Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 173/2004
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I 173/04

Urteil vom 10. August 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Krähenbühl

M.________, 1962, Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin,

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 13. Februar 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1962 geborene M.________ wird seit Jahren vom Fürsorgeamt unterstützt. Am
26. Juli 2001 meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 2. April 2003 sprach ihm die IV-Stelle
Bern rückwirkend ab 1. Juli 2003 eine ganze Invalidenrente zu. Gleichzeitig
teilte sie mit, von dem sich daraus bis und mit April 2003 ergebenden
Nachzahlungsbetrag von Fr. 53'712.- würden Fr. 50'472.- dem Fürsorgeamt
zwecks Verrechnung mit von diesem für die gleiche Zeit erbrachten
Fürsorgeleistungen überwiesen. Daran hielt die IV-Stelle mit
Einspracheentscheid vom 4. Juni 2003 fest.

B.
Die gegen die vorgesehene Drittauszahlung gerichtete Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 13. Februar 2004 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt M.________ sinngemäss die
Aufhebung der Drittauszahlung an das Fürsorgeamt. Auf die Aufforderung des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts hin, innert 14 Tagen einen
Kostenvorschuss von Fr. 4'000.- zu bezahlen, ersuchte der Beschwerdeführer
mit Schreiben vom 14. April 2004 um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege.

Die IV-Stelle schliesst unter Hinweis auf ihre Stellungnahme im kantonalen
Verfahren und den vorinstanzlichen Entscheid auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Fürsorgeamt verweist ebenfalls auf seine
Eingabe im kantonalen Verfahren und verzichtet wie auch das Bundesamt für
Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die vom Beschwerdeführer nach durchgeführtem Schriftenwechsel unaufgefordert
eingereichte zusätzliche Stellungnahme vom 1. Dezember 2004 fördert keine
neuen Gesichtspunkte zu Tage und kann daher schon aus verfahrensrechtlichen
Gründen nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 353).

2.
Das kantonale Gericht hat die Voraussetzungen für eine Drittauszahlung von
Rentennachzahlungen der Invalidenversicherung zwecks Verrechnung mit
erbrachten Fürsorgeleistungen (Art. 22 Abs. 1 und 2 lit. a und b ATSG in
Verbindung mit Art. 85bis IVV) zutreffend dargelegt, worauf verwiesen wird.

3.
Wie die Vorinstanz richtig festgestellt hat, kann sich das Fürsorgeamt und
nunmehr das Amt für Soziales bei der Geltendmachung des streitigen
Drittauszahlungsanspruches auf Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG in Verbindung mit
Art. 85bis Abs. 2 lit. b IVV stützen. Die gewährte Sozialhilfe stellt
angesichts ihres subsidiären Charakters (Art. 9 des kantonal-bernischen
Gesetzes vom 11. Juni 2001 über die öffentliche Sozialhilfe
[Sozialhilfegesetz (SHG); BSG 860.1]) eine gesetzliche Vorschussleistung im
Sinne von Art. 85bis Abs. 1 und 2 lit. b IVV dar und Art. 40 Abs. 3 SHG sieht
ein eindeutiges Rückforderungsrecht gegenüber der Invalidenversicherung
infolge der Rentennachzahlung vor. Die Voraussetzungen für die - in
betraglicher Hinsicht nicht bestrittene - Drittauszahlung an das Fürsorgeamt
oder nunmehr das Amt für Soziales sind damit erfüllt. Was dagegen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht wird, ändert nichts. Weil lit. b
und nicht lit. a von Art. 85bis Abs. 2 IVV zur Anwendung gelangt, spielt es
auch keine Rolle, dass der Beschwerdeführer keine schriftliche Zustimmung zu
einer Drittauszahlung erteilt hat.

4.
Trotz dieser an sich klaren Rechtslage war die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
nicht von vornherein aussichtslos, befasste sich doch das Eidgenössische
Versicherungsgericht in einem andern Verfahren mit der Frage, wie die in Art.
85bis Abs. 1 IVV enthaltene Formulierung zu verstehen sei, wonach dort
namentlich bezeichnete Institutionen, "welche im Hinblick auf eine Rente der
Invalidenversicherung Vorschussleistungen erbracht haben", verlangen können,
dass eine Rentennachzahlung an sie ausbezahlt wird. Diese Frage ist erst mit
Urteil vom 5. August 2005 in dem Sinne entschieden worden, dass es für die
Leistungskoordination zwischen Sozialhilfe und Invalidenversicherung nur
darauf ankommt, dass objektiv für den gleichen Zeitraum Sozialhilfe- und
Invalidenversicherungsleistungen fliessen und für die zur Verhinderung eines
doppelten Leistungsbezugs erforderliche Drittauszahlung die weiteren
normativen Erfordernisse des Art. 85bis IVV erfüllt sind. Nicht von Bedeutung
ist hingegen, dass die Sozialhilfeleistungen in subjektiver Kenntnis eines
bei der Invalidenversicherung gestellten oder noch zu stellenden
Leistungsbegehrens ausgerichtet wurden (Urteil K. vom 5. August 2005 [I
80/03], Erw. 5.2). Da diese Frage im Zeitpunkt der Einreichung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht geklärt und auch nicht anzunehmen war,
dass das den Beschwerdeführer unterstützende Fürsorgeamt im Zeitpunkt der
Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen von dem bei der Invalidenversicherung
hängigen Leistungsbegehren Kenntnis hatte, bestand immerhin die Möglichkeit,
dass dem erhobenen Rechtsmittel Erfolg beschieden sein könnte. Da überdies
die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, kann die am 14. April 2004 beantragte
unentgeltliche Rechtspflege gewährt werden.

Trotz grundsätzlicher Kostenpflicht (Umkehrschluss aus Art. 134 OG) werden
daher für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht vorerst
keine Gerichtskosten erhoben. Ausdrücklich wird der Beschwerdeführer indessen
auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die durch die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu
leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege werden sie einstweilen auf
die Gerichtskasse genommen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, dem Fürsorgeamt der Stadt X.________
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 10. August 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: