Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 384/2004
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I 384/04

Urteil vom 23. September 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Scartazzini

A.________, 1962, Beschwerdeführer, vertreten
durch Rechtsanwältin Anita Hug, Centralstrasse 4, 2540 Grenchen,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 1. Juni 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1962 geborene A.________ arbeitete seit November 1990 als Härter in der
Härterei H.________ AG. Am 19. Oktober 2000 unterzog er sich einer
Diskushernienoperation L5/L4 rechts. Wegen Symptomausweitung mit
Schmerzverarbeitungsstörung meldete er sich am 31. Oktober 2001 bei der
Invalidenversicherung zum Bezug von Leistungen (Umschulung und Rente) an. Auf
Grund verschiedener medizinischer und erwerblicher Abklärungen sprach die
IV-Stelle des Kantons Solothurn dem Versicherten nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens mit Verfügungen vom 16. Dezember 2002 bei einem
Invaliditätsgrad von 61 % eine halbe Invalidenrente sowie Zusatzrente und
Kinderrenten mit Wirkung ab 1. Juli 2001 zu.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde, womit unter Kosten- und Entschädigungsfolge
die Festsetzung einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens 66 2/3 % und die
Ausrichtung einer ganzen Invalidenrente sowie die eventuelle Einholung eines
zusätzlichen psychiatrischen Gutachtens beantragt wurden, wies das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 1. Juni 2004 ab.

C.
A. ________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und die
vorinstanzlichen Rechtsbegehren erneuern.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1  Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze
zum Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG; BGE 116 V 249 Erw. 1b), zu
den Voraussetzungen und zum Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und
1bis IVG) und zur Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen
Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; vgl.
BGE 104 V 136 f. Erw. 2a und b; AHI 2000 S. 309 Erw. 1a; vgl. auch BGE 128 V
30 Erw. 1), namentlich die Verwendung von Tabellenlöhnen bei der Ermittlung
des trotz Gesundheitsschädigung zumutbarerweise noch realisierbaren
Einkommens (Invalideneinkommen; BGE 126 V 76 f. Erw. 3b mit Hinweis; AHI 2002
S. 67 Erw. 3b) und den in diesem Zusammenhang gegebenenfalls vorzunehmenden
behinderungsbedingten Abzug (AHI 1999 S. 181 Erw. 3b; siehe auch BGE 126 V 78
ff. Erw. 5; AHI 2002 S. 67 ff. Erw. 4) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt
für die Rechtsprechung zur Aufgabe des Arztes bei der Invaliditätsbemessung
(BGE 125 V 261 f. Erw. 4 mit Hinweisen) und zum Beweiswert ärztlicher
Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweis; AHI 2000 S. 152
Erw. 2c). Darauf wird verwiesen. Richtig ist auch, dass das am 1. Januar 2003
in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) nach den von der Rechtsprechung entwickelten
intertemporalrechtlichen Regeln (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b) auf
den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar ist. Zu ergänzen ist, dass die
am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des Bundesgesetzes über die
Invalidenversicherung vom 21. März 2003 und der Verordnung über die
Invalidenversicherung vom 21. Mai 2003 nicht zur Anwendung gelangen (BGE 129
V 4 Erw. 1.2).
1.2  Ergänzend bleibt festzuhalten, dass unter gewissen Umständen auch
somatoforme Schmerzstörungen eine Arbeitsunfähigkeit verursachen können. Sie
fallen unter die Kategorie der psychischen Leiden (zu deren invalidisierenden
Charakter generell BGE 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen;
siehe auch BGE 127 V 298 ff. Erw. 4c und 5), für die grundsätzlich ein
psychiatrisches Gutachten erforderlich ist, wenn es darum geht, über das
Ausmass der durch sie bewirkten Arbeitsunfähigkeit zu befinden (AHI 200 S.
159 Erw. 4b mit Hinweisen; Urteile R. vom 2. Dezember 2002, I 53/02, Erw.

2.2 , Q. vom 8. August 2002, I 783/01, Erw. 3a und L. vom 6. Mai 2002, I
275/01, Erw. 3a/bb und b). In Anbetracht der sich mit Bezug auf Schmerzen
naturgemäss ergebenden Beweisschwierigkeiten genügen mithin die subjektiven
Schmerzangaben der versicherten Person für die Begründung einer (teilweisen)
Arbeitsunfähigkeit allein nicht; viel mehr muss im Rahmen der
sozialversicherungsrechtlichen Leistungsprüfung verlangt werden, dass die
Schmerzangaben durch damit korrelierende, fachärztlich schlüssig
feststellbare Befunde hinreichend erklärbar sind, andernfalls sich eine
rechtsgleiche Beurteilung der Rentenansprüche nicht gewährleisten liesse (im
zur Publikation in BGE 130 bestimmtes Urteil N. vom 12. März 2004, I 683/03,
Erw. 2.2.2 mit Hinweisen). Die (rein) psychiatrische Erklärbarkeit der
Schmerzsymptomatik allein - bei weitgehendem Fehlen eines somatischen
Befundes - genügt für eine sozialversicherungsrechtliche Leistungsbegründung
nicht. Es obliegt der (begutachtenden) Fachperson der Psychiatrie im Rahmen
der - naturgemäss mit Ermessenszügen behafteten - ärztlichen Stellungnahme
zur Arbeits(un)fähigkeit und den Darlegungen zu den einer versicherten Person
aus medizinischer Sicht noch zumutbaren Arbeitsfähigkeit die Aufgabe, durch
die zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten fachkundiger
Exploration der Verwaltung (und im Streitfall dem Gericht) aufzuzeigen, ob
und inwiefern eine versicherte Person über psychische Ressourcen verfügt, die
es ihr erlauben, mit ihren Schmerzen umzugehen. Entscheidend ist, ob die
betroffene Person, von ihrer psychischen Verfassung her besehen, objektiv an
sich die Möglichkeit hat, trotz ihrer subjektiv erlebten Schmerzen einer
Arbeit nachzugehen (zur Publikation in BGE 130 V bestimmtes Urteil N. vom 12.
März 2004, I 683/03, Erw. 2.2.4 mit Hinweisen).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Invaliditätsgrad und die Frage, ob der
Beschwerdeführer Anspruch auf eine ganze Rente hat, nachdem er seit 1. Juli
2001 eine halbe Rente erhält.

2.1  Die IV-Stelle hat ihre Verfügungen hauptsächlich auf einen Arztbericht
des Neurochirurgischen Konziliardienstes am Spital X._________ vom 1. März
2001, auf einen Bericht von Dr. med. M.________, Neurologie FMH, vom 27.
August 2001, auf weitere Berichte des Rehabilitationszentrums der
Medizinischen Klinik am Spital X.________ vom 9. Juli, 28. August und 7.
Oktober 2001 sowie auf die Arztberichte von Dr. med. V.________ vom 23.
November 2001 und Dr. med. R.________ vom 27. November 2001 abgestützt. Im
letztgenannten Bericht diagnostizierte der Hausarzt des Versicherten
chronische Rückenschmerzen, Status nach mikrotechnischer Fenestration L4/5
und Dekompression L5 bei Diskushernie rechts, eine Symptomausweitung nach
erfolgter Rehabilitation, ein Hypermobilitätssyndrom und eine
Schmerzfehlverarbeitung. Zudem wurde durch die IV-Stelle bei Dr. med.

W. ________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ein am 27. März
2002
verfasstes Gutachten eingeholt. Dieser Arzt zeigte das Missverhältnis
zwischen den somatisch objektivierbaren Befunden und dem Ausmass der
geklagten Beschwerden auf und stellte fest, diese Diskrepanz sei einer
Schmerzfehlverarbeitung im Sinne einer anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung nach ICD-10 F45.4 zuzuschreiben. Dabei kam er zum Schluss, dem
Versicherten sei rein medizinisch-theoretisch eine geistig nicht allzu
anspruchsvolle, körperlich leichte Tätigkeit, ohne körperliche
Zwangshaltungen und repetitives Lastenheben und mit der Möglichkeit,
regelmässig die Körperpositionen zu wechseln, im Umfang von 50 % zuzumuten.
Die Vorinstanz hat dazu erwogen, dass gesamthaft von einer 50%igen
Restarbeitsfähigkeit hinsichtlich einer körperlich leichten,
wechselbelastenden Tätigkeit auszugehen sei und der Versicherte nach
durchgeführtem Einkommensvergleich eine 59%ige Erwerbsunfähigkeit aufweise.

2.2  Sowohl im vorinstanzlichen Verfahren wie auch in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird dagegen vorgebracht, angesichts der
unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts sei die
verbleibende Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu hoch bewertet worden. Dies
sei neben den unter sich nicht vereinbaren Beurteilungen der
Arbeitsunfähigkeit in den ärztlichen Berichten darauf zurückzuführen, dass
Dr. med. W.________ zwar eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % attestiert,
allerdings seine Aussage postwendend relativiert habe, indem er festhalte,
dass der Beschwerdeführer zeitlebens nur im grob-manuellen Bereich gearbeitet
habe, über wenig schulische und berufliche Ressourcen verfüge und insgesamt
die Prognose auf Grund des regressiven Verhaltens sowohl bezüglich
Arbeitsfähigkeit als auch bezüglich Krankheitsverlauf ungünstig sei.
Schliesslich seien bei der Berechnung des Erwerbseinkommens mit Behinderung
weder der rechtsprechungsgemäss zugelassene ganze leidensbedingte Abzug von
25 % noch auf Grund der beschränkten geistigen Möglichkeiten und der
manuellen Fähigkeiten sowie der psychischen Konstellation weitere Abzüge
berücksichtigt worden, was bei korrekt berechnetem Durchschnittslohn einen
Invaliditätsgrad von mindesten 66 2/3 % ergeben hätte.

2.3  Von einer unrichtigen Feststellung des massgebenden Sachverhalts durch
das kantonale Gericht kann nicht die Rede sein. Verwaltung und Vorinstanz
haben in sorgfältiger und einlässlich begründeter Würdigung der medizinischen
Aktenlage zu Recht auf die überzeugenden, von der IV-Stelle eingeholten,
insbesondere auf die Dr. med. W.________ in Auftrag gegebene psychiatrische
Begutachtung abgestellt. Diesbezüglich kann auf die kantonalen Erwägungen
verwiesen werden, da sie zutreffend festhalten, dass sich nach technisch
tadellos durchgeführter Diskushernienoperation neurologische Befunde nicht
hätten objektivieren lassen und aus rheumatologischer Sicht eine volle
Arbeitsfähigkeit für leichte bis mittelschwere Arbeit bestehe. Sowohl der
Hausarzt Dr. med. R.________ wie auch der psychiatrische Gutachter haben eine
leidensangepasste Tätigkeit im Rahmen von mindestens vier Stunden bzw. 50 %
als zumutbar erachtet. Auf weitere Beweisvorkehren kann daher verzichtet
werden (BGE 119 V 344 Erw. 3c). Ebenfalls richtig wurde im kantonalen
Entscheid ausgeführt, die durch Dr. med. W.________ angeführten Gründe wie
fehlende schulische und berufliche Voraussetzungen würden eine
Arbeitsfähigkeit grundsätzlich nicht ausschliessen, sondern allenfalls die
Verweisungstätigkeiten in einem bestimmten Ausmass einengen, wobei der
Versicherte jedoch im Rahmen der Schadenminderungspflicht gehalten sei, die
attestierte Restarbeitsfähigkeit in geeigneter Weise zu verwerten. In
erwerblicher Hinsicht gelangte die Vorinstanz zum Schluss, aus der
Gegenüberstellung eines Valideneinkommens von Fr. 58'370.- und eines unter
Berücksichtigung eines leidensbedingten Abzugs von 15 % ermittelten
Invalideneinkommens von Fr. 24'176.- resultiere ein Invaliditätsgrad von 59
%. Ein Anspruch auf eine ganze Invalidenrente wurde daher zu Recht abgelehnt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 23. September 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: