Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 128/2004
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I 128/04

Urteil vom 12. August 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Hadorn

Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Birmensdorferstrasse 94, 8003 Zürich,
Beschwerdegegnerin,

betreffend Z.________, vertreten durch ihre Mutter V.________,

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 18. Februar 2004)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 4. Oktober 1999 gewährte die IV-Stelle des Kan-tons St.
Gallen Z.________ (geb. 1991) medizinische Massnahmen zur Behandlung einer
angeborenen Wirbelmissbildung. Ferner sprach sie ihr mit Verfügung vom 27.
Juni 2000 ambulante Psychotherapie für die Zeitspanne vom 1. Juni 2000 bis
31. Mai 2001 zu. Am 17. August 2001 verlängerte die IV-Stelle diese Massnahme
bis 31. Mai 2002, am 18. Juli 2002 nochmals bis 31. Mai 2003. Eine weitere
Verlängerung lehnte sie mit Verfügung vom 21. Juli 2003 ab. Nach Einsprachen
von Z.________, vertreten durch ihre Mutter, sowie der Helsana
Versi-cherungen AG, Krankenkasse von Z.________, bestätigte die IV-Stelle
diese Verfügung mit Entscheid vom 8. Oktober 2003.

B.
Hiegegen führte die Helsana Beschwerde. Mit Entscheid vom 18. Februar 2004
hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die-se gut und
verpflichtete die IV-Stelle, weiterhin für die Psychotherapie aufzukommen.

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei
aufzuheben.

Während die Helsana auf Abweisung und die IV-Stelle auf Gutheis-sung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, verzichtet Ta-mara Zogg auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Versicherungsgericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zum
Anspruch auf medizinische Massnahmen im Allgemeinen (Art. 12 Abs. 1 IVG) und
bei Minderjährigen im Besonderen (Art. 5 Abs. 2 IVG und Art. 8 Abs. 2 ATSG)
sowie die dazu ergangene Rechtsprechung (AHI 2000 S. 63 Erw. 1) richtig
dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass die am 1. Januar 2004
in Kraft getretenen Änderungen des Bundesgesetzes über die
Invalidenversicherung vom 21. März 2003 und der Verordnung über die
Invalidenversiche-rung vom 21. Mai 2003 nicht zur Anwendung gelangen (BGE 129
V 4 Erw. 1.2).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob über den 31. Mai 2003 hinaus Anspruch auf
ambulante Psychotherapie zu Lasten der Invalidenversicherung besteht.

2.1  Nach der Rechtsprechung können medizinische Vorkehren bei Jugendlichen
schon dann überwiegend der beruflichen Eingliederung dienen und trotz des
einstweilen noch labilen Leidenscharakters von der Invalidenversicherung
übernommen werden, wenn ohne diese Vorkehren eine Heilung mit Defekt oder ein
sonstwie stabilisierter Zustand einträte, wodurch die Berufsbildung oder die
Erwerbsfähigkeit oder beide beeinträchtigt würden (AHI 2003 S. 105 Erw. 2,
2000 S. 64 Erw. 1, je mit Hinweisen). In diesem Sinne werden die Kosten der
psychiatrischen Behandlung Minderjähriger von der Invalidenversicherung
getragen, wenn das psychische Leiden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu
einem schwer korrigierbaren, die spätere Ausbildung und Erwerbsfähigkeit
erheblich behindernden oder gar verunmöglichenden stabilen pathologischen
Zustand führen würde. Umgekehrt kommen medizinische Massnahmen der
Invalidenversicherung auch bei Minderjährigen nicht in Betracht, wenn sich
solche Vorkehren gegen psychische Krankheiten richten, welche nach heutiger
Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft ohne kontinuierliche Behandlung
nicht dauerhaft gebessert werden können. Dies trifft unter anderem auf
Schizophrenien zu (AHI 2000 S. 64 Erw. 1). Es darf keine Therapie von
unbeschränkter Dauer oder zumindest über eine längere Zeit hinweg in Frage
stehen, bei der sich hinsichtlich des damit erreichbaren Erfolges keine
zuverlässige Prognose stellen lässt (AHI 2003 S. 106 Erw. 4b; Urteil F. vom

14. Oktober 2003, I 298/03).

2.2  Frau Dr. med. M.________, Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psy-chotherapie FMH, stellte im Bericht vom 5. Juni 2000 bei der
Versicherten soziale Kontaktstörungen, Angst vor Dunkelheit und Männern sowie
zeitweise Essensverweigerung fest. Während der Psychotherapie sei eine
Besserung eingetreten. Die Versicherte werde auf das kommende Schuljahr in
eine Kleinklasse für normal intelligente Kinder umgeschult. Die Fortführung
der Psychotherapie sei unbedingt notwendig, damit ihre Schulfähigkeit und die
zukünftige Erwerbsfähigkeit sich stabilisiere. Gemäss Bericht der selben
Ärztin vom 27. Juni 2001 ist die Versicherte in eine Kleinklasse D umgeschult
worden. Dies habe zu vermehrten Depressionen und Essstörungen geführt,
weshalb sie im Dezember 2000 für 14 Tage habe hospitalisiert werden müssen.
Ihr seelischer Zustand befinde sich nach Verbesserung des Essverhaltens nun
in einem labilen Gleichgewicht. Wegen des bevorstehenden Umzugs der Familie
mit dem damit verbundenen Schulwechsel sei eine heftige depressive
Verstimmung zu befürchten, weshalb die Psychotherapie während mindestens
eines Jahres weitergeführt werden müsse. Im Bericht vom 4. Juni 2003 führt
Frau Dr. med. M.________ aus, die Versicherte sei in dauernder Psychotherapie
von einer Stunde pro Woche. Seit dem letzten Bericht vom 27. Juni 2001 habe
sich die depressive Verstimmung deutlich gebessert, die Essensverweigerung
habe aufgehört. Geblieben seien die starken Schulleistungsschwankungen. Das
Sozialverhalten der Versicherten sei davon geprägt, dass sie von andern
Kindern leicht beeinflussbar sei. So habe sie sich zu einem Ladendiebstahl
überreden lassen. Sie habe Schwierigkeiten, die eigenen aggressiven Impulse
zu kontrollieren. Da sie einen Mann als Lehrer habe, würden ihre Ängste in
Bezug auf Männer und ihre Unberechenbarkeit wieder reaktiviert. Sie benötige
weiterhin während mindestens eines Jahres intensive Psychotherapie.

2.3  Auf Grund dieser ärztlichen Angaben ist erstellt, dass sich der
Gesundheitszustand der Versicherten seit Beginn der Psychotherapie am 10.
Juni 1999 zwar mehrmals verbessert hat, indessen aber auch öfters
Verschlechterungen eingetreten sind. Gemäss dem Bericht von Frau Dr. med.
M.________ vom 4. Juni 2003 sind die Ängste vor Männern wieder aufgeflackert,
was eine erneute Verschlechterung bedeutet. Die Psychotherapie dauert nunmehr
von Juni 1999 bis zum Datum des Einspracheentscheides, welches die zeitliche
Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis bildet (BGE 116 V 248 Erw. 1b),
d.h. bis 8. Oktober 2003, also schon mehr als vier Jahre an und wird laut dem
erwähnten Arztbericht mindestens bis Juni 2004 weitergeführt. Eine gesicherte
Prognose ist den Akten sodann nicht zu entnehmen. Es liegt eine mindestens
über längere Zeit andauernde Behandlung mit ungewisser Prognose vor. Für eine
solche hat die Invalidenversicherung nicht mehr aufzukommen. In
vergleichbaren Fällen hat das Eidgenössische Versicherungsgericht die
Leistungspflicht der Invalidenversicherung ebenfalls verneint (Urteile K. vom
18. November 2003, I 334/03, S. vom 17. November 2003, I 416/03 [ambulante
Psychotherapie seit Oktober 1997, verweigerte Verlängerung über Okto-ber 2001
hinaus], B. vom 27. Oktober 2003, I 484/02 [5 Jahre von Behandlungsbeginn bis
zur ablehnenden Verfügung]).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Ent-scheid des
Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 18. Februar 2004 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Versicherten, dem Versicherungsgericht
des Kantons St. Gallen und der IV-Stelle des Kantons St. Gallen zugestellt.

Luzern, 12. August 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: