Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 240/2004
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I 240/04

Urteil vom 13. Dezember 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und nebenamtlicher Richter
Maeschi; Gerichtsschreiberin Bollinger

M.________, 1950, Gesuchsteller, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Guido
Brusa, Strassburgstrasse 10, 8004 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Gesuchsgegnerin

(Urteil vom 2. September 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1950 geborene, als Maschinist/Baggerführer erwerbstätig gewesene
M.________ meldete sich am 16. März 1998 wegen Rückenbeschwerden zum
Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Mit Verfügung vom 18.
November 1999 sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Zürich aufgrund eines
Invaliditätsgrades von 40 % eine Viertelsrente ab 1. Dezember 1997 zu. Am 2.
Dezember 1999 hob sie die Verfügung wiedererwägungsweise auf und erliess nach
ergänzenden Abklärungen eine neue Verfügung (vom 1. Juni 2000), mit welcher
sie an der Zusprechung einer Viertelsrente ab 1. Dezember 1997 festhielt. Mit
einer weiteren Verfügung vom 1. März 2002 sprach sie M._______ ab 1. Oktober
2000 eine ganze Rente zu.

Die gegen die Verfügung vom 1. Juni 2000 erhobene Beschwerde, mit welcher
M.________ in materieller Hinsicht die Zusprechung einer ganzen Rente
beantragte, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab
(Entscheid vom 4. April 2002).

M.________ liess dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und
beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei ihm eine ganze
Invalidenrente ab 1. August 1997 zuzusprechen. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht wies die Beschwerde ab (Urteil vom 2. September 2002, I
267/02).

B.
Am 10. Mai 2004 lässt M.________ gestützt auf Art. 31 lit. a OG (recte: Art.
137 lit. a OG) und Art. 137 lit. b OG um Revision des Urteils vom 2.
September 2002 ersuchen mit dem Begehren, in Aufhebung des Urteils sei
festzustellen, dass ihm ab 1. August 1997 eine ganze Invalidenrente zustehe.
Des Weiteren beantragt er, es sei über die sachliche Zuständigkeit in einem
Verständigungsverfahren zwischen dem Gericht und der zuständigen IV-Stelle zu
entscheiden.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung des Revisionsgesuchs. Das Bundesamt für
Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht bringt der Gesuchsteller vor, er habe bei
der IV-Stelle ein Wiedererwägungsgesuch eingereicht und es sei in einem
Meinungsaustausch mit der Verwaltung die Zuständigkeit zum Entscheid über das
Begehren um Neubeurteilung festzulegen. Hiezu besteht schon deshalb kein
Anlass, weil mit dem Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 2.
September 2002 über den Rentenanspruch ab 1. August 1997 rechtskräftig
entschieden wurde und von der Verwaltung nur Verfügungen und
Einspracheentscheide in Wiedererwägung gezogen werden können, die nicht
Gegenstand materieller richterlicher Beurteilung gebildet haben (BGE 127 V
469 Erw. 2c mit Hinweisen). Auf den Rentenentscheid für die Zeit ab 1. August
1997 kann daher nur auf dem Wege einer Revision des Urteils vom 2. September
2002 zurückgekommen werden.

2.
2.1 Die Revision eines bundesgerichtlichen Entscheides ist nur im Rahmen der
in Art. 136 und 137 OG (sowie Art. 139a OG) abschliessend aufgezählten
Revisionsgründe zulässig, wobei das Revisionsgesuch in den Fällen von Art.
136 OG binnen 30 Tagen vom Eingang der schriftlichen Ausfertigung des
Entscheides und in den Fällen des Art. 137 OG binnen 90 Tagen von der
Entdeckung des Revisionsgrundes, frühestens jedoch vom Eingang der
schriftlichen Ausfertigung des bundesgerichtlichen Entscheides oder vom
Abschluss des Strafverfahrens an beim Bundesgericht anhängig gemacht werden
muss (Art. 141 Abs. lit. a und b OG).

2.2 Der Gesuchsteller beruft sich auf die Revisionsgründe von Art. 31 lit. a
(recte: Art. 137 lit. a) und Art. 137 lit. b OG. Nach Art. 137 lit. a OG ist
die Revision eines bundesgerichtlichen Entscheides zulässig, wenn auf dem
Wege eines Strafverfahrens erwiesen wird, dass durch ein Verbrechen oder
Vergehen zum Nachteil des Gesuchstellers auf den Entscheid eingewirkt wurde.
Die Verurteilung durch den Strafrichter ist nicht erforderlich. Bei
Unmöglichkeit des Strafverfahrens kann der Beweis auf andere Weise erbracht
werden. Im Revisionsgesuch vom 10. Mai 2004 ist zwar von strafrechtlich
relevanten Vorgängen in Zusammenhang mit einer am 8. Oktober 1997 erfolgten
Operation des Gesuchstellers in der Klinik X.________ die Rede. Es wird
jedoch ausdrücklich festgestellt, dass kein Strafverfahren eingeleitet worden
sei, und es werden auch keine Beweise dafür erbracht, dass durch ein
Verbrechen oder Vergehen zum Nachteil des Gesuchstellers auf den Entscheid
eingewirkt wurde. Es fehlt somit an einem Revisionsgrund gemäss Art. 137 lit.
a OG.

3.
Näher zu prüfen ist, ob ein Revisionsgrund im Sinne von Art. 137 lit. b OG
vorliegt.

3.1 Nach Art. 137 lit. b in Verbindung mit Art. 135 OG ist die Revision eines
Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts u.a. zulässig, wenn der
Gesuchsteller nachträglich neue erhebliche Tatsachen erfährt oder
entscheidende Beweismittel auffindet, die er im früheren Verfahren nicht
beibringen konnte. Als "neu" gelten Tatsachen, welche sich bis zum Zeitpunkt,
da im Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen prozessual zulässig waren,
verwirklicht haben, jedoch der um Revision ersuchenden Person trotz
hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen ferner
erheblich sein, d.h. sie müssen geeignet sein, die tatbeständliche Grundlage
des angefochtenen Urteils zu verändern und bei zutreffender rechtlicher
Würdigung zu einer andern Entscheidung zu führen. Beweismittel haben entweder
dem Beweis der die Revision begründenden neuen erheblichen Tatsachen oder dem
Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt
gewesen, aber zum Nachteil der gesuchstellenden Person unbewiesen geblieben
sind. Sollen bereits vorgebrachte Tatsachen mit den neuen Mitteln bewiesen
werden, so hat die Person auch darzutun, dass sie die Beweismittel im
früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Entscheidend ist ein
Beweismittel, wenn angenommen werden muss, es hätte zu einem andern Urteil
geführt, falls das Gericht im Hauptverfahren hievon Kenntnis gehabt hätte.
Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der
Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient. Es genügt
daher beispielsweise nicht, dass ein neues Gutachten den Sachverhalt anders
bewertet; vielmehr bedarf es neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die
Entscheidungsgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen. Für die
Revision eines Entscheides genügt es nicht, dass die Gutachterin oder der
Gutachter aus den im Zeitpunkt des Haupturteils bekannten Tatsachen
nachträglich andere Schlussfolgerungen zieht als das Gericht. Auch ist ein
Revisionsgrund nicht schon gegeben, wenn das Gericht bereits im
Hauptverfahren bekannte Tatsachen möglicherweise unrichtig gewürdigt hat.
Notwendig ist vielmehr, dass die unrichtige Würdigung erfolgte, weil für den
Entscheid wesentliche Tatsachen nicht bekannt waren oder unbewiesen blieben
(BGE 127 V 358 Erw. 5b, 110 V 141 Erw. 2, 293 Erw. 2a, 108 V 171 Erw. 1; vgl.
auch BGE 118 II 205).

3.2 Der Gesuchsteller macht geltend, das Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts vom 2. September 2002 beruhe auf einer mangelhaften
tatsächlichen Grundlage, weil die Klinik X.________ wesentliche medizinische
Akten nicht vorgelegt habe, die am 8. Oktober 1997 durchgeführte Spondylodese
- da therapeutisch nicht geeignet und nicht auf dem richtigen Niveau
vorgenommen - medizinisch nicht indiziert gewesen sei und der verantwortliche
Arzt falsche Aussagen gemacht habe, insbesondere indem er anlässlich der
letzten Konsultation wahrheitswidrig eine praktische Schmerzfreiheit
bestätigt habe. Mit dem Revisionsgesuch wird ein von der SUVA in Zusammenhang
mit einem Anästhesie-Zwischenfall anlässlich der Operation vom 8. Oktober
1997 in Auftrag gegebenes Gutachten des Prof. Dr. med. G.________ vom 1.
November 2003 sowie eine Verfügung der SUVA vom 4. Mai 2003 aufgelegt, mit
welcher die Unfallversicherung das Ereignis als Unfall anerkannte und dem
Versicherten unter Annahme einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit vom 10.
Oktober 1997 bis 7. Oktober 1998, einer Arbeitsunfähigkeit von 50 % vom 8.
Oktober 1998 bis 7. Februar 1999 und einer solchen von 25 % vom 8. Februar
bis 7. Oktober 1999 ein Taggeld zusprach. Dabei ging die SUVA davon aus, dass
der Unfall zu einer vorübergehenden Verschlimmerung eines vorbestandenen
Gesundheitsschadens geführt habe.

3.3 Ausgangspunkt des Revisionsgesuches ist der Anästhesie-Zwischenfall im
Anschluss an die Operation vom 8. Oktober 1997, bei welchem der Gesuchsteller
aus dem Bett gestürzt war und sich am Kopf verletzt hatte. Der Sturz ist
insofern keine neue Tatsache im Sinne von Art. 137 lit. b OG, als dieser und
dessen Folgen dem Gesuchsteller anlässlich des Hauptverfahrens bekannt waren.
Der Zwischenfall wurde auch im Gutachten des Dr. med. A.________ vom 2.
August 2001 erwähnt und war damit im Hauptverfahren aktenkundig. Ob die
Klinik X.________ - wie der Gesuchsteller geltend macht - unrichtige oder
unvollständige Angaben zum Sachverhalt gemacht hat, kann dahingestellt
bleiben. Im Gutachten vom 1. November 2003 stellte Prof. Dr. med. G.________
ausdrücklich fest, dass die Chronifizierung der Beschwerden schon vor dem
Eingriff vom 8. Oktober 1997 bestanden habe und der Sturz aus dem Bett keinen
bleibenden Schaden zurückgelassen habe. In Bezug auf den streitig gewesenen
Leistungsanspruch liegen somit keine neuen Tatsachen vor, welche die
Entscheidungsgrundlagen des Urteils vom 2. September 2002 objektiv als
mangelhaft erscheinen liessen. Neu ist, dass die SUVA das Ereignis als
versicherten Unfall anerkannt und dem Gesuchsteller unter Annahme einer
länger dauernden Arbeitsunfähigkeit ab 10. Oktober 1997 ein Taggeld
zugesprochen hat. Daraus lässt sich jedoch keine revisionsbegründende neue
Tatsache ableiten. Abgesehen davon, dass es sich bei der Verfügung vom 4. Mai
2004 um eine vergleichsweise Erledigung der Ansprüche handelt, nachdem der
Versicherte gegen die ablehnende Verfügung der SUVA vom 1. September 1999
Einsprache erhoben hatte, und die Annahme einer länger dauernden
unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit im Widerspruch zum Gutachten des Prof. Dr.
med. G.________ steht, fehlt es an neuen Elementen tatsächlicher Natur,
welche zu einer anderen Beurteilung Anlass geben. Es liegt im Wesentlichen
nur eine unterschiedliche rechtliche Würdigung des im Zeitpunkt des
Hauptverfahrens an sich bekannt gewesenen Sachverhaltes vor, was nicht
Gegenstand einer Revision nach Art. 137 lit. b OG bilden kann. Zu einer
revisionsweisen Neubeurteilung vermögen auch die geltend gemachten weiteren
Umstände nicht zu führen. Unerheblich ist, wie es sich bezüglich der
Indikation zur Spondylodese und der Frage nach der zutreffenden Lokalisation
des Eingriffs verhielt, weil die Leistungspflicht unabhängig hievon aufgrund
der effektiven Gegebenheiten zu beurteilen war. Zudem lassen sich die weiter
bestehenden Beschwerden nach Meinung des Prof. Dr. med. G.________ auch mit
dem operativen Eingriff nicht erklären und ist der am 8. Oktober 1997
vorgenommene Eingriff als adäquat zu betrachten. Weiter ist seinen
Ausführungen zu entnehmen, dass die nach Erstellung des Aktengutachtens
aufgelegten Unterlagen der Klinik X.________ nicht zu einer abweichenden
Beurteilung der Gutachterfragen führen. Nicht entscheidend ist schliesslich,
wie es sich hinsichtlich der angeblich unzutreffenden Bestätigung praktischer
Schmerzfreiheit durch den verantwortlichen Arzt der Klinik X.________
verhält. Die genannte Bestätigung bildete nicht Gegenstand des Urteils vom 2.
September 2002 und war für den Ausgang des Hauptverfahrens nicht
entscheidend. Massgebend waren vielmehr die ärztlichen Angaben zur
Arbeitsfähigkeit. Diesbezüglich werden aber keine neuen Tatsachen oder
Beweismittel vorgebracht, die zu einer andern Beurteilung führen würden. Das
Revisionsgesuch ist daher abzuweisen, ohne dass zu prüfen wäre, ob es gemäss
Art. 141 Abs. 1 lit. b OG rechtzeitig eingereicht wurde.

4.
Das Revisionsverfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario).
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens gehen die Kosten zu Lasten des
Gesuchstellers (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Gesuchsteller auferlegt und mit
dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes, Zürich,
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 13. Dezember 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: