Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 216/2004
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I 216/04

Urteil vom 16. September 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Hochuli

P.________, 1961, Beschwerdeführer, vertreten durch rüT Rechtsberatung- und
Übersetzungsbüro, Fatma Tekol, Rossmarktplatz 1, 4500 Solothurn,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 18. März 2004)

Sachverhalt:

A.
P.  ________, geboren 1961, seit 1977 in der Schweiz lebender türkischer
Staatsangehöriger, arbeitete zuletzt von 1994 bis Ende März 1998 als
Maschinist in der Fabrik Q._________ AG. Seither war er arbeitslos und fand -
abgesehen von einigen Temporäreinsätzen - keine Festanstellung mehr. Am 8.
Mai 2002 meldete er sich zum Bezug einer Rente der Invalidenversicherung an,
weil er infolge verschiedener Beschwerden seit 1. April 2002 zu 60 %
arbeitsunfähig sei. Gestützt auf die Ergebnisse der erwerblichen und
medizinischen Abklärungen sowie einer psychiatrischen Begutachtung durch Dr.
med. I.________ verneinte die IV-Stelle des Kantons Solothurn mit Verfügung
vom 16. Dezember 2002 den erhobenen Anspruch auf eine Invalidenrente, weil
der Versicherte trotz gesundheitlicher Einschränkungen zumutbarerweise ein
rentenausschliessendes Erwerbseinkommen erzielen könne. Die IV-Stelle bot ihm
Hilfeleistungen bei der Arbeitsvermittlung an.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde des P.________ wies das Versicherungsgericht
des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 18. März 2004 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt P.________ unter Aufhebung des
angefochtenen Gerichts- und des Einspracheentscheids sinngemäss beantragen,
ihm sei eine Rente der Invalidenversicherung auszurichten.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) verzichten auf
eine Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Anspruch auf eine
Invalidenrente und die Bemessung der Invalidität nach der allgemeinen Methode
des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis in der hier anwendbaren,
bis Ende 2003 gültig gewesenen Fassung sowie Art. 28 Abs. 2 IVG in der hier
anwendbaren, bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung) zutreffend dargelegt.
Gleiches gilt in Bezug auf die Wiedergabe der Rechtsprechung zum Beweiswert
sowie zur Beweiswürdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 122 V 160
Erw. 1c mit Hinweisen; vgl. auch BGE 125 V 352 Erw. 3a und b). Richtig sind
auch die Ausführungen zur Erfahrungstatsache, dass Hausärzte mitunter im
Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen
eher zu Gunsten ihrer Patienten aussagen (BGE 125 V 353 Erw. 3b/cc mit
Hinweisen) und zur antizipierten Beweiswürdigung (SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28
Erw. 4b mit Hinweisen auf BGE 124 V 94 Erw. 4b und 122 V 162 Erw. 1d).
Korrekt ist sodann der Hinweis darauf, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft
getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 und die damit auf dem
Gebiet des Invalidenversicherungsrechts verbundenen Änderungen nicht
anwendbar sind, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung (hier: vom 16. Dezember 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2). Darauf wird verwiesen. Aus dem zuletzt
genannten Grund finden auch die am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen
Änderungen des IVG (4. IVG-Revision, AS 2003 3837) keine Anwendung.

2.
Streitig ist der Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung. Dabei ist
zu prüfen, ob der Versicherte - trotz geklagter Beschwerden - zumutbarerweise
ein rentenausschliessendes Erwerbseinkommen erzielen kann.

3.
3.1 Gemäss Art. 29 Abs. 1 IVG entsteht der Rentenanspruch nach Art. 28 IVG
frühestens in dem Zeitpunkt, in dem der Versicherte mindestens zu 40 %
bleibend erwerbsunfähig geworden ist (lit. a) oder während eines Jahres ohne
wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens zu 40 % arbeitsunfähig
gewesen war (lit. b).

3.2  Die Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 29 Abs. 1 IVG entspricht der
Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Beruf oder
Aufgabenbereich (vgl. Art. 6 ATSG; BGE 105 V 159 Erw. 2a). Bei erwerbstätigen
Versicherten wird diese Einbusse ohne Rücksicht darauf bestimmt, wie sich die
gesundheitliche Beeinträchtigung auf das erzielbare Einkommen auswirkt.
Während bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit (vgl. Art. 7 ATSG) die
Schadenminderungspflicht unter anderem in dem Sinne eine erhebliche Rolle
spielt, als von der versicherten Person im Rahmen des Zumutbaren verlangt
wird, eine andere als die angestammte Tätigkeit auszuüben, sofern sich
dadurch die verbleibende Arbeitsfähigkeit finanziell besser verwerten lässt,
bildet einzig der bisherige Beruf den Bezugspunkt der für den Rentenbeginn
relevanten Arbeitsunfähigkeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG. Diese ist auf
der Grundlage der medizinischen Stellungnahmen zu beurteilen (BGE 130 V 99
Erw. 3.2 mit Hinweisen).

4.
4.1 Im Urteil P. vom 3. Juni 2004 (K 161/03) betreffend
Krankentaggeldleistungen zu Gunsten des Beschwerdeführers aus der
freiwilligen Krankentaggeldversicherung nach KVG wegen angeblich seit 20.
Juli 2001 (zeitweise) bestehender Arbeitsunfähigkeit erkannte das
Eidgenössische Versicherungsgericht, dass hinsichtlich der Beurteilung der
Arbeitsfähigkeit entgegen anders lautender Einschätzungen auf das Gutachten
des Dr. med. I.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom
28. September 2002 (nachfolgend: psychiatrisches Gutachten) abzustellen ist.
Somit sind dem Versicherten unter Berücksichtigung der somatischen
Einschränkungen sämtliche Arbeiten, welche kein binokulares Sehen
voraussetzen und keine hohen Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit und
Belastbarkeit stellen, bei einer aus psychiatrischer Sicht um höchstens 30 %
reduzierten Leistungsfähigkeit (d.h. 5,5 bis 6 Stunden mit vollem oder 8,4
Stunden mit reduziertem Rendement) zumutbar. Gleichzeitig stellte das Gericht
fest, dass diese Arbeitsunfähigkeit von 30 % gemäss psychiatrischem Gutachten
seit der Dekompensation nach 1996 in etwa stationär geblieben sei, dass
jedoch der Beschwerdeführer in Nachachtung der ihm obliegenden
Schadenminderungspflicht (BGE 113 V 28 Erw. 4a mit Hinweisen; AHI 2001 S. 282
Erw. 5a/aa) seit 1996 offensichtlich während einigen Zeitabschnitten dennoch
eine volle Arbeitsfähigkeit habe verwerten können. An diesem Ergebnis der
Beweiswürdigung in Bezug auf die Arbeitsunfähigkeit gemäss Urteil P. vom 3.
Juni 2004 (K 161/03) ändern die Vorbringen des Beschwerdeführers nichts.

4.2  Fest steht, dass der Versicherte in seiner zuletzt in einem
unbefristeten
Arbeitsverhältnis ausgeübten angestammten Tätigkeit als Maschinist in der
Fabrik Q.________ AG - trotz der seit 1996 rechts stark eingeschränkten
Sehfähigkeit - voll arbeitsfähig blieb, bis ihm diese Arbeitsstelle aus
wirtschaftlichen Gründen per Ende März 1998 gekündigt wurde. Nach einer Phase
des Bezugs von Arbeitslosenversicherungsleistungen folgten verschiedene
temporäre Einsätze (z.B. als Maschinenbediener), welche der Beschwerdeführer
ohne Leistungseinbusse absolvieren konnte. Im Folgenden ist daher davon
auszugehen, dass der gelernte Setzer auch nach dem Verlust der angestammten
Arbeitsstelle als Maschinist in einer angepassten Tätigkeit, welche kein
Binokularsehen erfordert, weiterhin eine Arbeitsfähigkeit von mindestens 70 %
hätte erwerblich verwerten können.

5.
Der Versicherte hat den Beruf des Setzers seit der Einreise in die Schweiz
(1977) nicht mehr ausgeübt. Stattdessen betätigte er sich in verschiedenen
Industriebetrieben unter anderem als Maschinist und Maschinenbediener. Nach
dem Verlust seiner letzten Dauerarbeitsstelle war er nur noch in
Temporäreinsätzen beschäftigt, wobei unbestritten ist, dass er im
Gesundheitsfall zu 100 % erwerbstätig wäre. Der Invaliditätsgrad ist somit
nach der allgemeinen Einkommensvergleichsmethode zu ermitteln. Dabei ist auch
das Valideneinkommen aufgrund von statistischen Durchschnittswerten zu
bestimmen, weil dem Beschwerdeführer seine letzte Dauerstelle per Ende März
1998 aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt worden war und somit der zuletzt
erzielte Verdienst nicht als Grundlage für die rechnerische Bestimmung des
Valideneinkommens dienen kann (vgl. AHI 1999 S. 240 Erw. 3b sowie Urteil M.
vom 15. April 2003 [I 1/03] Erw. 4.3 mit Hinweis). Beim Invalideneinkommen
ist von einer Arbeitsfähigkeit von 70 % bei der Behinderung angepassten
Tätigkeiten auszugehen.

6.
6.1 Für den Einkommensvergleich nach Art. 28 Abs. 2 IVG sind die Verhältnisse
im Zeitpunkt des Beginns des Rentenanspruchs massgebend, wobei Validen- und
Invalideneinkommen auf zeitidentischer Grundlage zu ermitteln und allfällige
rentenwirksame Änderungen der Vergleichseinkommen bis zum Verfügungserlass zu
berücksichtigen sind (Urteil M. vom 15. April 2003 [I 1/03] Erw. 5.1 mit
Hinweis; vgl. BGE 128 V 174). Vorliegend ist der frühest mögliche Beginn
eines allfälligen Rentenanspruchs der 1. Juli 2002 (Art. 29 Abs. 1 lit. b
IVG), soweit der Beschwerdeführer entgegen seiner Anmeldung zum
Leistungsbezug geltend macht, bereits ab 20. Juli 2001 in unterschiedlichem
Ausmass arbeitsunfähig zu sein. Validen- und Invalideneinkommen sind somit
auf der Grundlage der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2002 (LSE 2002)
des Bundesamtes für Statistik zu bestimmen (vgl. BGE 126 V 77 Erw. 3b/bb).
Ausgangspunkt bildet bei beiden Einkommensgrössen der monatliche Bruttolohn
(Zentralwert) von Männern für einfache und repetitive Tätigkeiten
(Anforderungsniveau 4), Privater Sektor/Total, also Fr. 4557.- (LSE 2002 S.
43 Tabelle A1).

6.2  Sind Validen- und Invalideneinkommen ausgehend vom selben Tabellenlohn
zu
berechnen, erübrigt sich die genaue Ermittlung der Vergleichseinkommen. Der
Invaliditätsgrad entspricht dem Grad der Arbeitsunfähigkeit unter
Berücksichtigung des Abzuges vom Tabellenlohn (Urteil Z. vom 19. November
2003, I 479/03, Erw. 3.1 mit Hinweis).

6.3  Mit Blick auf die Rechtsprechung (BGE 126 V 78 ff. Erw. 5 mit Hinweisen)
berücksichtigte das kantonale Gericht einen angemessenen leidensbedingten
Abzug von 10 %. Dies ist unter den gegebenen Umständen angesichts der relativ
geringen Einschränkungen des Versicherten nicht zu beanstanden. Im
vorliegenden Fall ergibt sich bei einer Arbeitsunfähigkeit von 30 % und dem
von der Vorinstanz in Anschlag gebrachten leidensbedingten Abzug von 10 % ein
Invaliditätsgrad von 37 %. Verwaltung und Vorinstanz haben somit den
erhobenen Anspruch auf eine Invalidenrente zu Recht abgelehnt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 16. September 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: