Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 546/2004
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I 546/04

Urteil vom 14. September 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Schmutz

S.________, 1964, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans
Suppiger, Seidenhofstrasse 12, 6003 Luzern,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 29. Juli 2004)

Sachverhalt:

A.
S. ________, geboren 1964, war von Juni 1997 bis Ende Februar 1999 als
Küchenmitarbeiter (zuletzt zu 50 %) bei der Firma X.________ tätig. Von Ende
März 1999 bis Ende März 2001 bezog er - bei einem Vermittlungsgrad von 50 % -
Taggelder der Arbeitslosenversicherung. Ab Januar 2001 arbeitete er
vorübergehend drei Monate mit einem Beschäftigungsgrad von rund 80 % in der
Bäckerei Y._________ und ab 1. April 2001 noch zu 50 % in der Firma
Z._________. Am 3. November 1999 meldete sich S.________ bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Er litt an einer chronischen
Lumbalgie bei grossbogiger linkskonvexer Torsionsskoliose der Wirbelsäule
sowie muskulärer Insuffizienz (Bericht Rheumatologische Abteilung Spital
Q.________ vom 17. Juni 1999). Die IV-Stelle Luzern holte unter anderem den
Bericht des Spitals Q.________ vom 12. Februar 2001 über die Evaluation der
funktionellen Leistungsfähigkeit (nachfolgend: EFL-Bericht) ein. Darin wurde
als das arbeitsbezogen relevante Problem eine Funktionsstörung der
Lendenwirbelsäule genannt. Man schätzte S.________ unter einschränkenden
Rahmenbedingungen zu 80 % arbeitsfähig. Mit Verfügung vom 16. April 2003
sprach ihm die IV-Stelle Luzern für die Zeit vom 1. Mai 1999 bis 30.
September 1999 eine halbe Invalidenrente zu. Die dagegen gerichtete
Einsprache wies sie mit Entscheid vom 20. November 2003 ab.

B.
S.________ erhob hiegegen beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
Beschwerde. Er beantragte die Zusprechung einer nicht befristeten ganzen
Invalidenrente ab 1. Mai 1999. Mit Entscheid vom 29. Juli 2004 hob das
kantonale Gericht den Einspracheentscheid auf und setzte in Abänderung der
Verfügung fest, dass die halbe Invalidenrente ab 1. Mai 1999 bis 31. März
2001 auszurichten sei. Es sprach dem Versicherten eine gekürzte
Parteientschädigung von Fr. 350.- zu.

C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
es sei ihm mit Beginn ab 1. Mai 1999 ohne zeitliche Befristung eine halbe
Invalidenrente auszurichten; zudem sei im vorinstanzlichen Verfahren eine
ungekürzte Anwaltskostenentschädigung auszuzahlen.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
verbunden mit der Feststellung, dass die Rente wie verfügt per Ende September
1999 aufzuheben sei. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Bei der Prüfung eines allfälligen schon vor dem In-Kraft-Treten des ATSG
auf den 1. Januar 2003 entstandenen Anspruchs auf eine Rente der
Invalidenversicherung sind die allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln
heranzuziehen, gemäss welchen - auch bei einer Änderung der gesetzlichen
Grundlagen - grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei
Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts galten. Demzufolge
ist - abweichend vom Entscheid der Vorinstanz - der Rentenanspruch für die
Zeit bis 31. Dezember 2002 auf Grund der bisherigen und ab diesem Zeitpunkt
nach den neuen Normen zu prüfen (BGE 130 V 445). Da die im ATSG enthaltenen
Formulierungen der Arbeitsunfähigkeit, der Erwerbsunfähigkeit, der
Invalidität, der Einkommensvergleichsmethode und der Revision (der
Invalidenrente und anderer Dauerleistungen) den bisherigen von der
Rechtsprechung dazu entwickelten Begriffen in der Invalidenversicherung
entsprechen (BGE 130 V 343 f. Erw. 2-3.6), ergibt sich für die vorliegende
Beurteilung des Leistungsanspruches jedoch inhaltlich keine Änderung.

1.2 In diesem Sinne sind im kantonalen Entscheid die massgebenden
Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der Invalidität (Art. 8 Abs. 1
ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG; alt Art. 4 Abs. 1 IVG), den Umfang
des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 [in der hier anwendbaren, bis Ende 2003
gültig gewesenen Fassung] und Abs. 1bis IVG [in Kraft gestanden bis Ende
Dezember 2003]), die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen
Versicherten (Einkommensvergleichsmethode [Art. 16 ATSG in Verbindung mit
Art. 28 Abs. 2 IVG; alt Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 104 V 136 Erw. 2a und b])
sowie die Rentenrevision (alt Art. 41 IVG/Art. 17 ATSG in Verbindung mit Art.
88a IVV) richtig dargelegt worden. Darauf wird verwiesen. Zutreffend ist,
dass die Bestimmungen der auf den 1. Januar 2004 in Kraft getretenen 4.
IVG-Revision nicht anwendbar sind, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des
Einspracheentscheids (hier: 20. November 2003) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob sich der Invaliditätsgrad des
Beschwerdeführers bis zum Stichtag des Einspracheentscheids am 20. November
2003 erheblich änderte, sodass die mit Wirkung ab 1. Mai 1999 zugesprochene
halbe Invalidenrente aufzuheben war. Ist dies zu bejahen, ist der Zeitpunkt
der Aufhebung zu bestimmen.

2.1 Gemäss Art. 88a Abs. 1 IVV ist die den Anspruch auf eine Invalidenrente
beeinflussende Änderung bei einer Verbesserung der Erwerbsfähigkeit für die
Herabsetzung oder Aufhebung der Leistung von dem Zeitpunkt an zu
berücksichtigen, in dem angenommen werden kann, dass sie voraussichtlich
längere Zeit dauern wird; sie ist in jedem Fall zu berücksichtigen, nachdem
sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate angedauert hat und
voraussichtlich weiterhin andauern wird.

2.2 Im EFL-Bericht des Spitals Q.________ vom 12. Februar 2001 wurde die
Zumutbarkeit einer beruflichen Betätigung des Beschwerdeführers wie folgt
umschrieben: Ganztägige leichte bis mittelschwere Arbeit, nicht sitzend, mit
viel Bewegung, ohne häufiges Heben von Lasten über zehn Kilo, mit zusätzlich
zu den üblichen Pausen von zweimal zwanzig Minuten über den Tag verteilten
Pausen von insgesamt eineinhalb Stunden. Dabei wurde angemerkt, die
berufliche Eingliederung am damaligen Arbeitsplatz in der Bäckerei Y.________
(Teilzeitpensum von 80 %) sei nur reduziert möglich, sofern nicht eine andere
Arbeitseinteilung mit einer Unterbrechung von ein bis zwei Stunden, während
der sich der Versicherte liegend ausruhen könne, gewählt werde.

2.3 Offensichtlich konnte kein dem Leiden angepasster Arbeitsrhythmus
umgesetzt werden, weshalb der Beschwerdeführer den Arbeitsplatz in der
Bäckerei bereits nach knapp drei Monaten aufgeben musste. Per 1. April 2001
trat er bei der Firma Z.________, bei der er schon in den Jahren 1994 bis
1996 gearbeitet hatte und wo seine Rückenprobleme bekannt waren, eine
50-Prozent-Stelle an. Zunächst bezog er den dem Teilpensum entsprechenden
halben Lohn von Fr. 1786.95. Dieser wurde dann auf Fr. 1270.- gekürzt, was
gemäss Schreiben des Rechtsvertreters an die IV-Stelle vom 20. November 2002
von der Arbeitgeberin mit einer zu geringen Leistung begründet wurde. Die
Verwaltung führte im Einspracheentscheid den Umstand, dass der
Beschwerdeführer im 50-Prozent-Pensum keine volle Leistung erbrachte, auf
mangelnde Arbeitsmotivation und somit invaliditätsfremde Gründe zurück. Sie
hielt daran fest, der Versicherte sei nach dem EFL-Bericht zu 80 %
leistungsfähig, sofern die dort genannten Rahmenbedingungen eingehalten
würden. In dem im kantonalen Verfahren eingelegten Kurzbericht vom 23.
Dezember 2003 führte die behandelnde Ärztin Frau Dr. med. C.________,
Fachärztin FMH für Allgemeine Medizin, jedoch aus, die Beschäftigung des
Beschwerdeführers bei der Firma Z._________ sei den im EFL-Bericht genannten
Rahmenbedingungen sogar sehr angepasst; trotzdem hätten die Rückenbeschwerden
in den drei Jahren zugenommen; der Versicherte arbeite zeitlich zu 50 Prozent
mit einer Leistung von 25 Prozent.

3.
3.1 Wie das kantonale Gericht in zutreffender Würdigung der Aktenlage zu Recht
entschieden hat, bestand kein Anlass dazu, die halbe Invalidenrente des
Beschwerdeführers per 30. September 1999 revisionsweise aufzuheben. Der
Anspruch auf eine solche Rente bis zum 31. März 2001 ist ausgewiesen.

3.2 Die Vorinstanz hat sich bei der Beurteilung der Befristung der Rente per
31. März 2001 auf den EFL-Bericht vom 12. Februar 2001 abgestützt. Dies ist
grundsätzlich nicht zu beanstanden, sieht man davon ab, dass für die
Beurteilung der Zeitpunkt des Einspracheentscheides, nämlich der 20. November
2003, massgebend ist. Da zwischen dem EFL-Bericht vom 12. Februar 2001 und
dem Einspracheentscheid vom 20. November 2003 ein Zeitraum von 33 Monaten
liegt, kann für den für die Beurteilung massgeblichen Zeitpunkt des
Einspracheentscheides nicht ausschliesslich auf den EFL-Bericht abgestellt
werden. Insbesondere ist zu prüfen, ob die mit einschränkenden Vorbehalten
gestellte Prognose des EFL-Berichts sich aus Gründen nicht verwirklichte, die
nicht dem Beschwerdeführer anzulasten sind, und der ungünstige Verlauf der
beruflichen Aktivitäten nach der Erstellung des EFL-Berichtes auf
gesundheitliche Gründe zurückzuführen ist. Es kann auch sein, dass der im
EFL-Bericht aufgezeigte Rahmen an Betätigungsmöglichkeiten unter dem Eindruck
der während der Berichterstattung ausgeübten Tätigkeit in der Bäckerei etwas
zu optimistisch abgesteckt wurde, auch wenn bereits erkannt worden war, dass
eine berufliche Eingliederung an diesem Arbeitsplatz nur reduziert möglich
sei.

3.3 Da nach dem Gesagten die bei den Akten liegenden Angaben zur
medizinischen und beruflichen Situation des Beschwerdeführers nach dem 1.
April 2001 nicht genügen, um die offenen Fragen schlüssig zu beurteilen, wird
die Sache an die IV-Stelle zurückgewiesen. Sie wird nach Veranlassung der
erforderlichen medizinischen und beruflichen Abklärungen über den
Leistungsanspruch des Beschwerdeführers ab dem 1. April 2001 befinden.

4.
Nachdem der Beschwerdeführer in dem Sinne obsiegt, als die Frage einer
revisionsweisen Aufhebung der halben Invalidenrente (für die Zeit ab dem 1.
April 2001) noch einmal zu prüfen ist, hat er Anspruch auf eine
Parteientschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren (Art. 159 Abs. 2 OG)
sowie eine zusätzliche Parteientschädigung für das kantonale Verfahren. Es
wird für beide Instanzen ein Gesamtbetrag festgesetzt (Art. 159 Abs. 6 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 29. Juli 2004 und
der Einspracheentscheid der IV-Stelle Luzern vom 20. November 2003 aufgehoben
werden und die Sache an die IV-Stelle Luzern zurückgewiesen wird, damit sie
im Sinne der Erwägungen über den Rentenanspruch ab 1. April 2001 neu verfüge.

2.
Die IV-Stelle Luzern hat dem Beschwerdeführer für das gesamte Verfahren eine
Parteientschädigung von Fr. 2000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Gastrosocial Ausgleichskasse und
dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 14. September 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: