Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 492/2004
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I 492/04

Urteil vom 10. Februar 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Grunder

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdeführerin,

gegen

H.________, 1969, Beschwerdegegnerin, vertreten durch den Rechtsdienst für
Behinderte, Schützenweg 10, 3014 Bern

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 10. August 2004)

Sachverhalt:

A.
Die 1969 geborene H.________ leidet als Folge einer Retinitis pigmentosa an
erheblicher Sehschwäche (stark eingeschränktes Gesichtsfeld ["Röhrenblick"],
verlangsamte Adaption hell/dunkel, Blendungsempfindlichkeit, vermindertes
Kontrastsehen). Die Invalidenversicherung sprach ihr verschiedene Leistungen
zu, u.a. gab sie für den Computer am Arbeitsplatz ein Vergrösserungssystem
mit Sprachausgabe ab (Verfügung vom 9. August 2001). Im Namen der
Versicherten ersuchte der Verband X.________ am 12. November 2003 (unter
Auflage einer Offerte der A.________ AG, vom 22. Oktober 2003), die Kosten
eines "Update der Vergrösserungssoftware von der Version 7.06 L2 auf die
Version 8.03 L2" zu übernehmen. Mit Verfügung vom 25. November 2003,
bestätigt im Einspracheentscheid vom 4. Februar 2004, lehnte die IV-Stelle
das Leistungsbegehren ab.

B.
In Gutheissung der hiegegen eingereichten Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern die IV-Stelle an, "die beantragten Kosten
der Softwareinstallation und des Updates zu übernehmen" (Entscheid vom 10.
August 2004).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die IV-Stelle, der
vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.

H. ________ lässt (unter Auflage einer eigenen undatierten sowie einer
Stellungnahme des Arbeitgebers vom 6. Oktober 2004) auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Abgabe von
Hilfsmitteln (Art. 8 und 21 IVG; Hilfsmittelverordnung) sowie die
Rechtsprechung dazu richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.
Zu wiederholen und ergänzen ist, dass gemäss Ziff. 11.06 HVI Anhang Lese- und
Schreibsysteme Hilfsmittel für Blinde und hochgradig Sehschwache sind, die
nur mit einem solchen System lesen oder dadurch mit der Umwelt erheblich
leichter Kontakt aufnehmen können. Unter Lese- und Schreibsysteme können alle
Arten von Lesegeräten, Punktschriftschreibmaschinen und Schreibmaschinen
subsumiert werden sowie Systeme, welche in einem PC integrierbar sind und ein
solches Gerät ersetzen (Rz 11.06.1 des Kreisschreibens über die Abgabe von
Hilfsmitteln der Invalidenversicherung [KHMI] des BSV). Invaliditätsbedingte
Anpassungen des Hilfsmittels oder dessen Anwendung (am Arbeits- oder
Ausbildungsplatz) sowie ein entsprechendes Gebrauchstraining können
übernommen werden (Rz 11.06.10 KHMI). In der Kategorie "Hilfsmittel am
Arbeitsplatz, im Aufgabenbereich, zur Schulung und Ausbildung sowie bauliche
Vorkehren zur Ueberwindung des Arbeitsweges" werden unter Ziff. 13.01* HVI
invaliditätsbedingte Arbeits- und Haushaltgeräte sowie Zusatzeinrichtungen,
Zusatzgeräte und Anpassungen für die Bedienung von Apparaten und Maschinen
erwähnt. Nach Rz 13.01.1* KHMI fallen darunter alle Hilfsmittel, welche die
Tätigkeit der versicherten Person erleichtern oder ermöglichen und deren
Anschaffungskosten nicht geringfügig sind.

2.
2.1 Das kantonale Gericht erwog, zur Aufrechterhaltung des Betriebs des
abgegebenen Hilfsmittels für Blinde und hochgradig Sehschwache  sowie zur
Anpassung an die veränderte Computerumgebung an der Arbeitsstelle sei die
beantragte Aktualisierung der Soft- und Hardware notwendig gewesen. Die
entsprechenden Kosten liessen sich zwar nicht direkt unter eine Kategorie des
KHMI subsumieren, es sei jedoch naheliegend, sie als Betriebs- und
Unterhaltskosten im Sinne von Ziff. 1051 KHMI zu bezeichnen.

2.2 Demgegenüber macht die IV-Stelle geltend, die Beschwerdegegnerin habe das
im Jahre 2001 abgegebene Hilfsmittel während zwei Jahren nur am Computer zu
Hause benützt, woraus zu schliessen sei, dass sie am Arbeitsplatz über eine
ausreichende Infrastruktur verfüge. Jedenfalls sei nicht dargetan, dass sie
ohne die beantragten Updates ihre Arbeit nicht erledigen könne. Die
versicherte Person habe nur Anspruch auf eine einfache und zweckmässige
Massnahme, nicht aber auf die nach den gegebenen Umständen bestmögliche
Vorkehr.

3.
3.1 Bei Prüfung des streitigen Anspruchs auf Vergütung der Kosten der
fraglichen Massnahme ist von der Rechtstatsache auszugehen, dass der
Beschwerdegegnerin die leihweise Abgabe der Vergrösserungsgeräte und
-software als persönliches Hilfsmittel am Arbeitsplatz rechtskräftig
zugesprochen worden ist. Dass die entsprechende Verfügung vom 9. August 2001
zweifellos unrichtig im wiedererwägungsrechtlichen Sinne sei (Art. 53 Abs. 2
ATSG) oder auf einem mangelhaften, zu einer Revision Anlass gebenden
Tatsachenfundament beruht (Art. 53 Abs. 1 ATSG), was die
Anspruchsberechtigung möglicherweise ausschlösse, ist auf Grund der Akten zu
verneinen.

3.2 Die Beschwerdegegnerin ist seit 1. Dezember 2001 beim BSV angestellt, wo
sie am Bildschirm vor allem die Vollzugswebsite zu betreuen sowie Merkblätter
und Uebersichten in verschiedenen Sprachen und unterschiedlichen Formaten zu
bearbeiten hat. Der IV-Stelle ist darin beizupflichten, dass nicht ohne
weiteres einzusehen ist, weshalb sie das abgegebene Lese- und Schreibsystem
an diesem Arbeitsplatz nicht installiert hat. Wie die Beschwerdegegnerin in
der letztinstanzlich zusammen mit der Vernehmlassung zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereichten Stellungnahme selber ausführt,
erledigt sie zu Hause mit Hilfe dieses Programms berufliche Aufgaben und
liest Fachliteratur. Ausserdem ist der IV-Stelle zuzustimmen, dass die
geltend gemachte Instabilität des Systems (häufig vorkommende Abstürze des
Computers) kein Hinderungsgrund zum Einsatz des Hilfsmittels an der
Arbeitsstelle ist, zumal das BSV über Fachpersonal im Informatikbereich
verfügt, welches in der Lage ist, entsprechende Störungen zu beheben. Es ist
daher anzunehmen, dass die Vergrösserungssoftware der Version 7.06 L2
beruflich durchaus nutzbringend eingesetzt werden kann. Indessen bringt die
Beschwerdegegnerin (wie schon im Einsprache- und vorinstanzlichen Verfahren)
vor, sie vermöge die vorgelesenen Texte auf dem Bildschirm nicht
mitzuverfolgen, weil die gesprochenen Wörter nicht ihrer Sehbehinderung
angepasst hervorgehoben würden, wogegen die neue Version 8.03 L2 fortlaufend
jedes mündlich vorgetragene Wort mit einem Rahmen markiere. Dadurch sei sie
nun in der Lage, die gehörten Texte gleichzeitig auf dem Bildschirm zu lesen.
Diese glaubhaften Angaben werden durch die Offerte der A.________ AG vom 22.
Oktober 2003 insoweit bestätigt, dass die weiterentwickelte
Vergrösserungssoftware u.a. verbesserte Anzeigenschemen mit Invertierung von
Farben und Eliminierung problematischer Farbtöne aufweist. In Würdigung der
gesamten Umstände ist festzustellen, dass die vorgenommenen Anpassungen des
von der Invalidenversicherung abgegeben Lese- und Schreibgeräts die
Arbeitstätigkeit der Beschwerdegegnerin nicht nur erhalten sondern auch
erleichtern. Sie hat daher Anspruch auf Vergütung der entstandenen Kosten im
Rahmen des Einfachen und Zweckmässigen.

3.3 Zu prüfen bleibt die Leistungspflicht der Invalidenversicherung in
masslicher Hinsicht. Der Betrachtungsweise der Vorinstanz, welche die Kosten
des Updates unter die Betriebs- und Unterhaltskosten subsumiert hat, ist
nicht beizupflichten. Gemäss Art. 7 Abs. 2 Satz 1 HVI übernimmt die
Versicherung die Kosten, sofern nicht ein Dritter ersatzpflichtig ist, wenn
ein von ihr abgegebenes Hilfsmittel trotz sorgfältigem Gebrauch der
Reparatur, Anpassung oder teilweisen Erneuerung bedarf. An die Kosten für den
Betrieb und den Unterhalt von Hilfsmitteln gewährt die Versicherung einen
jährlichen Beitrag, der vom Bundesamt für Sozialversicherung festgelegt wird
(Art. 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 HVI). Nach der im Zusammenhang mit Personenwagen
ergangenen Rechtsprechung ist als Reparatur- bzw. Erneuerungsaufwand das zu
betrachten, was Fahrtauglichkeit und Verkehrssicherheit verlangen und als
Betriebsaufwand das, was für die jederzeitige Betriebsbereitschaft des
(verkehrssicheren) Fahrzeugs noch vorgekehrt werden muss (ZAK 1964 S. 174,
1965 S. 453, 1967 S. 99). In fahrtauglichem, verkehrssicherem Zustand ist ein
Automobil nur, solange der Motor, das Getriebe, die Lenkung, die Aufhängung,
die elektrische Anlage (zu welcher die Batterie einschliesslich Zündungs- und
Lichtanlage gehört), das Bremssystem und die Bereifung in Ordnung sind (ZAK
1964 S. 174). Analog verhält es sich bei Computeranlagen, welche an die
technische Entwicklung von Hard- und Software angepasst werden, um die
Betriebstauglichkeit zu erhalten. Das Update des von der
Invalidenversicherung abgegebenen Schreib- und Lesesystems ist somit als
Anpassung oder teilweise Erneuerung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Satz 1 HVI zu
qualifizieren. Unbestritten ist, dass die im Gesuch des Schweizerischen
Blinden- und Sehbehindertenverbandes vom 5. November 2003 erwähnten einzelnen
Komponenten (Update Zoom Text, Grafikkarte Matrox Millenium G550, Sound
Blaster live 1024, Installation und Konfiguration, Gebrauchstraining) für die
Anpassung der Hilfsmittelhard- und software notwendig sind. Die Kosten im
Umfang von Fr. 1'264.- stehen, was ebenfalls nicht bestritten ist, in einem
angemessenen Verhältnis zum angestrebten Zweck, die Leistungsfähigkeit der
Versicherten am Arbeitsplatz bzw. ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem
Arbeitsmarkt zu erhalten. Die Invalidenversicherung hat somit die
entstandenen Kosten gestützt auf Art. 8 Abs. 1 HVI zu übernehmen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle Bern hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 10. Februar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: