Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 331/2004
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I 331/04

Urteil vom 29. November 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Fessler

B.________, 1966, Beschwerdeführer, vertreten durch den Rechtsdienst für
Behinderte, Bürglistrasse 11, 8002 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 4. Mai 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1966 geborene B.________ ersuchte im Juli 2001 die Invalidenversicherung
um eine Rente. Im Anmeldeformular gab er als Behinderung starke Schmerzen in
beiden Hüften sowie Beschwerden der Hände an. Die IV-Stelle des Kantons
Zürich klärte die gesundheitlichen und erwerblichen Verhältnisse ab. Unter
anderem liess sie den Versicherten durch die MEDAS abklären (Expertise vom 5.
November 2002). Mit Verfügung vom 7. Januar 2003 verneinte die IV-Stelle den
Anspruch auf eine Rente. Zur Begründung führte sie aus, aus medizinischer
Sicht sei eine körperlich leichte, vorwiegend sitzende Tätigkeit als
Journalist zu 80 % zumutbar. Damit könne ein rentenausschliessendes Einkommen
erzielt werden. Daran hielt die IV-Stelle mit Einspracheentscheid vom 13.
August 2003 fest.

B.
Die von B.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 4. Mai 2004
in dem Sinne gut, dass es den Einspracheentscheid aufhob und die Sache an die
IV-Stelle zurückwies, damit sie nach erfolgter Abklärung im Sinne der
Erwägungen über den Rentenanspruch neu verfüge.

C.
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und es sei ihm eine
Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter seien in Änderung dieses
Erkenntnisses Abklärungen betreffend seinen Gesundheitszustand seit 1998
vorzunehmen und auf weitere Erhebungen sei zu verzichten.

Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2003 sind das Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) und die dazugehörige
Verordnung vom 11. September 2002 (ATSV) in Kraft getreten. Mit ihnen sind
verschiedene materiellrechtliche Normen im Bereich der Invalidenversicherung
geändert oder aufgehoben worden. In dem zur Publikation in BGE 130 V
bestimmten Urteil M. vom 5. Juli 2004 (I 690/03) hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht entschieden, dass bei Erlass des Einspracheentscheides
nach dem 1. Januar 2003 der Anspruch auf eine Invalidenrente für die Zeit bis
31. Dezember 2002 auf Grund der bisherigen und ab diesem Zeitpunkt nach den
neuen resp. durch das ATSG geänderten Normen zu prüfen ist.

1.2 Vorliegend stellte der Versicherte im Juli 2001 das Rentengesuch. Der
Anfechtungsgegenstand des erstinstanzlichen Beschwerdeverfahrens bildende
Einspracheentscheid wurde am 13. August 2003 erlassen. Das kantonale Gericht
hat den streitigen Rentenanspruch nach Massgabe der seit 1. Januar 2003 in
Kraft stehenden oder auf diesen Zeitpunkt hin geänderten Rechtsvorschriften
geprüft. Es hat somit nicht eine zeitlich getrennte Beurteilung vorgenommen.
Dies ist insofern nicht von Bedeutung, als die Begriffe der
Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Invalidität sowie der
Einkommensvergleichsmethode nach Art. 6, 7 und 8 Abs. 1 ATSG sowie Art. 16
ATSG im Sinne der bisherigen Rechtsprechung auszulegen und anzuwenden sind
(BGE 130 V 343). Ebenfalls hat der Allgemeine Teil des
Sozialversicherungsrechts grundsätzlich nichts an der Gerichtspraxis zur
Invaliditätsbemessung nach der gemischten Methode (vgl. dazu BGE 125 V 146)
geändert (BGE 130 V 393). Nach zutreffender Feststellung der Vorinstanz haben
im Übrigen die seit 1. Januar 2004 in Kraft stehenden Gesetzes- und
Verordnungsänderungen im Rahmen der 4. IV-Revision (vgl. AS 2003 3837 ff. und
3859 ff.) unberücksichtigt zu bleiben.

2.
2.1 Das kantonale Gericht begründet seinen Rückweisungsentscheid wie folgt:
Gemäss MEDAS-Gutachten vom 5. November 2002 seien aus rheumatologischer Sicht
auf Grund des Hüftleidens beidseits körperlich schwere bis mittelschwere
Arbeiten sowie Tätigkeiten in vorwiegend stehender und gehender
Körperposition nicht mehr zumutbar. Eine körperlich leichte, vorwiegend
sitzende Tätigkeit sei hingegen zu 80 % zumutbar. Die Arbeitsfähigkeit als
Raumpfleger betrage 0 %, als Journalist 80 %. Mit einer
totalendoprothetischen Versorgung des Hüftgelenks links könnte eine
wesentliche Verbesserung der Schmerzen sowie der Funktion des Gelenks mit
dadurch deutlich verbesserter Arbeitsfähigkeit erwartet werden. Die
abweichende Beurteilung des Hausarztes sowie im Bericht der Klinik A.________
vom 19. September 2001, wonach auch sitzende Tätigkeiten nicht mehr zumutbar
seien, vermöchten die Schlussfolgerungen der MEDAS nicht in Zweifel zu
ziehen. Auf Grund der nach der Begutachtung Anfang September 2002 eingeholten
oder eingereichten ärztlichen Berichte könne jedoch eine im massgebenden
Zeitpunkt des Einspracheentscheides vom 13. August 2003 rentenbegründende
Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht ausgeschlossen werden. Diese
Frage habe die IV-Stelle näher abzuklären. In diesem Zusammenhang sei auch
unklar, ob der Versicherte ohne gesundheitliche Beeinträchtigung voll
erwerbstätig wäre oder ob er lediglich einer Teilzeitbeschäftigung nachginge
und daneben in einem Aufgabenbereich nach Art. 5 Abs. 1 IVG in Verbindung mit
Art. 8 Abs. 3 ATSG tätig wäre. Ebenfalls frage sich und bedürfe der
Abklärung, ob dem Versicherten die Operation einer oder beider Hüftgelenke
zumutbar wäre und welche Folgen dies auf die Arbeitsfähigkeit hätte.

2.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird die Schlüssigkeit des
MEDAS-Gutachtens vom 5. November 2002 bestritten. Auf Grund der diversen
Berichte der Klinik A.________ und auch des Hausarztes sei schon vor dem
Zeitpunkt der Begutachtung die Beeinträchtigung im Bereich der Hüften grösser
gewesen als von den Experten anerkannt. Insbesondere sei bereits damals wegen
der sehr schmerzhaften Hüftprobleme mit Ausstrahlung ins Bein auch eine
sitzende Tätigkeit nicht mehr zumutbar gewesen. Auf Grund der divergierenden
medizinischen Unterlagen wäre zumindest ein Obergutachten zur Frage der
Zumutbarkeit solcher Beschäftigungen einzuholen gewesen. Anderseits seien
entgegen der Vorinstanz Abklärungen zur Zumutbarkeit einer Hüftoperation und
zur beruflich-erwerblichen Situation nicht notwendig. Insbesondere sei der
Versicherte von der IV-Stelle zu Recht als ohne gesundheitliche
Beeinträchtigung voll Erwerbstätiger eingestuft worden.

3.
3.1
3.1.1Gemäss Vorinstanz bestand zumindest bis zur MEDAS-Begutachtung im
September 2002 kein Anspruch auf eine Invalidenrente. Der den
Prüfungszeitraum begrenzende Einspracheentscheid vom 13. August 2003 (BGE 129
V 4 Erw. 1.2, 116 V 248 Erw. 1a) wurde weniger als ein Jahr später erlassen.
Dies schliesst nicht aus, dass bis zu diesem Zeitpunkt ein Rentenanspruch
entstanden war. Die Eröffnung der einjährigen Wartezeit nach Art. 29 Abs. 1
lit. b IVG setzt praxisgemäss lediglich eine Verminderung des funktionellen
Leistungsvermögens im bisherigen Beruf oder im Aufgabenbereich nach Art. 5
Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 3 ATSG von mindestens 20 % voraus
(AHI 1998 S. 124 Erw. 3c; vgl. auch BGE 130 V 99 Erw. 3.2, 129 V 419 unten).
Im Rahmen der gemischten Methode ist analog zur Ermittlung des
Invaliditätsgrades auf den gewichteten Durchschnitt der Arbeitsunfähigkeit in
beiden Teilbereichen abzustellen (BGE 130 V 102 Erw. 3.4). Insofern ist der
angefochtene Rückweisungsentscheid nicht zu beanstanden.

3.1.2 Nach den zutreffenden Erwägungen des kantonalen Gerichts kann ohne
Abklärung des Status als im Gesundheitsfall Voll-, Teil- oder
Nichterwerbstätiger (vgl. dazu BGE 125 V 150 Erw. 2c) indessen nicht
beurteilt werden, ob bis zum Erlass des Einspracheentscheides vom 13. August
2003 ein Rentenanspruch entstanden ist. Die Vorbringen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde geben zu keiner anderen Beurteilung Anlass. Die
von der IV-Stelle angenommene Vollerwerbstätigkeit ohne gesundheitliche
Beeinträchtigung erscheint schon deshalb nicht gesichert, weil das
Arbeitspensum bei der letzten regelmässig ausgeübten Tätigkeit als
Raumpfleger von April 1994 bis Juni 1998 durchschnittlich blosse 40 %
betragen hatte.

Abgesehen davon könnte ein Rentenanspruch selbst dann nicht ohne weiteres,
insbesondere nicht ohne Durchführung eines Einkommensvergleichs, verneint
werden, wenn der Beschwerdeführer als hypothetisch voll Erwerbstätiger zu
betrachten wäre und dem MEDAS-Gutachten vom 5. November 2002 mindestens bis
zum Erlass des Einspracheentscheides vom 13. August 2003 Beweiswert zuerkannt
würde. Die Verwaltung begründete den Verzicht auf einen Einkommensvergleich
damit, der Versicherte erzielte «in der Tätigkeit als Journalist mit einem
Arbeitspensum von 80 % mehr Erwerbseinkommen (...) als ein Raumpfleger mit
einem Arbeitspensum von 100 %». Es bestehe somit keine Erwerbseinbusse
(Einspracheentscheid vom 13. August 2003). Diese Invaliditätsbemessung
überzeugt schon deshalb nicht, weil die Tätigkeit als Journalist im Spektrum
der gemäss MEDAS in Betracht fallenden körperlich leichten, vorwiegend
sitzenden Tätigkeiten ein viel zu enges Berufsfeld darstellt. Beim
Invalideneinkommen sind jedoch grundsätzlich alle nach Durchführung der
medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen zumutbaren
Tätigkeiten bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage zu berücksichtigen (Art. 16
ATSG). Im Übrigen ist höchst fraglich, ob überhaupt ein Arbeitsmarkt für
türkisch sprechende Journalisten besteht. Gemäss Angaben der
Rechtsvertreterin des Versicherten in der Einsprache vom 27. Januar 2003 gibt
es in der Schweiz praktisch nur eine solche Stelle.

3.2 Entgegen der Vorinstanz bestehen jedoch auf Grund der gesamten
medizinischen Unterlagen auch für die Zeit vor der Begutachtung im September
2002 rechtserhebliche Zweifel an der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit der
MEDAS. Der Beschwerdeführer musste am 24. April 2001 wegen einer
Femurkopfnekrose Stadium II an der linken Hüfte operiert werden. Bereits in
jenem Zeitpunkt wurde die selbe Diagnose auch für die rechte Hüfte gestellt.
Im Bericht der Orthopädischen Klinik A.________ vom 19. September 2001 über
die Sprechstunde vom 13. September im Rahmen der Verlaufskontrolle wurde
festgehalten, der Befund habe gegenüber der letzten Konsultation vom 19. Juli
2001 nicht geändert. Die Schmerzen seien nun ausgeprägter, Flexions- und
Rotationsbewegungen lasse der Patient auf Grund starker Schmerzen kaum zu.
Der chirurgische Eingriff links (Hüftluxation mit Nekrosektomie und
Zementaugmentation) bedeute keinerlei Zeitgewinn. Es komme lediglich noch
eine Hüft-TP in Betracht. Im Arztbericht vom selben Tag zu Handen der
IV-Stelle wurde eine volle Arbeitsunfähigkeit sowohl für körperlich schwere
Arbeiten als auch für sitzende Tätigkeiten angegeben. Sodann wurde im Bericht
der Klinik vom 9. Oktober 2001 über das Arthro-MRI der rechten Hüfte vom
Vortag eine Femurkopfnekrose Stadium III-IV nach Ficat beidseits
diagnostiziert. Der Femurkopf rechts sei zu 90 % von der Nekrose betroffen.
Ein gelenkserhaltendes Vorgehen wie bei der linken Hüfte sei nicht mehr
indiziert. Das kantonale Gericht hat diesen ärztlichen Berichten im
Wesentlichen mit der Begründung keinen Beweiswert zuerkannt, der Versicherte
habe sowohl anlässlich der Begutachtung durch die MEDAS, als auch noch in der
Notfallsprechstunde der Klinik A.________ am 20. Januar 2003 angegeben, keine
Schmerzmittel zu konsumieren. Diese Argumentation überzeugt schon deshalb
nicht, weil sie dem Umstand nicht Rechnung trägt, dass der Beschwerdeführer
regelmässig und offenbar in grösserem Ausmass Alkohol konsumiert. Im
MEDAS-Gutachten vom 5. November 2002 wird denn auch die Diagnose Äthylabusus
gestellt. Laut Dr. med. S.________ vom Medizinischen Dienst der IV-Stelle ist
nun aber die Schmerzwahrnehmung bei regelmässigem Alkohol-Konsum reduziert
(interne Stellungnahme vom 5. August 2003). Die Einschätzung der
Arbeitsfähigkeit im MEDAS-Gutachten vom 5. November 2002 erscheint somit
zumindest für die Zeit nach der Operation der Hüfte links am 24. April 2001
nicht hinreichend schlüssig.

3.3 Die Frage der Zumutbarkeit einer Hüftgelenks-TP links oder beidseits
stellt sich in diesem Verfahren nicht.

3.4 Im Sinne des Vorstehenden besteht Abklärungsbedarf und ist
Dispositiv-Ziffer 1 des angefochtenen Entscheides zu präzisieren. Im Übrigen
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unbegründet.

4.
Der Beschwerdeführer hat insofern obsiegt, als die Expertise der MEDAS vom 5.
November 2002 auch für die Zeit vor der Begutachtung im September 2002 nicht
schlüssig ist und ein Rentenanspruch schon früher als von der Vorinstanz
festgestellt entstanden sein kann. Der durch den Rechtsdienst für Behinderte
der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft zur Eingliederung Behinderter (SAEB)
vertretene Versicherte hat somit Anspruch auf eine reduzierte
Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 1 und 3 OG in Verbindung mit Art. 135 OG;
SVR 1997 IV Nr. 110 S. 341). Bei der Bemessung der Entschädigung ist zu
berücksichtigen, dass die Vorinstanz den Ausgang des erstinstanzlichen
Beschwerdeverfahrens als volles Obsiegen gewertet hat.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen,
dass Dispositiv-Ziffer 1 des Entscheids des Sozialversicherungsgerichts des
Kantons Zürich vom 4. Mai 2004 dahingehend geändert wird, dass die IV-Stelle
nach Massgabe von Erw. 3 dieses Urteils zu verfahren hat. Im Übrigen wird die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung
(einschliesslich Mehrwertsteuer) von Fr. 800.- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 29. November 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: