Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 164/2004
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I 164/04

Urteil vom 23. September 2004

I. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Meyer,
Lustenberger und Ursprung; Gerichtsschreiber Widmer

Z.________, 1953, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Eric
Schuler, Frankenstrasse 3, 6003 Luzern,

gegen

IV-Stelle Nidwalden, Stansstaderstrasse 54, 6371 Stans, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Stans

(Entscheid vom 22. Dezember 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 2. April 2003 sprach die IV-Stelle Nidwalden dem 1953
geborenen Z.________ rückwirkend ab 1. Mai 1996 eine halbe Invalidenrente zu.
Die Nachzahlung der beiden Kinderrenten für O.________ und R.________ im
Betrag von Fr. 67'822.-, einschliesslich des Vergütungszinses und der
Betreffnisse für den Monat April 2003, erfolgte gemäss einer weiteren
Verfügung vom 2. April 2003 an die geschiedene Ehefrau E.________.

Z.  ________ liess gegen die verfügte Ausrichtung der Kinderrenten an seine
geschiedene Ehefrau Einsprache erheben. Mit Entscheid vom 7. Juli 2003 hob
die IV-Stelle die angefochtene Verfügung vom 2. April 2003 in Gutheissung der
Einsprache insoweit auf, als darin die Nachzahlung der Kinderrenten an die
Mutter angeordnet wurde, und veranlasste die Nachzahlung des Betrages vom Fr.
67'822.- an Z.________. Weiter verpflichtete sie sich, von E.________ diesen
zu Unrecht ausbezahlten Betrag zurückzufordern. Den in der Einsprache
gestellten Antrag auf Zusprechung einer Parteientschädigung lehnte die
IV-Stelle ab.

B.
Z. ________ liess Beschwerde führen mit dem Begehren, unter teilweiser
Aufhebung des Einspracheentscheides sei ihm für das Einspracheverfahren eine
Parteientschädigung zuzusprechen. Mit Entscheid vom 22. Dezember 2003 wies
das Versicherungsgericht des Kantons Nidwalden die Beschwerde ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Z.________ den vorinstanzlich
gestellten Antrag erneuern.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 52 ATSG kann gegen Verfügungen innerhalb von 30 Tagen bei der
verfügenden Stelle Einsprache erhoben werden; davon ausgenommen sind prozess-
und verfahrensleitende Verfügungen (Abs. 1). Die Einspracheentscheide sind
innert angemessener Frist zu erlassen. Sie werden begründet und mit einer
Rechtsmittelbelehrung versehen (Abs. 2). Das Einspracheverfahren ist
kostenlos. Parteientschädigungen werden in der Regel nicht ausgerichtet (Abs.
3).

2.
Streitig ist, ob der Beschwerdeführer für das Einspracheverfahren, in welchem
er obsiegt hat, eine Parteientschädigung zu Lasten der IV-Stelle beanspruchen
kann. Dabei ist zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen von der in Art. 52
Abs. 3 Satz 2 ATSG statuierten Regel, wonach für das Einspracheverfahren
keine Parteientschädigungen ausgerichtet werden, abgewichen werden kann, und
ob im vorliegenden Fall ein derartiger Ausnahmetatbestand gegeben ist.

2.1  Im Bericht und Entwurf zu einem Allgemeinen Teil der Sozialversicherung
einer Arbeitsgruppe der Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungsrecht
zur Verbesserung der Koordination in der Sozialversicherung (publiziert in
einem Beiheft zur SZS, Bern 1984) war vorgesehen, dass im
Einspracheverfahren, welches nach dem Vorbild der obligatorischen
Unfallversicherung (Art. 105 UVG und 130 UVV) konzipiert war, keine
Parteientschädigungen ausgerichtet werden (S. 52 und 76).

Im Bericht der ständerätlichen Kommission zur Parlamentarischen Initiative
Allgemeiner Teil Sozialversicherung vom 27. September 1990, der sich an
denjenigen der Arbeitsgruppe der Schweizerischen Gesellschaft für
Versicherungsrecht anlehnt, ist für das Einspracheverfahren wiederum kein
Parteientschädigungsanspruch vorgesehen (BBl 1991 II 200). In den
Erläuterungen zum Einspracheverfahren wird im Einklang mit den Ausführungen
der Arbeitsgruppe auf den Zweck dieses Rechtsbehelfs hingewiesen (Vermeiden
unnötiger Prozesse) sowie darauf, dass das Einspracheverfahren kostenlos und
weitgehend formlos sei, wie es in der obligatorischen Unfallversicherung mit
Erfolg angewendet werde (BBl 1991 II 262).
Die Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit
schliesslich hielt in ihrem Bericht vom 26. März 1999 zur Parlamentarischen
Initiative Sozialversicherungsrecht u.a. fest, dass die Rechtsprechung in
bestimmten Fällen des Einspracheverfahrens den Anspruch eines
Minderbemittelten, dessen Standpunkt nicht aussichtslos ist, auf Vergütung
der Kosten für die notwendige anwaltschaftliche Vertretung zuerkannt habe.
Der ständerätliche Antrag würde dem entgegenstehen. Die Kommission stellte
sodann klar, dass die ständerätliche Fassung die normale, voraussetzungslos
geschuldete Parteientschädigung bei Obsiegen ausschliesse, und beantragte,
den Grundsatz zu relativieren und festzuhalten, dass Parteientschädigungen in
der Regel nicht ausgerichtet werden. Damit soll bei - vorerst unentgeltlicher
Verbeiständung - die Entschädigung im Falle des Obsiegens ermöglicht werden
(BBl 1999 4612).

Diese Fassung der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und
Gesundheit erfuhr in den parlamentarischen Beratungen keine Änderung mehr und
wurde in Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG vom 6. Oktober 2000 Gesetz.

2.2  Die Entstehungsgeschichte (zur Bedeutung der Materialien für die
Gesetzesauslegung, insbesondere bei verhältnismässig jungen Gesetzen siehe
BGE 126 V 439 Erw. 3b mit Hinweisen) des Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG mit der
engen Anlehnung an die analoge Regelung in der obligatorischen
Unfallversicherung, die den Anspruch auf Parteientschädigung im
Einspracheverfahren in Art. 130 Abs. 2 Satz 2 UVV (gültig bis 31. Dezember
2002) ausschloss, was vom Eidgenössischen Versicherungsgericht wiederholt als
gesetzmässig erachtet wurde (BGE 117 V 402 Erw. 1; RKUV 2003 Nr. U 490 S.
364), zeigt klar, dass der Gesetzgeber die ausnahmsweise Zusprechung einer
Parteientschädigung im Einspracheverfahren unter einer Bedingung als zulässig
und geboten erachtete: Der Einsprecher, der nicht über die erforderlichen
Mittel verfügt, um die Anwaltskosten selbst zu tragen, und der im Falle des
Unterliegens die unentgeltliche Verbeiständung (Art. 37 Abs. 4 ATSG) hätte
beanspruchen können, soll bei Obsiegen vom unterliegenden Versicherungsträger
entschädigt werden. Dieser Tatbestand der Entschädigung der prozessarmen
Partei im Obsiegensfall ist hier unstreitig nicht gegeben.

2.3
2.3.1Ob auch Ausnahmen vorzubehalten sind, wo gestützt auf Art. 8 BV im
Einzelfall ein Anspruch auf Parteientschädigung anzuerkennen ist (vgl. BGE
117 V 405 oben), kann hier offen bleiben. Denn es spricht nichts dafür, dass
die Verweigerung einer Parteientschädigung für das Einspracheverfahren im
vorliegenden Fall in verfassungsmässig unhaltbarer Weise dem Gebot der
Gerechtigkeit zuwiderliefe.

2.3.2  Nicht zu entscheiden ist hier schliesslich die Frage, ob der Wortlaut
von Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG die Zusprechung einer Parteientschädigung auch
bei Vorliegen besonderer Umstände (etwa besonderer Aufwendungen oder
Schwierigkeiten) zulässt, wie Ueli Kieser (ATSG-Kommentar, N 28 zu Art. 52)
annimmt. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers hatte im
Einspracheverfahren keine übermässigen Aufwendungen zu tätigen, da der Fall
weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten
bot. Dementsprechend konnte der Rechtsvertreter sich denn auch mit einer
knapp gehaltenen Einsprache im Umfang von drei Seiten begnügen. Denn die
Verfügung der IV-Stelle war insofern fehlerhaft, als die Nachzahlung der
Kinderrentenbetreffnisse an die Mutter und geschiedene Ehefrau des
Beschwerdeführers erfolgte, obwohl diese keinen entsprechenden Antrag (Art.
82 IVV in Verbindung mit Art. 71ter AHVV) gestellt hatte. Die Vorbringen in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind nicht geeignet, zu einem abweichenden
Ergebnis zu führen. Der Umstand, dass der Rechtsvertreter vor Abfassung der
Einsprache einmal telefonisch und einmal schriftlich bei der Verwaltung
intervenierte, diese aber untätig blieb, zeigt wohl die Nützlichkeit des
Einspracheverfahrens und dessen Zweck, Irrtümer des Versicherungsträgers zu
korrigieren, ohne dass der Betroffene ein Gerichtsverfahren anstrengen muss,
belegt aber keine besondere Komplexität des Verwaltungsverfahrens.

3.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem
Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Nidwalden, Abteilung Versicherungsgericht, der Ausgleichskasse Nidwalden und
dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 23. September 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: