichtigung
nachträglich von L.________ eingereichter ärztlicher Berichte, beantragen je
die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

D.
L.________ hat sich in einer weiteren Eingabe zur Sache geäussert.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2003 sind das Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) und die dazugehörige
Verordnung vom 11. September 2002 (ATSV) in Kraft getreten. Mit ihnen sind
verschiedene materiellrechtliche Normen im Bereich der Invalidenversicherung
geändert oder aufgehoben worden. In BGE 130 V 445 hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht entschieden, dass bei Erlass des Einspracheentscheides
nach dem 1. Januar 2003 der Anspruch auf eine Invalidenrente für die Zeit bis
31. Dezember 2002 auf Grund der bisherigen Normen und ab diesem Zeitpunkt
nach ATSG zu prüfen ist.

1.2 Die Beschwerdeführerin stellte im Dezember 2000 das zweite Rentengesuch.
Der Anfechtungsgegenstand des erstinstanzlichen Beschwerdeverfahrens bildende
Einspracheentscheid wurde am 29. April 2004 erlassen. Somit ist an sich eine
zeitlich getrennte Beurteilung der Anspruchsberechtigung erforderlich. Davon
kann indessen insofern abgesehen werden, als die Begriffe der
Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Invalidität sowie der
Einkommensvergleichsmethode und der Revision (der Invalidenrente und anderer
Dauerleistungen) gemäss Art. 6, 7 und 8 Abs. 1 ATSG sowie Art. 16 und 17 ATSG
nach der bisherigen Rechtsprechung auszulegen und anzuwenden sind (BGE 130 V
343). Im Weitern hat die Regelung über das Eintreten sowie die
Prüfungsbefugnis der IV-Stelle und im Beschwerdefall des
Sozialversicherungsgerichts bei einer Neuanmeldung nach einer früheren
rechtskräftigen Leistungsverweigerung (Art. 87 Abs. 3 [in der bis 31.
Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung] und 4 IVV) durch den Allgemeinen Teil
des Sozialversicherungsrechts keine Änderung erfahren (Urteil Z. vom 26.
Oktober 2004 [I 457/04] Erw. 2.1; vgl. auch AHI 2002 S. 260). Die bestehende
Gerichtspraxis (vgl. BGE 117 V 198 Erw. 3a und 200 Erw. 4b) hat daher nach
wie vor Gültigkeit.

2.
Ein erstes Rentengesuch der Beschwerdeführerin war mit Verfügung vom 11. Juli
1999, letztinstanzlich mit Urteil vom 10. November 2000 bestätigt, abgelehnt
worden. Die kantonale Rekurskommission hat eine seitherige erhebliche
Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne der geltend gemachten
Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis zum Zeitpunkt des
Einspracheentscheides vom 29. April 2004 verneint (vgl. BGE 130 V 66 Erw. 2
und BGE 117 V 198 Erw. 3a und 200 Erw. 4b in fine). Folgerichtig hat sie
keine Prüfung der Anspruchsberechtigung (Ermittlung des Invaliditätsgrades
auf der Grundlage des richtig und vollständig festgestellten Sachverhalts;
vgl. BGE 130 V 77 Erw. 3.2.3) vorgenommen. Die Vorinstanz hat im Wesentlichen
erwogen, das in verschiedenen ärztlichen Berichten diagnostizierte
Fibromyalgie-Syndrom habe im Rahmen der Begutachtung durch die MEDAS im
August 2003 nicht bestätigt werden können. Der rheumatologische Facharzt der
Medizinischen Abklärungsstelle habe die diese Krankheit kennzeichnenden
Druckdolenzen («tender points») nicht feststellen können. Beim beschriebenen
diffusen Ganzkörperschmerzsyndrom handle es sich somit nicht um eine
Fibromyalgie. Im Weitern liege gemäss dem MEDAS-Gutachten vom 25. September
2003 eine undifferenzierte Somatisierungsstörung vor. Ein psychiatrisches
Leiden von Krankheitswert habe indessen nicht festgestellt werden können. Für
körperlich leichte wechselbelastende Tätigkeiten und auch im Aufgabenbereich
als Hausfrau bestehe laut MEDAS eine Arbeitsfähigkeit von 100 %. Diese
Beurteilung stimme mit derjenigen in der Expertise vom 16. November 1998
überein. Das Gutachten vom 25. September 2003 genüge vollumfänglich den
beweisrechtlichen Anforderungen an ärztliche Berichte (vgl. BGE 125 V 352
Erw. 3a).

3.
3.1
3.1.1In der Expertise vom 16. November 1998 wurden im Wesentlichen folgende
Diagnosen gestellt: Generalisierte diffuse Schmerzkrankheit (undifferenzierte
Somatisierungsstörung bei einer einfach strukturierten, sozialbelasteten
Persönlichkeit), chronisches lumbales Schmerzsyndrom sowie chronische
Zervikobrachialgien bei ausgeprägten degenerativen Veränderungen der HWS.
Leichte, wechselbelastende, vorwiegend sitzende Tätigkeiten ohne zu lange
Zwangshaltungen und ohne häufige Überkopfarbeiten wurden als voll zumutbar
(Arbeitsfähigkeit 100 %) bezeichnet. Prognostisch rechneten die MEDAS-Ärzte
mit keiner wesentlichen Änderung in absehbarerer Zeit.
Im Gutachten vom 25. September 2003 werden ein Ganzkörperschmerzsyndrom ohne
somatisches Korrelat, ein chronisches Lumbovertebralsyndrom sowie eine
fortgeschrittene Rhizarthrose rechts und eine leichtgradige
Fingerpolyarthrose diagnostiziert. Die Arbeitsfähigkeit in einer körperlich
leichten wechselbelastenden Tätigkeit ebenso wie im Haushalt wird auf 100 %
beziffert.

3.1.2 Das Beschwerdebild hat sich somit im Zeitraum September 1998 bis August
2003 nicht wesentlich geändert. Es sind laut Experten sowohl in somatischer
als auch in psychopathologischer Hinsicht nur diskrete
Veränderungen/Verschlechterungen feststellbar. Sie änderten indessen nichts
an der damaligen Einschätzung der Arbeitsfähigkeit.

3.2 Es besteht kein Anlass, von den Feststellungen und Schlussfolgerungen im
MEDAS-Gutachten vom 25. September 2003 abzuweichen. Dabei kann offen bleiben,
ob eine Fibromyalgie besteht. Dieses Krankheitsbild (vgl. dazu Pschyrembel,
Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl., S. 568) lässt sich in Anbetracht, dass die
Beschwerdeführerin an einer undifferenzierten Somatisierungsstörung im Sinne
eines Ganzkörperschmerzsyndroms ohne somatisches Korrelat leidet, ohnehin
kaum feststellen. Entgegen den Vorbringen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher nicht von entscheidender Bedeutung,
dass u.a. Dr. med. W.________, Leitender Arzt Rheuma- und
Rehabilitationsklinik X.________, im Bericht vom 22. Mai 2001 und Dr. med.
Z.________, welcher die Versicherte mit kleinen Unterbrüchen seit 1991
betreut, im Arztbericht vom 20. Juni 2002 von einem Fibromyalgie-Syndrom
ausgehen. Mit Bezug auf die leichtgradige Fingerpolyarthrose sowie die
fortgeschrittene Rhizarthrose rechts sodann ist anzunehmen, dass die
Gutachter der MEDAS eine ins Gewicht fallende Einschränkung der zumutbaren
Arbeitsfähigkeit bei leichten manuellen Tätigkeiten angegeben hätten, wenn
daraus eine solche resultierte. Dies gilt auch für die aus psychiatrischer
Sicht neu hinzugekommene paranoide Komponente.

3.3 Mangels einer rechtserheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes
im massgebenden Vergleichszeitraum vom 8. Juli 1999 bis 29. April 2004
entfällt eine weitergehende Prüfung des Rentenanspruchs. Der angefochtene
Entscheid ist nicht zu beanstanden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau, der Ausgleichskasse der Textil- und Bekleidungsindustrie und dem
Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 30. Dezember 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: