Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 528/2004
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I 528/04

Urteil vom 24. Februar 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Grünvogel

K.________, 1954, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland
Ilg, Rämistrasse 5, 8001 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 3. August 2004)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 18. März 2003 lehnte es die IV-Stelle des Kantons Solothurn
ab, der 1954 geborenen K.________ eine Invalidenrente auszurichten. Mit
Einspracheentscheid vom 22. Juli 2003 änderte die IV-Stelle die Verfügung
dahingehend ab, dass sie K.________ für die Zeit vom 1. Juli bis 30. November
2000 eine befristete ganze Invalidenrente zusprach, weil von Mitte Juli 1999
bis Ende November 2000 vorübergehend eine vollständige Arbeitsunfähigkeit
vorgelegen habe. In diese Zeit fiel die an der Neurologischen Klinik und
Poliklinik B.________ am 1. Dezember 1999 vorgenommene Entfernung eines
Rückentumors.

B.
Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn mit Entscheid vom 3. August 2004 ab.

C.
K.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag auf
Rückweisung der Angelegenheit zwecks weiterer Abklärungen und  neuer
Entscheidung.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Stellungnahme.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die für die Beurteilung eines Leistungsanspruches gegenüber der
Invalidenversicherung massgebenden Grundlagen in der nach dem In-Kraft-Treten
des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts
(ATSG) vom 6. Oktober 2000 auf den 1. Januar 2003 gültig gewesenen Fassung
sind im angefochtenen Entscheid korrekt aufgezeigt worden. Zu beachten ist,
dass bei der Prüfung eines allfälligen schon vor dem In-Kraft-Treten des ATSG
entstandenen Anspruchs auf eine Rente der Invalidenversicherung die
allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln heranzuziehen sind, gemäss
welchen - auch bei einer Änderung der gesetzlichen Grundlagen - grundsätzlich
diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei Verwirklichung des zu
Rechtsfolgen führenden Sachverhalts galten. Demzufolge ist der Rentenanspruch
für die Zeit bis 31. Dezember 2002 aufgrund der bisherigen und ab diesem
Zeitpunkt nach den neuen Normen zu prüfen (BGE 130 V 329), was Vorinstanz und
Verwaltung übersehen haben. Für den Verfahrensausgang ist dies indessen
insofern von untergeordneter Bedeutung, als die im ATSG enthaltenen
Umschreibungen hinsichtlich der invalidenversicherungsrechtlichen
Invaliditätsbemessung keine substanziellen Änderungen gegenüber der bis zum
31. Dezember 2002 gültig gewesenen Normenlage brachten. Denn gemäss BGE 130 V
343, insbesondere 345 ff. Erw. 3.1-3.4 entsprechen die im ATSG enthaltenen
Definitionen der Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), der Erwerbsunfähigkeit
(Art. 7 ATSG) und der Invalidität (Art. 8 ATSG) ebenso wie die Vorschrift
über die Bestimmung des Invaliditätsgrades (bei erwerbstätigen Versicherten;
Art. 16 ATSG) auch den bisherigen, in der Invalidenversicherung von der
Rechtsprechung dazu entwickelten Begriffen und Grundsätzen.

1.2 Zu ergänzen ist, dass nach Art. 41 IVG (in der bis 31. Dezember 2002
gültig gewesenen Fassung; seither Art. 17 ATSG; BGE 130 V 349 ff. Erw. 3.5)
die Rente für die Zukunft entsprechend zu erhöhen, herabzusetzen oder
aufzuheben ist, wenn sich der Grad der Invalidität eines Rentenbezügers in
einer für den Anspruch erheblichen Weise ändert. Bei einer Verbesserung der
Erwerbsfähigkeit ist die anspruchsbeeinflussende Änderung für die
Herabsetzung oder Aufhebung der Leistung von dem Zeitpunkt an zu
berücksichtigen, in dem angenommen werden kann, dass sie voraussichtlich
längere Zeit dauern wird. Sie ist in jedem Fall zu berücksichtigen, nachdem
sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate angedauert hat und
voraussichtlich weiterhin andauern wird (Art. 88a Abs. 1 IVV). Diese
Bestimmung gilt nicht nur bei einer Rentenrevision im Sinne von Art. 41 IVG
(seit 1. Januar 2003 Art. 17 ATSG), sondern ist sinngemäss auch dann
anwendbar, wenn rückwirkend eine abgestufte oder befristete Rente
zugesprochen wird (ZAK 1984 S. 133), weil noch vor Erlass der ersten
Rentenverfügung eine anspruchsbeeinflussende Änderung eingetreten ist mit der
Folge, dass dann gleichzeitig die Änderung mit berücksichtigt wird (BGE 109 V
126 Erw. 4a).

2.
Die Vorinstanz hat in sorgfältiger Würdigung der Aktenlage erkannt, dass sich
die Versicherte von der am 1. Dezember 1999 durchgeführten Rückenoperation
wie auch den Begleitumständen spätestens Ende November 2000 wieder derart
erholt hatte, dass sie objektiv gesehen ihre bisherige Tätigkeit in
zumutbarer Weise wieder im Umfang von 70 % der Norm hätte aufnehmen können.
Dabei ist das kantonale Gericht den Einschätzungen zur Restarbeitsfähigkeit
von Dr. med. E.________ vom 11. September 2000 und dem Hausarzt Dr. med.
R.________ vom 29. September 2000 mit überzeugenden Argumenten nicht gefolgt:
Deren Einschätzungen lag die Annahme einer postoperativ aufgetretenen,
motorischen und sensiblen Störung der rechten Körperhälfte mit wesentlichem
Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit zu Grunde. Später durchgeführte
Kernspintomographien konnten dies aber nicht bestätigen, wie Frau Dr. med.
M.________ am 27. August 2001 für die Neurologische Klinik und Poliklinik
B.________ im von der IV-Stelle in Auftrag gegebenen Gutachten ausdrücklich
festhält. Ohnehin haben die Dres. E.________ und R.________ ihre Einschätzung
zu einem Zeitpunkt abgegeben, als der Heilungsprozess nach Auffassung von Dr.
med. M.________ noch gar nicht abgeschlossen war, weshalb daraus auch nichts
für die Zeit nach dem 1. Dezember 2002 abgeleitet werden kann. Das kantonale
Gericht stellte vielmehr in zutreffender Weise auf die in jeder Hinsicht
überzeugenden Gutachten von Dr. med. M.________ vom 27. August 2001 und vom
Psychiater Dr. med. H.________ vom 26. November 2002 ab, wonach der
Versicherten unter Ausschluss invaliditätsfremder Faktoren wie mässige
Ausbildung, Ehesituation und Krankheitsgewinn seit dem 1. November 2000 ein
Teilzeitpensum im Umfang von 70 % einer Vollzeitstelle zumutbar wäre. Wenn im
vorinstanzlich eingereichten Bericht der Neurologisch-Neurochirurgischen
Poliklinik B.________ vom 7. Juli 2003 nunmehr trotz unverändertem
neurochirurgischen Befund ohne jegliche Begründung von der von Dr. med.
M.________ vorgenommenen Einschätzung der Restarbeitsfähigkeit abgewichen
wird, so überzeugt dies nicht, worauf das kantonale Gericht bereits
hingewiesen hat. Die Einschätzungen der Dres. med. M.________ und H.________
sind damit ebenso wenig wie mit dem letztinstanzlich nachgereichten
ärztlichen Attest der Psychiatrischen Dienste vom 27. September 2004 zu
erschüttern, weshalb von den geltend gemachten zusätzlichen Abklärungen
abzusehen ist.

3.
Vom dargestellten Zumutbarkeitsprofil ausgehend, legte die Vorinstanz sodann
dar, weshalb die Versicherte mit der per Ende November 2000 wiedergewonnenen
Arbeitsfähigkeit von 70 % den rentenbegründenden oder -wahrenden
Mindestinvaliditätsgrad von 40 % nicht mehr erreicht. Darauf wird verwiesen.
Insbesondere hielt das kantonale Gericht zutreffend fest, dass sich der von
der Verwaltung zur Bestimmung des Invalideneinkommens gewährte
leidensbedingte Abzug von 10 % auf dem durchschnittlichen Tabellenlohn
angesichts der konkreten Umstände bereits als grosszügig erweist, weshalb
auch nicht gesagt werden kann, der von der IV-Stelle berechnete, von der
Vorinstanz bestätigte Invaliditätsgrad von 37 % sei willkürlich tief
festgesetzt. Bereits die Vorinstanz hat darauf hingewiesen, dass in einem
Teilzeitpensum von 50 % bis 74 % beschäftige Frauen bei einfachen und
repetitiven Arbeiten statistisch gesehen über dem Durchschnitt liegende
Einkommen erzielen (LSE 2002 S. 28 T8*), was die Versicherte auszublenden
scheint, indem sie sich zur Begründung eines höheren Lohnabzuges erneut auf
den Status als Teilerwerbstätige beruft.

4.
Wenn die Verwaltung nunmehr gestützt auf diese Feststellungen der
Beschwerdeführerin im Einspracheentscheid nach Ablauf der einjährigen
Wartezeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG in der bis Ende 2002 gültig
gewesenen, hier anwendbaren Fassung ab 1. Juli 2000 eine bis 30. November
2000 befristete ganze Invalidenrente zugesprochen hat, so übersieht sie, dass
bei rückwirkend zugesprochenen, befristeten Invalidenrenten die
Revisionsbestimmungen, insbesondere Art. 88a Abs. 1 IVV analog anwendbar
sind. Danach kann eine Rente - wie bereits in Erw. 1.2 hiervor angedeutet -
mit sofortiger Wirkung nur dann aufgehoben werden, wenn die Änderung
dauerhaft und damit stabilisiert erscheint, hingegen sind drei Monate
zuzuwarten, wenn der evolutive Charakter des Gesundheitsschadens,
insbesondere die Möglichkeit einer Verschlechterung, eine sofortige
Beurteilung nicht zulässt (ZAK 1984 S. 134 Mitte). Als stabilisiert ist ein
labil gewesenes Leiden nur dann zu betrachten, wenn sich sein Charakter
deutlich in der Weise geändert hat, dass vorausgesehen werden kann, in
absehbarer Zeit werde keine praktisch erhebliche Wandlung mehr erfolgen (vgl.
BGE 119 V 102 Erw. 4a mit Hinweisen; Meyer-Blaser, Rechtsprechung des
Bundesgerichts zum IVG, Zürich 1997, S. 232 f.). Dies kann für das
Beschwerdebild der Versicherten, der halbseitigen Sensibilitätsstörung und
reaktiv-depressiven Krankheitsverarbeitung nach operativer Tumorentfernung,
indessen nicht gesagt werden, weshalb die Rente erst nach dreimonatiger
Arbeitsfähigkeit, mithin mit Wirkung auf Ende Februar 2001, aufzuheben ist.

5.
Soweit die Versicherte endlich den Umstand kritisiert, vor dem
Rentenentscheid keine beruflichen Eingliederungsmassnahmen erhalten zu haben,
ist ihr in Ergänzung des im angefochtenen Entscheid hiezu bereits
Ausgeführten entgegenzuhalten, dass es die von ihr angerufenen Ärzte Dres.
med. E.________ und R.________ waren, welche noch am 29. September bzw. 11.
September und 29. Dezember 2000 berufliche Massnahmen als aus medizinischer
Sicht wenig sinnvoll erachteten.

6.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend
hat die mit Bezug auf die Monate Dezember 2000 bis Februar 2001 obsiegende
Beschwerdeführerin Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 159
Abs. 3 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 3. August 2004
und der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 22. Juli
2003 insoweit abgeändert, als der Beschwerdeführerin auch für die Zeit vom 1.
Dezember 2000 bis 28. Februar 2001 eine ganze Invalidenrente zugesprochen
wird. Im Übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat der Beschwerdeführerin für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 400.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Ausgleichskasse der Schweizer Maschinenindustrie und dem
Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 24. Februar 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: