Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 127/2004
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I 127/04

Urteil vom 2. Juni 2004

I. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Schön, Ursprung
und Frésard; Gerichtsschreiberin Schüpfer

L.________, 1942, Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 25. Februar 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1942 geborene L.________ leidet seit Jahren an verschiedenen
gesundheitlichen Beschwerden (insbesondere an einer chronisch obstruktiven
Pneumopathie, an rezidivierenden linkskardialen Dekompensationen, einer
arteriellen Hypertonie, Adipositas und einer Aethylabhängigkeit) und bezieht
seit 1. April 1999 eine halbe beziehungsweise seit dem 1. Oktober 1999 eine
ganze Invalidenrente. Er stellte am 28. September 2001 unter Beilage eines
Arztzeugnisses von Dr. med. H.________, Facharzt FMH für Allgemeine Medizin,
vom 24. September 2001 und eines Berichtes über einen stationären Aufenthalt
in der Abteilung Pneumologie der Klinik B.________ vom 12. September 2001 ein
Gesuch um Hilflosenentschädigung. Dieses lehnte die IV-Stelle des Kantons
Aargau, nach Einholung eines Abklärungsberichts vom 23. April 2002 und nach
Durchführung des Vorbescheidverfahrens mit der Begründung ab, der Versicherte
sei nicht in mindestens zwei alltäglichen Lebensverrichtungen in erheblicher
Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen und das Kriterium der persönlichen
Überwachung sei nicht erfüllt (Verfügung vom 24. Februar 2003). Daran wurde
auch im Einspracheentscheid vom 8. Mai 2003 festgehalten.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 25. Februar 2004 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert L.________ das erstinstanzlich
gestellte Rechtsbegehren.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz legt die Bestimmungen zum Begriff der Hilflosenentschädigung
und zu deren Anspruchsgrundlagen (Art. 9 ATSG; Art. 42 Abs. 1 IVG, Art. 35
ff. IVV je in der bis 31. Dezember 2003 in Kraft gestandenen Fassung) sowie
die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 121 V 90 f. Erw. 3a; vgl. auch BGE 127
V 97 Erw. 3c, 125 V 303 Erw. 4a) zutreffend dar. Ebenfalls richtig
wiedergegeben hat die Vorinstanz den Umstand, dass für die Beurteilung der
Hilflosigkeit die bis zum 31. Dezember 2003 gültig gewesenen Bestimmungen der
IVV anwendbar sind, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des
streitigen Einspracheentscheides (hier: 8. Mai 2003; BGE 116 V 248 Erw. 1a)
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b). Darauf wird verwiesen.

2.
2.1 Im angefochtenen Entscheid wird die vorliegend auf Grund von Art. 2 ATSG
in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 IVG grundsätzlich zu berücksichtigende
ATSG-Norm zur Hilflosigkeit (Art. 9) zitiert. Abweichungen von diesem Begriff
sind im IVG nicht vorgesehen, sodass sie, sofern im Gesetz konkret verwendet
oder auf ihn verwiesen wird, zur Anwendung gelangt. Wie das Gericht in dem
zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteil A. vom 30.
April 2004, I 626/03 erkannt hat, handelt es sich bei den in Art. 3 - 13 ATSG
enthaltenen Legaldefinitionen in aller Regel um eine formellgesetzliche
Fassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung womit sich inhaltlich keine
Änderung ergibt, was zur Folge hat, dass die zu den erwähnten Begriffen
entwickelte Rechtsprechung übernommen und weitergeführt werden kann.

2.2
2.2.1Der Gesetzgeber wollte auch in Art. 9 ATSG die bisherige Definition
übernehmen (vgl. BBl 1991 II 249). Die Bestimmung weicht von der bisherigen
Umschreibung in Art. 42 Abs. 2 aIVG allerdings dahingehend ab, dass anstelle
der "Invalidität" von einer "Beeinträchtigung der Gesundheit" ausgegangen
wird, was einerseits eine gewisse Ausweitung darstellt (Ueli Kieser,
ATSG-Kommentar, Kommentar zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000, Zürich 2003, Rz 3 zu Art. 9).
Andererseits drückt der Wortlaut der Bestimmung nur aus, was schon nach altem
Recht gegolten hatte. Der Terminus "Invalidität" in Art. 42 Abs. 2 aIVG
wollte die Anspruchsberechtigung für eine Hilflosenentschädigung nicht auf
Invalide im Sinne von Art. 4 aIVG, das heisst auf Versicherte, die infolge
eines geistigen oder körperlichen Gesundheitsschadens in ihrer
Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt waren, beschränken. Vielmehr hat das Wort
"Invalidität" dort nicht eine wirtschaftliche Bedeutung, sondern diejenige
der körperlichen und oder geistigen Behinderung. Gerade körperlich Behinderte
- exemplarisch sei an Rollstuhlfahrer erinnert -, die dank einer guten
Eingliederung wegen ihres Gesundheitschadens keine Erwerbseinbusse erleiden,
hingegen in den alltäglichen Lebensverrichtungen dauernd auf die Hilfe
Dritter angewiesen sind, waren schon bisher anspruchsberechtigt. Das ATSG hat
demnach mit der neuen Formulierung von Art. 9 insbesondere einen
redaktionellen Fehler eliminiert.

2.2.2 Die Voraussetzungen, unter welchem bei Vorliegen einer Hilflosigkeit
eine Entschädigung ausgerichtet wird, werden durch die Einzelgesetze
bestimmt. Diesbezüglich hat das ATSG keine Änderung gebracht. Die in Art. 9
ATSG enthaltene, geringfügig offenere Umschreibung der Hilflosigkeit wirkt
sich mithin im geltenden Recht nicht aus (Kieser, a.a.O. Rz 4, vgl. auch
derselbe, ATSG und sozialversicherungsrechtliches Einzelgesetz, in: René
Schaffhauser/Ueli Kieser [Hrsg.], Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts [ATSG], St. Gallen, 2003, S. 60 f.).

3.
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob der Beschwerdeführer in mindestens zwei
alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig auf die Hilfe Dritter in
erheblicher Weise angewiesen ist und/oder der persönlichen Überwachung bedarf
und daher Anspruch auf eine Entschädigung für Hilflosigkeit leichten Grades
hat.

3.1 In Würdigung der medizinischen Unterlagen (insbesondere der ärztlichen
Berichte des Dr. med. H.________, Facharzt FMH für Allgemeine Medizin, vom
24. September 2001 sowie desjenigen über einen stationären Aufenthalt in der
Abteilung Pneumologie der Klinik B.________ vom 12. September 2001) und
gestützt auf den Abklärungsbericht vom 23. April 2002 hat die Vorinstanz im
Wesentlichen erwogen, dass der Beschwerdeführer im Bereich der Körperpflege
hilflos sei, jedoch in keiner der anderen fünf Lebensverrichtungen eine
erhebliche und dauernde Hilfe Dritter benötige. Ebenso wenig bedarf er der
dauernden persönlichen Überwachung, wie sie nach konstanter Rechtsprechung
definiert ist. Das vorinstanzliche Gericht hat demnach zutreffend erwogen,
dass beim Beschwerdeführer keine Hilflosigkeit ausgewiesen ist, welche
Anspruch auf eine entsprechende Entschädigung verschafft.

3.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden im Wesentlichen die im
kantonalen Verfahren erhobenen, vorinstanzlich entkräfteten Rügen wiederholt,
sodass auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen wird.
Beizufügen bleibt, dass aus ärztlich bescheinigten körperlichen oder
geistigen Gebrechen keine unmittelbaren Schlüsse hinsichtlich des Anspruchs
auf Hilflosenentschädigung gezogen werden können, da dieser sich nicht nach
den gesundheitlichen Beeinträchtigungen richtet, sondern an deren konkreten
Auswirkungen auf die alltäglichen Lebensverrichtungen misst. Dazu ist
praxisgemäss die in Art. 69 Abs. 2 IVV vorgesehene Abklärung an Ort und
Stelle die geeignete Vorkehr. Sofern der Sachverhalt mit hinreichender
Zuverlässigkeit festgestellt worden ist, wird dem Abklärungsbericht volle
Beweiskraft zuerkannt und das Gericht greift in das Ermessen der die
Abklärung tätigenden Person nur ein, wenn klar feststellbare
Fehleinschätzungen oder Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der
Abklärungsresultate vorliegen (vgl. dazu BGE 129 V 67 Erw. 2.3.2 mit Hinweis
auf BGE 128 V 93; Urteil S. vom 4. September 2001, I 175/01). Aus den
letztinstanzlich aufgelegten Arztberichten ergeben sich keine Anhaltspunkte,
dass dem Abklärungsbericht ein medizinisch unrichtiger Sachverhalt zugrunde
läge oder die Auswirkungen der gesundheitlichen Beschwerden falsch
eingeschätzt worden wären. Dr. med. Z._______, Facharzt für Allgemeinmedizin,
bringt in seinem Bericht vom 16. März 2004 lediglich vor, dass er den
Beschwerdeführer erst seit Juni 2003 behandle, und dass nach einer
Hospitalisation im Dezember 2003 eine vorübergehende Betreuung in einem
Pflegeheim empfohlen werde. Dies ändert jedoch nichts an der hier zu
beurteilenden Rechtsfrage. Diese Vorbringen sind nicht zu berücksichtigen, da
nach der Rechtsprechung Tatsachen, die den Sachverhalt seit Erlass des
angefochtenen Einspracheentscheides (hier: 8. Mai 2003) verändert haben,
Gegenstand eines neuen Verfahrens sein sollen (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit
Hinweis).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der Ausgleichskasse des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 2. Juni 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: