Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 370/2004
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I 370/04

Urteil vom 25. November 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Grünvogel

T.________, 1968, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Felix
Schürch, Buchenstrasse 5, 6210 Sursee,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 28. Mai 2004)

Sachverhalt:

A.
Die 1968 geborene T.________ meldete sich am 24. April 2002 bei der
Invalidenversicherung wegen Kreuzbeschwerden zum Rentenbezug an. Die
IV-Stelle das Kantons Luzern holte mehrere Arztberichte ein und liess
T.________ bei Dr. med. M.________ psychiatrisch abklären. Am 22. Dezember
2002 erstattete dieser Bericht, worauf die IV-Stelle mit Verfügung vom 23.
Januar 2003 das Leistungsbegehren wegen fehlender Invalidität ablehnte. Mit
Einspracheentscheid vom 6. Mai 2003 hielt sie an dieser Auffassung fest.

B.
Eine dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher T.________ u.a. einen Bericht
des Rheumatologen Dr. med. B.________ vom 27. Mai 2003 eingereicht hatte,
wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 28. Mai 2004
ab.

C.
Mit Eingabe vom 29. Juni 2004 lässt T.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde
erheben mit dem Antrag, die Sache sei in Aufhebung des Einspracheentscheids
wie auch des vorinstanzlichen Entscheids an die IV-Stelle zurückzuweisen,
damit diese bei der Medizinischen Abklärungsstelle MEDAS ein
polydisziplinäres Gutachten einhole und hernach über das Leistungsbegehren
neu verfüge; eventualiter sei ihr direkt eine Invalidenrente auf der Basis
einer Arbeitsunfähigkeit (recte: Erwerbsunfähigkeit) von 50 % zuzusprechen.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Stellungnahme.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über die Begriffe
der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und der Invalidität (Art. 8 ATSG) sowie
über den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis Ende
2003 in Kraft gestandenen Fassung) zutreffend dargelegt. Richtig hat es zudem
die Rechtsprechung zur aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör abgeleiteten
Pflicht von Behörden und Gericht wiedergegeben, Verfügungen und Entscheide zu
begründen (BGE 124 V 181 Erw. 1a mit Hinweisen).

1.2 Zu präzisieren ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene ATSG
hinsichtlich der invalidenversicherungsrechtlichen Invaliditätsbemessung
keine substanziellen Änderungen gegenüber der bis zum 31. Dezember 2002
gültig gewesenen Normenlage brachte (BGE 130 V 343), was zur Folge hat, dass
die zur altrechtlichen Regelung ergangene Judikatur weiterhin anwendbar ist.

1.3 Ergänzend ist auf die Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im Rahmen der
Invaliditätsbemessung zu verweisen. Es liegt primär an ihnen, den
Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem
Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte Person
arbeitsunfähig ist. Im Weiteren sind die ärztlichen Auskünfte eine wichtige
Grundlage für die Beurteilung der Frage, welche Arbeitsleistungen der Person
noch zugemutet werden können (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen). Die Frage
nach der zumutbarerweise verwertbaren Arbeitsfähigkeit ist dabei nach einem
weitgehend objektivierten Massstab zu beurteilen (vgl. BGE 130 V 353 Erw.
2.2.1). Nicht zu berücksichtigen sind Einschränkungen der Leistungsfähigkeit,
die allein durch Aggravation von psychischen oder körperlichen Beschwerden
verursacht sind, da aggravierendes Verhalten als solches nicht
krankheitswertig ist und damit als invaliditätsfremder Faktor gilt (BGE 130 V
354 Erw. 2.2.3 mit Hinweisen; SVR 2003 IV Nr. 1 S. 2 Erw. 3b/bb). Gesagtes
gilt sinngemäss auch für psychosoziale oder soziokulturelle Faktoren, weil
Art. 4 Abs. 1 IVG lediglich zur Erwerbsunfähigkeit führende
Gesundheitsschäden versichert (BGE 130 V 356 Erw. 2.2.5 mit Hinweis
insbesondere auf BGE 127 V 299 Erw. 5a). Nicht unerwähnt bleiben soll sodann
die neue Rechtsprechung zu den somatoformen Schmerzstörungen. Danach kann ein
derartiges Beschwerdebild eine Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise
verursachen (BGE 130 V 353 Erw. 2.2.2 ff. mit Hinweisen).

2.
Die Vorinstanz kam in Auseinandersetzung mit den Parteivorbringen und
Würdigung der Akten zum Schluss, angesichts der diskreten organischen Befunde
und der fehlenden psychischen Krankheit sei es der Versicherten zuzumuten,
einer leichten Tätigkeit wie der zuletzt ausgeübten uneingeschränkt
nachzugehen, womit keine Invalidität ausgewiesen sei.

2.1 Dieser Auffassung ist beizupflichten. Zwar klagt die Versicherte schon
seit Jahren über Rückenbeschwerden. Diese werden von ärztlicher Seite näher
als lumbospondylogenes Schmerzsyndrom mit/bei Chondrose L5/S1, diskrete
Diskusprotrusion L4/L5 und L5/S1 sowie chronisches cervicospondylogenes
Schmerzsyndrom rechts umschrieben oder allgemeiner als chronisches
Panvertebralyndrom mit lumbospondylogenem Syndrom L5/S1 rechts bezeichnet.
Wie bereits der Begriff des Syndroms aussagt, lassen sich die geklagten
Schmerzen rein organisch nicht begründen. Trotz diverser klinischer und
bildgebender Untersuchungen konnten einzig im Bereich L5/S1 und L4/L5
diskrete degenerative Veränderungen ohne radikuläre Symtomatik festgestellt
werden. Es sind vielmehr die am 3. Februar 1995 erstmals von Dr. med.
H.________ erwähnte chronische Überforderung mit der Doppelbelastung Arbeit -
Familie/Haushalt wie auch die von Dr. med. A.________ am 7. Februar 2002
aufgegriffene ungenügende kulturelle Integration mit sekundärem sozialem
Rollenkonflikt bei mässigen Deutschkenntnissen, welche nach Auffassung des
Psychiaters Dr. med. M.________ vom 22. Dezember 2002 die Versicherte am
Einsatz der eigentlich vorhandenen Arbeitsfähigkeit hindern. All dies sind
psychosoziale oder soziokulturelle Gründe, die indessen vom
sozialversicherungsrechtlichen Standpunkt aus unbeachtlich sind (Erw. 1.3
hiervor). Daneben fehlt es an einem verselbstständigten (krankheitswertigen)
psychischen Gesundheitsschaden mit Auswirkungen auf die Arbeits- und
Erwerbsfähigkeit: Die Ärzte des Rehabilitationszentrums sprechen am 12.
November 2001 lediglich von einer depressiven Verstimmung; Dr. med.
A.________ nennt am 7. Mai 2002 eine das chronische Überlastungssyndrom
begleitende reaktive depressive Entwicklung; auch der die Versicherte am 26.
November 2002 psychiatrisch untersuchende Dr. M.________ verneint
ausdrücklich das Vorliegen einer nennenswerten depressiven Krankheit, welche
eine verminderte Leistungsfähigkeit erklären würde. Er stellt vielmehr die
Diagnose einer Aggravation ohne manifeste psychische Störung (ICD-10 Z03.2)
und eine mangelnde soziokulturelle Assimilation (ICD-10 Z60.3).
2.2 Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, überzeugt nicht. Die
erstmals von Dr. med. H.________ am 28. September 2000 getätigte, von Dr.
med. B.________ im Bericht vom 27. Mai 2003 aufgegriffene Aussage, eine
Rekonditionierung der Patientin sei illusorisch, sagt nichts über die
Ursachen aus, welche eben im psychosozialen und soziokulturellen Bereich
anzusiedeln sind. Dieser ist indessen von der Invalidenversicherung nicht
erfasst, worauf bereits an anderer Stelle hingewiesen worden ist. Wenn die
Beschwerdeführerin weiter unter Verweis auf den Bericht von Dr. med.
H.________ vom 28. September 2000 sinngemäss geltend macht, die zuletzt
ausgeübte Tätigkeit als Packerin und Näherin sei wegen der ergonomisch
bedenklichen Dauersitzstellung nicht mehr zumutbar, ist ihr zunächst entgegen
zu halten, dass das Zentrum Y.________ ihr während des vom 15. Mai und 27.
Juni 2001 dauernden Klinikaufenthaltes ein Aufbautraining zur Stärkung der
Rückenmuskulatur dringend empfahl, was sie indessen gemäss Feststellung von
Dr. M.________ bisher nicht konsequent umgesetzt hat; auch bot die Arbeit
nach von ihr an anderer Stelle getätigter Aussage durchaus Abwechslung;
ferner beurteilt sich die Arbeitsunfähigkeit gemäss Art. 6 ATSG bei langer
Dauer nicht nur nach der zuletzt tatsächlich ausgeübten Tätigkeit, sondern
die in anderen Berufen oder Aufgabenbereichen zumutbaren Arbeiten sind
ebenfalls zu berücksichtigen, worunter zweifelsfrei auch solche mit
wechselnder Arbeitsstellung fallen, in der die Versicherte rein aus
somatischer Sicht ohne weiteres ein rentenausschliessendes Einkommen erzielen
könnte. Zuletzt besteht angesichts der geringen organischen Befunde
einerseits und des fehlenden psychischen Krankheitsbildes andererseits keine
Notwendigkeit für eine vom Psychiater und Rheumatologen gemeinsam
festgesetzte Arbeitsfähigkeit: Der von der Versicherten zur Begründung des
Antrags auf eine interdisziplinäre Begutachtung angerufene Dr. med.
B.________ behauptet denn auch nicht Derartiges im Bericht vom 27. Mai 2003;
er empfiehlt ein solches Vorgehen deswegen, weil das Krankheitsbild aus
rheumatologischer Sicht nicht zu erklären sei, ohne indessen von der bereits
durchgeführten psychiatrische Begutachtung durch Dr. med. M.________ vom 22.
Dezember 2002 Kenntnis zu haben. Von einer interdisziplinären Begutachtung
durfte die Vorinstanz daher absehen, was sie in ihrem Entscheid übrigens
entgegen der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung auch
hinreichend begründet hat, indem sie die Versicherte für medizinisch
ausreichend untersucht erklärte. Auch letztinstanzlich sind keine Weiterungen
angezeigt, da von diesen keine neuen, entscheidwesentlichen Erkenntnisse zu
erwarten sind.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem
Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 25. November 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: