Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 618/2004
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Prozess {T 7}
I 618/04

Urteil vom 20. September 2006

I. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Ursprung, Bundesrichterin
Widmer und Bundesrichter Frésard; Gerichtsschreiberin Hofer

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdeführerin,

gegen

G.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Dr. iur. Fredi
Hänni, Spitalgasse 26, 3001 Bern

Verwaltungsgericht des Kantons Bern

(Entscheid vom 10. August 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1955 geborene G.________ meldete sich am 24. Oktober 2000 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern klärte die
medizinischen und erwerblichen Verhältnisse ab. Dazu veranlasste sie unter
anderem eine berufliche Abklärung in der Stiftung Y.________ (vgl.
Abklärungsbericht vom 5. November 2001). Am 28. Januar 2002 ordnete die
IV-Stelle eine Expertise durch die Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) am
Spital X.________ an. Diese wurde am 23. Juni 2003 erstattet. Gestützt darauf
verneinte die Verwaltung mit Verfügung vom 1. September 2003 mangels
leistungsbegründender Invalidität einen Anspruch auf Invalidenrente. Der
Versicherte erhob dagegen Einsprache. In der Einspracheergänzung wies er
darauf hin, er habe bisher nicht Einsicht in das MEDAS-Gutachten nehmen
können. Zudem beantragte er die Neubeurteilung durch einen mit der Sache
bisher nicht befassten Sachverständigen für Gefässerkrankungen. Mit
Einspracheentscheid vom 24. März 2004 hielt die IV-Stelle, ohne dem
Versicherten vorgängig das MEDAS-Gutachten vom 23. Juni 2003 eröffnet zu
haben, am Standpunkt fest, wonach dieses eine zuverlässige Beurteilung des
streitigen Rechtsanspruchs gestatte und ein Anspruch auf Invalidenrente nicht
ausgewiesen sei.

B.
G.________ liess dagegen Beschwerde führen, nachdem sein Rechtsvertreter bei
der IV-Stelle um Aktenzustellung ersucht hatte, welche ihm am 8. April 2004
gewährt worden war. Nebst der Zusprechung einer Invalidenrente in gerichtlich
zu bestimmendem Umfang liess er eventualiter beantragen, es sei die Sache zur
weiteren Abklärung an die Verwaltung zurückzuweisen. Das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern ging von einer schwerwiegenden Verletzung der Gehörs- und
Mitwirkungsrechte im Abklärungs- und Einspracheverfahren aus, welche keiner
Heilung im Beschwerdeverfahren zugänglich sei. Mit Entscheid vom 10. August
2004 hob es den angefochtenen Einspracheentscheid auf und wies die Sache zum
weiteren Vorgehen im Sinne der Erwägungen an die Verwaltung zurück.

C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der
vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.

G. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Eventuell seien der kantonale Gerichtsentscheid und der Einspracheentscheid
aufzuheben und es sei ihm ab wann rechtens eine Invalidenrente in gerichtlich
zu bestimmendem Umfang zuzusprechen, zuzüglich Zins zu 5%; subeventuell sei
die Sache zur ergänzenden Abklärung an die IV-Stelle zurückzuweisen. Das
Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliesst auf Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Der Beschwerdegegner äussert sich dazu in
einer nachträglich eingereichten Stellungnahme.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidgenössische Versicherungsgericht
letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne
von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG auf dem Gebiet der Sozialversicherung. Im
verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur
Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen, zu denen die zuständige
Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung
genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise
weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem
Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und
insoweit keine Verfügung ergangen ist (BGE 125 V 414 Erw. 1a, 119 Ib 36
Erw. 1b, je mit Hinweisen).

1.2 Die Vorinstanz hat die Sache im Sinne der Erwägungen an die
Beschwerdeführerin zurückgewiesen, damit sie nachträglich das rechtliche
Gehör gewähre, indem sie dem Versicherten Gelegenheit einräume, zum
MEDAS-Gutachten Stellung zu nehmen und dessen Erläuterung oder Ergänzung oder
allenfalls eine neue Begutachtung zu beantragen. Streitgegenstand im
nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren bildet daher
einerseits die Zulässigkeit der Rückweisung als solche und anderseits die
Verbindlichkeit der mit dem Entscheid verbundenen Weisungen.

1.3 Der Beschwerdegegner hat den kantonalen Entscheid nicht innerhalb der
Frist von 30 Tagen gemäss Art. 106 Abs. 1 OG durch
Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten. Er kann deshalb im
letztinstanzlichen Verfahren kein Begehren im Sinne eines Antrages stellen,
der über den durch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde bestimmten
Streitgegenstand hinausgeht (BGE 124 V 155 Erw. 1). Das Begehren des
Beschwerdegegners, es sei ihm eine Invalidenrente zuzusprechen und eventuell
die Sache zur ergänzenden Abklärung des medizinischen Sachverhalts an die
Verwaltung zurückzuweisen, liegt ausserhalb des massgebenden
Verfahrensgegenstandes. Darauf ist nicht einzutreten.

2.
2.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten.
Dessen Bestimmungen sind gemäss Art. 2 ATSG auf die bundesgesetzlich
geregelten Sozialversicherungen anwendbar, wenn und soweit die einzelnen
Sozialversicherungsgesetze es vorsehen, was für die Invalidenversicherung
zutrifft (Art. 1 Abs. 1 IVG). Gemäss Art. 82 Abs. 1 Satz 1 ATSG sind dessen
materielle Bestimmungen auf die beim In-Kraft-Treten laufenden Leistungen und
festgesetzten Forderungen nicht anwendbar. Wie es sich - vom kantonalen
Verfahrensrecht abgesehen - mit der intertemporalrechtlichen Anwendbarkeit
der formellen Vorschriften verhält, lässt sich dem ATSG nicht entnehmen. Nach
der Rechtsprechung sind neue Verfahrensvorschriften mangels anders lautender
Übergangsbestimmungen mit dem Tag des In-Kraft-Tretens sofort und in vollem
Umfang anwendbar (RKUV 1998 Nr. KV 37 S. 316 Erw. 3b mit Hinweisen). Die
allgemeinen Verfahrensbestimmungen des 4. Kapitels des ATSG (Art. 27-62)
treten somit grundsätzlich sofort in Kraft. Der intertemporalrechtliche
Grundsatz der sofortigen Anwendbarkeit gilt dort nicht, wo hinsichtlich des
verfahrensrechtlichen Systems zwischen altem und neuem Recht keine
Kontinuität besteht und mit dem neuen Recht eine grundlegend neue
Verfahrensordnung geschaffen worden ist (BGE 130 V 4 Erw. 3.2, 129 V 115 Erw.
2.2, 112 V 360 Erw. 4a; RKUV 1998 Nr. KV 37 S. 316 Erw. 3b; SVR 1995 MV Nr. 4
S. 12 Erw. 2b).

2.2 Im Zusammenhang mit dem Abklärungsverfahren vor den IV-Stellen hat das
ATSG keine gänzlich neuen rechtlichen Strukturen geschaffen, weshalb die
neuen Verfahrensvorschriften grundsätzlich mit dem Tag des In-Kraft-Tretens
sofort anwendbar sind. Die Kontinuität des alten und neuen
verfahrensrechtlichen Systems und damit die sofortige und umfassende
Anwendbarkeit des neuen Prozessrechts ist indessen in dem Sinne zu
relativieren, als neues Recht nicht auf alle im Zeitpunkt seines
In-Kraft-Tretens noch hängigen Verfahren Anwendung findet. Dabei ist
bezüglich der verfahrensrechtlichen Neuerungen des ATSG auf den Zeitpunkt
abzustellen, in welchem sich die strittige Verfahrensfrage stellt oder
darüber entschieden wurde. Liegt der Streitgegenstand in diesem Sinne vor dem
1. Januar 2003, ist gestützt auf die altrechtlichen Bestimmungen zu befinden.
Ein unter den alten Verfahrensvorschriften eingeleitetes
Administrativverfahren nimmt sodann unter der Hoheit des neuen Rechts seinen
Fortgang, ohne dass deswegen bereits getroffene Anordnungen, welche
unangefochten geblieben sind oder bisher nicht angefochten werden konnten,
nach den Regeln des neuen Rechts neu aufzurollen wären (Urteil R. vom
25. August 2004, I 570/03; Petra Fleischanderl, Rechtsprechung des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts zu dem auf den 1. Januar 2003 in Kraft
getretenen Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts [ATSG] vom 6. Oktober 2000 und dessen
Ausführungsverordnung vom 11. September 2002 [Verordnung über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts, ATSV]), in: ZBJV 140/2004 S. 749).

3.
3.1 Die Vorinstanz hat den Rückweisungsentscheid im Wesentlichen damit
begründet, die Gehörs- und Mitwirkungsrechte im Zusammenhang mit der
Einholung von Gutachten seien auch unter der Herrschaft des ATSG vor Erlass
der Verfügung und nicht erst im Einspracheverfahren zu gewähren. Die
IV-Stelle habe das MEDAS-Gutachten vom 23. Juni 2003 eingeholt, ohne dem
Versicherten vor Verfügungserlass Gelegenheit gegeben zu haben, sich zu den
Fragen an die Begutachtungsstelle zu äussern und nachträglich zum Gutachten
Stellung zu nehmen und dessen Erläuterung oder Ergänzung sowie eine neue
Begutachtung zu beantragen. Da das Gutachten die ausschlaggebende Grundlage
für die Beurteilung der medizinischen Verhältnisse des Streitfalles bilde,
liege eine schwerwiegende Verletzung der Gehörs- und Mitwirkungsrechte vor,
bei welcher eine Heilung im Beschwerdeverfahren ausgeschlossen sei.

3.2 Demgegenüber stellt sich die IV-Stelle in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf den Standpunkt, das ATSG enthalte keine
Bestimmung, welche die Versicherungsträger verpflichten würde, ein Gutachten
der versicherten Person vor Erlass der Leistungsverfügung zuzustellen.
Abgesehen davon finde Art. 44 ATSG auf Gutachtenaufträge an eine Institution
wie beispielsweise die MEDAS keine Anwendung.

4.
4.1 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches
Gehör. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits
stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines
Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung einer Person eingreift. Dazu
gehört insbesondere deren Recht, sich vor Erlass des in ihre Rechtsstellung
eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise
beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen
gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder
mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses
geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 129 II 504 Erw. 2.2,
127 I 56 Erw. 2b, 127 III 578 Erw. 2c, 126 V 131 Erw. 2b; zu Art. 4 Abs. 1
aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 126 I 16 Erw. 2a/aa,
124 V 181 Erw. 1a, 375 Erw. 3b, je mit Hinweisen).

4.2 Das auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretene ATSG kennt kein
Vorbescheidverfahren, wie es Art. 73bis IVV (in der bis 31. Dezember 2002
gültig gewesenen Fassung) in der Invalidenversicherung bisher vorgesehen
hatte. Auf den 1. Januar 2003 wurde deshalb u.a. Art. 73bis Abs. 1 IVV
ersatzlos aufgehoben (vgl. Änderung der Verordnung über die
Invalidenversicherung vom 11. September 2002; AS 2002 3723). Danach hatte die
IV-Stelle, bevor sie über die Ablehnung eines Leistungsbegehrens oder über
den Entzug oder die Herabsetzung einer bisherigen Leistung beschloss, der
versicherten Person oder deren Vertreter Gelegenheit zu geben, sich mündlich
oder schriftlich zur geplanten Erledigung zu äussern und die Akten ihres
Falles einzusehen (vgl. BGE 125 V 401, 124 V 180).

4.3 Der im 2. Abschnitt "Sozialversicherungsverfahren" unter der Überschrift
"Rechtliches Gehör" stehende Art. 42 ATSG hat folgenden Wortlaut: "Die
Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör. Sie müssen nicht angehört
werden vor Verfügungen, die durch Einsprache anfechtbar sind." In der
französischsprachigen Fassung lautet die Bestimmung: "Les parties ont le
droit d'être entendues. Il n'est pas nécessaire de les entendre avant une
décision sujette à opposition". Die italienischsprachige Version lautet: "Le
parti hanno il diritto di essere sentite. Non devono obbligatoriamente essere
sentite prima di decisioni impugnabili mediante opposizione". Aus dem
deutschsprachigen Text erhellt besser als aus den anderen Sprachfassungen,
dass sich die Einschränkung in Art. 42 Satz 2 ATSG lediglich auf einen
Teilgehalt des Grundsatzes des Anspruchs auf rechtliches Gehör im weiteren
Sinn bezieht. Es betrifft dies die im ATSG nicht ausdrücklich als solche
normierte Verpflichtung der Versicherungsträger, die Parteien vor Erlass der
Verfügung anzuhören. Gemäss Kieser (ATSG-Kommentar, N 20 zu Art. 42) bildet
Art. 42 Satz 2 ATSG eine Ausnahme von einem allgemein geltenden Prinzip, wie
dies auch für Art. 30 VwVG im Verhältnis zu Art. 29 VwVG der Fall ist. Er
bedauert, dass damit in verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung für die
Parteien gegenüber dem bisherigen Recht eine Verschlechterung eintritt
(a.a.O., N 21 zu Art. 42). Weitere Teilaspekte des Gehörsanspruchs werden im
ATSG durch eine Reihe von Spezialnormen geordnet. So sind etwa die
Erforderlichkeit der vorangehenden schriftlichen Mahnung bei
Leistungskürzungen (Art. 21 Abs. 4 ATSG), die vorangehende schriftliche
Mahnung bei Verletzung der Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten (Art. 43 Abs.
3 ATSG), die Mitwirkungsrechte bei Einholung eines Gutachtens (Art. 44 ATSG),
die Akteneinsicht (Art. 47 ATSG) und die Begründung der Verfügung (Art. 49
Abs. 3 ATSG) separat geregelt. Sie werden von Art. 42 Satz 2 ATSG nicht
erfasst (Kieser, a.a.O., N 22 f. zu Art. 42).

4.4 Art. 42 ATSG entspricht im Wesentlichen der Ordnung gemäss Art. 29 und
Art. 30 Abs. 2 lit. b VwVG (Kieser, a.a.O., N 1 ff. zu Art. 42). Art. 29 VwVG
räumt den Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör ein. Nach Art. 30 Abs. 2
lit. b VwVG braucht die Behörde die Parteien nicht anzuhören vor Verfügungen,
die durch Einsprache anfechtbar sind. Aus den Gesetzesmaterialien erhellt,
dass die Einschränkung, wonach die Parteien nicht angehört werden müssen vor
Verfügungen, die durch Einsprache anfechtbar sind, durch die nationalrätliche
Kommission eingefügt worden ist (BBl 1999 V 4599). Der Bericht der Kommission
des Ständerates vom 27. September 1990 zur Parlamentarischen Initiative
Allgemeiner Teil Sozialversicherung enthielt demgegenüber mit Art. 50 des
Entwurfs lediglich die Bestimmung: "Die Parteien haben Anspruch auf
rechtliches Gehör" (BBl 1991 II 199). Im Bericht der Kommission des
Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 26. März 1999 wird
ausgeführt, das rechtliche Gehör solle eine effiziente und rasche Erledigung
nicht verunmöglichen. Art. 30 VwVG halte fest, dass die Gewährung des
rechtlichen Gehörs vor Verfügungserlass dann nicht zwingend sei, wenn gegen
die Verfügung Einsprache erhoben werden könne. Dieser Grundsatz sei formell
ins ATSG aufzunehmen. Bisher sei das rechtliche Gehör als solches
spezialgesetzlich nur über die Verweisungen im Militärversicherungsgesetz und
im Unfallversicherungsgesetz auf das VwVG geregelt gewesen. Diese
Verweisungsnormen könnten nun gestrichen werden (BBl 1999 V 4599). Daraus
erhellt, dass der Gesetzgeber mit Art. 42 Satz 2 ATSG bezüglich des Anspruchs
auf Anhörung der Parteien vor Verfügungen, die durch Einsprache anfechtbar
sind, eine abschliessende Regelung treffen wollte. Ein Rückgriff auf das
VwVG, wie ihn Art. 55 Abs. 1 ATSG für den Fall statuiert, dass sich in den
Art. 27 bis 54 ATSG oder in den Einzelgesetzen keine abschliessende
Verfahrensregelung findet, ist daher nicht notwendig.

4.5 Bezüglich Art. 30 Abs. 2 VwVG wird in der Literatur die Auffassung
vertreten, die Bestimmung stelle zweifellos eine ausreichende gesetzliche
Grundlage dar, um die Rechte auf Orientierung, Äusserung und Mitwirkung im
Beweisverfahren vor Erlass der Verfügung zu beschränken. Die Beschränkung des
rechtlichen Gehörs sei jedoch erst dann zulässig, wenn sie im öffentlichen
Interesse liege, verhältnismässig sei und der Kerngehalt des rechtlichen
Gehörs im engeren Sinne gewahrt bleibe (Roger Peter, Der Sachverständige im
Verwaltungsverfahren der obligatorischen Unfallversicherung, Zürich 1999,
S. 133). Für das Abklärungsverfahren im Bereich der Sozialversicherung stellt
der dieser Bestimmung nachgebildete Art. 42 Satz 2 ATSG die gesetzliche
Grundlage dar. Aufgrund der Pflicht der Behörden, die Verfügung schriftlich
zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen (Art. 49 Abs. 3
ATSG) sowie der Einsprachemöglichkeit (Art. 52 Abs. 1 ATSG), erweist sich die
Beschränkung des rechtlichen Gehörs in der Regel als verhältnismässig, und
der Kerngehalt des rechtlichen Gehörs im engeren Sinne bleibt gewahrt (vgl.
Roger Peter, a.a.O., S. 135 zu Art. 34 f. VwVG). Das öffentliche Interesse an
der vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollten einfachen und zweckmässigen
Verfahrensdurchführung und funktionierenden Verwaltung vermag zudem das
Interesse der versicherten Person auf Anhörung vor Verfügungserlass
grundsätzlich zu überwiegen.

4.6 Der Wortlaut von Art. 42 Satz 2 ATSG befreit die Behörde von der Pflicht,
die Parteien vor Verfügungen anzuhören, die mit Einsprache anfechtbar sind,
verbietet ihr aber nicht, dies im Einzelfall zu tun. Sie kann sich dazu
beispielsweise dann veranlasst sehen, wenn sie sich davon eine bessere
Akzeptanz der Verfügung durch die versicherte Person verspricht (vgl. RKUV
1992 Nr. U 152 S. 200 Erw. 3b zu Art. 30 Abs. 2 lit. b VwVG; Barbara Kupfer
Bucher, Erfahrungen in der Arbeitslosenversicherung, in: Schaffhauser/Kieser
[Hrsg.], Praktische Anwendungsfragen des ATSG, St. Gallen 2004, S. 96). Aber
auch prozessökonomische Gründe können es dem Versicherungsträger gebieten,
die Parteien vor Verfügungserlass anzuhören, beispielsweise um zu vermeiden,
dass eine angeordnete Beweismassnahme unter Umständen auf gerichtliche
Anordnung hin wiederholt werden muss (vgl. BGE 121 V 150 im Zusammenhang mit
der Durchführung eines Augenscheins).

5.
Nach Art. 43 Abs. 1 ATSG prüft der Versicherungsträger die Begehren, nimmt
die notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vor und holt die erforderlichen
Auskünfte ein. Die Verwaltung darf die für die Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts notwendigen Abklärungen nicht in das
Einspracheverfahren verschieben (vgl. ZAK 1987 S. 298). Dieses verlöre sonst
weitgehend seinen Sinn und Zweck, letztlich die Gerichte zu entlasten (BGE
125 V 191 Erw. 1c und SVR 2005 AHV Nr. 9 S. 31 Erw. 1.3.1). Hält der
Versicherer im Rahmen der Sachverhaltsabklärung eine Befragung der Parteien
für erforderlich, weil etwa die Akten ungenügend Auskunft geben, kann sie
dies veranlassen. Die Befragung bleibt in diesem Fall aber
Sachverhaltsabklärung und wird nicht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs,
das weit umfassender ist. Kommt die Verwaltung ihrer Pflicht zur Abklärung
des Sachverhalts nicht oder nicht genügend nach, kann die Sache aus diesem
Grund und nicht wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs, an sie
zurückgewiesen werden. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor
Verfügungserlass kann der Verwaltung nach dem in Erw. 4 Gesagten nicht
vorgeworfen werden. Etwas anderes kann namentlich auch dem Urteil B. vom 30.
September 2005 (C 279/04, zusammengefasst in SZS 2006 S. 150 ff.) nicht
entnommen werden.

6.
6.1 Art. 42 Satz 2 ATSG betrifft wie Art. 30 Abs. 2 lit. b VwVG Verfügungen,
die von der ursprünglich erlassenden Instanz auf Einsprache hin umfassend
überprüft werden müssen (vgl. Saladin, Das Verwaltungsverfahrensrecht des
Bundes, S. 142). Gemäss Art. 52 Abs. 1 ATSG kann gegen Verfügungen innerhalb
von 30 Tagen bei der verfügenden Stelle Einsprache erhoben werden; davon
ausgenommen sind prozess- und verfahrensleitende Verfügungen. Die Einsprache
ist kein devolutives Rechtsmittel, das die Entscheidungszuständigkeit an eine
Rechtsmittelinstanz übergehen lässt (BGE 131 V 411 Erw. 2.1.2.1; RKUV 2003
Nr. U 490 S. 367 Erw. 3.2.1). Das Einspracheverfahren wird der nachträglichen
verwaltungsinternen Rechtspflege zugerechnet (Kieser, a.a.O., N 2 zu Art. 52
ATSG) und nicht der eigentlichen streitigen Verwaltungsrechtspflege. Daran
ändert auch nichts, dass verfügende Stelle und Einspracheinstanz oftmals
organisatorisch getrennt sind. Dies ergibt sich auch aus der Systematik des
ATSG, welche das Einspracheverfahren im 2. Abschnitt
"Sozialversicherungsverfahren" einordnet. Das Einspracheverfahren zielt
darauf ab, ungenügende Abklärungen oder Fehlbeurteilungen, aber auch
Missverständnisse, die den angefochtenen Verwaltungsverfügungen zugrunde
liegen, in einem kostenlosen und weitgehend formlosen Verfahren auszuräumen,
ohne dass die übergeordneten Gerichte angerufen werden müssen (BGE 131 V 412
Erw. 2.1.2.1 mit Hinweisen; Urteil D. vom 17. Juni 2005, I 3/05). Bei
Erhebung einer Einsprache wird das Verwaltungsverfahren erst durch den
Einspracheentscheid abgeschlossen, welcher die ursprüngliche Verfügung
ersetzt. Für eine spätere richterliche Beurteilung sind denn auch
grundsätzlich die tatsächlichen Verhältnisse zur Zeit des Erlasses des
strittigen Einspracheentscheids massgebend.

6.2 Da das Administrativverfahren das Verfügungs- und das Einspracheverfahren
umfasst, konnte der Gesetzgeber die Pflicht zur Anhörung in das
Einspracheverfahren verlegen, während die Abklärung des Sachverhalts vor
Verfügungserlass zu erfolgen hat. Damit soll ein einfaches und rasches
verwaltungsinternes Verfahren gewährleistet werden. Dies schliesst ergänzende
Sachverhaltsabklärungen im Einspracheverfahren jedoch nicht aus. Denn in
diesem Verfahren kann die Verwaltung die angefochtene Verfügung nochmals
überprüfen und über die strittigen Punkte entscheiden, bevor allenfalls die
Beschwerdeinstanz angerufen wird. Spätestens im Einspracheverfahren hat die
Verwaltung in rechtsgenüglicher Form Gelegenheit zu geben, sich zu den
getroffenen Beweismassnahmen inhaltlich wie auch zum Verfahren zu äussern
(vgl. BGE 121 V 155 Erw. 5b; in HAVE S. 354 zusammengefasstes Urteil S. vom
12. September 2005 [I 435/05]; RKUV 1992 Nr. U 152 S. 200 Erw. 3b; Roger
Peter, a.a.O., S. 136; vgl. auch BGE 131 V 413 Erw. 2.1.2.2).

7.
7.1 Die IV-Stelle hat dem Beschwerdegegner am 28. Januar 2002 mitgeteilt, dass
eine medizinische Abklärung notwendig sei, mit welcher die MEDAS Bern
beauftragt worden sei. Das Spital X.________ hat den Versicherten daraufhin
auf den 12. Juli und anschliessend nochmals auf den 3. September 2002 für
eine ambulante Untersuchung aufgeboten. Sowohl die Gutachtenanordnung wie
auch die Untersuchung wurden somit noch unter der vor In-Kraft-Treten des
ATSG gültig gewesenen Rechtsordnung durchgeführt. Art. 44 ATSG findet nach
dem in Erw. 2.2 Gesagten auf diese Begutachtung keine Anwendung. Es muss
daher in diesem Verfahren die von der IV-Stelle und dem BSV aufgeworfene
Frage nicht geprüft werden, ob MEDAS-Gutachten überhaupt unter diese
Bestimmung fallen (vgl. dazu aber zur Publikation in der Amtlichen Sammlung
vorgesehenes Urteil R. vom 14. Juli 2006, I 686/05). Daran ändert nichts,
dass das ausformulierte Gutachten erst am 23. Juni 2003 erging.

7.2 Vor Erlass des Einspracheentscheids vom 24. März 2004 erhielt der
Beschwerdegegner unbestrittenermassen keine Einsicht in das MEDAS-Gutachten
und er hatte auch nicht Gelegenheit, sich dazu zu äussern und den Experten
allenfalls Zusatzfragen zu stellen. Obwohl der Versicherte in der
Einspracheergänzung auf den Umstand hingewiesen hatte, dass er die Expertise
bis anhin nicht habe einsehen können, reagierte die Verwaltung auf diesen
Einwand nicht. Erst auf Gesuch des nach Erlass des Einspracheentscheids
mandatierten Rechtsvertreters hin stellte sie diesem die Akten zu.

7.3 Im Verwaltungsverfahren sind, wie bereits erwähnt, die Gehörsrechte
spätestens im Einspracheverfahren zu wahren. Denn es kann nicht der Sinn
sein, dass die versicherte Person zur Verwirklichung ihrer Mitwirkungsrechte
ein Rechtsmittel ergreifen muss, zumal ihr dadurch auch noch eine Instanz
verloren gehen kann (vgl. BGE 116 V 187 Erw. 3c). Hinzu kommt, dass die
Einsprache eine Teilrechtskraft der Verfügung zur Folge haben kann, soweit
sie unangefochten geblieben ist und aufgrund der Parteivorbringen oder
anderer sich aus den Akten ergebender Anhaltspunkte kein Anlass zur
Überprüfung besteht (vgl. BGE 119 V 350 Erw. 1b mit Hinweisen; RKUV 1998
Nr. U 309 S. 459 Erw. 4a).

7.4 Zu prüfen ist, ob die IV-Stelle zu verpflichten ist, entsprechend der
vorinstanzlichen Anordnung dem Beschwerdegegner das rechtliche Gehör zu
gewähren, oder ob - in Heilung des begangenen Verfahrensfehlers - das
kantonale Gericht zum materiellen Entscheid anzuhalten ist.

8.
8.1 Die Frage einer allfälligen Verletzung des Gehörsanspruchs kann das
Sozialversicherungsgericht grundsätzlich nicht nur aufgrund von
Parteibehauptungen und im Rahmen gestellter Rechtsbegehren, sondern auch von
Amtes wegen prüfen (BGE 116 V 185 Erw. 1a). Anlass zur Aufhebung eines
Entscheides von Amtes wegen geben indessen nur Verletzungen wesentlicher
Verfahrensvorschriften (BGE 120 V 362 Erw. 2a).

8.2
Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur. Die Verletzung des
rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in
der Sache selbst zur Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Es kommt mit
anderen Worten nicht darauf an, ob die Anhörung im konkreten Fall für den
Ausgang der materiellen Streitentscheidung von Bedeutung ist, d.h. die
Behörde zu einer Änderung ihres Entscheides veranlasst wird oder nicht
(BGE 127 V 437 Erw. 3d/aa, 126 V 132 Erw. 2b mit Hinweisen).

8.3
Nach der Rechtsprechung kann eine - nicht besonders schwerwiegende -
Verletzung des rechtlichen Gehörs als geheilt gelten, wenn die betroffene
Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern,
die sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann. Die
Heilung eines - allfälligen - Mangels soll aber die Ausnahme bleiben (BGE 127
V 437 Erw. 3d/aa, 126 I 72, 126 V 132 Erw. 2b, je mit Hinweisen).
Von der Rückweisung der Sache zur Gewährung des rechtlichen Gehörs an die
Verwaltung ist nach dem Grundsatz der Verfahrensökonomie dann abzusehen, wenn
dieses Vorgehen zu einem formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen
Verzögerungen führen würde, die mit dem (gleichlautenden und der Anhörung
gleichgestellten) Interesse der versicherten Person an einer möglichst
beförderlichen Beurteilung ihres Anspruchs nicht zu vereinbaren sind (BGE 116
V 187 Erw. 3d).

9.
Der Beschwerdegegner rügte einspracheweise, dass er von einem Arzt untersucht
worden sei, der für die Beurteilung des diagnostizierten
"Parkes-Weber-Syndroms" nicht genügend qualifiziert gewesen sei. Er
beantragte daher die Neubeurteilung durch einen Facharzt für
Gefässerkrankungen. Die IV-Stelle hat im Einspracheentscheid ausgeführt,
gemäss den Aussagen ihres Ärztlichen Dienstes sei der untersuchende Arzt,
auch wenn er das Krankheitsbild bisher nicht gekannt haben sollte, gleichwohl
in der Lage, den Gesundheitsschaden zu erfassen und die Arbeitsfähigkeit zu
beurteilen. Da das Gutachten in sich schlüssig sei und die Kriterien einer
beweiskräftigen Expertise zu erfüllen vermöge, werde darauf abgestellt.
Ausstands- oder Ablehnungsgründe gegenüber den Gutachtern - welche so früh
wie möglich vorzubringen sind, ansonsten der Anspruch auf Anrufung der
Verfahrensgarantie verwirkt (AHI 2001 S. 116 Erw. 4a/aa) - hat der
Versicherte im Einspracheverfahren keine geltend gemacht. Des Weitern hat er
weder im Einsprache- noch im vorinstanzlichen Verfahren Zusatzfragen
formuliert, welche den Gutachtern allenfalls noch hätten unterbreitet werden
müssen. Im Beschwerdeverfahren beschränkte er sich auf den Hinweis, dass er
sich zu keinem Zeitpunkt zu den Gutachterfragen oder zur Gutachtenstelle habe
äussern können, ohne indessen einen Antrag auf Rückweisung der Sache an die
Verwaltung zur Wahrung des rechtlichen Gehörs zu stellen, was darauf
schliessen lässt, dass ihm an einer beförderlichen Verfahrenserledigung mehr
liegt als an einem formell richtigen Verfahren (vgl. BGE 119 V 218 Erw. 6).
Soweit er ein gerichtliches Gutachten verlangt, wird die Vorinstanz darüber
im Rahmen der Beweiswürdigung zu befinden haben. Da der rechtserhebliche
Sachverhalt von der Verwaltung umfassend abgeklärt wurde, der Versicherte
sich im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren zu den relevanten Fragen
äussern konnte und weder aufgrund seiner Vorbringen noch aufgrund der Akten
Anlass besteht, dass die IV-Stelle nochmals zum Leistungsanspruch Stellung
nimmt, bevor das kantonale Gericht materiell entscheidet, erweist sich eine
Rückweisung an die Verwaltung aus formellen Gründen als bundesrechtswidrig.

10.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 134 OG).

Nach Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG darf im Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde obsiegenden Behörden oder mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel keine
Parteientschädigung zugesprochen werden. Die obsiegende Beschwerdeführerin
hat daher keinen Anspruch auf Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 10. August 2004
aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie
über die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 24. März 2004 neu
entscheide.

2.
Auf die Anträge des Beschwerdegegners wird nicht eingetreten, soweit sie über
den Gegenstand dieses Verfahrens hinausgehen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 20. September 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: