Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 477/2004
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I 477/04

Urteil vom 14. März 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und nebenamtlicher Richter
Maeschi; Gerichtsschreiber Flückiger

IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach, Beschwerdeführerin,

gegen

B.________, 1968, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Walter
Zehnder, Eisenbahnstrasse 20, 8840 Einsiedeln

Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Schwyz

(Entscheid vom 16. Juni 2004)

Sachverhalt:

A.
B. ________, geboren 1968, hat eine Lehre an der Landwirtschaftsschule
P.________ absolviert und im elterlichen Landwirtschaftsbetrieb
mitgearbeitet. Auf den 1. Januar 1995 übernahm er den Betrieb als
selbstständiger Landwirt. Seit Herbst 1994 leidet er an Rückenbeschwerden.
Wegen einer Diskushernie L4/5 musste er sich im Dezember 1994 einer
Nukleotomie unterziehen. Im September 1995 erfolgte in der Klinik Z.________
eine Hemilaminektomie L4/5 links und im März 2002 eine Re-Hemilaminektomie
mit mehrfragmentärer Sequestrektomie sowie eine Re-Nukleotomie L4/5.
Schliesslich kam es wegen eines Rezidivs am 28. Juni 2002 zu einer weiteren
Operation mit Revision L4/5 links. Auf eine erste Anmeldung vom 27. März 1995
übernahm die IV-Stelle Schwyz die Kosten von drei luftgefederten Sitzen für
landwirtschaftliche Fahrzeuge im Betrag von Fr. 6'440.-. Am 17. Juni 2002
meldete sich B.________ mit dem Begehren um Berufsberatung erneut zum
Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle holte
Arztberichte sowie den Fragebogen für Landwirte ein und beauftragte die
Beratungsstelle der Landwirtschaftsschule P.________ mit einer Abklärung. Im
Hinblick auf einen allfälligen Rentenanspruch führte sie durch ihren
Abklärungsdienst Erhebungen auf dem Landwirtschaftsbetrieb durch. Nach
Einforderung weiterer Arztberichte erliess sie am 11. Juli 2003 eine
Verfügung, mit der sie dem Versicherten eröffnete, dass der Invaliditätsgrad
32% betrage, weshalb kein Anspruch auf eine Invalidenrente bestehe. Die
dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 24. März 2004 ab,
wobei sie den Invaliditätsgrad neu mit 34% bezifferte.

B.
Beschwerdeweise beantragte B.________, es sei ihm mindestens eine
Viertelsrente oder eine halbe Rente zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur
Neubeurteilung an die Verwaltung zurückzuweisen. Mit Entscheid vom 16. Juni
2004 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz die Beschwerde insoweit
gut, als es den Einspracheentscheid vom 24. März 2004 aufhob, den
Invaliditätsgrad auf 47% festsetzte und die Sache zur Festsetzung des
Rentenbeginns und zur Prüfung der Frage, ob ein Härtefall vorliege, an die
Verwaltung zurückwies.

C.
Die IV-Stelle Schwyz führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei der
Einspracheentscheid vom 24. März 2004 wiederherzustellen; eventuell sei die
Sache an die Verwaltung zurückzuweisen, damit sie unter Berücksichtigung der
familiären Verhältnisse prüfe, ob dem Versicherten die Aufgabe des
Landwirtschaftsbetriebes zumutbar sei, und darüber neu verfüge.

Der Beschwerdegegner und die Vorinstanz lassen sich mit dem Antrag auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vernehmen. Das Bundesamt für
Sozialversicherung verzichtet auf Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Bei der Prüfung eines allfälligen schon vor dem Inkrafttreten des
Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
vom 6. Oktober 2000 auf den 1. Januar 2003 entstandenen Anspruchs auf eine
Rente der Invalidenversicherung sind die allgemeinen intertemporalrechtlichen
Regeln heranzuziehen, wonach in zeitlicher Hinsicht diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden
Sachverhalts galten. Demzufolge ist der Rentenanspruch für die Zeit bis zum
31. Dezember 2002 aufgrund der bisherigen und ab diesem Zeitpunkt nach den
neuen Normen zu prüfen (BGE 130 V 446 Erw. 1 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 130
V 329). Der gleiche intertemporalrechtliche Grundsatz gilt bezüglich der auf
den 1. Januar 2004 geänderten Rentenabstufung in der Invalidenversicherung
(Art. 28 Abs. 1 IVG in der Fassung gemäss Ziff. 1 des Bundesgesetzes vom 21.
März 2003, 4. IV-Revision). Zu beachten sind indessen die Regeln über die
Besitzstandswahrung gemäss lit. d - f der Schlussbestimmungen zur
Gesetzesrevision.

2.
Im Einspracheentscheid vom 24. März 2004 hat die IV-Stelle den für den
Rentenanspruch massgebenden Invaliditätsgrad auf 34% festgesetzt. Dabei ging
sie aufgrund des landwirtschaftlichen Abklärungsberichtes von einem
Valideneinkommen von Fr. 74'796.- aus, bestehend aus einem
landwirtschaftlichen Einkommen von Fr. 59'796.- und einem Ertrag aus
nebenerwerblicher Holzertätigkeit von Fr. 15'000.-. Das Invalideneinkommen
ermittelte sie mit Fr. 49'443.-, wobei sie zum landwirtschaftlichen Einkommen
von noch Fr. 39'410.- ein Einkommen von Fr. 10'033.- addierte, welches der
Versicherte mit einer körperlich leichten Tätigkeit zu erzielen vermöchte.
Die Vorinstanz gelangte zum Schluss, die Holzerarbeiten bildeten Bestandteil
der landwirtschaftlichen Tätigkeit und gäben keinen Anlass zur Anrechnung
eines hypothetischen Nebeneinkommens, weshalb dem Valideneinkommen von Fr.
74'796.- ein Invalideneinkommen von Fr. 39'410.- gegenüberzustellen sei, was
zu einem Invaliditätsgrad von 47% führe. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
bestreitet die IV-Stelle nicht, dass es sich bei der Arbeit als Holzer um
einen Bestandteil der landwirtschaftlichen Tätigkeit - und nicht um einen
selbstständigen Nebenerwerb - handelt. Sie macht indessen geltend, dem
Beschwerdegegner sei anstelle der nicht mehr möglichen Holzertätigkeit die
Ausübung einer zusätzlichen nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeit zumutbar,
womit er insgesamt ein rentenausschliessendes Einkommen zu erzielen
vermöchte.

2.1 Dem landwirtschaftlichen Abklärungsbericht ist zu entnehmen, dass der
Beschwerdegegner ohne den Gesundheitsschaden bei angenommenen 3'000
jährlichen Arbeitsstunden 2'499 Stunden für die Landwirtschaft und 501
Stunden für die übrige Tätigkeit, d.h. für die Holzerarbeiten verwendet
hätte. Am gesamten Erwerbseinkommen von Fr. 74'796.- ist das Einkommen aus
der Holzertätigkeit laut Abklärungsbericht mit Fr. 15'000.- beteiligt.
Aufgrund dieser von keiner Seite bestrittenen Angaben ist davon auszugehen,
dass den Holzerarbeiten im Rahmen des gesamten landwirtschaftlichen
Tätigkeitsbereichs und des damit erzielten Einkommens eine wesentliche
Bedeutung zukam. Es stellt sich daher die Frage, ob der Beschwerdegegner
anstelle der nicht mehr möglichen Holzerarbeiten zumutbarerweise eine
geeignete andere Tätigkeit ausüben könnte. Hiefür spricht, dass ihm gemäss
Bericht des behandelnden Arztes Dr. med. M.________ vom 17. Juni 2003 die
Ausübung einer körperlich leichten, wechselbelastenden Tätigkeit ohne
wesentliche Einschränkungen zumutbar wäre. Die Formulierung ("eventuell zu
100%") lässt allerdings darauf schliessen, dass eine volle Arbeitsfähigkeit
nur unter optimalen Umständen erreicht würde. Zudem spricht sich der Arzt
nicht dazu aus, ob dem Versicherten nebst der eigentlichen
Landwirtschaftstätigkeit, für welche ihm eine Arbeitsfähigkeit von 50%
attestiert wird, eine nichtlandwirtschaftliche Beschäftigung im Umfang von
rund 500 jährlichen Arbeitsstunden zumutbar wäre. Der Beschwerdegegner
bestreitet dies mit der Begründung, es fehle an einer entsprechenden
"Zeitreserve", weil er grundsätzlich mit einer vollen zeitlichen Präsenz
arbeite, sich dabei aber schonen und immer wieder Erholungsphasen einschalten
müsse; zudem sei der Betrieb (einschliesslich Alpbetrieb) von einer Grösse
(20 + 23 ha), welche eine praktisch dauernde Präsenz des Betriebsinhabers
erfordere. Wie es sich hinsichtlich dieser Einwendungen verhält, lässt sich
aufgrund der Akten nicht zuverlässig beurteilen, kann jedoch dahingestellt
bleiben. Selbst wenn von einer "Zeitreserve" von rund 500 Arbeitsstunden
auszugehen wäre und die Ausübung einer zusätzlichen Erwerbstätigkeit aus
medizinischer Sicht zumutbar sein sollte, bestehen erhebliche Zweifel, ob
eine Verwertung der Restarbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
möglich wäre. Zu beachten ist, dass die für die Ausübung einer ergänzenden
Tätigkeit verbleibende Zeit weniger als 20% der üblichen Arbeitszeit ausmacht
und zudem nicht kontinuierlich zur Verfügung steht, weil die nicht mehr
zumutbaren Holzerarbeiten unregelmässig anfallen. Wird zusätzlich in Rechnung
gestellt, dass der Beschwerdegegner in U.________ wohnt und die Ausübung
einer nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeit wahrscheinlich mit einem längeren
Arbeitsweg verbunden wäre, erscheint eine Verwertung der Restarbeitsfähigkeit
in einer zumutbaren unselbstständigen Erwerbstätigkeit praktisch als
ausgeschlossen. Der Vorinstanz ist daher darin beizupflichten, dass von der
Anrechnung eines entsprechenden hypothetischen Einkommens abzusehen ist.

3.
3.1 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt sich die IV-Stelle neu auf den
Standpunkt, der Versicherte könne anstelle der Tätigkeit als selbstständiger
Landwirt, in der er noch zu 50% arbeitsfähig sei, eine der Behinderung
angepasste unselbstständige Tätigkeit ausüben, welche ihm zu 100% zumutbar
wäre. Ein solcher Berufswechsel sei ihm unter Berücksichtigung der
subjektiven und objektiven Umstände und insbesondere im Hinblick darauf, dass
er - bezogen auf den Einspracheentscheid - erst 35 Jahre alt sei, zumutbar.
Mit einer geeigneten unselbstständigen Tätigkeit vermöchte er ein
rentenausschliessendes Erwerbseinkommen zu erzielen, weshalb der
Einspracheentscheid vom 24. März 2004 zu bestätigen sei.

3.2 Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht wiederholt festgestellt hat,
folgt aus der sozialversicherungsrechtlichen Schadenminderungspflicht (BGE
123 V 233 Erw. 3c mit Hinweisen), dass eine versicherte Person unter
Umständen so zu behandeln ist, wie wenn sie ihre Tätigkeit als
Selbstständigerwerbende aufgäbe; d.h. sie hat sich im Rahmen der
Invaliditätsbemessung jene Einkünfte anrechnen zu lassen, welche sie bei
Aufnahme einer leidensangepassten unselbstständigen Erwerbstätigkeit
zumutbarerweise verdienen könnte. Bei der Frage nach der Zumutbarkeit einer
Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit sind praxisgemäss die gesamten
subjektiven und objektiven Gegebenheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen.
Im Vordergrund stehen bei den subjektiven Umständen die verbliebene
Leistungsfähigkeit sowie die weiteren persönlichen Verhältnisse, wie das
Alter, die berufliche Stellung und die Verwurzelung am Wohnort. Bei den
objektiven Umständen sind insbesondere der ausgeglichene Arbeitsmarkt und die
noch zu erwartende Aktivitätsdauer massgeblich (AHI 2001 S. 283 Erw. 5a/bb
mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall sprechen insbesondere das noch
jugendliche Alter des Beschwerdegegners, die zu erwartende lange
Aktivitätsdauer sowie der Umstand, dass er als selbstständiger Landwirt noch
zu 50%, in einer angepassten unselbstständigen Erwerbstätigkeit aber zu 100%
arbeitsfähig ist, für die Zumutbarkeit eines Berufswechsels. Einen solchen
hat der Beschwerdegegner denn auch in Betracht gezogen, ersuchte er in der
Neuanmeldung vom 17. Juni 2002 doch um Berufsberatung, nicht um Zusprechung
einer Rente, und hielt ergänzend fest, er müsse sich demnächst einer vierten
Rückenoperation unterziehen und es sei noch ungewiss, ob er den Beruf als
Landwirt weiter ausüben könne. Dessen ungeachtet hat die IV-Stelle die Frage
der beruflichen Eingliederung nicht näher geprüft und das Leistungsbegehren
ausschliesslich unter dem Aspekt des Rentenanspruchs beurteilt. Sie ist damit
selbst davon ausgegangen, dass der Beschwerdegegner - unter Berücksichtigung
der vorgenommenen betrieblichen Umstellungen und der ihm abgegebenen
Hilfsmittel - als selbstständiger Landwirt hinreichend eingegliedert ist.
Wenn sie nachträglich zu einem andern Schluss gelangt, so lässt sich damit
eine rückwirkende Ablehnung des Rentenanspruchs nicht begründen, zumal dem
Beschwerdegegner für einen allfälligen Berufswechsel eine angemessene
Übergangszeit einzuräumen ist. Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
vorgebracht wird, ist daher nicht geeignet, zu einer Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids zu führen. Der IV-Stelle bleibt es jedoch
unbenommen, die Eingliederungsfrage für die Zukunft neu zu prüfen. Des
Weiteren wird sie festzustellen haben, ob in der Zeit nach Erlass des
Einspracheentscheids vom 24. März 2004 eine anspruchsbeeinflussende Änderung
der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit eingetreten ist. Laut Bericht des Dr. med.
M.________ vom 20. Dezember 2002 kam es nach der letzten Operation vom 28.
Juni 2002 zu einer Besserung der klinischen Symptomatik, und es ist nicht
auszuschliessen, dass sich der Gesundheitszustand in der Folge weiter
gebessert hat. Wie es sich damit verhält, wird von der Verwaltung im Rahmen
eines Rentenrevisionsverfahrens (Art. 17 ATSG) zu prüfen sein.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle Schwyz hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 14. März 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: