Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 190/2004
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I 190/04

Urteil vom 22. September 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger;
Gerichtsschreiber Grünvogel

K.________, 1947, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Peter
Roost, Freienhofgasse 10, 3600 Thun,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 11. März 2004)

Sachverhalt:

A.
Die 1947 geborene K.________ meldete sich am 1. Mai 2003 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Im Anmeldeformular gab sie als
Gesundheitsschaden Rückenschmerzen und Depressionen an und nannte als sie
zuletzt behandelnden Arzt Dr. S.________. Die Frage nach früher sie
behandelnden Ärzten verneinte sie, indem sie die für die Antwort zur
Verfügung stehenden Zeilen diagonal durchstrich. Die IV-Stelle Bern holte
neben einem Auszug aus dem individuellen Konto einen Bericht des Hausarztes
Dr. S.________ vom 16. Juni 2003 ein. Gestützt auf diese Unterlagen wies sie
das Leistungsbegehren wegen fehlender Invalidität mit Verfügung vom 24. Juni
2003 ab, worauf K.________ der IV-Stelle die Vollmacht für Abklärungen bei
Ärzten entzog. Wenige Tage später erhob sie Einsprache mit dem Antrag auf
eine medizinische Begutachtung durch eine neutrale Stelle, ohne dies indessen
näher zu begründen.

Die IV-Stelle hielt im Einspracheentscheid vom 24. Dezember 2003 an ihrer
leistungsablehnenden Haltung fest, da der Bericht von Dr. S.________
schlüssig sei und im Übrigen keine Gründe für weitere Abklärungen erkennbar
seien.

B.
Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 11. März 2004 ab. Zur Begründung führte das Gericht aus,
weitere Abklärungen seien angesichts des klaren Berichts des Hausarztes nicht
angezeigt.

C.
K. ________, nunmehr durch einen Rechtsanwalt vertreten, lässt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, die Angelegenheit sei an
die Vorinstanz zurückzuweisen mit der Auflage, die notwendigen Abklärungen
über den Gesundheitszustand vorzunehmen. Dabei werden erstmals weitere Ärzte
genannt, bei welchen K.________ wegen Depressionen in Behandlung gestanden
haben soll.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Stellungnahme.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Der im Sozialversicherungsrecht geltende Untersuchungsgrundsatz gebietet der
Invalidenversicherung, nach eingegangener Anmeldung zum Leistungsbezug von
sich aus für die Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen (BGE
125 V 195 Erw. 2 mit Hinweis). Dies bedeutet unter anderem, dass Abklärungen
vorzunehmen sind, wenn hiezu auf Grund der Parteivorbringen oder anderer sich
aus den Akten ergebender Anhaltspunkte hinreichender Anlass besteht (BGE 117
V 282 Erw. 4a; AHI 1994 S. 212 Erw. 4a; SVR 1999 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 2c).
Von zusätzlichen Untersuchungsmassnahmen kann jedoch - wie von der Vorinstanz
dargelegt - abgesehen werden, wenn davon keine weiteren erheblichen
Erkenntnisse zu erwarten sind (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94
Erw. 4b; SVR 2003 AHV Nr. 4 S. 11 Erw. 4.2). Der Untersuchungsgrundsatz gilt
indessen nicht uneingeschränkt, sondern findet sein Korrelat in den
Mitwirkungspflichten der Parteien (BGE 125 V 195 Erw. 2, 122 V 158 Erw. 1a,
je mit Hinweisen). Diese haben, soweit zumutbar, namentlich jene Tatsachen
und Beweismittel zu nennen, die nur ihnen bekannt sind, sowie diejenigen, aus
denen sie für sich Rechte oder sonstige Vorteile ableiten. Hingegen kann von
den Parteien nicht verlangt werden, mit erheblichem Aufwand selber Unterlagen
zu beschaffen, die den Behörden ohne weiteres zur Verfügung stehen.
Desgleichen kann sich die Mitwirkung nicht auf Tatsachen oder Beweismittel
erstrecken, auf welche die Parteien gar keinen Zugriff haben, die aber von
den Behörden mit den ihnen zur Verfügung stehenden prozessualen Zwangsmitteln
erhoben werden könnten. Hier genügt eine Partei ihrer Mitwirkungspflicht,
wenn sie entsprechende Beweis- oder Editionsanträge stellt (nicht
publiziertes Urteil 2P.217/1995 der II. öffentlichrechtlichen Abteilung des
Bundesgerichts vom 1. Dezember 1997).

2.
Wie von Verwaltung und Vorinstanz zu Recht festgestellt, bietet der Bericht
von Dr. S.________ vom 16. Juni 2003 keinerlei Anhaltspunkte für das
Vorliegen psychischer Probleme mit Krankheitswert, geschweige denn für
Behandlungen derselben durch Dritte. Auch verneinte die Versicherte im
Anmeldeformular, bei weiteren Ärzten in Behandlung zu stehen oder gestanden
zu haben. Sowohl Vorinstanz als auch Verwaltung hatten damit keinerlei
Veranlassung, dem im Anmeldeformular von der Versicherten angebrachten
Hinweis auf die Depression weiter nachzugehen. Es hätte vielmehr an der
Gesuchstellerin gelegen, den nunmehr letztinstanzlich vorgebrachten Hinweis
auf die Dres. R.________, Z.________ und H.________, welche sie wegen
Depressionen behandelt haben sollen, anzubringen.

Die Rüge des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin, es hätte ein
Mahnverfahren gemäss Art. 43 Abs. 3 ATSG eingeleitet werden müssen, bevor auf
der Grundlage der Akten entschieden wurde, stösst ins Leere. Ein
Mahnverfahren im Sinne dieser Bestimmung setzt voraus, dass die Verwaltung
ein mangelhaftes Mitwirken der versicherten Person überhaupt zu erkennen
vermag. Wie aus dem nach Erhalt der ablehnenden Verfügung erfolgten Widerruf
der vorgängig der IV-Stelle ausgestellten Vollmacht auf ein Verschweigen
früherer Arztbesuche hätte geschlossen werden können, ist nicht ersichtlich.

Weder dieser Vorfall noch die weitere Vorgehensweise der Beschwerdeführerin
oder der Bericht des Hausarztes lieferten übrigens Anhaltspunkte für das vom
Rechtsvertreter behauptete Unvermögen der Versicherten, ihre Rechte gegenüber
der Verwaltung zu wahren, bestand doch ihre Aufgabe primär darin, das
Anmeldeformular vollständig und korrekt auszufüllen und/oder später den
Hinweis auf weitere Arztbesuche anzubringen.

Zusammengefasst kann weder der Verwaltung noch der Vorinstanz eine Verletzung
des Untersuchungsgrundsatzes zur Last gelegt werden.

3.
Letztinstanzlich ist die Situation nunmehr dahingehend verändert, dass auf
Grund der neuen Hinweise auf weitere Arztkonsultationen zusätzliche
Abklärungen angezeigt sind. Es wird an der Verwaltung liegen, bei den von der
Versicherten genannten Ärzten Berichte einzuholen und hernach über das
weitere Vorgehen zu befinden.

4.
Bei diesem Prozessausgang obsiegt die Versicherte zwar in der Sache, hat aber
für ihr früheres Fehlverhalten insoweit einzustehen, als ihr für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht keine
Parteientschädigung zugesprochen wird (Art. 159 Abs. 5 in Verbindung mit Art.
156 Abs. 6 OG; BGE 125 V 375 Erw. 2b mit Hinweisen; RKUV 2004 Nr. U 503 S. 187 Erw. 5.1).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 11. März 2004 und der
Einspracheentscheid der IV-Stelle Bern vom 24. Dezember 2003 aufgehoben
werden und die Sache an die IV-Stelle Bern zurückgewiesen wird, damit sie,
nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Leistungsanspruch
neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 22. September 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: