Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 360/2004
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I 360/04

Urteil vom 23. November 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Lanz

B.________, 1964, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph
Anwander-Walser, Bahnhofstrasse 21, 9101 Herisau,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 11. Mai 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1964 geborene B.________ besuchte in seiner Heimat, dem ehemaligen
Jugoslawien, die Schulen. In der Folge übte er, ohne über eine
Berufsausbildung zu verfügen, verschiedene Hilfstätigkeiten aus. Ab 1988
arbeitete er, zunächst saisonweise und ab 1992 durchgehend, als
Hilfsdachdecker bei einer Bedachungs- und Bauspenglerei in der Schweiz. Am 5.
Dezember 2001 rutschte B.________ zu Hause beim Tragen eines Möbelstückes auf
einer Treppe aus und fiel auf den Rücken respektive das Gesäss, was zu einer
Arbeitsunfähigkeit führte. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) als zuständiger obligatorischer Unfallversicherer richtete ein Taggeld
aus. Nach medizinischen Abklärungen eröffnete sie B.________, die
Arbeitsfähigkeit werde ab 30. Oktober 2002 auf 50 % und ab 25. November 2002
auf 100 % festgesetzt. Sie passte das Taggeld entsprechend an und stellte es
per 25. November 2002 ein (Verfügung vom 22. Oktober 2002 und
Einspracheentscheid vom 25. September 2003). Die hiegegen erhobene Beschwerde
ist nach Angabe des Versicherten zwischenzeitlich rechtskräftig abgewiesen
worden.

Im August 2002 hatte sich B.________ auch bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug angemeldet. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen zog die
medizinischen Akten der SUVA bei und verneinte einen Anspruch auf
Invalidenrente, Umschulung und Arbeitsvermittlung mit der Begründung, dem
Versicherten sei die Ausübung der bisherigen Erwerbstätigkeit aus ärztlicher
Sicht vollumfänglich möglich (Verfügung vom 6. Februar 2003 und
Einspracheentscheid vom 28. November 2003).

B.
Die von B.________ gegen den Einspracheentscheid der IV-Stelle  erhobene
Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid
vom 11. Mai 2004 ab.

C.
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
in Aufhebung von Einsprache- und vorinstanzlichem Entscheid seien ihm die
gesetzlichen Leistungen aus der Invalidenversicherung auszurichten; eventuell
sei die Sache zu weiteren Sachverhaltsabklärungen und neuem Entscheid an das
kantonale Gericht respektive die Verwaltung zurückzuweisen.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, ohne
weiter zur Sache Stellung zu nehmen. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat
sich nicht vernehmen lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
In zeitlicher Hinsicht sind grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend,
die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung
haben (BGE 127 V 467 Erw. 1). Weiter stellt das Sozialversicherungsgericht
bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des
Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (vorliegend: 28. November 2003)
eingetretenen Sachverhalt ab (BGE 121 V 366 Erw. 1b).

Wie das kantonale Gericht in weitgehend korrekter Anwendung dieser
allgemeinen intertemporalen Regeln richtig erkannt hat, sind die Bestimmungen
des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 grundsätzlich
anwendbar, nicht aber die am 1. Januar 2004 im Rahmen der 4. IV-Revision in
Kraft getretenen Rechtsänderungen.

Zu präzisieren ist, dass die Prüfung eines allfälligen schon vor dem
In-Kraft-Treten des ATSG auf den 1. Januar 2003 entstandenen Anspruchs auf
eine Rente der Invalidenversicherung für die Zeit bis 31. Dezember 2002 auf
Grund der bisherigen und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen erfolgt
(noch nicht in der Amtlichen Sammlung publiziertes Urteil M. vom 5. Juli
2004, I 690/03, Erw. 1 mit Hinweisen).

2.
2.1 Die für den Rentenanspruch ab 1. Januar 2003 massgebenden Rechtsgrundlagen
sind im angefochtenen Entscheid zutreffend dargelegt. Es betrifft dies
namentlich die Bestimmungen über den Invaliditätsbegriff (Art. 8 Abs. 1 ATSG
in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG in der seit 1. Januar 2003 geltenden
Fassung; vgl. auch Art. 1 Abs. 1 IVG in der seit 1. Januar 2003 geltenden
Fassung), die Voraussetzungen und den Umfang des Anspruchs auf eine Rente der
Invalidenversicherung (Art. 28 Abs. 1 IVG [in der bis 31. Dezember 2003
gültig gewesenen Fassung] und Abs. 1bis IVG [in Kraft gewesen bis 31.
Dezember 2003]) sowie die Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen mittels
Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG). Darauf wird verwiesen.
Hinsichtlich der Rentenberechtigung bis 31. Dezember 2002 hat es mit dem
Hinweis sein Bewenden, dass die dafür massgebenden altrechtlichen Grundsätze
inhaltlich im Wesentlichen unverändert in die dargelegte neurechtliche
Ordnung überführt wurden (BGE 130 V 343; noch nicht in der amtlichen Sammlung
publiziertes Urteil M. vom 5. Juli 2004, I 690/03, Erw. 2) und daher hier
nicht gesondert darzustellen sind.

2.2 Streitig und zu prüfen ist vorab, ob und bejahendenfalls in welcher Weise
der Beschwerdeführer gesundheitsbedingt in der Arbeitsfähigkeit eingeschränkt
ist.

2.2.1 Gemäss Austrittsbericht der Klinik X.________ vom 3. Oktober 2002, in
welcher sich der Versicherte zur stationären Rehabilitation und Abklärung
aufgehalten hatte, sind die geklagten Leidensmanifestationen mit einem
lumbospondylogenen Schmerzsyndrom links ohne Hinweise für eine radikuläre
Reiz- oder Ausfallsymptomatik bei Status nach LWS-Kontusion vom 5. Dezember
2001 und bei im MRI leichtgradig degenerativ veränderter Bandscheibe L5/S1
ohne Hinweise für neurokompressive Zeichen zu erklären. Gestützt auf diese
Erkenntnisse gelangten die Fachärzte zum Ergebnis, dass dem Versicherten die
Arbeitsaufnahme im angestammten Beruf eines Hilfsdachdeckers ab 30. Oktober
2002 zu 50 % und ab 25. November 2002 zu 100 % möglich sei.

Der Bericht der Klinik X.________ beruht auf eingehenden fachmedizinischen
Untersuchungen des Versicherten. Diese umfassten neben somatischen namentlich
auch eine psychiatrische Abklärung, welche Symptomausweitungszeichen bei
gegebener sozialer Problematik, aber keine psychische Störung mit
Krankheitswert ergab. Die gestellten Diagnosen stimmen überein mit denjenigen
der Klinik Y.________ nach einer stationären Behandlung vom April 2002
(Austrittsbericht vom 26. April 2002), des Dr. med. L.________, FMH
Physikalische Medizin, spez. Rheumatologie, (Stellungnahme vom 20. Juni 2002)
und des Kreisarztes (Untersuchungsbericht vom 21. August 2002). Die Aussagen
der Fachärzte der Klinik X.________ zur Frage der Arbeitsfähigkeit sind
ebenfalls schlüssig begründet. Es kann daher mit Vorinstanz und Verwaltung
darauf abgestellt werden. Hieran ändert nichts, dass die erwähnten
medizinischen Berichte im Unfallversicherungs-Verfahren eingeholt wurden. Die
beteiligten Ärzte haben nicht zwischen unfallkausalen und unfallfremden
Gesundheitsschädigungen und deren Auswirkungen unterschieden, weshalb ihren
Aussagen auch für die Belange der Invalidenversicherung Beweiswert zukommt.

2.2.2 Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgetragen wird, rechtfertigt
keine andere Betrachtungsweise. Die nicht begründeten
Arbeitsunfähigkeits-Bestätigungen des Dr. med. S.________, Arzt für
Allgemeine Medizin FMH, vermögen keine Zweifel an den zuvor genannten, auf
einlässliche Abklärungen gestützten spezialärztlichen Aussagen hervorzurufen.
Hieran ändert nichts, wenn die hausärztlichen Atteste im
Arbeitslosenversicherungs-Verfahren berücksichtigt wurden. Hinsichtlich der
im Bericht der Klinik X.________ vom 3. Oktober 2002 erwähnten schmerzbedingt
verminderten LWS-Belastbarkeit ist festzuhalten, dass die begutachtenden
Fachärzte dieser Symptomatik offensichtlich keine die Arbeitsfähigkeit
tangierende Bedeutung beigemessen haben. Sodann führen die Klinikärzte zwar
aus, die Arbeitsfähigkeit sei im Gespräch mit dem Versicherten festgelegt
worden. Aus dem gesamten Bericht ergibt sich aber unmissverständlich, dass
die Bestätigung des vollen funktionellen Leistungsvermögens ab 25. November
2002 der auf den erhobenen Befunden fussenden Überzeugung der
berichterstattenden Ärzte entspricht.

Der Beschwerdeführer beantragt weiter, es seien ein Bericht des Dr. med.
S.________ und ein interdisziplinäres, namentlich auch psychiatrisches
Gutachten einzuholen. Die bestehenden medizinischen Akten bieten indessen für
die sich stellenden Sachverhaltsfragen umfassenden und zuverlässigen
Aufschluss und sind, entgegen der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
vertretenen Auffassung, mit Blick auf den interessierenden Zeitraum (vgl.
Erw. 1 hievor) hinreichend aktuell. Dies gilt namentlich auch für den die
psychische Befindlichkeit des Versicherten mit berücksichtigenden Bericht der
Klinik X.________ vom 3. Oktober 2002. Von einer zusätzlichen
Meinungsäusserung des Hausarztes sind ebenso wenig entscheidrelevante neue
Erkenntnisse zu erwarten (vgl. zur zurückhaltenden Gewichtung von
hausärztlichen Stellungnahmen: BGE 125 V 353 Erw. 3b/cc) wie von einer
ergänzenden Begutachtung, weshalb darauf verzichtet wird (antizipierte
Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122 V 162 Erw. 1d mit Hinweis; SVR
2003 IV Nr. 1 S. 1 Erw. 2).

In Bezug auf den neu aufgelegten Bericht des Dr. med. G.________, Facharzt
für Allgemeine Medizin FMH, vom 26. Oktober 2004 ist festzustellen, dass sich
darin keine gegebenenfalls relevanten Aussagen für den Zeitraum bis zum
Einspracheentscheid vom 28. November 2003 finden. Ob der von Dr. med.
G.________ gestellten Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung eine
gegebenenfalls im Rahmen einer Neuanmeldung zu berücksichtigende Bedeutung
zukommen kann (vgl. BGE 130 V 352 und das noch nicht in der amtlichen
Sammlung publizierte Urteil B. vom 18. Mai 2004, I 457/02, zur Problematik
von Schmerzsyndromen), ist hier nicht zu prüfen.

2.3 Ist der Beschwerdeführer nach dem Gesagten in der Ausübung der bisherigen
Tätigkeit eines Hilfsdachdeckers gesundheitlich nicht eingeschränkt, besteht
keine Invalidität. Selbst wenn aufgrund der zwischenzeitlich am 30. Januar
2003 ausgesprochenen Kündigung des Anstellungsverhältnisses durch den
Arbeitgeber zur Ermittlung des auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt
zumutbarerweise noch erzielbaren Einkommens Tabellenlöhne herangezogen
werden, resultiert im für den Versicherten günstigsten Fall eine
Erwerbseinbusse von allerhöchstens 17 %, wie der im angefochtenen Entscheid
im Sinne einer ergänzenden Begründung vorgenommene Einkommensvergleich
ergeben hat. Der für einen Rentenanspruch mindestens erforderliche
Invaliditätsgrad von 40 % (Art. 28 Abs. 1 IVG) wird jedenfalls auch so nicht
erreicht.

3.
Mit der Verneinung eines Anspruchs auf Umschulung und Arbeitsvermittlung
durch Verwaltung und Vorinstanz setzt sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
nicht auseinander. Die Rechtsprechung verlangt für die Zusprechung einer
Umschulungsmassnahme nebst anderem, dass die versicherte Person in den ohne
zusätzliche berufliche Ausbildung noch zumutbaren Erwerbstätigkeiten eine
bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbseinbusse von etwa 20 % erleidet
(BGE 124 V 110 f. Erw. 2b mit Hinweisen). Dies ist hier wie dargelegt (Erw.
2.3 hievor) nicht der Fall. Die vorinstanzlichen Erwägungen sind zwar
insofern zu korrigieren, als der Anspruch auf Umschulung bei einem
Hilfsarbeiter respektive Ungelernten nicht von einer höheren
gesundheitsbedingten Mindesterwerbseinbusse (nach Auffassung des kantonalen
Gerichts rund 40 %) abhängig gemacht werden darf als bei einem Versicherten,
welche bereits über eine Berufsausbildung verfügt. Dies hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht kürzlich wiederholt entschieden (Urteile
J. vom 14. Oktober 2004, I 168/04, Erw. 2.3, und T. vom 30. September 2004, I
73/04, Erw. 4). Im Ergebnis ist der kantonale Entscheid aber richtig. Mit der
Vorinstanz ist sodann auch ein Anspruch auf Arbeitsvermittlung schon mangels
invaliditätsbedingter Erschwernisse bei der Stellensuche (AHI 2003 S. 270
Erw. 2c) auszuschliessen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 23. November 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: