Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 61/2004
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Prozess {T 7}
I 61/04

Urteil vom 20. September 2006

I. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Ursprung, Schön,  Borella und Frésard;
Gerichtsschreiberin Berger Götz

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdeführerin,

gegen

S.________, Beschwerdegegnerin, Erbin des D.________, 1939, gestorben am
15. Dezember 2005, vertreten durch den Procap, Schweizerischer
Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 10. Dezember 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1939 geborene D.________ wurde am 9. November 2000 durch seine Ehefrau,
S.________, unter Hinweis auf eine seit 1. April 1999 bestehende
Alzheimer-Erkrankung zum Bezug einer Rente bei der Invalidenversicherung
angemeldet. Mit Verfügung vom 13. Juli 2001 verneinte die IV-Stelle des
Kantons Aargau den Rentenanspruch, da D.________ vor Eintritt der
gesundheitlichen Einschränkung Privatier gewesen sei, weshalb keine
Invalidität im Sinne des Gesetzes vorliege. Dieser Verwaltungsakt erwuchs
unangefochten in Rechtskraft. Auf ein sinngemäss gestelltes
Wiedererwägungsgesuch vom 24. September 2001 trat die IV-Stelle nicht ein
(Mitteilung vom 7. Januar 2002). Eine neue Anmeldung vom 23. Mai 2002
interpretierte die IV-Stelle ebenfalls als Wiedererwägungsgesuch und teilte
am 29. Mai 2002 mit, dass sie darauf nicht eintrete. Am 14. November 2002
liess D.________ um Wiedererwägung der Verfügung vom 13. Juli 2001 ersuchen
und geltend machen, dass sich sein Gesundheitszustand seither erheblich
verschlechtert habe. Die IV-Stelle trat auf das Wiedererwägungsgesuch nicht
ein und führte weiter aus, die geltend gemachte Verschlechterung sei ohne
Bedeutung, weil der Gesundheitszustand schon im Jahr 1999 zu einer
Erwerbsunfähigkeit von mehr als 66 2/3 % geführt habe (Mitteilung vom 23. Mai
2003). Auf das Ersuchen des Versicherten vom 8. Juli 2003 hin lehnte sie es
ausdrücklich ab, ihren Nichteintretensbescheid in der Form einer anfechtbaren
Verfügung zu erlassen (Schreiben vom 8. August 2003).

B.
In Gutheissung der von D.________ erhobenen Rechtsverweigerungsbeschwerde
wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die IV-Stelle mit Entscheid
vom 10. Dezember 2003 an, über das Wiedererwägungsgesuch und die Neuanmeldung
zu verfügen (Dispositivziffer 1); soweit mit der Beschwerde mehr oder anderes
verlangt werde, werde darauf nicht eingetreten (Dispositivziffer 2), und die
IV-Stelle werde verpflichtet, D.________ die Parteikosten im Umfang von Fr.
2105.- zu ersetzen (Dispositivziffer 4).

C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag,
Dispositivziffern 1 und 4 des kantonalen Gerichtsentscheides seien aufzuheben
und es sei festzustellen, dass über das Wiedererwägungsgesuch und die
Neuanmeldung keine "beschwerdefähigen Verfügungen" zu erlassen seien.

D. ________ und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf
eine Vernehmlassung.

D.
Am 15. Dezember 2005 ist D.________ verstorben. Einzige Erbin ist seine
Ehefrau S.________. Sie hat die Erbschaft angetreten.

E.
Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat am 20. September 2006 eine
parteiöffentliche Beratung durchgeführt.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Am 1. Januar 2003 sind das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) und die Verordnung über
den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSV) vom 11. September
2002 in Kraft getreten. Mit ihnen sind unter anderem auch im
Invalidenversicherungsrecht verschiedene materiell- und verfahrensrechtliche
Bestimmungen geändert worden. Die verfahrensrechtlichen Neuerungen sind
mangels gegenteiliger Übergangsbestimmungen mit dem Tag des Inkrafttretens
sofort und in vollem Umfang anwendbar (vgl. BGE 129 V 115 Erw. 2.2, 117 V 93
Erw. 6b, 112 V 360 Erw. 4a; RKUV 1998 Nr. KV 37 S. 316 Erw. 3b).

2.2 Gemäss Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 ist am 1. Juli 2006 eine
Änderung des IVG in Kraft getreten. Mit dieser Novelle ist das
Einspracheverfahren im Bereich der Invalidenversicherung aufgehoben und durch
das frühere, vor Inkrafttreten von ATSG und ATSV geltende
Vorbescheidverfahren ersetzt worden. Dies bedeutet, dass gegen eine Verfügung
der IV-Stelle nicht mehr Einsprache erhoben werden kann, sondern direkt eine
Beschwerde an das kantonale Versicherungsgericht eingereicht werden muss
(Art. 69 Abs. 1 IVG in der ab 1. Juli 2006 geltenden Fassung). Nach Ziff. II
lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im
Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Eidgenössischen
Versicherungsgericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die
hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen
Versicherungsgericht hängig war, ist diese Neuerung im vorliegenden Verfahren
nicht anwendbar.

2.3 Der beschwerdegegnerische Vorwurf der Rechtsverweigerung knüpft an die
nicht in Verfügungsform erlassene Mitteilung der IV-Stelle vom 23. Mai 2003
und die nachmalige Weigerung, anfechtbare Verfügungen zu erlassen, an. Die in
ATSG und ATSV enthaltenen und die gestützt darauf in den Spezialgesetzen auf
den 1. Januar 2003 geänderten Verfahrensbestimmungen gelangen daher im
vorliegenden Fall zur Anwendung.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die IV-Stelle auf das Wiedererwägungsgesuch
vom 14. November 2002 und den im gleichen Schreiben geäusserten Hinweis auf
die Verschlechterung des Gesundheitszustandes hin hätte verfügen müssen.

3.1 Das kantonale Gericht hat erwogen, es handle sich bei der Eingabe vom 14.
November 2002 einerseits um ein Wiedererwägungsgesuch und andererseits um
eine Neuanmeldung. Sofern die betroffene Person eine Verfügung verlange, habe
die Verwaltung, auch wenn sie auf das Wiedererwägungsgesuch nicht eintreten
wolle, mit Blick auf Art. 49 Abs. 1 und Art. 51 ATSG eine
(Nichteintretens-)Verfügung zu erlassen. Gleich verhalte es sich bezüglich
der geltend gemachten Verschlechterung des Gesundheitszustandes: Sei die
IV-Stelle der Ansicht, der Versicherte habe nicht glaubhaft dargetan, dass
sich die tatsächlichen Verhältnisse in einer für den Anspruch erheblichen
Weise geändert hätten, so müsse sie eine weitere (Nichteintretens-)Verfügung
erlassen.

3.2 Die IV-Stelle führt aus, es bestehe nach wie vor kein durchsetzbarer
Rechtsanspruch auf die Behandlung einer Wiedererwägung. Somit müsse auch ein
Anspruch auf Erlass einer anfechtbaren Verfügung verneint werden.
Verfügungen, mit denen das Eintreten auf ein Wiedererwägungsgesuch abgelehnt
werde, seien, wie sich aus Erw. 2 des Urteils N. vom 14. Juli 2003, C 7/02
(publiziert in: SVR 2004 ALV Nr. 1 S. 2), ergebe, weiterhin - auch unter der
Geltung von Art. 53 Abs. 2 ATSG - nicht anfechtbar. Darum bleibe für Art. 49
Abs. 1 und Art. 51 Abs. 2 ATSG entgegen der Auffassung der Vorinstanz kein
Raum. Die Verwaltung könne folglich nicht dazu verhalten werden, eine
anfechtbare Verfügung zu erlassen.

4.
4.1 Art. 53 Abs. 2 ATSG schreibt vor, dass ein Versicherungsträger auf formell
rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen kann, wenn
diese zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher
Bedeutung ist. Diese Bestimmung wurde in Anlehnung an die bis zum
Inkrafttreten des ATSG von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (BGE 127
V 469 Erw. 2c mit Hinweisen) erlassen. Dabei wird in Übereinstimmung mit
Lehre und Rechtsprechung das Zurückkommen auf formell rechtskräftige
Verfügungen oder Einspracheentscheide beim Fehlen eigentlicher
Revisionsgründe weiterhin in das Ermessen des Versicherungsträgers gelegt
(vgl. BBl 1991 II 262). Die bisherige Rechtsprechung, wonach kein gerichtlich
durchsetzbarer Anspruch auf Wiedererwägung besteht (BGE 117 V 12 Erw. 2a mit
Hinweisen; vgl. auch BGE 119 V 479 Erw. 1b/cc), ist, wie die IV-Stelle
letztinstanzlich unter Hinweis auf SVR 2004 ALV Nr. 1 S. 2, Erw. 2, zu Recht
geltend macht, in Art. 53 Abs. 2 ATSG gesetzlich verankert worden (Ueli
Kieser, ATSG-Kommentar, Kommentar zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil
des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000, Zürich 2003, Rz 22 zu Art.
53). Damit ist aber entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin für den
vorliegend zu beurteilenden Fall noch nicht beantwortet, ob sie auf das
Schreiben des Versicherten vom 14. November 2002 verfügungsweise hätte
reagieren müssen.

4.1.1 Nach Art. 49 Abs. 1 ATSG hat der Versicherungsträger über Leistungen,
Forderungen und Anordnungen, die erheblich sind oder mit denen die betroffene
Person nicht einverstanden ist, schriftlich Verfügungen zu erlassen.
Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die nicht unter Art. 49 Abs. 1 ATSG
fallen, können gemäss Art. 51 Abs. 1 ATSG in einem formlosen Verfahren
behandelt werden; Art. 51 Abs. 2 ATSG räumt der betroffenen Person die
Möglichkeit ein, den Erlass einer Verfügung zu verlangen. Im
Invalidenversicherungsbereich enthält Art. 74ter IVV einen Katalog von
Leistungen, welche formlos zugesprochen werden können. Damit diese
Ausführungsbestimmung eine gesetzliche Grundlage hat, wurde in Art. 58 IVG
eine Abweichung vom ATSG statuiert. In der genannten Gesetzesbestimmung wird
dem Bundesrat die Befugnis eingeräumt, in Abweichung von Art. 49 Abs. 1 ATSG
auch für bestimmte erhebliche Leistungen das formlose Verfahren nach Art. 51
ATSG vorzusehen (Bericht der Kommission des Nationalrates für soziale
Sicherheit und Gesundheit vom 26. März 1999, BBl 1999 V 4606 f.). In diesen
Fällen macht die IV-Stelle den Versicherten darauf aufmerksam, dass er den
Erlass einer Verfügung verlangen kann, wenn er mit dem nach Art. 74ter IVV
gefassten Beschluss nicht einverstanden ist (Art. 74quater IVV).

4.1.2 Der Begriff der Verfügung bestimmt sich mangels näherer Konkretisierung
in Art. 49 Abs. 1 ATSG nach Massgabe von Art. 5 Abs. 1 VwVG (vgl. Art. 55
ATSG; siehe auch Kieser, a.a.O., Rz 2 zu Art. 49). Als Verfügungen im Sinne
von Art. 5 Abs. 1 VwVG gelten Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die
sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (oder richtigerweise hätten
stützen sollen; BGE 116 Ia 266 Erw. 2a) und zum Gegenstand haben: Begründung,
Änderung oder Aufhebung von Rechten oder Pflichten (lit. a), Feststellung des
Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten oder Pflichten (lit. b),
Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung
von Rechten oder Pflichten, oder Nichteintreten auf solche Begehren (lit. c;
BGE 124 V 20 Erw. 1, 123 V 296 Erw. 3a, je mit Hinweisen).

4.1.3 Das Begriffspaar Leistungen und Forderungen in Art. 49 Abs. 1 und Art.
51 Abs. 1 ATSG entspricht den Rechten und Pflichten gemäss Art. 5 Abs. 1 lit.
a VwVG (Kieser, a.a.O., Rz 4 zu Art. 49), während Art. 5 Abs. 1 lit. b und c
VwVG (Erw. 4.1.2 hiervor) eine Aufzählung von Anordnungen enthält (zur
Bedeutung der Anordnung: Kieser, a.a.O., Rz 5 ff. zu Art. 49). Es ist auch
unter der Geltung des ATSG ins Ermessen des Versicherungsträgers gestellt,
auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide
zurückzukommen (Art. 53 Abs. 2 ATSG; Erw. 4.1 hiervor). Da somit kein
Anspruch auf Wiedererwägung besteht, stellt das Nichteintreten auf ein
Wiedererwägungsgesuch keine Leistung im Sinne von Art. 49 Abs. 1 oder Art. 51
Abs. 1 ATSG dar (womit die im Invalidenversicherungsrecht für bestimmte
erhebliche Leistungen geltende Sonderregel [Art. 58 IVG in Verbindung mit
Art. 74ter und 74quater IVV; Erw. 4.1.1 hiervor] nicht zur Anwendung kommt).
Im Streitfall ginge es nämlich einzig um die formelle Frage des Eintretens
oder Nichteintretens auf das Wiedererwägungsgesuch. Ob der
Versicherungsträger mit dem Nichteintreten auf ein Wiedererwägungsgesuch eine
Anordnung (im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. c in fine VwVG) trifft, über
welche er bei Erheblichkeit oder wenn die betroffene Person nicht
einverstanden ist (Art. 49 Abs. 1 ATSG), sowie in den Fällen nach Art. 51
Abs. 1 ATSG, falls es die betroffene Person verlangt (Art. 51 Abs. 2 ATSG),
eine Verfügung zu erlassen hat, kann vorliegend allerdings offen bleiben (es
ist immerhin darauf hinzuweisen, dass die bisherige Rechtsprechung an der
Verfügungsqualität nicht gezweifelt hat : BGE 117 V 13 Erw. 2a). Selbst wenn
nämlich davon ausgegangen wird, dass das Nichteintreten auf ein
Wiedererwägungsgesuch als Verfügung zu qualifizieren ist, besteht jedenfalls
keine Möglichkeit, dieses Verwaltungshandeln mit Einsprache anzufechten, wie
sich nachfolgend (Erw. 4.2 hiernach) zeigt.

4.2 Durch das Inkrafttreten des ATSG wurde das Einspracheverfahren, welches
bisher nur im Kranken-, Unfall- und Militärversicherungsbereich verankert
war, auf alle Sozialversicherungszweige (mit Ausnahme der beruflichen
Vorsorge) ausgedehnt. Nach Art. 52 Abs. 1 ATSG kann gegen Verfügungen
innerhalb von 30 Tagen bei der verfü-genden Stelle Einsprache erhoben werden;
davon ausgenommen sind prozess- und verfahrensleitende Verfügungen. Gegen
Einspracheentscheide oder Verfügungen, gegen welche eine Einsprache
ausgeschlossen ist, kann Beschwerde erhoben werden (Art. 56 Abs. 1 ATSG).

4.2.1 Das Zurückkommen auf formell rechtskräftige Verfügungen oder
Einspracheentscheide beim Fehlen eigentlicher Revisionsgründe liegt weiterhin
im Ermessen des Versicherungsträgers (Art. 53 Abs. 2 ATSG als
"Kann-Vorschrift", vgl. Erw. 4.1 hiervor; Bericht der Kommission des
Ständerates zur Parlamentarischen Initiative Allgemeiner Teil
Sozialversicherung vom 27. September 1990, BBl 1991 II 262). Die bisherige
Rechtsprechung, wonach kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf
Wiedererwägung besteht, gilt nach wie vor (SVR 2004 ALV Nr. 1 S. 2 Erw. 2;
Urteil G. vom 22. Februar 2005, U 463/04). Auf eine Beschwerde gegen ein
Nichteintreten auf ein Wiedererwägungsgesuch oder allenfalls gegen einen das
Nichteintreten bestätigenden Einspracheentscheid der Verwaltung kann das
Gericht demzufolge auch unter der Geltung des ATSG nicht eintreten. Art. 56
Abs. 1 ATSG weist auf diese Ausnahme vom Beschwerderecht zwar nicht
ausdrücklich hin. Sie ergibt sich aber ohne weiteres aus dem Umstand, dass
das Eintreten auf ein Wiedererwägungsgesuch im Ermessen des
Versicherungsträgers liegt (Art. 53 Abs. 2 ATSG).

4.2.2 Wird angenommen, dass das Nichteintreten auf ein Wiedererwägungsgesuch
den Verfügungsbegriff erfüllt (Erw. 4.1.2 hiervor), so muss auf Grund des
Wortlautes von Art. 52 Abs. 1 ATSG davon ausgegangen werden, dass dagegen
eine Einsprache zulässig ist. Das Einspracheverfahren ist zwar ein
rechtsmittelmässiger Prozess, wird aber, weil es sich bei der Einsprache um
ein nicht devolutives Rechtsmittel handelt, nicht beim iudex ad quem, sondern
bei der verfügenden Verwaltung durchgeführt (Gygi,
Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 33; Kölz/Häner,
Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich
1998, S. 169 Rz 464 f.). Der Einspracheentscheid tritt alsdann an die Stelle
der Verfügung. Verfügungs- wie auch Einspracheverfahren gehören zur
verwaltungsinternen Rechtspflege.

Zu berücksichtigen ist allerdings, dass ein Wiedererwägungsgesuch bezweckt,
die Verwaltung zu einer nochmaligen Prüfung formell rechtskräftiger
Verfügungen oder Einspracheentscheide zu veranlassen. Lehnt sie dies - durch
Nichteintreten auf das Gesuch - ab, so könnte mit einer Einsprache dagegen
lediglich verlangt werden, der Versicherungsträger solle prüfen, ob er
tatsächlich nicht auf das Wiedererwägungsgesuch eintreten wolle. Ein Anspruch
auf Wiedererwägung entsteht daraus nicht, weil der Entscheid über die
Vornahme der Wiedererwägung auf jeden Fall im Ermessen der Verwaltung bleibt
(Art. 53 Abs. 2 ATSG). Der ablehnende Einspracheentscheid würde zudem keine
definitive Klärung der Streitfrage bringen. Die Wiedererwägung wird auf
Gesuch oder von Amtes wegen vorgenommen. Eine zeitliche Befristung besteht
nicht. Demgemäss wäre es möglich, unmittelbar nach Erlass eines ablehnenden
Einspracheentscheides ein neues Wiedererwägungsgesuch zu stellen, ohne dass
die Verwaltung der gesuchstellenden Person entgegenhalten könnte, mit dem
Einspracheentscheid sei eine res iudicata geschaffen worden. Die
Einsprachefrist von 30 Tagen gemäss Art. 52 Abs. 1 ATSG bliebe überdies ohne
jegliche Wirkung. Würde die gesuchstellende Person die 30-tägige Frist
verpassen, könnte sie jederzeit ein neues Wiedererwägungsgesuch stellen.
Selbst vor Erlass eines Einspracheentscheides über die Frage des Eintretens
auf ein Wiedererwägungsgesuch wäre ein erneutes Wiedererwägungsgesuch
möglich. Das Einspracheverfahren führt mit anderen Worten nicht zu einer
Entscheidung, welche die Frage der Wiedererwägung formell rechtskräftiger
Verfügungen oder Einspracheentscheide in verbindlicher Form beantworten
könnte. Wird das Zurückkommen mit Einspracheentscheid abgelehnt, schliesst
dies nämlich keineswegs aus, dass die Verwaltung zu einem späteren Zeitpunkt
von Amtes wegen oder auf erneutes Gesuch hin eine Wiedererwägung formell
rechtskräftiger Verfügungen oder Einspracheentscheide vornimmt. Unter diesen
Umständen, insbesondere mit Blick darauf, dass es jederzeit, ohne Bindung an
Fristen, möglich ist, ein neues Wiedererwägungsgesuch zu stellen, macht ein
Einspracheverfahren keinen Sinn. Eine Einsprachemöglichkeit gegen ein
Nichteintreten auf ein Wiedererwägungsgesuch ist demgemäss abzulehnen.

4.3 Die IV-Stelle hat sich in ihrem Schreiben vom 8. August 2003, mit welchem
sie den Erlass einer (anfechtbaren) Verfügung verweigert, auf Rz 3013 des vom
BSV herausgegebenen Kreisschreibens über die Rechtspflege in der AHV, der IV,
der EO und bei den EL (in der ab 1. Januar 2003 geltenden Fassung) berufen.
Darin wird angegeben, die nach summarischer Prüfung auf ein
Wiedererwägungsgesuch nicht eintretende Durchführungsstelle habe dies der
versicherten Person in einfacher Briefform ohne Rechtsmittelbelehrung und in
der Regel ohne eingehende Begründung bekannt zu geben. Dieser Abschnitt des
Kreisschreibens erweist sich mit Blick auf das Gesagte als richtig.

5.
Im beschwerdegegnerischen Schreiben vom 14. November 2002 wird ausserdem auf
die Verschlechterung des Gesundheitszustandes hingewiesen. Rechtlich handelt
es sich dabei um eine Neuanmeldung.

5.1 Hat sich eine Person vor Inkrafttreten von ATSG und ATSV nach
vorausgegangener rechtskräftiger Leistungsverweigerung neu angemeldet, musste
die Verwaltung sowohl bei nunmehriger Leistungszusprechung als auch bei
erneuter Ablehnung eines Anspruchs nach materieller Prüfung und beim
Nichteintreten zufolge fehlender Glaubhaftmachung einer erheblichen
Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne von Art. 87 Abs. 3 IVV
(in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) und Art. 87 Abs. 4
IVV stets eine Verfügung erlassen. Denn es ging in diesen Fällen immer um
Rechte und Pflichten gemäss Art. 75 Abs. 1 IVV (in Kraft bis 31. Dezember
2002). Ausserdem stand die Anfechtbarkeit einer solchen Verfügung nie zur
Diskussion. An dieser Rechtslage hat sich unter der Geltung von ATSG und ATSV
nichts geändert. Ist die betroffene Person nicht einverstanden, muss über
bestrittene Leistungen verfügt werden (Art. 49 Abs. 1 und Art. 51 Abs. 2
ATSG; formlos können erhebliche Leistungen unter den in Art. 74ter IVV
genannten Voraussetzungen zugesprochen werden [Erw. 4.1.1 hiervor]).

5.2 Unter diesen Umständen durfte die IV-Stelle den Erlass einer Verfügung
bezüglich der Neuanmeldung nicht vorenthalten. Daran ändert nichts, dass sie
die vom Versicherten geltend gemachte Verschlechterung des
Gesundheitszustandes bezüglich eines allfälligen Leistungsanspruchs als
belanglos einschätzt.

6.
Bei dieser Rechtslage hat die Vorinstanz die IV-Stelle mit Entscheid vom 10.
Dezember 2003 zu Recht angewiesen, über die Neuanmeldung zu verfügen.
Hingegen durfte das kantonale Gericht die Verwaltung nicht anhalten, über das
Wiedererwägungsgesuch vom 14. November 2002 eine anfechtbare Verfügung zu
erlassen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 10. Dezember 2003
insoweit aufgehoben, als darin eine Anordnung über das Wiedererwägungsgesuch
getroffen wird. Im Übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wird über eine Neuverlegung der
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der Ausgleichskasse des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 20. September 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der I. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: