Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 577/2004
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I 577/04

Urteil vom 14. April 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger;
Gerichtsschreiber Hadorn

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht, Zürichstrasse 130, 8600 Dübendorf,
Beschwerdegegnerin,

betreffend A.________, 1993,
vertreten durch seine Mutter R.________

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 15. Juli 2004)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 21. Oktober 2003 lehnte die IV-Stelle des Kantons Zürich
das Gesuch von A.________ (geb. 1993) um medizinische Massnahmen ab. Hiegegen
erhob die Helsana Versicherungen AG, Krankenversicherung von A.________,
Einsprache, welche die IV-Stelle mit Entscheid vom 12. Januar 2004 abwies.

B.
Die von der Helsana dagegen eingereichte Beschwerde hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 15. Juli 2003
insoweit gut, als es die Sache zu näheren Abklärungen im Sinne der Erwägungen
an die IV-Stelle zurückwies.

C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der
kantonale Entscheid sei aufzuheben.

Die Helsana schliesst auf Abweisung, das Bundesamt für Sozialversicherung
(BSV) hingegen auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. A.________
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Sozialversicherungsgericht hat die gesetzlichen Bestimmungen
zum Anspruch von Personen vor vollendetem 20. Altersjahr auf medizinische
Massnahmen (Art. 12 Abs. 1 IVG; Art. 5 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 8
Abs. 2 ATSG) sowie die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 120 V 279 Erw. 3a,
AHI 2003 S. 104 Erw. 2, 2000 S. 64 Erw. 1) richtig dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die vom Versicherten beantragten medizinischen
Massnahmen von der IV-Stelle oder von der Krankenkasse zu übernehmen sind.
Dabei steht fest, dass die Invalidenversicherung nicht nach Ziff. 404 GgV
Anhang (angeborenes Psychoorganisches Syndrom [POS]), sondern nur nach Art. 8
Abs. 2 ATSG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 IVG
leistungspflichtig werden kann.

2.1 Gemäss Bericht von PD Dr. med. E.________, Facharzt für Kinder- und
Jugendmedizin FMH, vom 25. September 2003 leidet der Versicherte an
emotionalen und Schulleistungsproblemen mit erhöhter Ablenkbarkeit und
Frustrationsintoleranz, an einem POS und an Selbstwertproblemen. Er erhalte
seit 10. Februar 2003 Psychotherapie bei Dr. phil. G.________. Darauf habe er
sehr schnell positiv reagiert; die Symptome in der Schule hätten sich
wahrnehmbar und bleibend abgeschwächt.

2.2 Wie die Vorinstanz sorgfältig und zutreffend erwogen hat, lässt sich auf
Grund der Akten nicht beurteilen, ob eine prognostisch unsichere
Dauerbehandlung ansteht. Selbst wenn bei hyperkinetischen Störungen, zu denen
das POS zu rechnen ist, oft eine lang andauernde Behandlung nötig ist, lässt
sich aus diesen allgemeinen Anhaltspunkten im vorliegenden Fall nicht
rechtsgenüglich auf eine Dauerbehandlung schliessen. Immerhin hat die
Psychotherapie gemäss Dr. med. E.________ in kurzer Zeit zu "bleibenden"
Verbesserungen geführt. Der Versicherte erhält sodann, soweit erkennbar,
keine Medikamente wie etwa das in POS-Fällen verbreitet angewendete Ritalin.
Zudem fehlt in den Akten eine Prognose. Daher ist nicht ausgeschlossen, dass
mit der hier streitigen Behandlung die Entstehung eines stabilen
Defektzustandes mit Auswirkungen auf die spätere berufliche Erwerbsfähigkeit
verhindert werden kann, ohne dass eine jahrelange Behandlung nötig wäre. Das
Eidgenössische Versicherungsgericht hat zwar in zahlreichen Urteilen zu
POS-Kindern entschieden, dass die Krankenversicherung und nicht die
Invalidenversicherung leistungspflichtig ist (Urteile B. vom 16. Juli 2004, I
52/04, B. vom 27. Oktober 2003, I 484/02, und F. vom 14. Oktober 2003, I
298/03). Indessen gibt es auch Urteile, in welchen die Invalidenversicherung
zur Übernahme medizinischer Massnahmen oder zur Vornahme weitere Abklärungen
verpflichtet worden ist (Urteile M. vom 16. Mai 2003, I 16/03 und F. vom 16.
August 2002, I 653/01; vgl. ferner Urteil R. vom 23. März 2005, I 561/04).
Soweit die IV-Stelle ausführt, dass jedes POS generell zum Ausschluss von
Leistungen der Invalidenversicherung führt, kann ihr daher nicht
beigepflichtet werden. Massgebend ist, ob im konkreten Einzelfall mit der
Fortsetzung der Behandlung verhindert werden kann, dass die Berufsbildung des
Versicherten auf Grund der bestehenden psychischen und sozialen Konflikte
beeinträchtigt wird und es gelingt, eine stabile Defektentwicklung zu
verhindern. Unter diesen Umständen ist die bei Minderjährigen für die
Übernahme einer Psychotherapie durch die Invalidenversicherung
rechtsprechungsgemäss ausreichende Voraussetzung, dass das psychische Leiden
ohne die psychotherapeutische Behandlung zu einem schwer korrigierbaren, die
spätere Ausbildung und Erwerbsfähigkeit erheblich behindernden oder gar
verunmöglichenden stabilen pathologischen Zustand führen würde, erfüllt
(erwähntes Urteil M.). Wie es sich damit im vorliegenden Fall verhält, ist
nicht ausreichend abgeklärt, weshalb die Vorinstanz zu Recht weitere
Abklärungen angeordnet hat.

3.
Der Streit zwischen zwei Versicherern über Leistungen an einen gemeinsamen
Versicherten ist kostenpflichtig (BGE 120 V 494 Erw. 3, 119 V 222 Erw. 4b),
weshalb die unterliegende Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen hat
(Art. 156 Abs. 1 OG). Eine Parteientschädigung ist nicht zu sprechen, da
beide Versicherer als mit öffentlichrechtlichen Aufgaben betraute
Organisationen gehandelt haben (Art. 159 Abs. 2 OG; BGE 126 V 150 Erw 4a).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von total Fr. 3000.- werden der Beschwerdeführerin
auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. Der
Differenzbetrag von Fr. 3000.- wird zurückerstattet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherten, dem
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 14. April 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: