Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 548/2004
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I 548/04

Urteil vom 1. Dezember 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger;
Gerichtsschreiber Schmutz

M.________, 1965, Beschwerdeführer, vertreten durch die Winterthur-ARAG
Rechtsschutz, Gartenhofstrasse 17, 8004 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17,
8005 Zürich, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 27. Juli 2004)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 15. Juni 2001 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich dem
1965 geborenen M.________ für die Zeit vom 1. Oktober 1998 bis 31. Mai 1999
eine befristete ganze Invalidenrente zu. Auf die vom Versicherten erhobene
Beschwerde hin stellte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit
Entscheid vom 26. November 2001 fest, dass die Rente erst per 30. November
1999 aufzuheben sei. Es wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit sie
abkläre, ob der Rentenanspruch vor Erlass der Verfügung vom 15. Juni 2001
wieder aufgelebt sei, und anschliessend darüber neu verfüge.

Nach Einholung eines Gutachtens der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS)
des Kantonsspitals Basel (vom 23. Dezember 2002) sprach die IV-Stelle
M.________ mit Verfügung vom 18. Juli 2003 auch für die Zeit vom 1. November
2000 bis 30. April 2001 eine ganze Invalidenrente zu. Die dagegen gerichtete
Einsprache vom 1. September 2003, mit der die Ausrichtung einer ganzen Rente
über den 31. Mai 1999 hinaus, die Zusprechung einer Invalidenrente auch nach
dem 30. April 2001 und die Gewährung beruflicher Massnahmen
(Arbeitsvermittlung) beantragt wurde, wies die IV-Stelle mit Entscheid vom
26. Februar 2004 ab. Mit Verfügungen vom 13. und 14. April 2004 schloss sie
die Arbeitsvermittlung ab und setzte den sich aus dem kantonalen
Gerichtsentscheid vom 26. November 2001 ergebenden Anspruch auf
Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. Juni bis 30. November 1999 fest.

B.
Die gegen den Einspracheentscheid vom 26. Februar 2004 erhobene Beschwerde
hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 27.
Juli 2004 in dem Sinne teilweise gut, als es in dessen Abänderung
feststellte, dass M.________ vom 1. November 2000 bis Ende Juli 2001 Anspruch
auf eine ganze Invalidenrente hat.

C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, es
seien ihm über den 31. Juli 2001 hinaus Rentenleistungen zuzusprechen;
eventualiter sei die Sache zu weiteren Abklärungen an die Verwaltung
zurückzuweisen.

Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Bei der Prüfung eines allfälligen schon vor dem In-Kraft-Treten des ATSG auf
den 1. Januar 2003 entstandenen Anspruchs auf eine Rente der
Invalidenversicherung sind die allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln
heranzuziehen, gemäss welchen - auch bei einer Änderung der gesetzlichen
Grundlagen - grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei
Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts galten. Demzufolge
ist der Rentenanspruch für die Zeit bis 31. Dezember 2002 auf Grund der
bisherigen und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen zu prüfen (BGE 130 V
445 Erw. 1 mit Hinweisen).

2.
Das kantonale Gericht hat in seinem Entscheid vom 26. November 2001 die
massgebenden Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der Invalidität
(Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG; altArt. 4 Abs. 1
IVG), den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 [in der hier
anwendbaren, bis Ende 2003 gültig gewesenen Fassung] und Abs. 1bis IVG [in
Kraft gestanden bis Ende Dezember 2003]), die Bemessung des
Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten
(Einkommensvergleichsmethode [Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2
IVG; altArt. 28 Abs. 2 IVG; BGE 104 V 136 Erw. 2a und b]), die Rentenrevision
(altArt. 41 IVG/17 ATSG) sowie die Rechtsprechung zur Aufgabe des Arztes im
Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4, 115 V 134 Erw. 2, 105
V 158 Erw. 1) und zum Beweiswert ärztlicher Berichte (BGE 125 V 352 f. Erw. 3
mit Hinweisen) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. Im hier
angefochtenen Entscheid vom 27. Juli 2004 hat sie die Rechtsprechung zu den
geistigen Gesundheitsschäden und den Umständen, unter denen auch somatoforme
Schmerzstörungen eine Arbeitsunfähigkeit verursachen können, korrekt
angegeben (vgl. dazu neu auch BGE 130 V 352 ff.). Zu ergänzen ist, dass hier
die mit der 4. IV-Revision auf den 1. Januar 2004 in Kraft getretenen
Bestimmungen nicht anwendbar sind.

3.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde beschränkt sich im Wesentlichen auf das
Argument, dass anlässlich der Begutachtung durch die MEDAS im Spätherbst 2002
keine bildgebenden Untersuchungen durchgeführt wurden, sondern auf die
Ergebnisse von Kontrollen des linken Kniegelenks am 15. November 2000 (MRI)
und 24. Januar 2001 (Arthroskopie) abgestellt wurde. Zudem wird vorgebracht,
dem Beschwerdeführer sei die Verwertung seiner Restarbeitsfähigkeit auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich. Letztlich stehe ihm nur noch eine
Beschäftigung in einem geschützten Rahmen offen, was aber angesichts des dort
erzielbaren geringen Verdienstes zu einer ganzen Rente führen müsse.

4.
Der überzeugenden Würdigung der medizinischen Aktenlage durch die Vorinstanz
sowie der Befristung und Berechnung des Rentenanspruchs ist vollumfänglich
beizupflichten:
4.1 So trifft es zu, dass sich der MEDAS-Gutachter F.________, Spezialarzt FMH
für Rheumatologie und Innere Medizin, in erster Linie an den
Abklärungsergebnissen vom November 2000/Januar 2001 und dem anschliessenden
Heilungsverlauf orientieren musste, um in seinem rheumatologischen
Fachgutachten vom 19. November 2002 den ab November 2000 bestehenden
Gesundheitszustand beurteilen zu können. Gestützt auf das MEDAS-Gutachten
wurde dem Beschwerdeführer zusätzlich und befristet auf die Zeit vom 1.
November 2000 bis 30. April 2001 (Verwaltung) beziehungsweise 31. Juli 2001
(Vorinstanz) eine ganze Invalidenrente zugesprochen. Dass anlässlich der
Begutachtung im Spätherbst 2002 keine neue bildgebende Untersuchung
durchgeführt wurde, rechtfertigte sich auch dadurch, dass - wie die
Vorinstanz zutreffend erwogen hat - der Beschwerdeführer anlässlich der
Exploration vom 19. November 2002 gegenüber F.________ angab, die
(Meniskus-)Operation vom 24. Januar 2001 habe zunächst eine gewisse Besserung
der Symptomatik bewirkt. Nachher seien die Schmerzen aber wieder gleich
gewesen. Deshalb konnte von einem unveränderten Verlauf bis zur Begutachtung
im November 2002 ausgegangen werden. Wie die kantonale Instanz zu Recht
befunden hat, überzeugt das MEDAS-Gutachten in allen Teilen und genügt ohne
weiteres den nach der Rechtsprechung an ein derartiges Beweismittel
gestellten Anforderungen (vgl. Hinweis in Erw. 2 hievor). Von zusätzlichen
Untersuchungsmassnahmen im Sinne des gestellten Eventualantrages ist
abzusehen, weil davon keine weiteren erheblichen Erkenntnisse zu erwarten
sind.

4.2 Verwaltung und Vorinstanz sind in korrekter Würdigung des medizinischen
Sachverhaltes bei der Invaliditätsbemessung zu Recht davon ausgegangen, dass
der Beschwerdeführer Mitte April 2001 in körperlich leichten bis
mittelschweren, vorwiegend, aber nicht ausschliesslich sitzenden Tätigkeiten
ohne lange Gehstrecken, ohne Notwendigkeit der Benutzung von Treppen und
Leitern, ohne Heben, Tragen und Stossen von Lasten über 10 bis maximal 15
Kilogramm, ohne kniende Positionen und mit der Möglichkeit, die Haltung zu
wechseln, wieder eine vollständige Arbeitsfähigkeit erreichte. Auch legte die
Vorinstanz bei der Bemessung des Invaliditätsgrades im Einkommensvergleich
(vgl. Hinweis in Erw. 2 hievor) das Invalideneinkommen zu Recht nach dem
Durchschnittslohn gemäss der Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für
Statistik für Männer in einfachen und repetitiven Tätigkeiten
(Anforderungsniveau 4) für das Jahr 2000 fest. Korrekt ist ebenfalls die
Berücksichtigung der Lohnentwicklung bis zum hier massgebenden Jahr der
Rentenaufhebung (2001). Ebenso lag die Erhöhung um 5 % auf 20 % des von der
Verwaltung gewährten Abzuges vom tabellarisch ermittelten Invalideneinkommen
für leidensbedingte Einschränkungen in dem ihr hier eingeräumten
Ermessensspielraum.

4.3 Der Beschwerdeführer bringt gegen die Bemessung des Invaliditätsgrades
lediglich vor, die Verwertung seiner Arbeitsfähigkeit sei ihm nur noch in
einem geschützten Rahmen möglich, da der allgemeine Arbeitsmarkt keine hiefür
geeigneten Stellen anbiete. Solche Tätigkeiten seien zudem schlecht entlöhnt.
Der Einwand ist offensichtlich unbegründet, denn nach der Rechtsprechung
handelt es sich bei der ausgeglichenen Arbeitsmarktlage (vgl. Art. 16 ATSG in
Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG; altArt. 28 Abs. 2 IVG) um einen
theoretischen und abstrakten Begriff. Er umschliesst einerseits ein
bestimmtes Gleichgewicht zwischen dem Angebot an und der Nachfrage nach
Stellen; andererseits bezeichnet er einen Arbeitsmarkt, der von seiner
Struktur her sowohl bezüglich der beruflichen und intellektuellen
Voraussetzungen als auch hinsichtlich des körperlichen Einsatzes einen Fächer
verschiedenartiger Stellen offen hält. Nach diesen Gesichtspunkten bestimmt
sich im Einzelfall, ob die invalide Person die Möglichkeit hat, ihre
restliche Erwerbsfähigkeit zu verwerten (BGE 110 V 276 Erw. 4b; ZAK 1991 S.
321 Erw. 3b). Bei der Bestimmung des trotz der gesundheitlichen
Beeinträchtigung zumutbarerweise erzielbaren Einkommens darf nicht von
realitätsfremden Einsatzmöglichkeiten ausgegangen werden. Von einer
Arbeitsgelegenheit kann nicht gesprochen werden, wenn das Finden einer
entsprechenden Stelle von vornherein als ausgeschlossen erscheint, weil die
zumutbare Tätigkeit nur in so eingeschränkter Form möglich ist, dass sie der
allgemeine Arbeitsmarkt praktisch nicht kennt oder dass sie nur unter nicht
realistischem Entgegenkommen eines durchschnittlichen Arbeitgebers möglich
wäre (vgl. ZAK 1991 S. 320 Erw. 3b, 1989 S. 321 Erw. 4a). Im Falle des
Beschwerdeführers sind die letztgenannten Bedingungen in keiner Hinsicht
erfüllt. Es ist ihm in Nachachtung des generell in der Sozialversicherung
geltenden Grundsatzes der Schadenminderung (BGE 123 V 233 Erw. 3c, 117 V 278
Erw. 2b, 400) ohne weiteres zumutbar, die verbliebene Arbeitsfähigkeit im
dargelegten Rahmen (vgl. Erw. 4.2 hievor) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu
verwerten.

4.4 Da dem Beschwerdeführer gestützt auf die Erkenntnisse aus dem
MEDAS-Gutachten vom 23. Dezember 2002 in einer seinem Leiden angepassten
leichten Arbeit ab Mitte April 2001 wieder eine volle Erwerbstätigkeit
zumutbar war, und weil sich bei dem rechtsprechungskonform vorgenommenen
Abzug auf dem Invalidenlohn im Einkommensvergleich eine Lohneinbusse und
damit ein Invaliditätsgrad von nur noch 14 % ergab, hat die Vorinstanz den
Anspruch auf eine IV-Rente unter Berücksichtigung der in Art. 88a Abs. 1
zweiter Satz IVV statuierten Frist von drei Monaten zu Recht auf Ende Juli
2001 geändert und die Leistung aufgehoben.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 1. Dezember 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: