Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 349/2004
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I 349/04

Urteil vom 27. Januar 2005

I. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Ursprung
und Frésard; Gerichtsschreiber Krähenbühl

Einwohnergemeinde X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch den
Stadtrat X.________,

gegen

Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdegegner,

Eidgenössische Rekurskommission für kollektive Leistungen der Alters- und
Invalidenversicherung, Lausanne

(Entscheid vom 18. Mai 2004)

Sachverhalt:

A.
Am 17. März 2003 reichte die Schule Y.________ der kantonalen Direktion für
Bildung und Kultur ein Gesuch um Bau- und Einrichtungsbeiträge an die
vorgesehenen nutzungsspezifischen Anpassungen in dem vom Frauenkloster
Z.________ gemieteten Schulgebäude des Instituts Z.________ ein. Dieses
Gesuch wurde am 18. März 2003 dem Bundesamt für Sozialversicherung (BSV)
übermittelt. Vertreten durch den Stadtrat X.________ wandte sich die
Einwohnergemeinde X.________ als Trägerin der Schule Y.________ am 24. Juni
2003 an die kantonale Direktion für Bildung und Kultur mit dem Begehren um
Zustimmung zu einem vorzeitigen Baubeginn. Am 10. Juli 2003 erteilte die
kantonale Amtsstelle eine entsprechende Bewilligung. Nachdem eine
telefonische Anfrage ergeben hatte, dass beim BSV kein Gesuch um vorzeitigen
Baubeginn eingegangen war, reichte der Leiter der Schule Y.________ am 2.
September 2003 das ursprünglich der kantonalen Direktion für Bildung und
Kultur zugestellte Schreiben vom 24. Juni 2003 auch dem BSV ein. Mit
Verfügung vom 18. November 2003 lehnte das BSV das Beitragsgesuch ab, "da bei
Baubeginn seitens des BSV weder eine Bewilligung für den vorzeitigen
Baubeginn noch eine Beitragszusicherung vorlag".

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies die Eidgenössische Rekurskommission für
kollektive Leistungen der Alters- und Invalidenversicherung mit Entscheid vom
18. Mai 2004 ab.

C.
Die Einwohnergemeinde X.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
Begehren um Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und Rückweisung der
Sache an das BSV zur materiellen Behandlung ihres Beitragsgesuchs.

Das BSV schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Gegen Entscheide der Eidgenössischen Rekurskommission für kollektive
Leistungen der Alters- und Invalidenversicherung (Art. 75bis Abs. 1 IVG,
gültig ab 1. Januar 2003; Anhang I der Verordnung über Organisation und
Verfahren eidgenössischer Rekurs- und Schiedskommissionen [SR 173.31] in der
seit 1. Januar 2003 geltenden Fassung) kann beim Eidgenössischen
Versicherungsgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde geführt werden (Art. 75bis
Abs. 3 IVG).

2.
Zu prüfen ist die Rechtmässigkeit der Verfügung vom 18. November 2003, mit
welcher es das BSV ablehnte, der Beschwerdeführerin einen Beitrag der
Invalidenversicherung an die Kosten behindertenspezifischer Umbauarbeiten zu
gewähren.

2.1 Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen im Sinne von Art. 132 OG handelt
(BGE 106 V 98 Erw. 3; vgl. auch BGE 122 V 136 Erw. 1, 120 V 448 Erw. 2a/bb),
hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob die Vorinstanz
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.2 In zeitlicher Hinsicht sind bei der Beurteilung einer Streitsache
grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend, die bei Erfüllung des zu
Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung hatten (BGE 130 V 259 Erw. 3.5,
333 Erw. 2.3, 425 Erw. 1.1, 447 Erw. 1.2.1, je mit Hinweisen). Keine
Anwendung finden daher im vorliegenden Verfahren die im Zuge der 4.
IV-Revision auf den 1. Januar 2004 neu eingeführten oder geänderten
Bestimmungen des IVG und der dazugehörenden Verordnung (IVV).

Wie die Vorinstanz im Übrigen zutreffend festgestellt hat, ist auf Grund von
Art. 1 Abs. 1 IVG (in der ab 1. Januar bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen
Fassung) auch das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in
Verfahren, welche die Förderung der Invalidenhilfe (Art. 73 ff. IVG)
betreffen, nicht anwendbar.

2.2.1 Laut Art. 73 Abs. 1 IVG gewährt die Versicherung Beiträge an die
Errichtung, den Ausbau und die Erneuerung von öffentlichen und gemeinnützigen
privaten Anstalten und Werkstätten, die in wesentlichem Umfang
Eingliederungsmassnahmen durchführen (Satz 1). Nach Art. 73 Abs. 2 lit. b IVG
kann die Versicherung Beiträge gewähren an die Errichtung, den Ausbau und die
Erneuerung von öffentlichen und gemeinnützigen privaten Werkstätten für
Dauerbeschäftigung von Invaliden und an die durch die Beschäftigung von
Invaliden entstehenden zusätzlichen Betriebskosten (Satz 1). Gemäss Art. 75
Abs. 1 IVG setzt der Bundesrat die Höhe der Beiträge gemäss den Artikeln 73
und 74 fest (Satz 1); er kann deren Gewährung von weiteren Voraussetzungen
abhängig machen oder mit Auflagen verbinden (Satz 2).

2.2.2 Was die Einreichung und Prüfung der Beitragsgesuche anbelangt, sieht
Art. 102 Abs. 1 IVV vor, dass diese der zuständigen Behörde des
Standortkantons einzureichen sind (Satz 1); diese prüft sie hinsichtlich des
Bedarfs und leitet die Gesuche mit einem begründeten Antrag an das Bundesamt
weiter (Satz 2). Laut Abs. 2 von Art. 102 IVV prüft das Bundesamt die
Gesuche, insbesondere in Bezug auf Bedürfnis, Eignung und Dringlichkeit des
Projekts sowie auf die Höhe der Aufwendungen (Satz 1); die bauliche
Beurteilung erfolgt durch das Bundesamt für Bauten und Logistik (Satz 2).
Nach Massgabe der seit 1. Juni 2002 geltenden Fassung von Art. 103 Abs. 1 IVV
schliesslich werden Beiträge grundsätzlich nur dann ausgerichtet, wenn sie
vor dem Erwerb der Liegenschaft, vor der Errichtung, dem Ausbau und der
Erneuerung von Bauten oder vor der Anschaffung von Einrichtungen vom
Bundesamt verfügt worden sind (Satz 1); eine vorgängige Verfügung ist nicht
erforderlich, wenn das Abwarten der Verfügung mit schwerwiegenden Nachteilen
verbunden ist oder wenn kleinere Investitionen getätigt werden (Satz 2).

2.2.3 Das - wie auch die Vorinstanz richtig erkannte - ebenfalls zu
beachtende Bundesgesetz vom 5. Oktober 1990 über Finanzhilfen und Abgeltungen
(Subventionsgesetz [nachstehend: SuG]; SR 616.1) sieht in Art. 26  Abs. 1
vor, dass ein Gesuchsteller mit dem Bau erst beginnen oder grössere
Anschaffungen nur tätigen darf, wenn ihm die Finanzhilfe oder Abgeltung
endgültig oder dem Grundsatz nach zugesichert worden ist oder wenn ihm die
zuständige Behörde dafür die Bewilligung erteilt hat. Eine solche Bewilligung
kann die zuständige Behörde gemäss Art. 26 Abs. 2 SuG erteilen, wenn es mit
schwerwiegenden Nachteilen verbunden wäre, das Ergebnis der Prüfung der
Gesuchsunterlagen abzuwarten (Satz 1); die Bewilligung gibt keinen Anspruch
auf die Finanzhilfe oder Abgeltung (Satz 2). Beginnt der Gesuchsteller ohne
Bewilligung mit dem Bau oder tätigt er Anschaffungen, so werden ihm nach Art.
26 Abs. 3 SuG keine Leistungen gewährt (Satz 1); bei Abgeltungen kann ihm die
zuständige Behörde jedoch eine Leistung gewähren, wenn es die Umstände
rechtfertigen (Satz 2).

3.
3.1 Auf Grund der Akten steht fest und ist im Übrigen auch unbestritten, dass
die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt des Baubeginns im Juli 2003 vom BSV noch
keine Beitragszusicherung erhalten hatte und auch nicht im Besitz einer
bundesamtlichen Bewilligung zur vorzeitigen Projektrealisierung war. Im
Hinblick auf Art. 26 Abs. 1 und 3 SuG kann damit eine Beitragsgewährung nicht
mehr in Betracht fallen. Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE
130 V 177 erkannt hat, handelt es sich bei Baubeiträgen nach Art. 73 Abs. 1
IVG nämlich nicht um Abgeltungen nach Art. 3 Abs. 2 SuG, sondern um
Finanzhilfen nach Art. 3 Abs. 1 SuG, deren Ausrichtung auf Grund von Art. 26
Abs. 3 SuG nicht möglich ist, wenn mit der Realisierung des Bauprojektes ohne
vorgängige Leistungszusicherung oder Bewilligung des BSV begonnen wurde (BGE
130 V 181 ff. Erw. 5.2). Für eine Anwendung der in Satz 2 von Art. 26 Abs. 3
SuG nur für Abgeltungen vorgesehenen Ausnahmeregelung bleibt kein Raum. Wie
das Eidgenössische Versicherungsgericht im selben Urteil festgehalten hat,
kann auch nicht von überspitztem Formalismus gesprochen werden, wenn das BSV
die Gewährung von Baubeiträgen verweigert, weil der Gesuchsteller mit der
Projektrealisierung ohne vorgängige Beitragszusicherung oder Bewilligung
begonnen hat (BGE 130 V 183 f. Erw. 5.4).
3.2 Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, da für die
Erteilung einer Bewilligung zum vorzeitigen Baubeginn nicht das BSV, sondern
die kantonale Direktion für Bildung und Kultur zuständig sei, habe sie mit
deren Zustimmung vom 10. Juli 2003 über die notwendige Bewilligung verfügt.
Diese Auffassung findet in den massgebenden Vorschriften indessen keine
Stütze. Gemäss Art. 26 Abs. 1 und 2 SuG erteilt die Bewilligung zum
vorzeitigen Baubeginn die "zuständige Behörde". Bei dieser handelt es sich um
die gleiche Instanz, welche über die Baubeiträge verfügt. Dies ist gemäss dem
klaren Wortlaut von Art. 103 IVV das BSV. Zwar trifft es zu, dass die
Beitragsgesuche bei der zuständigen Behörde des Standortkantons einzureichen
sind (Art. 102 Abs. 1 IVV). Diese prüft indessen einzig den Bedarf und leitet
das Gesuch darauf mit begründetem Antrag an das Bundesamt weiter. Eine
Bestimmung, wonach die Bewilligung für einen vorzeitigen Bauantritt von einer
kantonalen Behörde zu erteilen wäre, enthält die IVV nicht.

3.3 Im Weitern beruft sich die Beschwerdeführerin auf den
Vertrauensgrundsatz. Sie macht geltend, gestützt auf die Bewilligung der
Direktion für Bildung und Kultur vom 10. Juli 2003 habe sie davon ausgehen
können, mit dem beabsichtigten Umbau beginnen zu dürfen.

3.3.1 Der in Art. 9 BV verankerte Grundsatz von Treu und Glauben schützt den
Bürger und die Bürgerin in ihrem berechtigten Vertrauen auf behördliches
Verhalten und bedeutet unter anderm, dass falsche Auskünfte von
Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen
Recht abweichende Behandlung der Rechtsuchenden gebieten. Gemäss
Rechtsprechung und Doktrin ist eine falsche Auskunft bindend,
1.wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte
Personen gehandelt hat;
2.wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder
wenn die rechtsuchende Person die Behörde aus zureichenden Gründen als
zuständig betrachten durfte;
3.wenn die Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen
konnte;
4.wenn sie im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen
getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können;
5.wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunftserteilung keine Änderung
erfahren hat (BGE 127 I 36 Erw. 3a, 126 II 387 Erw. 3a; RKUV 2000 Nr. KV 126
S. 223; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung:
BGE 121 V 66 Erw. 2a mit Hinweisen).

3.3.2 Eine falsche Auskunft einer Behörde ist grundsätzlich aber nur dann
bindend, wenn diese für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig
war. Gleiches gilt, wenn die rechtsuchende Person die Behörde aus
zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte (BGE 127 I 36 Erw. 3a;
RKUV 2000 Nr. KV 126 S. 223).

Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Aus den Akten
ergibt sich, dass die heutige Beschwerdeführerin selbst nicht davon ausging,
dass die Erteilung einer Bewilligung zur vorgezogenen Realisierung des
Umbauprojekts in die Zuständigkeit des kantonalen Departements für Bildung
und Kultur fiel. So erkundigte sich der Schulleiter der Schule Y.________ am
26. August 2003 beim BSV, ob das entsprechende Gesuch (vom 24. Juni 2003)
eingetroffen sei, und als dies verneint wurde, wandte er sich mit Schreiben
vom 2. September 2003 ans BSV. Darin führte er aus, versehentlich sei das
Gesuch nicht direkt oder auf dem Weg über die kantonalen Behörden ans
Bundesamt weitergeleitet worden. Daraus erhellt, dass die Beschwerdeführerin
selbst nicht annahm, eine kantonale Amtsstelle sei für die Erteilung der
Bewilligung zu einem vorzeitigen Bauantritt zuständig.

Dass ihr eine entsprechende Auskunft erteilt worden wäre, macht sie im
Übrigen nicht einmal geltend. Weder aus der IVV noch aus dem SuG oder aus dem
Kreisschreiben des BSV über die Ausrichtung von Bau- und
Einrichtungsbeiträgen (KSBAU), gültig ab 1. Januar 2003, ergeben sich
irgendwelche Hinweise, die auf eine Zuständigkeit einer kantonalen Behörde
schliessen lassen könnten. Auch hat das BSV die Beschwerdeführerin bereits
mit E-Mail vom 21. März 2003 ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass sie
nur Beiträge erhalte, "wenn zuvor die Verfügung des BSV ausgestellt ist". Auf
diesen Grundsatz hingewiesen hat im Übrigen auch schon der Stadtrat
X.________ in seiner Vorlage an den Grossen Gemeinderat vom 28. Januar 2003.

3.3.3 Angesichts der dargelegten Umstände muss der Beschwerdeführerin auch
eine erfolgreiche Berufung auf den Vertrauensschutz versagt bleiben.

4.
Da es bei der vorliegenden Streitsache nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen geht (Erw. 2.1 hievor), ist das
Verfahren kostenpflichtig (Umkehrschluss aus Art. 134 OG). Die Gerichtskosten
sind von der unterliegenden Beschwerdeführerin zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 13'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt
und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Eidgenössischen Rekurskommission für
kollektive Leistungen der Alters- und Invalidenversicherung und der Schule
Y.________ zugestellt.

Luzern, 27. Januar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: