Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 411/2004
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I 411/04

Urteil vom 8. Februar 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Durizzo

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdeführerin,

gegen

P.________, 1966, Beschwerdegegner, vertreten
durch den Procap, Schweizerischer Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600
Olten

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 14. Juni 2004)

Sachverhalt:

A.
P. ________, geboren 1966, meldete sich am 13. März 2002 unter Hinweis auf
eine körperliche und psychische Belastung bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die erwerblichen Abklärungen der IV-Stelle des Kantons
Solothurn ergaben, dass er seine Stelle bei der X.________ AG, wo er seit
1992 tätig gewesen war, auf Ende August 2000 gekündigt hatte. Ein neues
Arbeitsverhältnis mit der Y.________ AG, das er am 1. September 2000 begonnen
hatte, war von der Arbeitgeberin während der Probezeit per 17. November 2000
aufgelöst worden. Seither war P.________ nicht mehr erwerbstätig. Gemäss
Bericht des Dr. med. S.________, Clinique psychiatrique Q.________, vom 30.
Mai 2002, litt er an einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem
Syndrom sowie einer wahnhaften Störung und befand sich seit Januar 2001 in
seiner Behandlung. Die IV-Stelle liess P.________ durch Dr. med. W.________,
Psychiatrie und Psychotherapie FMH, untersuchen, welcher in seinem Gutachten
vom 29. Oktober 2002 eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie
diagnostizierte. Eine so ausgeprägte Erkrankung aus dem schizophrenen
Formenkreis führe zu einer schweren Störung der Realitätswahrnehmung und
-kontrolle, zu Denk- und Konzentrationsstörungen sowie zu massiven
Beeinträchtigungen im sozialen Umgang und in der Kontrolle der eigenen
Impulse. P.________ sei dadurch seit mehreren Jahren zunehmend
arbeitsunfähig, seit vermutlich gut zwei Jahren zu 100 % in sämtlichen
Erwerbstätigkeiten. Der Psychiater erwähnte schliesslich, P.________ habe
erklärt, seinem behandelnden Arzt Dr. med. S.________ von seinen Problemen
bisher nichts erzählt zu haben, weil er sich sonst bei jedem weiteren Termin
vor ihm hätte schämen müssen. Mit Verfügung vom 6. Mai 2003 sprach die
IV-Stelle dem Versicherten mit Wirkung ab 1. Februar 2002 eine ganze
Invalidenrente (nebst Zusatzrenten für Ehefrau und Sohn) zu. Auf Einsprache
hin setzte sie den Rentenbeginn auf den 1. November 2001 fest
(Einspracheentscheid vom 21. August 2003).

B.
Mit Beschwerde liess P.________ die Zusprechung einer Invalidenrente
spätestens ab März 2001, eventualiter die Durchführung weiterer Abklärungen
beantragen. Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn hiess das
Rechtsmittel mit Entscheid vom 14. Juni 2004 gut und wies die Sache an die
IV-Stelle zurück, damit sie zur Feststellung des Rentenbeginns weitere
Erkundigungen einhole.

C.
Die IV-Stelle des Kantons Solothurn führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit
den Rechtsbegehren, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und der
Beginn der Arbeitsunfähigkeit auf den 1. Februar 2001, eventualiter auf den
18. November 2000 festzusetzen.
Während P.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen
lässt, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmung über den Rentenbeginn (Art. 29 Abs.
1 IVG; zur Unterscheidung von lit. a und b: BGE 111 V 23 ff.), die
Rechtsprechung, wonach für die Eröffnung der Wartezeit gemäss Art. 29 Abs. 1
lit. b IVG jedenfalls ein Behinderungsgrad von 25 % bereits als erheblich zu
betrachten ist (BGE 104 V 191 Erw. a, 96 V 34 ff., insbesondere 40), sowie
die Grundsätze über die Aufgabe des Arztes im Rahmen der
Invaliditätsbemessung (BGE 105 V 158 Erw. 1; vgl. auch BGE 125 V 261 Erw. 4
mit Hinweisen und AHI 2002 S. 70 Erw. 4b/cc), zu dem im
Sozialversicherungsrecht erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 117 V 195; vgl. auch BGE 126 V 360 Erw. 5b) und zum
Beweiswert von Arztberichten und medizinischen Gutachten (AHI 1997 S. 121;
vgl. auch BGE 125 V 352 Erw. 3, 122 V 160 Erw. 1c mit Hinweisen) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.
Die IV-Stelle hat sich bei der Festsetzung des Rentenbeginns zunächst (in der
Verfügung vom 6. Mai 2003) auf den Bericht des Dr. med. S.________ gestützt,
wonach der Versicherte seit Februar 2001 zu 100 % arbeitsunfähig sei. Im
Einspracheentscheid vom 21. August 2003 stellte sie auf das Gutachten des Dr.
med. W.________ vom 29. Oktober 2002 ab, welcher davon ausging, dass eine
100%ige Arbeitsunfähigkeit "vermutlich seit gut zwei Jahren" bestehe, sowie
auf den Bericht der vormaligen Arbeitgeberin Y.________ AG vom 9. April 2002,
wonach der Beschwerdegegner bis zum 17. November 2000 ohne Absenzen
gearbeitet hatte. Die Vorinstanz hat demgegenüber erwogen, es bestünden
gewichtige Hinweise, dass wenigstens eine teilweise Arbeitsunfähigkeit - was
für die Eröffnung der Wartezeit im Sinne von Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG
rechtsprechungsgemäss genügen kann (vgl. Erw. 1) - schon früher eingesetzt
habe. Zu Recht zitiert sie dabei das Gutachten des Dr. med. W.________,
wonach der Beschwerdeführer "seit mehreren Jahren zunehmend arbeitsunfähig"
sei. Der behandelnde Arzt Dr. med. S.________ mochte sich über den Beginn der
Arbeitsunfähigkeit deshalb nicht genau äussern, weil der Versicherte erst
seit Januar 2001 in seiner Behandlung stand; auch er ging jedoch davon aus,
dass die Krankheit, die nunmehr zu einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit geführt
hatte, schon im Jahr 2000 bestanden habe. Was dagegen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht wird, vermag an der zutreffenden
Beurteilung durch das kantonale Gericht, dass der entscheidwesentliche
Sachverhalt bezüglich des Rentenbeginns beziehungsweise der Eröffnung der
Wartezeit nicht präzise genug abgeklärt ist, nichts zu ändern. Insbesondere
hat die Vorinstanz zu Recht erkannt, dass sich aus den medizinischen Akten
nicht ergibt, wie sich das psychische Leiden des Versicherten entwickelt hat.
Zu ergänzen ist, dass dem Gutachter auch die notfallmässige Hospitalisation
des Beschwerdegegners im Spital Z.________ im April 2000 nicht bekannt war,
wird sie doch in seinem Bericht nicht erwähnt. Entgegen den Einwänden der
Beschwerdeführerin zeigen die vorinstanzlichen Ausführungen zu den
Arbeitgeberberichten (nur) auf, dass nähere Gründe für den Stellenwechsel des
Versicherten im September/Oktober 2000 ebenso wenig bekannt sind wie die
Umstände, die zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die neue
Arbeitgeberin noch während der Probezeit geführt haben. Dies könnte jedoch
zumindest ein Hinweis auf die schon früher eingetretene Arbeitsunfähigkeit
sein. Dafür spricht auch, dass der Versicherte nach eigenen Angaben gegenüber
dem Gutachter jeweils Stelle und Wohnung wechseln muss, wenn er sich (von
neuem) verfolgt fühlt und meint, dass die Leute hinter seinem Rücken über ihn
sprechen würden. Damit steht, wie das kantonale Gericht zutreffend erkannt
hat, bisher lediglich fest, dass spätestens im November 2000 eine 100%ige
Arbeitsunfähigkeit eingetreten war, nicht aber, wann die Wartezeit gemäss
Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG eröffnet wurde, was einen Behinderungsgrad von
mindestens 25 % erfordert (BGE 104 V 143 Erw. 2a). Zu Recht wurde die Sache
daher zu ergänzenden Abklärungen an die IV-Stelle zurückgewiesen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat dem Beschwerdegegner für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Ausgleichskasse der Schweizer Maschinenindustrie und dem
Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 8. Februar 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: