Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 32/2004
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I 32/04

Urteil vom 6. August 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin
Schüpfer

S.________, 1948, Deutschland, Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle für Versicherte im Ausland, Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf,
Beschwerdegegnerin

Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden
Personen, Lausanne

(Entscheid vom 9. Dezember 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1948 geborene, deutsche Staatsangehörige S.________ war in den Jahren
1992 bis 1999 als Grenzgänger (Schlafwagensteward) in der Schweiz
erwerbstätig und entrichtete in dieser Zeit Beiträge an die Eidgenössische
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung. Er meldete sich am 17.
März 2000 über die Landesversicherungsanstalt wegen multiplen
gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei der IV-Stelle für Versicherte im
Ausland zum Bezug von Leistungen an. Diese ermittelte den medizinischen
Sachverhalt durch Beizug der zahlreichen Akten des gleichzeitig in
Deutschland durchgeführten Verfahrens vor dem Sozialgericht (darunter
verschiedene Gutachten internistischer, chirurgischer und
neurologisch-psychiatrischer Fachrichtung). Nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens wies die IV-Stelle das Leistungsbegehren des
Versicherten mit Verfügung vom 30. Mai 2002 ab.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess die Eidgenössische Rekurskommission
der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen in dem Sinne teilweise gut,
als sie den Anspruch auf eine ganze Invalidenrente für die Zeit vom 1. März
bis 31. Oktober 2001 anerkannte, weitergehende Ansprüche hingegen abwies
(Entscheid vom 9. Dezember 2003).

C.
S. ________ führt mit dem Rechtsbegehren Verwaltungsgerichtsbeschwerde, es
sei
ihm ab 25. Mai 1999 eine ganze Invalidenrente zu gewähren.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1  Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Grundsatz der
Gleichstellung
Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz in Bezug auf
die Bundesgesetzgebung über die Invalidenversicherung (Art. 4 in Verbindung
mit Art. 2 Ziff. 2 lit. b und Art. 3 des Abkommens zwischen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über
Soziale Sicherheit vom 25. Februar 1964 (AS 1966 S. 602), den
Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG), die versicherungsmässigen
Voraussetzungen in Bezug auf Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsort (Art. 6
IVG), die Mindestbeitragsdauer für eine ordentliche Rente, die
Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis
IVG in der hier anwendbaren bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung) sowie
die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG in Kraft gestanden bis 31.
Dezember 2002) und die Entstehung des Rentenanspruchs (Art. 29 Abs. 1 IVG)
zutreffend dargelegt. Ebenfalls richtig wurde ausgeführt, dass sich der
Anspruch eines deutschen Staatsangehörigen auf eine schweizerische
Invalidenrente ausschliesslich nach schweizerischem Recht richtet. Darauf
wird verwiesen.

1.2  Zutreffend ist auch, dass einerseits das am 1. Juni 2002 in Kraft
getretene Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten über die Freizügigkeit (Abkommen über die
Personenfreizügigkeit; APF; AS 2002 1529) und andererseits das am 1. Januar
2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden
Verfahren nicht anwendbar sind, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des
Erlasses der Verwaltungsverfügung (hier: 30. Mai 2002) eingetretene Rechts-
und Sachverhaltsänderungen grundsätzlich im verwaltungsgerichtlichen
Beschwerdeverfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht nicht
berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 128 V 315; 127 V 467 Erw. 1; 121
V 366 Erw. 1b). Zu ergänzen bleibt, dass einer rückwirkend verfügten
abgestuften und/oder befristeten Rente Revisionsgründe unterlegt sein müssen
(BGE 109 V 125), wobei sich der Zeitpunkt der Herauf-, Herabsetzung oder
Aufhebung der Rente nach Art. 88a IVV bestimmt (BGE 121 V 275 Erw. 6b/dd mit
Hinweis).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer schon vor März 2001
Anspruch auf eine Rente hatte und ob dieser ab November 2001 zu Recht
verneint wurde.
Der Beschwerdeführer bringt insbesondere vor, er sei seit dem 25. Mai 1999 zu
100 % arbeitsunfähig. Er könne seinen Beruf nicht mehr ausüben. Das Landesamt
für Gesundheit und Soziales habe ihm ab 15. März 1999 einen Behinderungsgrad
von 50 % zuerkannt. Er verweist im Weitern auf die Stellungnahmen seiner
behandelnden Ärzte, auf das Attest einer 80,1%igen Erwerbsminderung von
Seiten des Nationalen Versicherungsinstituts der Republik Bulgarien sowie auf
den Umstand, dass er im Alter von 55 Jahren auf dem Arbeitsmarkt keine Chance
mehr habe.

3.
Vorerst ist festzuhalten, dass das Lebensalter eines Versicherten und die
sich möglicherweise dadurch ergebenden Schwierigkeiten auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt auf die Frage der Erwerbsfähigkeit im Sinne des
Invalidenversicherungsrechts keinen Einfluss haben. Arbeitsmarktliche
Probleme sind von der Arbeitslosen-, nicht von der Invalidenversicherung zu
lösen, da es sich dabei um invaliditätsfremde Faktoren handelt. Der
Invaliditätsgrad ist nach Massgabe des hypothetischen ausgeglichenen
Arbeitsmarktes zu bestimmen, wonach sich Angebot und Nachfrage nach
geeigneten Arbeitsplätzen die Waage halten (vgl. zum Ganzen BGE 110 V 273).

3.1  Laut Gutachten, welches Dr. med. B.________, Arzt für Neurologie und
Psychiatrie, im Auftrag des Sozialgerichts am 13. November 2002 verfasste,
bestehen beim Beschwerdeführer ein rezidivierender Schwindel im Rahmen einer
Somatisierungsstörung und einem Zustand nach Neuritis vestibularis links
1997, ein chronifiziertes Zervikalsyndrom bei ausgeprägten degenerativen
Veränderungen mit Bandscheibenvorfällen und spinaler Stenose mit
rezidivierenden Nervenwurzelreizerscheinungen und sensiblen
Ausfallerscheinungen, ein chronifiziertes Lumbalsyndrom bei degenerativen
Veränderungen der Lendenwirbelsäule mit kleinem Bandscheibenvorfall L3/4 ohne
neurologische Ausfallerscheinungen, eine schlafbezogene Atmungsstörung, eine
koronare Herzkrankheit und rezidivierende Kolitis, eine
Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks bei ausgeprägten
degenerativen Veränderungen und Impingement Syndrom, eine Gonarthrose rechts
sowie eine beidseitige Epicondylitis. Trotz dieser eindrücklichen Aufzählung
von Gesundheitsschäden kommt der Gutachter zur Erkenntnis, der
Beschwerdeführer könne, "ohne auf Kosten der Gesundheit zu arbeiten",
körperlich leichte, wechselbelastende oder überwiegend im Sitzen zu
verrichtende Arbeiten in geschlossenen Räumen ohne zeitliche Einschränkung
verrichten, soweit Überkopfarbeiten und Arbeiten unter Zeitdruck vermieden
werden. Die Vorinstanz hat unter eingehender Würdigung der umfangreichen
medizinischen Akten überzeugend dargelegt, warum auf das Gutachten von Dr.
med. B.________ abzustellen ist. Es kann auf deren Ausführungen verwiesen
werden.

3.2  Daran vermögen die Vorbringen des Beschwerdeführers nichts zu ändern.
Diesen ist entgegenzuhalten, dass sich der Invaliditätsgrad nach Massgabe der
Erwerbsunfähigkeit bemisst; nicht entscheidend ist dabei die Arbeitsfähigkeit
im bisherigen Beruf. Da sich der Anspruch auf eine Invalidenrente alleine
nach schweizerischem Recht beurteilt (vgl. Erwägung 1.1 hievor), ist der von
einer ausländischen Sozialversicherung festgelegte Behinderungsgrad
irrelevant.

4.
Für die Vornahme des Einkommensvergleichs ist grundsätzlich auf die
Gegebenheiten im Zeitpunkt des allfälligen Rentenbeginns beziehungsweise der
Änderung der Verhältnisse abzustellen (vgl. BGE 129 V 222). Die
Arbeitsunfähigkeit im bisherigen Beruf trat gemäss übereinstimmenden
Arztzeugnissen per Mai 1999 ein. In Anwendung von Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG
beginnt der Rentenanspruch des Beschwerdeführers damit frühestens im Mai
2000. Vorerst sind damit die Verhältnisse zu jenem Zeitpunkt zu prüfen.

4.1  Für die Bemessung des Invaliditätsgrades sind sowohl die Verwaltung als
auch die Rekurskommission in Bezug auf das Valideneinkommen vom letzten
Einkommen des Beschwerdeführers als Gesunder im Jahre 1998, mithin von Fr.
45'272.- ausgegangen. Es steht indessen fest, dass der Beschwerdeführer seine
Arbeitsstelle nicht invaliditätsbedingt, sondern aus wirtschaftlichen Gründen
verloren hat. Damit steht fest, dass er unabhängig von seinem
Gesundheitszustand ab 1. Juni 1999 nicht mehr als Schlafwagenschaffner
gearbeitet hätte. Da Validen- und Invalideneinkommen mit Bezug auf denselben
Arbeitsmarkt zu bestimmen sind (BGE 110 V 273 Erw. 4b; Urteil K. vom 8.
Januar 2002, I 299/00) und für die Bemessung des Invalideneinkommens auf die
schweizerischen Lohnstrukturerhebungen (LSE) abgestellt wurde, rechtfertigt
es sich unabhängig vom Status des Beschwerdeführers als Grenzgänger auch für
die Bestimmung des Valideneinkommens von diesen statistischen Werten
auszugehen. Der Beschwerdeführer war seit 1992 als
Schlafwagenschaffner-Chefsteward tätig. Er hatte in seiner ehemaligen Heimat
Bulgarien nach Abschluss des Gymnasiums eine Ausbildung am Institut für
Fremdenverkehr an der Polytechnischen Oberschule absolviert. Es rechtfertigt
sich daher für die Bemessung des Valideneinkommens vom Anforderungsniveau 1 2
im Gastgewerbe (Verrichtung selbstständiger und qualifizierter Arbeiten),
mithin von Fr. 5365.- monatlich oder Fr. 67'921.- im Jahre 2000 auszugehen
(Fr. 5365.- x 12 : 40 x 42,2 [betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit im
Gastgewerbe]).

4.2  Für die Bemessung des Invalideneinkommens sind Verwaltung und Vorinstanz
vom Tabellenlohn für einfache und repetitive Arbeiten im Gastgewerbe
ausgegangen. Dies wurde damit begründet, es handle sich um das tiefste in
dieser Statistik ersichtliche Einkommen für männliche Angestellte. Davon hat
die IV-Stelle einen Abzug von 15 % und die Rekurskommission einen solchen von
25 % vorgenommen.
Aus der Umschreibung der für den Beschwerdeführer aus medizinischer Sicht
noch zumutbaren Arbeitsplätze geht hervor, dass dabei nicht primär an solche
im Gastgewerbe zu denken ist. Vielmehr steht dem Beschwerdeführer der ganze
Dienstleistungssektor offen, solange er eine Tätigkeit überwiegend sitzend,
rückenschonend und ohne Stress bewältigen kann. Es ist ihm demnach zumutbar,
noch ein Einkommen von Fr. 43'990.- (Fr. 4127.- x 12 : 40 x 41,8; Abzug von
15 %) zu erzielen. Ein maximaler Abzug vom Tabellenlohn von 25 %, wie ihn die
Vorinstanz für gerechtfertigt hält, erscheint angesichts der
behinderungsbedingten Einschränkungen und der persönlichen Verhältnisse des
Versicherten mit Blick auf die massgebliche Rechtsprechung (BGE 126 V 75 ff.)
als zu hoch. Der Invaliditätsgrad des Beschwerdeführers betrug demnach im
Jahre 2000 35 %, womit er keinen Anspruch auf eine Invalidenrente hatte.

5.
Am 29. März 2001 erkrankte der Beschwerdeführer an Phlegmonen (Entzündungen)
des linken Ellbogens, was eine bis am 20. April 2001 dauernde stationäre
Behandlung mit mehreren Eingriffen notwendig machte. Er war in der Folge
vollständig arbeitsunfähig. Die IV-Stelle hat daher ab März 2001 den Anspruch
auf eine volle Invalidenrente anerkannt, diese indessen gleichzeitig per Ende
Oktober 2001 revisionsweise wieder aufgehoben.
Dr. med. S.________, Arzt für Chirurgie beim Sozialmedizinischen Dienst,
berichtete am 16. Oktober 2001, dass ein Kernspintomogramm des linken
Ellbogengelenkes am 27. Juni 2001 weitgehend unauffällige Gelenksstrukturen
bestätigt habe und ein Gelenkserguss ausgeschlossen sei. Ab jenem Zeitpunkt
war es dem Beschwerdeführer wieder zumutbar, eine angepasste leichte
Tätigkeit im beschriebenen Sinne zu verrichten. Damit hat die IV-Stelle den
Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Rente in Anwendung von Art. 88a Abs.
1 IVV zu Recht nur bis Ende Oktober 2001 gewährt.

6.
Was die Zeit nach der Verfügung vom 30. Mai 2002 anbelangt, sei der
Beschwerdeführer mit der Vorinstanz auf die Möglichkeit einer Neuanmeldung
(Art. 87 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 3 IVV) hingewiesen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Eidgenössischen Rekurskommission der
AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen, der Schweizerischen
Ausgleichskasse und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 6. August 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: