Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 186/2004
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2004
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2004


I 186/04

Urteil vom 6. Juli 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger;
Gerichtsschreiber Jancar

H.________, 1953, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Rémy
Wyssmann, Hauptstrasse 36, 4702 Oensingen,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 11. März 2004)

Sachverhalt:

A.
Am 23. Juli 1999 meldete sich der 1953 geborene H.________ ein erstes Mal bei
der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Das Spital B.________,
Neurologische Klinik und Poliklinik, diagnostizierte im Gutachten vom 3.
Januar 2002 eine Vestibulopathie rechts unklarer Ätiologie mit
rezidivierenden Drehschwindelattacken sowie pancochleärer Schwerhörigkeit
rechts ebenso unklarer Ätiologie; anamnestische Hypercholesterinämie.
Angesichts der Seltenheit der Attacken (viermal pro Monat) und der relativ
kurzen Dauer sei eine Arbeitsunfähigkeit von höchstens 10 % gegeben.
Patienten mit vergleichbaren Störungen blieben in der Regel arbeitsfähig. Der
Psychiater Dr. med. E.________ diagnostizierte in der Expertise vom 19. März
2002 Alleinleben (ICD-10: Z60.2) sowie Schwierigkeiten bei der kulturellen
Eingewöhnung (Z60.3). Es bestehe keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit.
Mit Verfügung vom 10. Juni 2002 wies die IV-Stelle des Kantons Solothurn den
Anspruch auf berufliche Massnahmen und Invalidenrente ab, da der Versicherte
weiterhin vollschichtig der angestammten Tätigkeit als Hilfsmetzger bzw.
jeder anderen Hilfsarbeitertätigkeit nachgehen und ein rentenausschliessendes
Einkommen erzielen könne. Es lägen invaliditätsfremde Gründe vor, die bei der
Prüfung des Invaliditätsgrades nicht zu berücksichtigen seien. Bei der
Berechnung des Invalideneinkommens sei ein behinderungsbedingter Abzug von 15
% vorgenommen worden, da während der Schwindelattacken ein kurzes Aussetzen
der Arbeit notwendig sei.

Am 10. März 2003 meldete sich der Versicherte bei der IV-Stelle erneut zum
Leistungsbezug an. Nach Einholung eines Berichts des Hausarztes Dr. med.
M.________, praktischer Arzt, vom 30. März 2003 verneinte die IV-Stelle
wiederum - mit im Wesentlichen gleicher Begründung wie am 10. Juni 2002 - den
Anspruch auf berufliche Massnahmen und Invalidenrente. Ergänzend wurde
ausgeführt, eine invaliditätsrelevante Verschlechterung des
Gesundheitszustandes sei seit der Verfügung vom 10. Juni 2002 nicht
nachgewiesen (Verfügung vom 31. Juli 2003). Mit Einsprache vom 28. August/31.
Oktober 2003 beantragte der nunmehr anwaltlich vertretene Versicherte die
Aufhebung der Verfügung, die Zusprechung der gesetzlichen Leistungen sowie
die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Mit
Entscheid vom 18. Dezember 2003 wies die IV-Stelle die Einsprache in
materieller Hinsicht ab. Mit separater Verfügung vom 18. Dezember 2003 wies
sie das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung für das Einspracheverfahren
ab.

B.
Die gegen die Verfügung vom 18. Dezember 2003 betreffend Verweigerung der
unentgeltlichen Verbeiständung erhobene Beschwerde wies das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 11. März 2004
ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Versicherte die Aufhebung des
kantonalen Entscheides; für das Einspracheverfahren vor der IV-Stelle und für
das kantonale Verfahren seien ihm die unentgeltliche Rechtspflege und
Rechtsverbeiständung zu gewähren; eventuell sei die Sache an das kantonale
Gericht respektive an die IV-Stelle zur Neubeurteilung respektive zur
ergänzenden Abklärung zurückzuweisen. Ferner ersucht der Versicherte um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung für das
letztinstanzliche Verfahren.

Die IV-Stelle schliesst sinngemäss auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die unentgeltliche
Verbeiständung im Sozialversicherungsverfahren (Art. 37 Abs. 1 und 4 ATSG, in
Kraft seit 1. Januar 2003; vgl. auch Art. 29 Abs. 3 BV) und die Form der
Einsprache (Art. 52 Abs. 1 ATSG, Art. 10 Abs. 3 ATSV) zutreffend dargelegt.
Gleiches gilt hinsichtlich der Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der
unentgeltlichen Verbeiständung (BGE 129 I 135 Erw. 2.3.1, 125 V 202 Erw. 4a
und 372 Erw. 5b, 122 I 10 Erw. 2c, 119 Ia 266 Erw. 3b, 117 Ia 281 Erw. 5b/bb,
117 V 408 ff., 114 V 228 ff.), die nach dem Willen des Gesetzgebers weiterhin
anwendbar ist (BBl 1999 V S. 4595; Kieser, ATSG-Kommentar, Art. 37 Rz 15
ff.).
2.2 Zu ergänzen ist, dass hinsichtlich der sachlichen Gebotenheit der
unentgeltlichen Verbeiständung die Umstände des Einzelfalls, die Eigenheiten
der anwendbaren Verfahrensvorschriften sowie die Besonderheiten des
jeweiligen Verfahrens zu berücksichtigen sind. Dabei fallen neben der
Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhalts
auch in der Person des Betroffenen liegende Gründe in Betracht, wie etwa
seine Fähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden (Schwander, Anmerkung zu
BGE 122 I 8, in: AJP 1996 S. 495). Falls ein besonders starker Eingriff in
die Rechtsstellung des Bedürftigen droht, ist die Verbeiständung
grundsätzlich geboten, andernfalls bloss, wenn zur relativen Schwere des
Falls besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen,
denen der Gesuchsteller auf sich alleine gestellt nicht gewachsen ist (BGE
119 Ia 265 Erw. 3b, 117 Ia 281 Erw. 5b), und wenn auch eine Verbeiständung
durch Verbandsvertreter, Fürsorger oder andere Fach- und Vertrauensleute
sozialer Institutionen nicht in Betracht fällt (BGE 125 V 34 Erw. 2, 114 V
236 Erw. 5b; AHI 2000 S. 163 f. Erw. 2a und b). Die sachliche Notwendigkeit
wird nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass das in Frage stehende
Verfahren von der Offizialmaxime oder dem Untersuchungsgrundsatz beherrscht
wird, die Behörde also gehalten ist, an der Ermittlung des rechtserheblichen
Sachverhaltes mitzuwirken (BGE 119 Ia 266 Erw. 3b, 117 Ia 281 Erw. 5b/bb;
Schwander, a.a.O., S. 495). Die Offizialmaxime rechtfertigt es jedoch, an die
Voraussetzungen, unter denen eine anwaltliche Verbeiständung sachlich geboten
ist, einen strengen Massstab anzulegen (BGE 125 V 35 f. Erw. 4b; AHI 2000 S.
164 Erw. 2b).

3.
Streitig ist als Erstes, ob der Beschwerdeführer in dem der Verfügung vom 31.
Juli 2003 (erneute Verneinung des Anspruchs auf berufliche Massnahmen und
Invalidenrente) folgenden Einspracheverfahren Anspruch auf unentgeltliche
Verbeiständung hat.

3.1 Die IV-Stelle legte dar, es sei zu klären gewesen, ob sich der
Gesundheitszustand des Versicherten verschlechtert habe. Das Verfahren sei
relativ einfach gewesen; es hätten sich keine komplexen Fragen gestellt. Sie
habe die Arztberichte von Amtes wegen zu überprüfen. Eine anwaltliche
Vertretung sei daher nicht notwendig gewesen.

Die Vorinstanz führte aus, der Versicherte spreche gut deutsch und werde in
vielen Fragen von seinen Nachbarn betreut. Für die Einreichung einer
Einsprache brauche es keine juristischen Kenntnisse. Es genüge, mündlich oder
schriftlich zu erklären, mit der Verfügung nicht einverstanden zu sein, was
die Einleitung eines Offizialverfahrens durch die IV-Stelle zur Folge habe.
Gegen den Einspracheentscheid stehe das Rechtsmittel der Beschwerde zur
Verfügung. Folglich sei eine anwaltliche Vertretung nicht erforderlich
gewesen.

Der Versicherte machte im Wesentlichen geltend, im Einspracheverfahren sei es
um die Würdigung sich widersprechender Arztberichte und um Ermessensfragen
gegangen. Eine Gegendarstellung zur einseitigen Sicht der IV-Stelle sei nötig
gewesen. Es hätten ihm die sprachlichen und rechtlichen Kenntnisse gefehlt,
um im Einsprache- und Beschwerdeverfahren selbst zu handeln.

3.2 Aus folgenden Gründen kann offen bleiben, ob der Beschwerdeführer seine
Rechte alleine hätte wahren können.

Am 12. April 2002 beauftragte er die Institution P.________ mit der Wahrung
seiner Interessen. Diese nahm am 27. Mai 2002 zum Vorbescheid der IV-Stelle
vom 4. April 2002 Stellung. Bei der zweiten Anmeldung zum Leistungsbezug vom
10. März 2003 liess sich der Versicherte durch die Institution I.________ AG,
verbeiständen. Am 10. April 2003 teilte die Institution P.________ der
IV-Stelle mit, die Beratung des Versicherten sei vorläufig abgeschlossen.

Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb sich der Versicherte in dem der
Verfügung vom 31. Juli 2003 folgenden Einspracheverfahren nicht weiter durch
die Institution I.________ AG oder erneut durch die Institution P.________
verbeiständen liess. Denn es kann nicht gesagt werden, dass diese
Institutionen nicht in der Lage gewesen sein sollten, ihn in jenem Verfahren,
wo es um die Feststellung der Arbeitsfähigkeit und hierbei um die Würdigung
der Arztberichte ging, zu beraten und zu verbeiständen. Von schwierigen
rechtlichen oder tatsächlichen Fragen, die ausnahmsweise den Beizug eines
Anwalts notwendig gemacht hätten (BGE 125 V 34 Erw. 2), kann nicht gesprochen
werden.

Demnach erweist sich die Verneinung des Anspruchs auf unentgeltliche
Verbeiständung im Einspracheverfahren im Ergebnis als rechtens.

4.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung im vorinstanzlichen Verfahren
wies das kantonale Gericht zu Recht wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde
ab. Hieran ändert nichts, dass IV-Stelle und Vorinstanz nicht explizit auf
die Möglichkeit der Verbeiständung durch eine soziale Institution hinwiesen.
Denn angesichts der konstanten Praxis des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts zur Verbeiständung durch Verbandsvertreter, Fürsorger
oder andere Fach- und Vertrauensleute (Erw. 2.2 hievor) und auf Grund der
Aktenlage hätte der Rechtsvertreter vor Einreichung der Beschwerde zum
Schluss kommen müssen, dass höchst wahrscheinlich kein Anspruch auf
unentgeltliche Verbeiständung durch einen Anwalt bestehen konnte und der
Prozess damit als aussichtslos im Sinne der Rechtsprechung zu betrachten war
(BGE 129 I 135 Erw. 2.3.1 mit Hinweis).

5.
Streitigkeiten im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Rechtspflege
unterliegen grundsätzlich nicht der Kostenpflicht, weshalb keine
Gerichtskosten zu erheben sind (SVR 2002 ALV Nr. 3 S. 7 Erw. 5). Das Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten
erweist sich daher als gegenstandslos.

Die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung fällt zufolge
Aussichtslosigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausser Betracht (Art.
152 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Ausgleichskasse Promea und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 6. Juli 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: