Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 198/2004
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I 198/04

Urteil vom 7. Januar 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiber Traub

F.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Baur,
Bahnhofstrasse 55, 8600 Dübendorf,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 18. März 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1952 geborene F.________, von 1980 bis 1998 als Bauarbeiter/Isoleur
tätig, leidet an einer chronischen Schmerzkrankheit, bestehend namentlich aus
Schmerzen im linken Knie (nach einer Patellafraktur [1995] und konsekutiver
leichtgradiger Femoropatellararthrose) und chronischen unspezifischen
Rückenschmerzen, ausserdem an Bronchialasthma und Bluthochdruck. Auf
Anmeldung zum Leistungsbezug vom 17. Februar 2000 hin klärte die IV-Stelle
des Kantons Luzern den medizinischen und erwerblichen Sachverhalt ab. Mit
durch Einspracheentscheid vom 20. Oktober 2003 bestätigter Verfügung vom 30.
April 2003 stellte die Verwaltung fest, der Invaliditätsgrad betrage 29 % und
erreiche somit kein rentenbegründendes Ausmass.

B.
Die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern ab (Entscheid vom 18. März 2004).

C.
F.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
es sei ihm, unter Aufhebung von Einsprache- und kantonalem Gerichtsentscheid,
mit Wirkung ab dem 1. Dezember 1999 eine ganze Invalidenrente auszurichten.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Leistungseinschränkungen, denen der
Versicherte aufgrund seiner Leiden unterworfen ist, zu einem
rentenbegründenden Invaliditätsgrad führen.

1.1 Bei der Prüfung des Anspruchs auf eine Invalidenrente, der allenfalls
schon vor dem Inkrafttreten des ATSG am 1. Januar 2003 entstanden ist, wird
das anwendbare Recht nach den allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln
ermittelt. Danach sind grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend, die
bei Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts galten.
Demzufolge ist der Rentenanspruch für die Zeit bis zum 31. Dezember 2002
aufgrund der bisherigen und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen zu
prüfen (BGE 130 V 445).

1.2 Die am 1. Januar 2004 - und somit nach dem Erlass des
Einspracheentscheides vom 20. Oktober 2003 - in Kraft getretenen Änderungen
des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 21. März 2003 (4.
IVG-Revision) und der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 21. Mai
2003 finden keine Anwendung (vgl. BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

1.3 Das ATSG brachte hinsichtlich der Invaliditätsbemessung keine
substantiellen Änderungen gegenüber der bis zum 31. Dezember 2002 gültig
gewesenen Rechtslage (BGE 130 V 343), so dass auch die zur altrechtlichen
Regelung ergangene Judikatur weiterhin massgebend ist. Daher schadet es im
Ergebnis nicht, dass das kantonale Gericht die Anspruchsprüfung formal allein
aufgrund der ab dem 1. Januar 2003 geltenden Bestimmungen vorgenommen hat.
Auf die zutreffende Darstellung der massgebenden Normen und Grundsätze durch
die Vorinstanz kann sinngemäss verwiesen werden. Dies betrifft namentlich den
Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG [sowohl in der bis Ende 2002 als
auch in der ab 1. Januar 2003 geltenden Fassung]; Art. 8 Abs. 1 ATSG), den
Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 [in der bis Ende 2003 gültig
gewesenen Fassung] und Abs. 1bis IVG [in Kraft gestanden bis Ende 2003]), die
Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG [in der bis
Ende 2002 gültig gewesenen Fassung]; Art. 16 ATSG), sowie die Aufgabe des
Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 115 V 134 Erw. 2 mit
Hinweisen; AHI 2002 S. 70 Erw. 4b/cc). Ergänzend ist auf die ständige
bundesgerichtliche Rechtsprechung zur beweisrechtlichen Würdigung von
medizinischen Berichten (BGE 125 V 352 Erw. 3a) hinzuweisen.

2.
2.1 Die Arbeitsfähigkeit als Grundlage für die Ermittlung des strittigen
Invalideneinkommens ist mit Verwaltung und kantonalem Gericht anhand der -
auf medizinischer und berufskundlicher Abklärung beruhenden - Stellungnahme
der Beruflichen Abklärungsstelle (BEFAS) Horw vom 5. Februar 2003 zu
beurteilen. Danach sei der Versicherte in der Lage, leichte, vorwiegend
sitzend auszuführende Tätigkeiten mit der Möglichkeit zu kurzzeitigen
Haltungswechseln ganztags wahrzunehmen; wegen des Bronchialasthmas dürfe er
dabei keinen Stäuben, ätzenden Stoffen und extremen atmosphärischen
Bedingungen ausgesetzt sein. Nach einer Einarbeitungszeit von drei bis sechs
Monaten vermöge er bei einfachen industriellen Arbeiten im mittel- bis
feinmanuellen Bereich (technische Montage, elektrische Installationsarbeiten,
Kabelverlegen etc.) eine Leistung von 80 % zu erreichen. Die psychiatrische
Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung schränke die
Leistungsfähigkeit nicht weiter ein. Diese Auffassung wird gestützt durch die
sektorielle Begutachtung des Rheumatologen Dr. J.________ vom 8. Februar
2001; danach sind körperlich nur leicht belastende Tätigkeiten vollschichtig
zumutbar.

2.2 Entgegen der Auffassung der Parteien und auch der Vorinstanz sind die
vorliegend zu berücksichtigenden Arztberichte nicht notwendigerweise
widersprüchlich, auch wenn der Psychiater Dr. M.________ aus der Sicht seines
Sachgebietes eine Einschränkung von 40 bis 50 % postuliert (Gutachten vom 10.
Dezember 2001) und der behandelnde Internist Dr. G.________ mit Bericht vom
28. Mai 2003 unter Verweis auf die somatischen Befunde, die zu einer
Schmerzausweitung geführt hätten, sowie einer reaktiv depressiven Entwicklung
auch mit Bezug auf leichte Arbeiten den gänzlichen Wegfall der
Einsatzmöglichkeiten feststellt: Offenkundig gehen die vorliegenden
Einschätzungen von unterschiedlichen Krankheitsbegriffen aus und bezeichnen
den Umfang der der Stellungnahme zur Arbeitsfähigkeit zugrunde zu legenden
Befunde dementsprechend verschieden. Das in der Medizin verbreitete
bio-psycho-soziale Krankheitsmodell (vgl. dazu Christfried-Ulrich Mayer,
Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, in: Sozialversicherungsrechtstagung 2002, St.
Gallen 2002, S. 95) ist weiter gefasst als der für die Belange der
Rechtsanwendung massgebende sozialversicherungsrechtliche Begriff der
gesundheitlichen Beeinträchtigung. Beruht die Abweichung allein auf der
Verwendung unterschiedlicher krankheitsbegrifflicher Prämissen, so liegen
keine einander widersprechenden Einschätzungen im Sinne von BGE 125 V 352
Erw. 3a vor. Leistungshemmende Faktoren, die nicht mehr dem
Gesundheitsschaden im Rechtssinne zugerechnet werden können, kommen
allenfalls im Zusammenhang mit der Frage eines Abzugs nach BGE 126 V 75 zum
Tragen (Urteil G. vom 28. Dezember 2004, I 704/03, Erw. 4.1.1 und 4.1.2).
Der Psychiater Dr. M.________ begründet seine Einschätzung einer um 40 bis 50
% reduzierten Arbeitsfähigkeit mit einer leichten depressiven Stimmungslage
und persönlichen Eigenschaften des Versicherten. Ein aktiveres Leben, welches
sich am ehesten durch berufliche Tätigkeit realisieren lasse, werde dem
Versicherten helfen, sich aus der regressiven (Partner-)Rolle zu lösen;
Verharren in der Regression führe zur Überlastung der Ehefrau, welche bereits
über weichteilrheumatische Beschwerden klage. Diese Feststellungen - welche
im Übrigen gegenüber der im medizinischen Dossier diskutierten anhaltenden
somatoformen Schmerzstörung im Vordergrund stehen - mögen zwar im -
therapieorientierten - bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell Platz finden.
Indes entsprechen sie nicht dem rechtlich massgebenden Begriff des
Gesundheitsschadens (vgl. BGE 127 V 299 Erw. 5a, wonach der Rechtsbegriff des
Gesundheitsschadens beispielsweise das Vorliegen einer von - etwa
psychosozial bedingten - depressiven Verstimmungszuständen klar
unterscheidbaren andauernden Depression voraussetzt).

2.3 Entsprechendes gilt für die Befunde des behandelnden Arztes, Dr.
G.________. Dessen Darlegungen vom 28. Mai 2003, namentlich die Hinweise zu
ungünstig verlaufenden Interaktionen zwischen den verschiedenen Leiden
(Knieproblematik, Rückenschmerz, Bluthochdruck, Asthma; vgl. auch den Bericht
des Rheumatologen Dr. J.________ vom 8. Februar 2001, S. 5) werfen nach dem
Gesagten die Frage auf, ob der sogenannte leidensbedingte Abzug nicht höher
veranschlagt werden müsste als die von Verwaltung und Vorinstanz
zugestandenen 15 %. Dieser Punkt muss aber nicht abschliessend geklärt
werden, denn der - bezüglich der übrigen Eckdaten zu Recht unbeanstandet
gebliebene - Einkommensvergleich führte selbst bei Zugrundelegung des
höchstmöglichen Abzuges von 25 % zu einem Invaliditätsgrad von 38 % (statt 29
%), der einen Rentenanspruch ebenfalls ausschlösse.

3.
Die auf einer praktischen und medizinischen Abklärung der verbliebenen
Leistungsfähigkeit beruhende Einschätzung der BEFAS, der Beschwerdeführer sei
in der Lage, eine geeignete Tätigkeit mit einem Rendement von 80 % zu
versehen, trägt - entgegen den vorgetragenen Bestreitungen und Einwendungen -
allen Beschwerden Rechnung, die dem hier massgebenden Begriff der
gesundheitlichen Beeinträchtigung entsprechen. Auf den der "Noveneingabe" vom
21. Juni 2004 beigelegten Bericht des Spitals X.________ vom 4. Juni 2004
kann - seine prozessuale Zulässigkeit (vgl. BGE 127 V 353) einmal offen
gelassen - so wenig abgestellt werden wie auf das Schreiben des Dr.
G.________ vom 5. April 2004, weil diese Unterlagen sich, soweit wesentlich,
auf Erhebungen und Feststellungen beziehen, die zeitlich nach dem für die
sozialversicherungsrechtliche Beurteilung massgeblichen Datum des
Einspracheentscheides vom 20. Oktober 2003 erfolgt sind (BGE 116 V 248 Erw.
1a). Der strittige Einspracheentscheid und der angefochtene vorinstanzliche
Entscheid bestehen daher zu Recht.

4.
Dem Beschwerdeführer ist es - auch mit Blick auf das im Bericht der BEFAS
angesprochene Erfordernis, in eine leidensangepasste Tätigkeit eingearbeitet
zu werden - unbenommen, Arbeitsvermittlung durch die Invalidenversicherung in
Anspruch zu nehmen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 18 IVG
erfüllt sind.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des
Schweizerischen Baumeisterverbandes, Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 7. Januar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: