Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 536/2004
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I 536/04

Urteil vom 10. Dezember 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiberin
Durizzo

Y.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Maron,
Schaffhauserstrasse 345, 8050 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 22. Juni 2004)

Sachverhalt:

A.
Y. ________, geboren 1956, erlitt am 29. Oktober 1999 einen schweren
Herzinfarkt. Abgesehen von der Teilnahme an einem Einsatzprogramm der
Arbeitslosenversicherung anfangs 2001, welches er aus gesundheitlichen
Gründen vorzeitig abgebrochen hat, ist er seither keiner Erwerbstätigkeit
mehr nachgegangen. Am 29. April 2002 meldete er sich bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich
holte einen Bericht des Hausarztes Dr. med. K.________ vom 24. August 2002
ein und klärte die erwerbliche Situation ab. Gestützt auf die Gutachten des
Kardiologen Dr. med. M.________ vom 17. Februar 2003 und des Psychiaters Dr.
med. R.________ vom 4. August 2003 lehnte sie das Leistungsbegehren mit
Verfügung vom 11. September 2003 ab, da die bisherige Tätigkeit als
Mitarbeiter im Haus- und Reinigungsdeinst nach Durchführung einer
Psychotherapie vollumfänglich zumutbar sei. An dieser Auffassung hielt sie
mit Einspracheentscheid vom 24. November 2003 fest.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 22. Juli 2004 ab.

C.
Y.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen auf
Aufhebung des angefochtenen Entscheides und Zusprechung einer ganzen
Invalidenrente; eventualiter sei die Sache an die Beschwerdegegnerin
zurückzuweisen zur Vornahme weiterer Abklärungen. Ausserdem ersucht er um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

Während die IV-Stelle des Kantons Zürich auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für
Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Begriffe
der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und der Invalidität (Art. 8 ATSG in
Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), insbesondere auch bei geistigen
Gesundheitsschäden (BGE 127 V 298 Erw. 4c in fine, 102 V 165; AHI 2001 S. 228
Erw. 2b mit Hinweisen und 2000 S. 151 Erw. 2a), den Anspruch auf eine
Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 und Abs. 1bis IVG ˆ[in Kraft gestanden bis
Ende Dezember 2003]), die Ermittlung des Invaliditätsgrades (Art. 16 ATSG),
die Aufgabe des Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261
Erw. 4 mit Hinweisen; vgl. auch AHI 2002 S. 70 Erw. 4b/cc) und die
richterliche Beweiswürdigung von Arztberichten (BGE 125 V 352 Erw. 3a und b
mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt bezüglich der
Nichtanwendbarkeit der Änderungen des IVG vom 21. März 2003 und der IVV vom
21. Mai 2003 (4. IV-Revision) sowie der damit einhergehenden Anpassungen des
ATSG. Darauf wird verwiesen.

2.
Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, er könne seinen linken Arm nicht
mehr über Schulterhöhe heben. Diese Problematik sei nie richtig abgeklärt
worden. Die Vorinstanz führt dazu aus, dass die Arm- und Schulterschmerzen in
den medizinischen Akten keine Stütze finden würden. Es trifft zwar zu, dass
der behandelnde Arzt Dr. med. K.________ sie in seinem Bericht vom 24. August
2002 nicht nennt. Anlässlich der Begutachtung durch den Kardiologen Dr. med.
M.________ gab der Beschwerdeführer jedoch an, der Hausarzt habe sich um
diese Probleme gekümmert, und offenbar hatte er auch eine Physiotherapie
verordnet. Im Bericht des Spitals X.________ vom 9. Juli 2001 wurden
"atypische Thoraxschmerzen" genannt; der Versicherte wurde dort kardiologisch
kontrolliert. Dr. med. M.________ empfahl in seinem Gutachten zwar, der
Beschwerdeführer sei rheumatologisch abzuklären. Die IV-Stelle hat dies in
der Folge zu Recht unterlassen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der
Beschwerdeführer an einer rheumatologisch bedingten Bewegungseinschränkung -
nach Einschätzung des Kardiologien Dr. med. M.________ eventuell einer
Periarthropathia humero-scapularis - leidet. Im Vordergrund stehen jedoch
hinsichtlich der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit weder diese noch
kardiologische Probleme, sondern psychische Gründe.

3.
Der Beschwerdeführer macht denn auch geltend, er sei nach Auffassung seines
Psychiaters Dr. med. C.________, bei dem er sich seit Januar 2003 behandeln
lässt, wegen einer schweren Depression zu 100 % arbeitsunfähig.

3.1 Das kantonale Gericht hat bezüglich des psychischen Gesundheitszustandes
auf das Gutachten des Dr. med. R.________ abgestellt, wonach der Versicherte
eine depressive Symptomatik entwickelt habe. Nach Auffassung des Dr. med.
R.________, welcher den Versicherten am 2. Juni 2003 exploriert hat, lag kein
invalidisierendes Leiden vor. Dr. med. C.________ diagnostizierte
demgegenüber gemäss Bericht vom 15. Dezember 2003 eine schwere depressive
Episode, wobei ein Hamilton-Test mit entsprechendem Ergebnis am 17. April
2003 durchgeführt worden sei und sich der Zustand seit Behandlungsbeginn im
Januar 2003 nicht verändert habe. Die Schlussfolgerung auf eine schwere
Depression und eine dadurch bedingte vollständige Arbeitsunfähigkeit ist nach
Auffassung der Vorinstanz nicht nachvollziehbar.

3.2 Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichts ist
rechtsprechungsgemäss entscheidend, ob er für die streitigen Belange
umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, die geklagten
Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben
worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und der
medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des
Experten begründet sowie nachvollziehbar sind (BGE 125 V 352 Erw. 3a mit
Hinweis).

Was insbesondere die geistigen Gesundheitsschädigungen betrifft, ist das
Vorliegen eines fachärztlich diagnostizierten psychischen Leidens mit
Krankheitswert aus rechtlicher Sicht wohl Voraussetzung, nicht aber
hinreichende Basis für die Annahme einer invalidisierenden Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit; ausschlaggebend ist vielmehr, ob die psychiatrischen
Befunde nach Einschätzung des Arztes eine derartige Schwere aufweisen, dass
dem Versicherten die Verwertung seiner Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt bei
objektiver Betrachtung - und unter Ausschluss von Einschränkungen der
Leistungsfähigkeit, die auf aggravatorisches Verhalten zurückzuführen sind -
sozial-praktisch nicht mehr zumutbar oder dies für die Gesellschaft gar
untragbar ist (BGE 130 V 353 ff. Erw. 2.2.3 mit Hinweis auf Urteil S. vom 17.
Februar 2003 [I 667/01] Erw. 3; BGE 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit
Hinweisen). Wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat, ist das Attest
einer 100 %igen Arbeitsunfähigkeit durch Dr. med. C.________ mit Blick auf
diese Rechtsprechung nicht nachvollziehbar, diagnostiziert er doch eine
"depressive Episode", geht also von einem vorübergehenden Zustand aus, und
begründet nicht, warum dem Versicherten generell keinerlei Erwerbstätigkeit
mehr zumutbar sein sollte.

Jedoch genügt auch das Gutachten des Dr. med. R.________, auf welches sich
die Vorinstanz gestützt hat, den Anforderungen der  Rechtsprechung zum
Beweiswert einer ärztlichen Stellungnahme nicht. Der Beschwerdeführer hatte
bei der Untersuchung durch den Gutachter angegeben, dass er seit drei Monaten
in Behandlung bei Dr. med. C.________ sei. Trotzdem hat sich Dr. med.
R.________ nicht bei ihm über seine Einschätzung erkundigt, erwähnt in seinem
Gutachten aber ausdrücklich, in den bisherigen Berichten fänden sich keine
Hinweise auf schwere psychische Störungen oder Belastungen, die eine
Invalidisierung aus psychischen Gründen nach somatisch attestierter Remission
nach dem Herzinfarkt nahe legen könnten. Es fehlt im psychiatrischen
Gutachten damit an einer schlüssigen Auseinandersetzung mit der Auffassung
des behandelnden Arztes. Weil die ärztlichen Stellungnahmen zur
Arbeitsunfähigkeit sich wiedersprechen, ist die Sache abklärungsbedürftig.

4.
Im vorliegenden Verfahren geht es um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen, weshalb von der Auferlegung von Gerichtskosten
abzusehen ist (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend ist dem
Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 135 in
Verbindung mit Art. 159 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege,
einschliesslich der unentgeltlichen Verbeiständung, erweist sich damit als
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 22. Juli
2004 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 24.
November 2003 aufgehoben, und es wird die Sache an die IV-Stelle des Kantons
Zürich zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgten Abklärungen im Sinne der
Erwägungen über den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Invalidenrente
neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr.
2'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Neuverlegung
der Parteikosten für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 10. Dezember 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: