Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 189/2004
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I 189/04

Urteil vom 11. August 2004
III. Kammer

Bundesrichter Rüedi, Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Ackermann

R.________, 1965, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Markus
Leimbacher, Hauptstrasse 51, 5330 Zurzach,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 10. März 2004)

Sachverhalt:

A.
R.  ________, geboren 1965, arbeitete zuletzt von 1995 bis 1997 als
Küchenhilfe in einem Restaurant und bezog ab Januar 1998 Taggelder der
Arbeitslosenversicherung. Sie meldete sich am 13. Dezember 1999 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an, worauf die IV-Stelle des Kantons
Aargau einen Bericht des Dr. med. D.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 24.
Februar 2000 einholte und eine berufliche Abklärung im Arbeitszentrum für
Behinderte durchführte, die jedoch wegen zu hoher Fehlzeiten abgebrochen
werden musste. Weiter veranlasste die Verwaltung je eine Begutachtung in der
Rheuma- und Rehabilitationsklinik Z.________ (Gutachten vom 13. November
2001) sowie der Klinik X.________ (psychosomatisches Gutachten vom 1. Februar
2002 mit zwei Ergänzungen vom 11. Juli und 27. September 2002). Wegen
inhaltlicher Differenzen zwischen diesen beiden Expertisen wollte die
IV-Stelle eine Nachbegutachtung in der Rheuma- und Rehabilitationsklinik
Z.________ durchführen lassen, was jedoch wegen Weggangs der damaligen
Gutachter scheiterte; eine erneute Untersuchung fand schliesslich in der
RehaClinic Y.________ statt (Expertise vom 8. August 2003). Mit Verfügung vom
26. September 2003 lehnte die IV-Stelle den Rentenanspruch ab, weil
R.________ eine leidensangepasste Tätigkeit ganztags zumutbar sei und sie
deshalb keine invaliditätsbedingte Erwerbseinbusse erleide. Dies wurde durch
Einspracheentscheid vom 16. Dezember 2003 bestätigt.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 10. März 2004 ab.

C.
R. ________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Rechtsbegehren,
unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des
Einspracheentscheides sei ihr ab dem 13. Dezember 1999 eine ganze Rente der
Invalidenversicherung zuzusprechen; ferner lässt sie die Gewährung der
unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung beantragen.
Die IV-Stelle schliesst sinngemäss auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2004 ist die 4. IVG-Revision in Kraft getreten. Weil in
zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die
bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben
(BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei
der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des
Erlasses des streitigen Einspracheentscheides (16. Dezember 2003)
eingetretenen Sachverhalt abstellt (RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101), sind im
vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Bestimmungen
anwendbar.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Begriff der Invalidität
(Art. 8 ATSG, Art. 4 IVG), die Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit (Art. 6 und 7
ATSG), die Ermittlung des Invaliditätsgrades (Art. 16 ATSG) und den Anspruch
auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG in der bis Ende 2003
gültig gewesenen Fassung) sowie die Aufgabe der Ärzte bei der
Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4) zutreffend dargelegt. Darauf
wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass die von der Rechtsprechung zu den
Begriffen der Arbeitsunfähigkeit, der Erwerbsunfähigkeit und der Invalidität
sowie zur Bestimmung des Invaliditätsgrades herausgebildeten Grundsätze unter
der Herrschaft des ATSG prinzipiell weiterhin Geltung haben und demnach im
vorliegenden Fall massgebend sind (zur Publikation in der Amtlichen Sammlung
vorgesehenes Urteil A. vom 30. April 2004, I 626/03).

2.
Streitig ist der Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung und in
diesem Zusammenhang die Frage der Arbeitsfähigkeit.

2.1  Die Vorinstanz hat auf die Berichte der Klinik X.________ vom 1. Februar
2002 und der RehaClinic Y.________ vom 8. August 2003 abgestellt und ist von
einer Arbeitsfähigkeit von 100 % in einer leidensangepassten Tätigkeit
ausgegangen; weitere Abklärungen seien nicht nötig, da die beiden Gutachten
korrekt erarbeitet worden seien und inhaltlich überzeugten. Die
Beschwerdeführerin ist demgegenüber der Auffassung, das Gutachten der
RehaClinic Y.________ sei "nicht seriös erstellt" worden, da es insbesondere
im Widerspruch zu ihrem subjektiven Empfinden wie auch zum Bericht des Dr.
med. D.________ vom 24. Februar 2000 sowie zum Gutachten der Rheuma- und
Rehabilitationsklinik Z.________ vom 13. November 2001 stehe; wegen der
widersprechenden ärztlichen Aussagen sei eine erneute Begutachtung notwendig,
weshalb sie ein Privatgutachten in Auftrag gegeben habe, welches später
nachgereicht werde.

2.2  Im psychosomatischen Gutachten vom 1. Februar 2002 kommt die Klinik
X.________ zum Schluss, dass "keine psychiatrische oder psychosomatische
Erkrankung im engeren Sinne ... wie schwere affektive Störung, Psychose,
Demenz oder Suchtkrankheit" vorliegt und die "Arbeitsunfähigkeit zum weit
überwiegenden Anteil durch invaliditätsfremde Faktoren bedingt" ist. Weiter
hat die Klinik X.________ gegenüber der IV-Stelle mit Schreiben vom 11. Juli
und 27. September 2002 ausgeführt, dass das Gutachten der Rheuma- und
Rehabilitationsklinik Z.________ im Rahmen der Begutachtung nicht vorgelegen
und eine Rücksprache betreffend der unterschiedlichen Einschätzungen der
Arbeitsfähigkeit nicht möglich gewesen sei; jedoch solle sich die IV-Stelle
"primär" auf die rheumatologische Beurteilung abstützen. Damit hat die Klinik
X.________ klar zum Ausdruck gebracht, dass kein psychischer
Gesundheitsschaden mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit
vorliegt (vgl. BGE 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen). Dies
wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde denn auch zu Recht nicht
bestritten; weitere Abklärungen sind in dieser Hinsicht nicht notwendig (vgl.
BGE 110 V 53 Erw. 4a).

2.3  Die RehaClinic Y.________ stellt im Gutachten von August 2003 die
Diagnose eines chronischen panvertebralen Schmerzsyndroms und geht davon aus,
dass für schwere Arbeiten eine vollständige Arbeitsunfähigkeit besteht,
während leichte Arbeiten ohne repetitives Heben von Lasten über 10 kg und
ohne wiederholtes Treppensteigen zu 100 % möglich sind. Die Rheuma- und
Rehabilitationsklinik Z.________ hat dagegen in ihrer Expertise vom 13.
November 2001 ein chronisches lumbospondylogenes, zerviko-brachiales und
zerviko-cephales Syndrom sowie ein sekundäres Fibromyalgiesyndrom
diagnostiziert und - wegen des chronischen Leidens - eine
Restarbeitsfähigkeit von bloss 30 % angenommen. Die RehaClinic Y.________
erklärt die Diskrepanz ihrer Einschätzung zu derjenigen der Rheuma- und
Rehabilitationsklinik Z.________ damit, dass Letztere die Chronizität sowie
psychosoziale Faktoren stark gewichtet habe; eine Fibromyalgie konnte im
Übrigen mangels genügender Kriterien in der RehaClinic Y.________ nicht
diagnostiziert werden, wobei wechselnde Verläufe bekannt seien. Die Erklärung
der RehaClinic Y.________ überzeugt, weil die Einschätzung der Rheuma- und
Rehabilitationsklinik Z.________ von November 2001 insofern aus dem Rahmen
der in den Akten liegenden Berichte fällt, als sie als einzige von einer
stark eingeschränkten Arbeitsfähigkeit auch für leidensangepasste Tätigkeiten
ausgeht, ohne jedoch von den anderen ärztlichen Berichten wesentlich
abweichende Befunde zu erheben; so ist das Fibromyalgiesyndrom z.B. auch von
der Klinik X.________ diagnostiziert worden, ohne dass diese eine auch nur
annähernd gleichwertige Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit angenommen
hätte (auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klinik X.________
ein psychosomatisches Gutachten erstellt hat). Weiter erklärt die Rheuma- und
Rehabilitationsklinik Z.________ nicht, weshalb im Gegensatz zu ihren
früheren - in der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit mit dem Gutachten der
RehaClinic Y.________ übereinstimmenden - Berichten über die
Hospitalisationen im April/Mai 1998 und September/Oktober 2000 nun eine stark
eingeschränkte Arbeitsfähigkeit bestehen sollte oder weshalb seit damals eine
Verschlechterung eingetreten sei (insbesondere weshalb erst im Jahr 2001 eine
Chronifizierung angenommen worden ist, nachdem das Leiden als seit 1991
bestehend angesehen wird). Damit überzeugt der Bericht der Rheuma- und
Rehabilitationsklinik Z.________ von November 2001 inhaltlich nicht und
vermag in der Folge weder Grundlage für die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit
zu bilden noch Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussagen der RehaClinic
Y.________ von August 2003 zu erwecken (vgl. BGE 125 V 353 Erw. 3b/bb),
sodass in dieser Hinsicht die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragte
erneute Begutachtung nicht notwendig ist.
Auch der von der Verwaltung eingeholte Bericht des Hausarztes Dr. med.

D. ________ vom 24. Februar 2000 spricht nicht gegen die Zuverlässigkeit der
Auffassung der RehaClinic Y.________, da nur eine summarische Begründung
vorliegt und in der Folge nicht nachvollziehbar ist, weshalb dieser Arzt
davon ausgeht, dass leidensangepasste Tätigkeiten nur halbtags möglich sein
sollten. Im Weiteren legt der Hausarzt starkes Gewicht auf psychische
Faktoren, die gemäss den Ausführungen der Klinik X.________ jedoch kein
krankhaftes Ausmass angenommen haben (abgesehen davon bedeutet das Stellen
einer Diagnose für sich allein noch nicht, dass ein Leiden mit Krankheitswert
und mit Auswirkung auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit besteht; vgl. BGE
127 V 298 Erw. 4c).
In der Folge ist davon auszugehen, dass die Versicherte in einer
leidensangepassten Tätigkeit vollständig arbeitsfähig ist. Da der Sachverhalt
zur Zeit des Einspracheentscheides (RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101) genügend
abgeklärt worden ist, braucht das in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
erwähnte Privatgutachten nicht abgewartet zu werden.

2.4  Die Vorinstanz hat das Einkommen ohne Invalidität zu Recht anhand des
zuletzt verdienten Lohnes als Angestellte im Gastgewerbe festgesetzt. Es ist
dabei nicht zu beanstanden, dass auf die statistischen Angaben der vom
Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung
abgestellt worden ist, da wegen Wirtewechsels am letzten Arbeitsplatz der
Beschwerdeführerin nicht nachgefragt werden konnte, wie hoch der Verdienst
als Küchenhilfe gewesen ist und heute wäre. Zudem ist unsicher, ob die
Beschwerdeführerin auch nach dem Wirtewechsel immer noch an dieser Stelle
arbeiten würde. Ebenfalls korrekt ist, dass das Einkommen nach Eintritt des
Gesundheitsschadens anhand der Tabellenlöhne der Schweizerischen
Lohnstrukturerhebung bestimmt worden ist (BGE 126 V 76 Erw. 3b/bb). Diese
Einkommen sind denn auch nicht bestritten. Damit resultiert - auch unter
Berücksichtigung des grösstmöglichen behinderungsbedingten Abzuges vom
Invalideneinkommen in Höhe von 25 % (BGE 126 V 80 Erw. 5b/cc) - ein
rentenausschliessender Invaliditätsgrad von klar unter 40 %. In der Folge
können sowohl die effektive Höhe eines allfällig zu berücksichtigenden
behinderungsbedingten Abzuges wie auch der genaue Rentenbeginn offen bleiben.

3.
Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne
der Befreiung von den Gerichtskosten ist deshalb gegenstandslos.
Die unentgeltliche Verbeiständung kann dagegen gewährt werden (Art. 152 OG in
Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die
Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten
war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird
indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die
begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie
später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Markus
Leimbacher, Zurzach, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der Ausgleichskasse GastroSuisse und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.
Luzern, 11. August 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Vorsitzende der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: