Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 34/2004
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I 34/04

Urteil vom 28. Mai 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Lanz

L.________, 1966, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Andreas
Hebeisen, Löwenstrasse 12, 8280 Kreuzlingen,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin

AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 1. Dezember 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1966 geborene Kroatin L.________, verheiratet und Mutter zweier Kinder,
hat in ihrer Heimat nach der Grundschule die Ausbildungen zur
Krankenschwester und zur medizinischen Laborassistentin absolviert. Nach
ihrer Einreise in die Schweiz im Jahr 1989 arbeitete sie zunächst als
Krankenschwester am Spital Y.________. Ab 1. Januar 1996 war sie als
medizinische Praxisassistentin zu 50 % bei einem Arzt tätig. Dieses
Anstellungsverhältnis wurde vom Arbeitgeber wegen Umstrukturierung der Praxis
auf Ende Februar 2000 aufgelöst. Im August 2000 meldete sich L.________ unter
Hinweis auf gesundheitliche Beschwerden, welche ab Juni 1999 zu
Arbeitsunfähigkeiten geführt hatten, bei der Invalidenversicherung zum
Rentenbezug an. Die IV-Stelle ging davon aus, dass die Versicherte im
Gesundheitsfalle je hälftig erwerbs- sowie im Haushalt tätig wäre, und traf
Abklärungen zur gesundheitsbedingten Einschränkung der funktionellen
Leistungsfähigkeit in diesen Aufgabenbereichen. Gestützt darauf verneinte sie
einen Rentenanspruch mit Verfügung vom 20. März 2003. Daran hielt die
Verwaltung mit Einspracheentscheid vom 6. Juni 2003 fest.

B.
Die von L.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess die
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 1. Dezember
2003 in dem Sinne teilweise gut, dass sie Verfügung und Einspracheentscheid
mit der Feststellung, die Versicherte sei als Vollerwerbstätige zu
qualifizieren, aufhob und die IV-Stelle anwies, gemäss den Erwägungen weitere
Abklärungen zu Arbeitsunfähigkeit sowie zu allfälligen beruflichen
Eingliederungsmassnahmen zu treffen und anschliessend über den
Leistungsanspruch neu zu befinden. In den Entscheidmotiven äusserte sich die
Rekurskommission auch zur Höhe des Valideneinkommens.

C.
L.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
es sei festzustellen, dass das der Invaliditätsbemessung zugrunde zu legende
Valideneinkommen mindestens Fr. 75'000.- im Jahr betrage; eventuell sei die
IV-Stelle zu verpflichten, weitere Abklärungen zum Valideneinkommen zu
treffen und dieses neu festzulegen.

Die IV-Stelle verzichtet auf eine Vernehmlassung zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat nicht
Stellung genommen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Vorinstanz hat erkannt, die Sache zu weiteren Abklärungen und neuer
Entscheidung an die Verwaltung zurückzuweisen, und dies mit der Feststellung
verbunden, die Beschwerdeführerin sei hiebei als im Gesundheitsfalle
Vollerwerbstätige zu betrachten. Letzteres präjudiziert auch die anzuwendende
Methode der Invaliditätsbemessung, welche demnach mittels Einkommensvergleich
zu erfolgen hat (Art. 28 Abs. 2 IVG [gültig gewesen bis 31. Dezember 2002]
und die hiezu ergangene, unter der Herrschaft des neuen Rechts [Art. 16 ATSG,
in Kraft seit 1. Januar 2003] weiterhin massgebende [vgl. zur Publikation in
der Amtlichen Sammlung vorgesehenes Urteil A. vom 30. April 2004, I 626/03]
Rechtsprechung). Insoweit ist der kantonale Entscheid nicht umstritten, und
es besteht nach Lage der Akten auch kein Anlass, darauf von Amtes wegen näher
einzugehen.

1.2 Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich laut Antrag und Begründung
einzig gegen die vorinstanzlichen Erwägungen zur Höhe des von der
Versicherten ohne invalidisierende Gesundheitsschädigung mutmasslich
erzielten Einkommens (Valideneinkommen, als einer der beiden
Vergleichsfaktoren beim Einkommensvergleich). Es stellt sich daher die Frage
der Zulässigkeit des Rechtsmittels, da grundsätzlich nur das Dispositiv eines
Entscheides anfechtbar ist. Verweist indessen ein kantonaler
Rückweisungsentscheid - wie hier der Fall - im Rechtsspruch ausdrücklich auf
die Erwägungen, nehmen diese an der formellen Rechtskraft des Entscheides
teil und werden für die Behörde, an die die Sache zurückgewiesen wird, bei
Nichtanfechtung verbindlich. Beziehen sich diese Erwägungen auf den
Streitgegenstand - was vorliegend ebenfalls zutrifft - ist somit auch deren
Anfechtbarkeit zu bejahen (zum Ganzen BGE 120 V 237 Erw. 1a mit Hinweis). Auf
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher einzutreten.

2.
2.1 Für die Ermittlung des Valideneinkommens ist entscheidend, was die
versicherte Person als Gesunde im massgebenden Zeitpunkt (dazu BGE 129 V 222,
128 V 174) auf Grund ihrer beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Umstände
nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit tatsächlich verdient
hätte (RKUV 1993 Nr. U 168 S. 100 f. Erw. 3b; ZAK 1992 S. 92 Erw. 4a; Urteil
D. vom 26. August 2003, I 389/01). Dabei wird in der Regel am zuletzt
erzielten, nötigenfalls der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung
angepassten Verdienst angeknüpft, da es der Erfahrung entspricht, dass die
bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre.
Ausnahmen müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt sein (BGE 129
V 224 Erw. 4.3.1 mit Hinweisen).

2.2 Die Vorinstanz ist den dargelegten Grundsätzen gefolgt, indem sie von dem
Lohn, den die Beschwerdeführerin zuletzt als medizinische Praxisassistentin
in einem 50 %-Pensum erzielte, ausgegangen ist und ihn, der beiden
Vergleichseinkommen zu Grunde zu legenden Annahme eines Ausbaus der
hypothetischen Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfalle auf eine Vollzeitarbeit
Rechnung tragend, verdoppelt hat.

Was hiegegen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgetragen wird,
rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Entgegen der darin vertretenen
Auffassung sind statistisch gesehen Teilzeitstellen von Frauen mit einem
Beschäftigungsgrad von 50 % - wie sie die Versicherte bis zur Invalidität
ausübte - anteilsmässig sogar höher entlöhnt als Vollzeitstellen (vgl. Die
Schweizerische Lohnstrukturerhebung [LSE] 2000 S. 24 Tabelle 9; LSE 1998 S.
20 Tabelle 6; Urteile T. vom 9. September 2003, I 72/03, T. vom 5. Mai 2003,
I 359/02, K. vom 21. März 2003, U 118/02, und D. vom 28. November 2002, I
120/02). Ein höheres Valideneinkommen liesse sich daher nicht damit
begründen, dass die Beschwerdeführerin alleine aufgrund der für den
Gesundheitsfall angenommenen Ausdehnung des bisherigen halben Arbeitspensums
auf ein ganzes proportional mehr verdient hätte. Was die Höhe des bei
Eintritt der invalidisierenden Gesundheitsschädigung konkret erzielten
Verdienstes betrifft, ist weiter festzuhalten, dass sich die Versicherte
damit immerhin über mehrere Jahre hinweg zufrieden gab und auch nicht geltend
macht, sich je nach einer besser bezahlten Teilzeitstelle umgesehen zu haben.
Dieser Lohn liegt zudem nicht so weit ausserhalb des Branchenüblichen, dass
er deswegen als Ausgangspunkt der Invaliditätsbemessung nicht in Frage käme.
Dies gilt auch bei Berücksichtigung der mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
aufgelegten Ergebnisse einer durch den Schweizerischen Verband Medizinischer
Praxisassistentinnen durchgeführten Lohnumfrage. Dass die Beschwerdeführerin
im Gesundheitsfall eine andere, proportional wesentlich besser bezahlte
Vollzeitstelle als medizinische Praxisassistentin angetreten hätte, ist nach
Lage der Akten nicht überwiegend wahrscheinlich. Das Gleiche gilt, soweit sie
vorbringt, dass sie ohne Invalidität wieder auf die früher (bis Ende 1995)
ausgeübte Tätigkeit einer Krankenschwester gewechselt hätte. Weiterungen zu
den Lohnverhältnissen in diesem Berufszweig erübrigen sich daher. Von
ergänzenden Abklärungen, insbesondere auch den beantragten Befragungen, ist
ebenfalls kein entscheidrelevanter neuer Aufschluss zu erwarten, weshalb
davon abgesehen wird (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122
V 162 Erw. 1d mit Hinweis; SVR 2003 IV Nr. 1 S. 1 Erw. 2).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau, der Ausgleichskasse des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 28. Mai 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: