Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 256/2004
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I 256/04

Urteil vom 13. September 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin
Berger Götz

K.________, 1955, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Andreas
Gafner, Nidaugasse 24, 2502 Biel,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 23. April 2004)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 24. Juni 2003 sprach die IV-Stelle Bern der 1955 geborenen
K.________ mit Wirkung ab 1. Oktober 2002 eine halbe Rente der
Invalidenversicherung bei einem Invaliditätsgrad von 50 % zu. Daran hielt sie
auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 19. Januar 2004).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
ab (Entscheid vom 23. April 2004).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K.________ beantragen, in Aufhebung
des kantonalen Gerichtsentscheides sei ihr eine ganze Invalidenrente
zuzusprechen. Ferner ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen
Prozessführung und Verbeiständung.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist der Invaliditätsgrad. Dabei bildet der
Einspracheentscheid vom 19. Januar 2004 rechtsprechungsgemäss die zeitliche
Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit
Hinweis; vgl. auch BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw. 1, 356 Erw. 1, je mit
Hinweisen).

1.1  Mit Blick darauf, dass keine laufenden Leistungen im Sinne der
übergangsrechtlichen Ausnahmebestimmung des Art. 82 Abs. 1 ATSG, sondern
Dauerleistungen im Streit stehen, über welche noch nicht rechtskräftig
verfügt worden ist, bleibt - den allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln
folgend - für die Zeit bis 31. Dezember 2002 die bisherige Rechtslage
massgebend. Anschliessend kommen die neuen Normen des auf den 1. Januar 2003
in Kraft getretenen ATSG und dessen Ausführungsverordnungen zur Anwendung
(noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil M. vom 5. Juli
2004, I 690/03, Erw. 1 mit Hinweis auf das ebenfalls noch nicht in der
Amtlichen Sammlung publizierte Urteil L. vom 4. Juni 2004, H 6/04).
Entsprechendes gilt für die per 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen
des IVG vom 21. März 2003 und der IVV vom 21. Mai 2003 (4. IV-Revision) sowie
die damit einhergehenden Anpassungen des ATSG.

1.2  Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der
Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), zu den
Voraussetzungen und zum Umfang des Anspruchs auf eine Rente der
Invalidenversicherung (Art. 28 Abs. 1 IVG in der ab 1. Januar 2004 geltenden
Fassung), zur Invaliditätsbemessung bei erwerbstätigen Versicherten nach der
allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (bis 31. Dezember 2002: Art. 28
Abs. 2 IVG; ab 1. Januar 2003: Art. 16 ATSG) sowie zu den erforderlichen
Merkmalen beweiskräftiger medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352
Erw. 3a) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass der Versicherte nach Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis Ende
2003 gültig gewesenen Fassung Anspruch auf eine ganze Rente hat, wenn er
mindestens zu 66 2/3 %, auf eine halbe Rente, wenn er mindestens zu 50 % oder
auf eine Viertelsrente, wenn er mindestens zu 40 % invalid ist; in
Härtefällen hat der Versicherte nach Art. 28 Abs. 1bis IVG (in Kraft
gestanden bis Ende 2003) bereits bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40
% Anspruch auf eine halbe Rente.
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass sowohl die zum bisherigen Begriff der
Invalidität in der Invalidenversicherung (Art. 4 Abs. 1 IVG [in der bis 31.
Dezember 2002 in Kraft gestandenen Fassung]) ergangene Rechtsprechung (vgl.
statt vieler BGE 119 V 470 Erw. 2b, 116 V 249 Erw. 1b mit Hinweisen) wie auch
die zur allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs entwickelte Judikatur
(Art. 28 Abs. 2 IVG [in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2002]; vgl. BGE 128
V 30 Erw. 1 mit Hinweisen) unter der Herrschaft des ATSG ihre Gültigkeit
behalten (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil A. vom

30. April 2004, I 626/03).

2.
2.1  Das kantonale Gericht ist in einlässlicher und sorgfältiger Würdigung
der
medizinischen Akten, namentlich der in interdisziplinärer Zusammenarbeit
erstellten Gutachten der Frau Dr. med. L.________, Spezialärztin FMH für
Neurochirurgie, vom 10. Mai 2003 und des Dr. med. H.________, Spezialarzt FMH
für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 12. Mai 2003, zum Schluss gelangt,
auf Grund des diagnostizierten zervikobrachialen Schmerzsyndroms links mit
Periarthrosis humeroscapularis calcarea links und des belastungsabhängig
auftretenden lumbovertebralen Schmerzsyndroms sei der Beschwerdeführerin die
zuletzt ausgeübte Tätigkeit in einer Wäscherei nicht mehr zumutbar. Für eine
angepasste Beschäftigung ohne Heben und Tragen über 8 kg, mit kurzer
Stehdauer, ohne anhaltendes Arbeiten mit beiden Armen und ohne
Überkopftätigkeiten mit dem linken Arm, ohne extreme Kopfstellungen sowie mit
der Möglichkeit, das Sitzen oder Gehen ein- bis zweimal pro Stunde zu
unterbrechen, bestehe hingegen eine 50%ige Arbeitsfähigkeit.

2.2  Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde dagegen erhobenen Einwände
vermögen zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Soweit darin die bereits im
vorinstanzlichen Verfahren entkräfteten Rügen wiederholt werden, kann auf die
zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Gerichtsentscheid verwiesen werden.
Sodann stellt - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - der Umstand
allein, dass frei praktizierende Fachärzte wiederholt für Versicherungen oder
Behörden Gutachten erstellen, nicht bereits einen Befangenheitsgrund dar
(RKUV 1999 Nr. U 332 S. 193). Es werden weder konkrete Einwände gegen die
Unparteilichkeit der Beurteilung durch Frau Dr. med. L.________ und Dr. med.

H. ________ erhoben, noch ergeben sich aus den Akten Anhaltspunkte für eine
mangelnde Objektivität der Experten. Es lässt sich darum nicht beanstanden,
dass die Vorinstanz die gutachtlichen Ausführungen zur Arbeitsfähigkeit höher
gewichtet und auf die kurzen, abweichenden Angaben des behandelnden Dr. med.

F. ________, Facharzt FMH für Innere Medizin, vom 16. September 2002, 7. Juli
2003 und 2. Februar 2004 nicht abgestellt hat.

3.
Hinsichtlich der erwerblichen Auswirkungen der festgestellten Einschränkung
in der Arbeitsfähigkeit hat es mit dem kantonalen Gericht sein Bewenden
damit, dass bloss ein für die Zusprechung einer halben Invalidenrente
erforderlicher Erwerbsunfähigkeitsgrad von 57 % resultiert. Art. 28 Abs. 1
IVG in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung gibt keinen Anlass zur
Neufestlegung der Rente für die Zeit ab 1. Januar 2004 (bis zum Erlass des
Einspracheentscheides vom 19. Januar 2004; Erw. 1 hiervor). Die von der
Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage nach dem Abzug vom Tabellenlohn hängt
von sämtlichen persönlichen und beruflichen Umständen des konkreten
Einzelfalles ab (leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstjahre,
Nationalität/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad; BGE 126 V 79 f.
Erw. 5b/aa-cc). Die Vorinstanz hat den Abzug vom Tabellenlohn auf 15 %
beziffert. Vorliegend fällt das Kriterium der leidensbedingten Einschränkung
ins Gewicht, weil sich die Versicherte wegen des bestehenden
Gesundheitsschadens allenfalls auch im Rahmen einer angepassten Tätigkeit mit
einem geringeren Lohn zu begnügen hat. Nicht erfüllt sind die Faktoren Alter
und Nationalität/Aufenthaltskategorie. Der Beschäftigungsgrad von 50 % wirkt
sich bei Frauen sogar eher lohnerhöhend aus (vgl. die vom Bundesamt für
Statistik herausgegebene Schweizerische Lohnstrukturerhebung 2002, S. 28,
Tabelle 8*), und die Bedeutung der Dienstjahre nimmt im privaten Sektor ab,
je niedriger das Anforderungsprofil ist (BGE 126 V 79 Erw. 5a/cc mit
Hinweisen). Unter diesen Umständen besteht im Rahmen der richterlichen
Ermessenskontrolle kein Anlass zu einer abweichenden Ermessensausübung (vgl.
Art. 132 lit. a OG; BGE 123 V 152 Erw. 2).

4.
Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne
der Befreiung von den Gerichtskosten ist daher gegenstandslos. Die
unentgeltliche Verbeiständung kann hingegen gewährt werden (Art. 152 in
Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die
Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten
war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird
indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die
begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie
später dazu im Stande ist. Die Entschädigung von Fürsprecher Andreas Gafner
wird im Hinblick auf den bescheidenen Mehraufwand, der aus der
Beschwerdeerhebung an das Eidgenössische Versicherungsgericht im Vergleich
zum kantonalen Prozess resultiert, ermessensweise auf Fr. 1000.- festgesetzt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Fürsprecher Andreas
Gafner, Biel, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 13. September 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: