Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 565/2004
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I 565/04

Urteil vom 31. Mai 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiber
Jancar

IV-Stelle Uri, Dätwylerstrasse 11, 6460 Altdorf, Beschwerdeführerin,

gegen

H.________, 1994, Beschwerdegegner,
vertreten durch seine Mutter S.________

Obergericht des Kantons Uri, Altdorf

(Entscheid vom 12. Juli 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1994 geborene H.________ leidet an einem inferioren psychoorganischen
Syndrom (POS) und sekundären Verhaltensauffälligkeiten, die aus dem
Grundleiden resultieren. Am 4. September 2001 wurde er bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Die IV-Stelle Uri holte
einen Bericht des Spitals X.________, Kinder- und Jugendpsychiatrischer
Dienst (KJPD), vom 8. November 2001 ein. Mit Verfügung vom 27. November 2001
bejahte sie den Anspruch auf medizinische Massnahmen für die Zeit vom 1.
September 2001 bis 31. Dezember 2006 zur Behandlung des Geburtsgebrechens Nr.
404. Seit 14. Januar 2002 weilt der Versicherte unter der Woche im Kinderheim
Y.________ in der sozialpädagogischen Wohngruppe Z.________; die Wochenenden
verbringt er zu Hause. Im Weiteren zog die IV-Stelle einen Bericht der Frau
Dr. med. C.________, Kinderärztin FMH, vom 13. August 2002 sowie einen
Abklärungsbericht an Ort und Stelle vom 16. Juni 2002 bei. Mit Verfügung vom
20. Januar 2003 verneinte sie den Anspruch auf Pflegebeiträge.
Einspracheweise legte der Versicherte unter anderem Berichte der Frau Dr.
med. C.________ vom 13. Juni 2002 und des Spitals W.________ vom 9. September
2002 auf. Die IV-Stelle holte einen Abklärungsbericht an Ort und Stelle vom
11. Juni 2003 ein. Am 18. September 2003 beantragte der Versicherte, über den
Verlauf des Geburtsgebrechens seit September 2001, über die Beibehaltung der
bisherigen und/oder die Anwendung zusätzlicher Therapien sowie über die Frage
der Pflegebedürftigkeit sei beim KJPD ein Gutachten einzuholen. Mit Entscheid
vom 4. November 2003 wies die IV-Stelle die Einsprache ab.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Uri in
dem Sinne gut, dass es den Einspracheentscheid aufhob und die Sache an die
IV-Stelle zurückwies, damit diese nach erfolgter Abklärung im Sinne der
Erwägungen neu verfüge. Den Erwägungen ist zu entnehmen, dass die IV-Stelle
angewiesen wurde,  die Abklärung durch eine mit dem Krankheitsbild vertraute
sachverständige Person (z.B. den KJPD) vorzunehmen (Entscheid vom 12. Juli
2004).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die IV-Stelle die Aufhebung des
kantonalen Entscheides. Sie legt neu Berichte des A.________, Sozialpädagoge,
Gruppenleiter im Kinderheim Y.________, vom 2. September 2004 und des
Primarlehrers P.________ vom 8. September 2004 auf.

Dem Versicherten wurde am 29. Oktober 2004 antragsgemäss Akteneinsicht
gewährt. Er schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und
verlangt die Zusprechung eines Pflegebeitrags. Er legt neu unter anderem
Berichte des A.________ vom 10. Dezember 2003 und des Spitals W.________ vom
12. November 2004 auf. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf
eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdegegner hat sich bereits im Jahre 2001 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Damit ist teilweise ein
Sachverhalt zu beurteilen, der sich vor dem In-Kraft-Treten des ATSG und der
ATSV am 1. Januar 2003 verwirklicht hat. Da der Rechtsstreit eine
Dauerleistung betrifft, über welche noch nicht rechtskräftig verfügt wurde,
ist entsprechend den allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln für die Zeit
bis 31. Dezember 2002 auf die damals geltenden Bestimmungen und ab 1. Januar
2003 auf die neuen Normen des ATSG und der ATSV abzustellen (BGE 130 V 445
ff.).

Die am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des IVG vom 21. März
2003 und der IVV vom 21. Mai 2003 (4. IV-Revision) sind nicht anwendbar (BGE
129 V 4 Erw. 1.2, 356 Erw. 1; Urteil H. vom 2. Dezember 2004 Erw. 1, I
443/04).

2.
2.1 Gemäss Art. 20 Abs. 1 Satz 1 IVG (in der bis 31. Dezember 2003 geltenden
Fassung) wird hilflosen Minderjährigen, die im Sinne von Art. 9 ATSG hilflos
sind, das zweite Altersjahr zurückgelegt haben und sich nicht zur
Durchführung von Massnahmen gemäss den Art. 12, 13, 16, 19 oder 21 IVG in
einer Anstalt aufhalten, ein Pflegebeitrag gewährt. Nach Art. 9 ATSG gilt als
hilflos eine Person, die wegen der Beeinträchtigung der Gesundheit für
alltägliche Lebensverrichtungen dauernd der Hilfe Dritter oder der
persönlichen Überwachung bedarf.
Der Gesetzgeber wollte mit Art. 9 ATSG die bisherige Definition der
Hilflosigkeit übernehmen (vgl. BBl 1991 II 249; Urteil D. vom 1. April 2004
Erw. 1, I 815/03, zusammengefasst resp. erwähnt in HAVE 2004 S. 241 sowie
ZBJV 2004 S. 747). Der Begriff der Hilflosigkeit Minderjähriger gemäss alt
Art. 20 Abs. 1 Satz 1 IVG richtet sich nach den für hilflose Erwachsene
massgebenden Unterscheidungskriterien (BGE 113 V 19, 111 V 206 Erw. 1a;
erwähntes Urteil H. Erw. 1), weshalb bezüglich der Bemessung der
Hilflosenentschädigung Art. 36 IVV in der bis 31. Dezember 2003 geltenden
Fassung gilt.

Die Hilflosigkeit gilt als schwer, wenn der Versicherte vollständig hilflos
ist. Dies ist der Fall, wenn er in allen alltäglichen Lebensverrichtungen
regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist und
überdies der dauernden Pflege oder der persönlichen Überwachung bedarf (Art.
36 Abs. 1 IVV). Die Hilflosigkeit gilt als mittelschwer, wenn der Versicherte
trotz der Abgabe von Hilfsmitteln a. in den meisten alltäglichen
Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter
angewiesen ist oder b. in mindestens zwei alltäglichen Lebensverrichtungen
regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist und
überdies einer dauernden persönlichen Überwachung bedarf (Art. 36 Abs. 2
IVV). Leichte Hilflosigkeit liegt vor, wenn der Versicherte trotz der Abgabe
von Hilfsmitteln a. in mindestens zwei alltäglichen Lebensverrichtungen
regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist oder b.
einer dauernden persönlichen Überwachung bedarf oder c. einer durch das
Gebrechen bedingten ständigen und besonders aufwendigen Pflege bedarf oder d.
wegen einer schweren Sinnesschädigung oder eines schweren körperlichen
Gebrechens nur dank regelmässiger und erheblicher Dienstleistungen Dritter
gesellschaftliche Kontakte pflegen kann (Art. 36 Abs. 3 IVV).

2.2 Nach ständiger Gerichtspraxis sind die folgenden sechs alltäglichen
Lebensverrichtungen massgebend: Ankleiden, Auskleiden; Aufstehen, Absitzen,
Abliegen; Essen; Körperpflege; Verrichtung der Notdurft; Fortbewegung (im
oder ausser Haus), Kontaktaufnahme (BGE 127 V 97 Erw. 3c, 125 V 303 Erw. 4a,
124 II 247 f.; erwähntes Urteil D. Erw. 1, I 815/03).

Die benötigte Hilfe kann praxisgemäss nicht nur in direkter Dritthilfe,
sondern auch bloss in Form einer Überwachung der versicherten Person bei
Vornahme der relevanten Lebensverrichtungen bestehen, indem etwa die
Drittperson sie auffordert, eine Lebensverrichtung vorzunehmen, die sie wegen
ihres psychischen Zustandes ohne besondere Aufforderung nicht vornehmen würde
(so genannte indirekte Dritthilfe; BGE 121 V 91 Erw. 3c, 107 V 149 Erw. 1c
und 139 Erw. 1b, 106 V 157 f., 105 V 56 Erw. 4a; Urteile E. vom 9. August
2004 Erw. 4, H 66/04, und R. vom 15. Dezember 2003 Erw. 1.1, I 104/01).

Das Erfordernis der dauernden persönlichen Überwachung als zusätzliche oder
als alternative Anspruchsvoraussetzung gemäss alt Art. 36 IVV bezieht sich
nicht auf die alltäglichen Lebensverrichtungen und ist deshalb von der
indirekten Dritthilfe zu unterscheiden (ZAK 1984 S. 357 Erw. 2c). Es handelt
sich hier vielmehr um eine Art medizinischer oder pflegerischer
Hilfeleistung, welche infolge des physischen, geistigen oder psychischen
Zustandes des Versicherten notwendig ist (BGE 107 V 139 Erw. 1b mit
Hinweisen; ZAK 1990 S. 46 Erw. 2c; erwähntes Urteil D. Erw. 1). Die
Notwendigkeit der persönlichen Überwachung ist beispielsweise dann gegeben,
wenn eine versicherte Person wegen geistiger Absenzen nicht während des
ganzen Tages allein gelassen werden kann (BGE 107 V 139, 106 V 158, 105 V 56
Erw. 4; ZAK 1990 S. 46 Erw. 2c; erwähntes Urteil E. Erw. 4). "Dauernd" hat in
diesem Zusammenhang nicht die Bedeutung von "rund um die Uhr", sondern ist
als Gegensatz zu "vorübergehend" zu verstehen (ZAK 1990 S. 46 Erw. 2c, 1986
S. 486 Erw. 1a; Urteile F. vom 12. Februar 2004 Erw. 2.3, I 678/03 und K. vom
23. Januar 2003 Erw. 3.2, I 231/02).

2.3 Bei der Erarbeitung der Grundlagen für die Bemessung der Hilflosigkeit
ist eine enge, sich ergänzende Zusammenarbeit zwischen Arzt und Verwaltung
erforderlich. Der Arzt hat anzugeben, inwiefern die versicherte Person in
ihren körperlichen bzw. geistigen Funktionen durch das Leiden eingeschränkt
ist. Der Versicherungsträger kann an Ort und Stelle weitere Abklärungen
vornehmen (BGE 130 V 61 f. Erw. 6.1.1 mit Hinweis).

Einem Abklärungsbericht an Ort und Stelle kommt - ausgehend von den in BGE
128 V 93 f. Erw. 4 entwickelten Voraussetzungen und unter Berücksichtigung
der in AHI 2000 S. 319 f. Erw. 2b dargelegten Grundsätze zur Zusammenarbeit
zwischen dem Arzt einerseits und der Verwaltung sowie dem Gericht
andererseits - voller Beweiswert zu, wenn er folgenden Anforderungen genügt:
Als Berichterstatterin wirkt eine qualifizierte Person, welche Kenntnis der
örtlichen und räumlichen Verhältnisse sowie der aus den seitens der Mediziner
gestellten Diagnosen sich ergebenden Beeinträchtigungen und
Hilfsbedürftigkeiten hat. Bei Unklarheiten über physische oder psychische
Störungen und/oder deren Auswirkungen auf alltägliche Lebensverrichtungen
sind Rückfragen an die medizinischen Fachpersonen nicht nur zulässig, sondern
notwendig. Weiter sind die Angaben der Hilfe leistenden Personen, regelmässig
die Eltern, zu berücksichtigen, wobei divergierende Meinungen der Beteiligten
im Bericht aufzuzeigen sind. Der Berichtstext schliesslich muss plausibel,
begründet und detailliert bezüglich der einzelnen alltäglichen
Lebensverrichtungen sowie der tatbestandsmässigen Erfordernisse der dauernden
persönlichen Überwachung und der Pflege (alt Art. 36 IVV) gemäss sein.
Schliesslich hat er in Übereinstimmung mit den an Ort und Stelle erhobenen
Angaben zu stehen. Das Gericht greift, sofern der Bericht eine zuverlässige
Entscheidungsgrundlage im eben umschriebenen Sinne darstellt, in das Ermessen
der die Abklärung tätigenden Person nur ein, wenn klar feststellbare
Fehleinschätzungen vorliegen. Das gebietet insbesondere der Umstand, dass die
fachlich kompetente Abklärungsperson näher am konkreten Sachverhalt ist als
das im Beschwerdefall zuständige Gericht (BGE 130 V 62 f. Erw. 6.2).

3.
3.1 Im Bericht des KJPD vom 8. November 2001 wurde dargelegt, der Versicherte
besuche die erste Primarschule an seinem Wohnort. Es sei eine
Psychomotoriktherapie notwendig, da er eine deutliche motorische linksbetonte
Reifungsverzögerung zeige. Über die Situation zu Hause wurde ausgeführt, die
Ehe der Eltern sei seit Juli 2000 geschieden, und der Versicherte lebe mit
seinen beiden Schwestern bei der Mutter. Es falle ihm hin und wieder schwer,
sich gegenüber den Schwestern abzugrenzen. Die Dominanz der jüngeren
Schwester habe er schwer ertragen und sei als Unterlegener in seinen
Reaktionen gehemmt gewesen. Mit der älteren Schwester habe er keine Probleme.
Gemäss Angaben der Mutter mache ihm die Einhaltung erzieherischer Forderungen
häufig Mühe, wohinter sich möglicherweise sein verspätetes Trotzverhalten
verstecke. Zum Vater bestehe ein ungetrübtes Verhältnis.

3.2 Im ersten Abklärungsbericht an Ort und Stelle (zu Hause) vom 16. Juni
2002 ging die Abklärerin Frau D.________ von einer regelmässigen indirekten
Hilfsbedürftigkeit beim Bereitlegen der Kleider und Zähneputzen aus.
Insgesamt verneinte sie jedoch sowohl das Bestehen einer relevanten
Hilfsbedürftigkeit in einer der sechs alltäglichen Lebensverrichtungen als
auch die Notwendigkeit einer dauernden persönlichen Überwachung. Sie führte
aus, bei den alltäglichen Lebensverrichtungen habe sie nicht feststellen
können, dass der Versicherte etwas nicht ausführe, was seinem Alter nicht
entspreche. Er mache eigentlich alles selbstständig, auch wenn ihn die Mutter
dazu ermuntern müsse. Das sei aber in diesem Alter normal. Dass sie ihn zum
Duschen schicken müsse oder er die Hausaufgaben nicht nach ihrem Geschmack
erledige, begründe keinen Anspruch auf Pflegebeiträge. Bub zu sein neben zwei
älteren Schwestern sei vermutlich nicht einfach. Möglicherweise sei der
Erziehungsaufwand doch etwas grösser als üblich.

3.3 Die behandelnde Kinderärztin Frau Dr. med. C.________ führte im Bericht
vom 13. Juni 2002 aus, der Versicherte sei mit seinen starken
Verhaltensauffälligkeiten untragbar und könne deshalb nicht mehr zu Hause in
der familiären Umgebung verbleiben. In einer fremden Umgebung hätte er eine
Chance, sich zu stabilisieren, weil bekanntlich verhaltensauffällige Kinder
auf fremde Personen besser reagierten. Falls die Situation zu Hause nicht
bald geändert werde, müsse die Mutter wieder in die Psychiatrie eingewiesen
werden, wahrscheinlich länger als das letzte Mal. Auch für die beiden älteren
Schwestern sei die Situation mit ihm untragbar und sie könnten auf längere
Zeit Schaden nehmen. Es sei eine Kostengutsprache für die Heimeinweisung
zuzusprechen.

Am 13. August 2002 legte Frau Dr. med. C.________ dar, wegen der
Verhaltensstörungen (bei POS), die nicht mehr zumutbar gewesen seien und die
ganze Familie an den Rand der Verzweiflung gebracht hätten, habe der
Versicherte ins Kinderheim platziert werden müssen. Die Hilflosigkeit könne
durch eine Psychomotorik-Therapie und Betreuung durch geschulte Personen
vermindert werden.

3.4 Am 11. Juni 2003 wurde eine zweite Abklärung an Ort und Stelle (zu Hause)
vorgenommen. Die Abklärerin Frau U.________ führte aus, der Versicherte
besuche die zweite Regelklasse. Unter der Woche sei er im Kinderheim und am
Wochenende bei der Mutter oder beim Vater. Aktuell werde ihm auf Wunsch der
Mutter einmal täglich das Medikament Ritalin verabreicht. Zum Bereich
"An-/Auskleiden" gab sie an, das Anziehen am Morgen bewältige der Versicherte
selber. Am Abend sei er nach Angaben der Mutter jeweils müde und müsse zum
Auskleiden ermahnt werden. Ein gleichaltriges Kind müsse aber ebenso ermahnt
werden. Beim "Aufstehen/Absitzen/Abliegen" sei der Versicherte selbstständig.
Man müsse ihm sagen, er solle ins Bett gehen. Einem gleichaltrigen Kind müsse
man dies aber ebenso sagen. In der Nacht schlafe er durch, was früher nicht
der Fall gewesen sei. Beim "Essen" sei der Versicherte selbstständig. Im
Bereich "Körperpflege" habe die Mutter angegeben, sie müsse ihn mehrmals zum
Duschen ermahnen. Ein gleichaltriges Kind müsse ebenso ermahnt werden. Beim
"Verrichten der Notdurft" sei der Beschwerdegegner selbstständig. Zum Punkt
"Fortbewegung/Kontaktaufnahme" legte die Abklärerin dar, gemäss Angaben der
Mutter habe der Versicherte einen Orientierungssinn und gehe auch allein zur
Schule. Zusammenfassend verneinte die Abklärerin eine Hilflosigkeit sowie
eine ständige und besonders aufwendige Pflegebedürftigkeit. Der Versicherte
brauche eine Überwachung im Ausmass eines gleichaltrigen Kindes.

3.5 Der Sozialpädagoge A.________ vom Kinderheim Y.________ führte im Bericht
vom 10. Dezember 2003 aus, die anfängliche Ich-Bezogenheit des Versicherten
habe sich seit Sommer abgeschwächt. Heute sei er teilweise in der Lage,
Erlebnisse über seinen eigenen Erfahrungsbereich hinaus einzustufen. Seit
September sei er viel wacher und präsenter in Geist und Wesen. Sein
gleichgültiges und apathisches Wesen habe sich fast vollständig aufgelöst.
Dadurch erlebe er ihn als eine eigenständige Persönlichkeit. Besonders
auffallend sei auch sein grosser Appetit; er müsse nicht mehr zum Essen
animiert werden. Abends sei er müde und schlafe die ganze Nacht durch. Seit
September sei das Medikament Ritalin abgesetzt worden. Seit November nehme
der Versicherte ein homöopathisches Mittel (Ginkgo) ein. Er habe oft Mühe,
bei der Sache zu bleiben, sei vergesslich oder lasse sich leicht ablenken.
Seine geistige Fähigkeit sei schwankend und emotionsabhängig. Oft sei auch
eine rasche Ermüdung festzustellen. Besonders deutlich zeige sich eine
motorische Unruhe. Er könne schlecht still sitzen, müsse seine Körperhaltung
immer wieder verändern. Im Freien renne er hemmungslos herum, mache heftige
Bewegungsformen und weiche in grobmotorische Tätigkeiten (Trike fahren,
Fussball, Fangis spielen...) aus. Meistens fehle ein harmonisches
Zusammenspiel der Bewegungen. Emotional neige er zu ungesteuerten
Gefühlsausbrüchen; Tränen, Wut, überbordende Freude seien oft sehr nahe
beieinander. Weiter müsse an seinen sozialen Fähigkeiten gearbeitet werden.
Er zeige wenig Gefühl für soziale Nähe oder Distanz. Er benötige freundliche
aber deutliche Strukturen, an denen er sich orientieren könne. Er müsse seine
eigenen Fähigkeiten und Interessen entdecken und an diesen arbeiten. Nötig
sei eine enge Begleitung in der Übernahme von mehr Eigenverantwortung
(Erstellen von Tagesabläufen, Aufgabenliste etc.).
Am 2. September 2004 legte A.________ dar, sie hätten den Versicherten als
aufgeweckten und lebensfrohen Jungen kennen gelernt, der absolut fähig sei,
die täglichen Aufgaben und Pflichten selbstständig zu lösen. Die Begleitung,
die er benötige, sei altersgemäss und erfolge nicht wegen Hilflosigkeit. Er
zeige POS-Symptome, vor allem in den Bereichen taktil-kinästhetischer
Wahrnehmung (Tast- und Bewegungssinn), auditiver Wahrnehmung (Verarbeitung
gestörter Reize) und teilweise in der visuellen Wahrnehmung (Verarbeitung
gesehener Reize). Dadurch sei er in seiner Konzentration sehr anfällig auf
Störungen. Es bereite ihm Mühe, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, oder
er überschätze seine Fähigkeiten. Deshalb sei er auch auf der sozialen Ebene
sehr empfindsam. Er könne seine Gefühle und Erlebnisse nur schwer einordnen
und oft nicht altersgemäss ausdrücken. Dank gezielten pädagogischen und
strukturellen Hilfestellungen gelinge es ihm, auch mit den obgenannten
Erschwernissen ein weitgehend normales Leben zu führen. Auch wenn das
Zusammensein mit ihm oft viel Nerven und Geduld brauche, sei er weit entfernt
von Hilflosigkeit im Sinne der IV-Definition.

3.6 Der Primarlehrer P.________ gab im Bericht vom 8. September 2004 an, der
Versicherte besuche die 4. Klasse. Seit der 3. Klasse sei er sein Lehrer.
Während des Unterrichts besuche der Versicherte während drei Lektionen den
Heilpädagogischen Zusatzunterricht bei Frau E.________. In der Schule habe er
oft Mühe, sich zu konzentrieren und lasse sich leicht ablenken. Somit seien
seine Leistungen von einer ruhigen Atmosphäre abhängig. Er brauche oft
Kontrolle und eine klare Anleitung. Teilweise arbeite er auch ausserhalb des
Klassenzimmers für sich, meist auf seine Anweisung, seltener auf eigenen
Wunsch. Er kenne manchmal Regeln und Grenzen nicht oder habe Mühe, sie
einzuhalten. In der Gruppe verhalte er sich teilweise mühsam, während er sehr
gut mit ihm allein sprechen könne. Dadurch brauche er intensivere Betreuung
als andere Kinder. Er sei sehr gut in die Klasse integriert und fühle sich
auch wohl. Im dreitägigen Klassenlager von letzter Woche habe er sich sehr
selbstständig verhalten und die Betreuung sei in dieser Zeit sogar weniger
intensiv gewesen als in der Schule. Am Abschlussabend sei er ruhig gewesen
und sehr positiv aufgefallen. Seinen Schulweg lege er selbstständig zurück
und sei pünktlich in der Schule.

4.
4.1 Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die geeignet sind, den Beweiswert der
Abklärungsberichte an Ort und Stelle (zu Hause) vom 16. Juni 2002 und 11.
Juni 2003 (Erw. 3.2 und 3.4 hievor) in Frage zu stellen. Es besteht kein
Grund an der Kompetenz der Abklärungspersonen zu zweifeln. Die Berichte
genügen insbesondere den in Erw. 2.3 hievor umschriebenen Erfordernissen
bezüglich Plausibilität, Begründetheit und Detailliertheit in allen Punkten.
In diesen Berichten wird schlüssig und unter Hinweis auf die Aussagen der
Mutter, die bei den Abklärungen vor Ort anwesend war, dargelegt, weshalb der
Beschwerdegegner nach Einschätzung der Abklärerinnen weder hinsichtlich der
alltäglichen Lebensverrichtungen hilfsbedürftig ist noch der persönlichen
Überwachung bedarf.

Diese Einschätzung wird durch die Berichte des A.________ (Kinderheim
Y.________) und des Primarlehrers P.________ bekräftigt. Ersterer führte am
2. September 2004 aus, der Versicherte sei grundsätzlich fähig, die täglichen
Aufgaben und Pflichten selbstständig zu lösen. Hilflosigkeit liege nicht vor.
Laut P.________ arbeitet der Versicherte teilweise allein ausserhalb des
Klassenzimmers und bewältigt unter anderem den Schulweg selbstständig.
Letzteres hatte auch die Mutter am 11. Juni 2003 angegeben. Dies führt zur
Verneinung des Erfordernisses der dauernden persönlichen Überwachung (vgl.
auch nicht publizierte Erw. 6.3.3 des Urteils BGE 130 V 61 ff.). Nichts zu
seinen Gunsten ableiten kann der Beschwerdegegner aus dem Umstand, dass er
(ausser an den Wochenenden) im Kinderheim weilt (ZAK 1984 S. 358 Erw. 2c;
Urteil R. vom 15. Dezember 2003 Erw. 4.1.2, I 104/01).

Nach dem Gesagten sind die Voraussetzungen von alt Art. 36 Abs. 1, Abs. 2
sowie Abs. 3 lit. a und b IVV nicht erfüllt.

4.2 Zu prüfen ist weiter, ob der Versicherte einer durch das Gebrechen
bedingten ständigen und besonders aufwendigen Pflege bedarf (alt Art. 36 Abs.
3 lit. c IVV).

4.2.1 Massgebend für die Bemessung der Hilflosigkeit ist der Mehraufwand an
Hilfeleistung und persönlicher Überwachung im Vergleich zu einem nicht
invaliden Minderjährigen gleichen Alters (nicht publizierte Erw. 5 des
Urteils BGE 130 V 61 ff.; BGE 113 V 19 Erw. 3a; ZAK 1989 S. 172 Erw. 2b).
Dementsprechend ist auch bei der Beurteilung, ob gestützt auf alt Art. 36
Abs. 3 lit. c IVV Anspruch auf einen Pflegebeitrag besteht, nur der
Mehraufwand an ständiger und besonders aufwendiger Pflege relevant. Das
Erfordernis der Pflege bezieht sich nicht auf die alltäglichen
Lebensverrichtungen. Es handelt sich vielmehr um eine Art medizinischer oder
pflegerischer Hilfeleistung, welche infolge des physischen oder psychischen
Zustandes des Versicherten notwendig ist (BGE 106 V 158). Zu den Gründen,
welche eine Pflege als besonders aufwendig qualifizieren, sowie zu den
Anforderungen an das zeitliche oder qualitative Mass an Pflege hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht im unveröffentlichten Urteil G. vom 25.
Mai 1987, I 142/86, Folgendes erkannt:
"Eine Pflege kann aus verschiedenen Gründen als aufwendig zu qualifizieren
sein. Sie ist es nach einem quantitativen Kriterium, wenn sie einen grossen
Zeitaufwand erfordert oder besonders hohe Kosten verursacht. In qualitativer
Hinsicht kann sie es sein, wenn die pflegerischen Verrichtungen unter
erschwerenden Umständen zu erfolgen haben, so etwa, weil sich die Pflege
besonders mühsam gestaltet oder die Hilfeleistung zu aussergewöhnlicher Zeit
zu erbringen ist. Im Rahmen von Art. 36 Abs. 3 lit. c IVV ist ein
qualifiziertes Mass an Betreuung, nämlich eine besonders aufwendige Pflege
verlangt. Immerhin dürfen die Anforderungen an das zeitliche oder
quantitative Mass nicht so hoch angesetzt werden, dass sie praktisch nur in
Fällen erfüllt werden können, in denen bereits schwere oder mittelschwere
Hilflosigkeit vorliegt. Vielmehr ist darauf zu achten, dass sich die
Intensität der Hilfeleistungen, die im Rahmen der Tatbestände des Art. 36
Abs. 3 lit. a bis d IVV verlangt wird, in einem gewissen Gleichmass hält"
(Erw. 3b). ... "Ein täglicher Pflegeaufwand von 2 bis 2 ½ Stunden ist sicher
dann als besonders aufwendige Pflege im Sinne von Art. 36 Abs. 3 lit. c IVV
zu qualifizieren, wenn erschwerende qualitative Momente mitzuberücksichtigen
sind. Hiebei fällt vorliegend insbesondere die Tatsache ins Gewicht, dass die
Mutter des Beschwerdegegners jeden Tag einen Dialysenwechsel gegen
Mitternacht vorzunehmen hat und aus diesem Grunde entweder ihren Schlaf
unterbrechen oder das Zubettgehen bis dahin verschieben muss. Dem
Beschwerdegegner ist daher auch nach dem 10. Altersjahr Hilflosigkeit
leichten Grades zuzuerkennen. Das rechtfertigt sich nicht zuletzt auch
deshalb, weil sich die angeführten zeitlichen und qualitativen Momente im
Rahmen des Aufwands halten, der bei den Tatbeständen des Art. 36 Abs. 3 lit.
a und b IVV leichte Hilflosigkeit zu begründen vermag." (Erw. 4d; vgl. auch
unveröffentlichtes Urteil S. vom 28. Januar 1993 Erw. 5b, I 314/92).

4.2.2 Vorliegend kann auf Grund der Aktenlage eine ständige und besonders
aufwendige Pflegebedürftigkeit im Sinne von alt Art. 36 Abs. 3 lit. c IVV
nicht bejaht werden. Hieran ändert der Aufenthalt des Versicherten im
Kinderheim ebenfalls nichts (vgl. auch Erw. 4.1 hievor).

4.3 Leichte Hilflosigkeit im Sinne von alt Art. 36 Abs. 3 lit. d IVV liegt
ebenfalls nicht vor.

4.4 Die letztinstanzlichen Vorbringen des Beschwerdegegners vermögen an
diesem Ergebnis nichts zu ändern.

Der KJPD-Bericht vom 8. November 2001 (Erw. 3.1 hievor) rechtfertigt
ebenfalls keine andere Beurteilung.

Aus den Angaben der Frau Dr. med. C.________ (Erw. 3.3 hievor) kann der
Versicherte nichts zu seinen Gunsten ableiten. Denn aus ärztlich
bescheinigten körperlichen und geistigen Beschwerden allein lassen sich noch
keine unmittelbaren Schlüsse bezüglich des Anspruchs auf eine
Hilflosenentschädigung ziehen, da sich dieser nicht nach den gesundheitlichen
Schwierigkeiten richtet, sondern an deren konkreten Auswirkungen auf die
anerkannten alltäglichen Lebensverrichtungen misst. Wiederholt hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht festgestellt, dass die gesetzliche
Ordnung und die Natur der Sache der Verwaltung bei der Würdigung der Umstände
des Einzelfalles für die Ermittlung des Grades der Hilflosigkeit einen weiten
Ermessensspielraum lassen, sofern der massgebende Sachverhalt mit
hinreichender Zuverlässigkeit geklärt ist (BGE 113 V 19 Erw. a , 98 V 25 Erw.
2 mit Hinweisen; Urteil V. vom 12. November 2002 Erw. 2.2, I 108/01). Dies
ist vorliegend der Fall.

Der Beschwerdegegner beruft sich zudem auf die Berichte des Spitals
W.________ vom 9. September 2002 und 12. November 2004. Gemäss Ersterem zog
er sich eine supra- und diacondyläre Humerusfraktur links sowie eine distale
Radius- und Ulnarfraktur links zu. Laut Letzterem erlitt er am 8. November
2004 an heissem Eisen eine Verbrennung 2. Grades an beiden Handflächen. Diese
beiden Unfälle können indessen auf Grund der gesamten Aktenlage nicht zur
Bejahung der Hilflosigkeit führen.

4.5 Auf Beweisergänzungen ist zu verzichten, da der rechtserhebliche
Sachverhalt hinreichend erstellt ist und von weiteren Abklärungen keine neuen
Erkenntnisse zu erwarten sind (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94
Erw. 4b; RKUV 2003 Nr. U 473 S. 50 Erw. 3.4).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Vewaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Obergerichts des Kantons Uri vom 12. Juli 2004 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Uri und dem
Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 31. Mai 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: