Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 622/2004
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I 622/04

Urteil vom 15. März 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Grunder

D.________, 1944, Beschwerdeführer, vertreten durch Herrn Xajë Berisha,
Beratungsstelle für Ausländerfragen, Scheibenstrasse 29, 3014 Bern,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 17. August 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1944 geborene D.________ meldete sich am 24. April 2002 wegen
gesundheitlicher Beschwerden ("Kopf, Hals, Brust, Rücken und linkem Bein")
zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IVBStelle des
Kantons Aargau zog die Akten der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) betreffend einen Unfall vom 16. Oktober 1999 bei, holte einen Auszug
aus dem Individuellen Konto (IK) ein, im Weiteren einen Arbeitgeberbericht
der Einzelfirma P.________ vom 19. Mai 2002 sowie ein polydisziplinäres
Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) vom 20. November 2003.
Gestützt darauf verneinte sie einen Anspruch auf Invalidenrente (Verfügung
vom 21. Januar 2004). Die Einsprache, mit welcher der Versicherte nebst einem
Rentenanspruch auch berufliche Massnahmen (Umschulung und Arbeitsvermittlung)
geltend machte, lehnte die IV-Stelle bei einem Invaliditätsgrad von 14% und
wegen der "subjektiven Krankheitsüberzeugung" ab (Einspracheentscheid vom 8.
April 2004).

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des
Kantons Aargau ab (Entscheid vom 17. August 2004).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt D.________ beantragen, unter
Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit sie nach ergänzenden medizinischen Abklärungen über den
Anspruch auf Invalidenrente neu verfüge. In der Begründung macht er geltend,
jedenfalls auf Grund eines Invaliditätsgrades von 20% umschulungs- und
arbeitsvermittlungsberechtigt zu sein.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Auf Grund der Parteivorbringen ist streitig, ob der Beschwerdeführer Anspruch
auf Invalidenrente, Umschulung und Arbeitsvermittlung hat.

Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die Arbeitsunfähigkeit (Art.
6 ATSG), Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), Invalidität (Art. 8 ATSG, Art. 4
Abs. 1 IVG) und Ermittlung des Invaliditätsgrades (Art. 16 ATSG) sowie die
Rechtsgrundlagen zu Voraussetzungen und Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28
Abs. 1 und 1bis in der alten [bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen] wie
auch in der neuen [seit 1. Januar 2004 geltenden] Fassung) zutreffend
wiedergegeben. Richtig sind auch die Hinweise auf die Praxis zur Bemessung
des Invaliditätsgrades bei Erwerbstätigen, insbesondere der Verwendung von
Tabellenlöhnen zur Festlegung der Vergleichseinkommen (BGE 129 V 475 Erw.
4.2.1) und dem gegebenenfalls vorzunehmenden behinderungsbedingten Abzug (BGE
126 V 75) sowie zur Beweiswürdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE
122 V 157). Der vorinstanzliche Entscheid berücksichtigt schliesslich die im
Zusammenhang mit den geistigen und psychischen Gesundheitsschäden (BGE 102 V
165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen) in BGE 130 V 352 präzisierte
Rechtsprechung zu den somatoformen Schmerzstörungen. Darauf wird verwiesen.

2.
2.1 Nach den nicht zu beanstandenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid ist
zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit auf die Angaben im Gutachten der MEDAS
vom 20. November 2003 abzustellen ist, das auf umfassenden klinischen,
rheumatologischen, neurologischen und psychiatrischen Untersuchungen beruht.
Der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebrachte Einwand, die Experten
seien wegen unterbliebener Beantwortung des Fragenkataloges "des
IV-Amtsarztes" durch Dres. med. S.________, Innere Medizin FMH (Bericht vom
31. August 2002), und K.________, Spezialarzt FMH für Physikalische Medizin
und Rehabilitation (Bericht vom 19. August 2002), voreingenommen gewesen, ist
nicht stichhaltig, zumal eine zuverlässige medizinische Begutachtung die
Kenntnis der Anamnese und damit auch der Angaben anderer Ärzte voraussetzt.
Von den beantragten Abklärungen ist abzusehen. Gemäss MEDAS-Expertise
bestehen im Wesentlichen ein Verdacht auf beginnende anhaltende somatoforme
Schmerzstörung (ICD-10 F45.4), leichte Anpassungsstörung (möglich; ICD-10
F43.23), chronisches unspezifisches Panvertebralsyndrom (ICD-10 M54.0),
chronischer Spannungskopfschmerz (ICD-10 G44.2) und diskrete Periarthropathia
humeroscapularis tendopathica links (funktionell nicht limitierend). In einer
diesen Leiden angepassten, körperlich leichten bis mittelschweren Tätigkeit
ohne Zwangsposition mit der Möglichkeit zur Wechselbelastung und unter
Vermeidung von Überkopfarbeiten sei der Beschwerdeführer vollständig
arbeitsfähig; hingegen sei ihm die Berufsausübung als Maler/Gipser nicht mehr
zumutbar. Diese medizinischen Angaben sind verlässlich, weshalb darauf
abzustellen ist.

2.2 Das kantonale Gericht hat weiter mit Hinweis auf den Einspracheentscheid
der IV-Stelle die der Ermittlung des Invaliditätsgrades zu Grunde zu legenden
hypothetischen Vergleichseinkommen an Hand der Tabellenlöhne der
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2000 des Bundesamtes für Statistik
(BFS) festgelegt, wobei sie die im letztinstanzlichen Verfahren wiederholten
Vorbringen gegen die von der Verwaltung ermessensweise vorgenommene
Herabsetzung des Invalidenlohnes um 10% mit einlässlicher Begründung
entkräftet hat. Gemäss Tabelle TA1, Total, Anforderungsniveau 4, Männer der
LSE 2000 beträgt das statistische Durchschnittseinkommen monatlich Fr.
4'437.-, welches auf ein Jahr hochzurechnen, an die im Jahre 2002
betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit (41,7 Stunden; Statistisches
Jahrbuch der Schweiz, BFS, S. 200, T3.2.3.5, Total) sowie die
Nominallohnentwicklung (2000: 106,9 Punkte; 2002: 111,5 Punkte;
Lohnentwicklung 2002, BFS, S. 30, T1.93, Total) anzupassen und um 10%
herabzusetzen ist (Fr. 52'105.80).

2.3 Hinsichtlich Ermittlung des Valideneinkommens fällt auf, dass der
Beschwerdeführer gemäss Arbeitgeberbericht der Einzelfirma P.________ vom 19.
Mai 2002 (wo der Versicherte letztmals im Jahre 2000 arbeitete), dem im
Verwaltungsverfahren eingereichten Arbeitsvertrag mit der Einzelfirma
O.________ vom 27. Mai 1993 und nach den IK-Einträgen der Jahre 1995 und 1996
Verdienste erzielt hat, die teilweise deutlich über den von der Vorinstanz
herangezogenen statistischen Durchschnittswerten (LSE 2000, TA1, Baugewerbe,
Anforderungsniveaus 4, Männer) lagen. Auch ein Vergleich mit dem im
Bundesratsbeschluss vom 29. August 2000 allgemein verbindlich erklärten Art.
9.3 des Rahmenvertrages für das Maler- und Gipsergewerbe vom 29. Februar
2000, worin die Sockellöhne (Mindestlöhne) der in Art. 9.1 definierten
Arbeitnehmerkategorien bestimmt werden, bestätigt, dass der Beschwerdeführer
eher im Bereich eines Berufsarbeiters (Kategorie B) oder gelernten
Berufsarbeiters ab zwei Jahren Berufserfahrung (Kategorie A) entlöhnt wurde.
Zudem schloss der Versicherte laut eigenen Angaben im ehemaligen Jugoslawien
eine Lehre als Gipser/Maler ab und arbeitete danach ab 1967 stets in diesem
Beruf in der Schweiz, weshalb anzunehmen ist, dass er auf Grund der im Laufe
der Jahre gewonnenen Erfahrungen im Gesundheitsfall nicht bloss als
Hilfskraft eingesetzt, sondern qualifiziertere, besser bezahlte Aufgaben
erfüllen würde.

Entsprechend dem Gesagten ist zur Bestimmung des Valideneinkommens
naheliegenderweise (Art. 132 lit. a OG; BGE 126 V 81 Erw. 6, 123 V 152 Erw.
2) auf den Durchschnittswert im Anforderungsniveau 3 (Berufs- und
Fachkenntnisse vorausgesetzt) der TA1, LSE 2000, Baugewerbe, Männer (Fr.
5'065.-) abzustellen, was zu einem Jahreslohn von Fr. 60'780.- führt.
Angepasst an die im Jahre 2002 betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit (41,9
Stunden; Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2004, BFS, S. 200, T3.2.3.5,
Baugewerbe) sowie an die Nominallohnentwicklung (2000: 106,5 Punkte; 2002:
111,2 Punkte; Lohnentwicklung 2002, BFS, S. 30, T1.93, Baugewerbe) lässt sich
ein mutmasslicher Verdienst im Gesundheitsfall von Fr. 66'476.80 ermitteln.
Dem Invalidenlohn (Fr. 52'105.80) gegenübergestellt, ergibt sich ein
Invaliditätsgrad von 21,6%, womit die für den Rentenanspruch vorausgesetzte
leistungsspezifische Invalidität von 40% (Art. 28 Abs. 1 IVG) nicht erreicht
wird. Der angefochtene Entscheid ist daher im Ergebnis zu bestätigen.

3.
Was die beantragten beruflichen Massnahmen (Umschulung, Arbeitsvermittlung)
anbelangt, hat die IV-Stelle im Einspracheentscheid vom 8. April 2004
festgestellt, dass der Beschwerdeführer ausweislich der Akten einer
Arbeitsaufnahme ablehnend gegenüberstand. Auch wenn diese Haltung auf die im
Rahmen der MEDAS-Untersuchungen bestätigte Selbstlimitierung zurückzuführen
ist, welche durch die subjektive Krankheitsüberzeugung entsteht und die
ebenfalls geäusserte Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme als unrealistisch
erscheinen lässt,  besteht bei dieser Sachlage infolge mangelnder
Eingliederungsfähigkeit kein Anspruch auf berufliche Massnahmen (Art. 8 Abs.
1 IVG; AHI 2002 S. 108; ZAK 1991 S. 178 mit Hinweisen).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 15. März 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: