Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 149/2004
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I 149/04

Urteil vom 4. November 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Traub

B.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Christe,
Bahnstrasse 5, 8603 Schwerzenbach,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 3. Februar 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1972 geborene B.________ rutschte am 1. November 1999 bei seiner Arbeit
als Dachdecker aus und konnte einen Sturz in die Tiefe vermeiden, indem er
sich mit der rechten Hand an der Dachrinne festhielt. In der Folge litt er an
einem lumbovertebralen Syndrom und an einem myofaszialen Schmerzsyndrom der
panvertebralen und glutealen Muskulatur. Am 25. Oktober 2000 meldete sich
B.________ zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Aufgrund
von medizinischen und erwerblichen Abklärungen lehnte die IV-Stelle des
Kantons Zürich das Leistungsbegehren mit der Begründung ab, die bisherige
Tätigkeit als Hilfsdachdecker sei dem Versicherten auch weiterhin
vollschichtig zumutbar (Verfügung vom 10. März 2003, bestätigt mit
Einspracheentscheid vom 30. Juni 2003).

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene
Beschwerde ab (Entscheid vom 3. Februar 2004).

C.
B.________ lässt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen, es sei ihm,
unter Aufhebung von Einsprache- und kantonalem Gerichtsentscheid, eine ganze
Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur weiteren Abklärung
an die Verwaltung zurückzuweisen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob beim Beschwerdeführer eine die Arbeits- bzw.
Erwerbsfähigkeit beeinträchtigende Gesundheitsstörung im Sinne der Art. 6 und
7 ATSG vorliegt. Der Versicherte leidet im Wesentlichen an vorwiegend
myofaszial bedingten Schmerzen im Bereich der rechten Körperseite (Bericht
des Dr. C.________, Innere Medizin FMH, speziell Rheumatologie, vom 5. Januar
2002) und an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (Gutachten des
Zentrums X._______ für Medizin in Betrieb und Arbeit vom 7. September 2002).

2.
2.1 Bei der Prüfung des Anspruchs auf eine Invalidenrente, der allenfalls
schon vor dem Inkrafttreten des ATSG am 1. Januar 2003 entstanden ist, wird
das anwendbare Recht nach den allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln
ermittelt. Danach sind grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend, die
bei Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts galten (BGE 130
V 329). Demzufolge ist der Rentenanspruch für die Zeit bis zum 31. Dezember
2002 aufgrund der bisherigen und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen zu
prüfen (noch nicht in der Amtlichen Sammlung publiziertes Urteil M. vom 5.
Juli 2004, I 690/03, Erw. 1).

2.2 Die am 1. Januar 2004 - und somit nach dem Erlass des
Einspracheentscheides vom 14. Mai 2003 - in Kraft getretenen Änderungen des
Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 21. März 2003 (4.
IVG-Revision) und der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 21. Mai
2003 finden keine Anwendung (vgl. BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

2.3 Das ATSG brachte hinsichtlich der Invaliditätsbemessung keine
substantiellen Änderungen gegenüber der bis zum 31. Dezember 2002 gültig
gewesenen Rechtslage (BGE 130 V 343), so dass auch die zur altrechtlichen
Regelung ergangene Judikatur weiterhin massgebend ist. Daher schadet es im
Ergebnis nicht, dass das kantonale Gericht und die Einsprachebehörde die
Anspruchsprüfung formal allein aufgrund der ab dem 1. Januar 2003 geltenden
Bestimmungen vorgenommen haben. Dies betrifft namentlich den Begriff der
Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG [sowohl in der bis Ende 2002 als auch in der
ab 1. Januar 2003 geltenden Fassung]; Art. 8 Abs. 1 ATSG), den Umfang des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 [in der bis Ende 2003 gültig gewesenen
Fassung] und Abs. 1bis IVG [in Kraft gestanden bis Ende 2003]), die Bemessung
des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der allgemeinen
Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG [in der bis Ende 2002
gültig gewesenen Fassung]; Art. 16 ATSG), die Aufgabe des Arztes im Rahmen
der Invaliditätsbemessung (BGE 115 V 134 Erw. 2 mit Hinweisen; AHI 2002 S. 70
Erw. 4b/cc) und die beweisrechtliche Würdigung von medizinischen Berichten
(BGE 125 V 352 Erw. 3a).

2.4 In tatbeständlicher Hinsicht kann der nach Abschluss des
Schriftenwechsels eingereichte Bericht des Instituts für Psychotraumatologie
Y.________ vom 21. April 2004 im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht
mehr berücksichtigt werden (BGE 127 V 353).

3.
3.1 Das kantonale Gericht hat die medizinischen Akten zutreffend gewürdigt;
auf die entsprechenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid - namentlich
die Erw. 4.2 und 4.3 - ist zu verweisen. Mit der Vorinstanz ist auf das
Gutachten des Zentrums X.________ für Medizin in Betrieb und Arbeit
abzustellen, wonach die Arbeitsfähigkeit in der letzten Tätigkeit zu 100 %
gegeben ist. Der Beschwerdeführer macht letztinstanzlich geltend, im
genannten Gutachten werde verkannt, dass es sich bei der somatoformen
Schmerzstörung um eine psychiatrische Störung mit Krankheitswert handle.
Diese Gesundheitsstörung bewirke vorliegend eine vollständige
Erwerbsunfähigkeit, wie aus dem psychiatrischen Begleitbericht des Gutachtens
vom 29. August 2002 hervorgehe, in welchem Verzweiflung und
Perspektivenverlust sowie eine bio-psycho-soziale Dekonditionierung
beschrieben werde.

3.2 Dem kann nicht gefolgt werden: Die Gutachter stellen aus medizinischer
Sicht nicht in Abrede, dass der Beschwerdeführer an einer gesundheitlichen
Störung leidet. Jedoch haben sie ohne Vorbehalt festgehalten, dass weder die
psychischen Grundfunktionen noch die Belastbarkeit in beruflicher Hinsicht
beeinträchtigt sind. Allein dies ist im Hinblick auf die Beurteilung der
Arbeits- und Erwerbsfähigkeit entscheidend. Die Beschwerden des Versicherten
ergeben sich nach den schlüssigen Darlegungen der Experten aus einer
medizinisch nicht indizierten Schonung, durch welche sekundäre Probleme - wie
Übergewicht und, damit verbunden, hoher Blutdruck und eine
Haltungsinsuffizienz - entstanden seien. Diese Befunde stehen einem
vollschichtigen Erwerb nicht entgegen. Ausserdem würde die beantragte
Gewährung einer Invalidenrente die künftige erwerbliche Umsetzung des
Leistungsvermögens nachhaltig gefährden. Zweifelhaft ist höchstens, ob dem
Beschwerdeführer eine Weiterbeschäftigung im bisherigen Beruf als Dachdecker
noch zumutbar wäre, nachdem ihn das Unfallereignis (zumindest vorübergehend)
offenkundig stark traumatisierte. Da jedoch in Bezug auf eine Vielzahl von
Beschäftigungen auf dem allgemeinen und ausgeglichenen Arbeitsmarkt (Art. 7
und 16 ATSG) keine Einschränkung besteht, kann diese Frage offen bleiben.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 4. November 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber:
i.V.