Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 159/2004
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I 159/04

Urteil vom 13. Oktober 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Hadorn

Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

T.________, 1989, Beschwerdegegnerin,
handelnd durch ihren Vater H.________, und dieser vertreten durch den
Winterthur-ARAG Rechtsschutz, Gartenhofstrasse 17, 8004 Zürich,

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 11. Februar 2004)

Sachverhalt:

A.
T. ________ (geb. 1989) leidet an einer schweren kongenitalen Herz- und
Gefässmissbildung. Deswegen erhielt sie von der Invalidenversicherung
verschiedene Leistungen zugesprochen. Später entwickelten sich eine Skoliose
und eine Zahnfehlstellung. Mit Verfügung vom 10. Februar 2003 lehnte die
IV-Stelle des Kantons Zürich das Leistungsgesuch von T.________ bezüglich
dieser beiden Leiden ab. Die hiegegen erhobene Einsprache hiess die IV-Stelle
mit Entscheid vom  27. Mai 2003 teilweise gut, indem sie für die Behandlung
der Skoliose medizinische Massnahmen und die erforderlichen Behandlungsgeräte
übernahm, jedoch die Tragung der Zahnbehandlungskosten weiterhin ablehnte.

B.
Auf Beschwerde von T.________ hin wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich die Sache mit Entscheid vom 11. Februar 2004 zu näheren
Abklärungen betreffend das Zahnleiden an die IV-Stelle zurück.

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, der kantonale Entscheid sei
aufzuheben.

Während T.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen
lässt, beantragt die IV-Stelle deren Gutheissung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Sozialversicherungsgericht hat die gesetzlichen Voraussetzungen
für den Anspruch Minderjähriger auf medizinische Eingliederungsmassnahmen
(Art. 3 Abs. 2 ATSG; Art. 13 Abs. 1 IVG; Art. 1 Abs. 1 und 2 sowie Art. 2
Abs. 3 GgV), zum Ausschluss geringfügiger Leiden von Leistungen der IV (Art.
13 Abs. 2 IVG) und die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 100 V 41; AHI 2001
S. 79 Erw. 3a) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Aktenlage eine schlüssige Beurteilung des
Anspruchs auf Zahnbehandlung erlaubt oder dazu weitere Abklärungen nötig
sind.

2.1 Während Frau Dr. med. dent. P.________, Kieferorthopädie SSO,  und Dr.
med. A.________, Kinderkardiologie FMH, in den Berichten vom 31. Januar 2003
bzw. 3. Februar 2003 jeweils ohne nähere Begründung jeden Zusammenhang
zwischen dem Herzfehler und dem Zahnleiden verneinen, kommt die Privatklinik
X.________ in einem Gutachten vom 14. November 2003 zu differenzierteren
Schlüssen. Demnach sei am ehesten davon auszugehen, dass es sich um einen
genetisch assoziierten Zusammenhang zwischen den Krankheitssymptomen Herz,
Wirbelsäule, Gesichtsschädel und somit um ein "Velocardiofaciales Syndrom"
handle. Zahnstellungsanomalien und Wachstumsstörungen kämen in der
Durchschnittsbevölkerung auch gehäuft vor; jedoch liege hier per definitionem
ein Geburtsgebrechen vor, welches seine klinisch relevante Symptomatik am
Gesichtsschädel erst im Laufe des Wachstums entwickle und somit fassbar sei.

2.2 Die Vorinstanz sah sich auf Grund dieser Angaben ausser Stande, schlüssig
zu beurteilen, ob ein qualifizierter Zusammenhang zwischen dem Zahnleiden und
dem Herzfehler bestehe, weshalb sie die Akten zu näheren Abklärungen an die
IV-Stelle zurückwies. Das BSV hingegen verneint einen solchen Zusammenhang
und hält die Einholung weiterer Akten für überflüssig. Das "Velocardiofaciale
Syndrom" sei nicht in der Liste der anerkannten Geburtsgebrechen enthalten.
Das kantonale Gericht habe wohl verkannt, dass sämtliche Leiden der
Versicherten, also nicht nur die Kieferanomalie, sondern auch die Herz- und
Gefässmissbildungen und die Wachstumsstörung, auf einen übergeordneten
Gendefekt zurückzuführen seien. Ein Zusammenhang zwischen dem Zahnleiden und
der Herzmissbildung bestehe somit höchstens indirekt auf dem Umweg über einen
Gendefekt. Insofern bestehe kein Widerspruch zwischen dem Gutachten der
Klinik X.________ und den Dres P.________ und A.________. Der Gendefekt als
solcher sei in der GgV nicht enthalten, weshalb keine Leistungspflicht der
Invalidenversicherung bestehe.

2.3 Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass aus den nicht näher begründeten
Aussagen der Dres. P.________ und A.________ keine nachvollziehbaren Schlüsse
zu gewinnen sind, weshalb der hier streitige Zusammenhang nicht gegeben sein
soll. Die blosse Verneinung ohne nähere Begründung ist für den vorliegenden
Fall nicht ausreichend, nachdem ein derartiger Zusammenhang gemäss Gutachten
der Klinik X.________ durchaus denkbar ist. Indessen ist der Expertise nicht
rechtsgenüglich klar zu entnehmen, ob die Zahnanomalie nach
wissenschaftlicher Erkenntnis zum Symptomkreis des Herzfehlers gehört, in
welchem Fall sie diesem zuzurechnen ist, oder ob sie in einem qualifizierten
adäquaten Kausalzusammenhang zum Herzfehler steht. Dies trifft namentlich zu,
wenn sie die Folge des Herzfehlers ist oder wenn dessen Behandlung keinen
Sinn macht, falls nicht auch die Zahnanomalie behandelt wird. Damit ist der
hier streitige und für die Leistungspflicht der Invalidenversicherung
entscheidende Zusammenhang beim momentanen Stand der Akten in der Tat weder
auszuschliessen noch zu bejahen. Unter diesen Umständen hat die Vorinstanz zu
Recht nähere Abklärungen verlangt. Ob die vom BSV aufgestellte These, der
notwendige Kausalzusammenhang zwischen den beiden Leiden werde durch einen
nicht in der GgV enthaltenen, "übergeordneten" Gendefekt unterbrochen,
juristisch haltbar ist, braucht im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht entschieden
zu werden. Es steht nämlich noch nicht fest, ob sich diese These medizinisch
überhaupt begründen lässt.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Der durch eine
Rechtsschutzversicherung vertretenen Beschwerdeführerin steht eine -
angesichts der knapp gehaltenen Vernehmlassung stark reduzierte -
Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 1 OG; Urteil H. vom 27. Januar 1992, K
44/91).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Bundesamt für Sozialversicherung hat der Beschwerdegegnerin für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Entschädigung von
Fr. 200.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der IV-Stelle des Kantons Zürich und der Ausgleichskasse des Kantons
Zürich zugestellt.

Luzern, 13. Oktober 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: