Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 11/2004
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I 11/04

Urteil vom 5. August 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin
Riedi Hunold

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdeführerin,

gegen

F.________, 1956, Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Dr. Heiner
Schärrer, Aeschenvorstadt 67, 4051 Basel

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 22. Oktober 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Anmeldung vom 19. Februar 2001 ersuchte der spanische Staatsangehörige
F.________ (geboren 1956) um Leistungen der Invalidenversicherung. Mit
Verfügung vom 12. Juni 2002 sprach ihm die IVBStelle Basel-Stadt gestützt auf
einen Invaliditätsgrad von 50 % ab 1. Februar 2000 eine halbe Invalidenrente
von Fr. 378.- (ab 1. Januar 2001 von Fr. 388.-) sowie eine Kinderrente für
seine 1999 geborene Tochter von Fr. 151.- (ab 1. Januar 2001 von Fr. 155.-)
zu. In der Verfügung vermerkte die IV-Stelle, sie habe das Ergänzungsblatt 4E
für die Ermittlung der spanischen Versicherungszeiten an die Schweizerische
Ausgleichskasse in Genf geschickt; nach Erhalt werde sie die Rente mit den
spanischen Zeiten (befristet) berechnen und neu verfügen. Am 25. November
2002 sprach die IV-Stelle F.________ ab 1. Februar 2000 eine halbe
Invalidenrente von Fr. 469.- (ab 1. Januar 2001 von Fr. 481.-) sowie eine
Kinderrente von Fr. 188.- (ab 1. Januar 2001 von Fr. 193.-) zu.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher F.________ eine ganze
Invalidenrente sowie eine Zusatzrente für seine Ehefrau hatte beantragen
lassen, hiess das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt mit Entscheid vom
22. Oktober 2003 in dem Sinne gut, als es die Verfügung vom 25. November 2002
aufhob und die Sache zur Neubeurteilung an die IV-Stelle zurück wies.

C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, es sei
der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben. F.________ lässt auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen; zudem ersucht er um unentgeltliche
Prozessführung und Verbeiständung. Das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die zeitliche
Anwendung des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000
(BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen) sowie den Anfechtungs- und
Streitgegenstand (BGE 125 V 413 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Dasselbe
gilt für den Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG in der bis 31.
Dezember 2002 geltenden Fassung), den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art.
28 Abs. 1 und 1bis IVG in der bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung), die
Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG in der bis 31. Dezember 2002
geltenden Fassung; BGE 128 V 30 Erw. 1 mit Hinweisen), den Beginn des
Rentenanspruchs (Art. 29 Abs. 1 IVG in der bis 31. Dezember 2002 geltenden
Fassung), die Aufgabe des Arztes oder der Ärztin bei der Ermittlung des
Invaliditätsgrades (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen) und die Anforderungen
an einen medizinischen Bericht (BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweis). Ebenfalls
zutreffend sind die Erwägungen über die Ausdehnung des
Anfechtungsgegenstandes (BGE 122 V 36 Erw. 2a mit Hinweisen) und den Anspruch
auf eine Zusatzrente (Art. 34 Abs. 1 IVG und Art. 30 IVV, je in der bis 31.
Dezember 2003 geltenden Fassung). Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig ist, ob die Vorinstanz bei der Beurteilung der Verfügung vom 25.
November 2002 an die Bemessung des Invaliditätsgrades gemäss Verfügung vom

12. Juni 2002 gebunden war.

2.1  Streitgegenstand im System der nachträglichen Verwaltungsrechtspflege
ist
das Rechtsverhältnis, welches - im Rahmen des durch die Verfügung bestimmten
Anfechtungsgegenstandes - den auf Grund der Beschwerdebegehren effektiv
angefochtenen Verfügungsgegenstand bildet. Bezieht sich die Beschwerde nur
auf einen Teil des durch die Verfügung bestimmten Rechtsverhältnisses,
gehören die nicht beanstandeten Teilaspekte des verfügungsweise festgelegten
Rechtsverhältnisses zwar wohl zum Anfechtungs-, nicht aber zum
Streitgegenstand. In der Verwaltungsverfügung festgelegte - somit Teil des
Anfechtungsgegenstandes bildende -, aber auf Grund der Beschwerdebegehren
nicht mehr streitige - somit nicht zum Streitgegenstand zählende - Fragen
prüft der Richter nur, wenn die nicht beanstandeten Punkte in engem
Sachzusammenhang mit dem Streitgegenstand stehen (BGE 125 V 414 Erw. 1b mit
Hinweisen). Für die begriffliche Umschreibung des Streitgegenstandes und
seine Abgrenzung vom Anfechtungsgegenstand nicht von Bedeutung sind
demzufolge die bestimmenden Elemente ("Teilaspekte") des oder der
verfügungsweise festgelegten Rechtsverhältnisse. Dazu zählen bei der
Zusprechung von Versicherungsleistungen unter anderem die für die
Anspruchsberechtigung als solche massgebenden Gesichtspunkte, wie die
versicherungsmässigen Voraussetzungen, ferner die einzelnen Faktoren für die
(massliche und zeitliche) Festsetzung der Leistung, bei Invalidenrenten
insbesondere der Invaliditätsgrad, die Rentenberechnung und der Rentenbeginn.
Teilaspekte eines verfügungsweise festgelegten Rechtsverhältnisses dienen in
der Regel lediglich der Begründung der Verfügung und sind daher grundsätzlich
nicht selbstständig anfechtbar. Sie können folgerichtig erst als
rechtskräftig beurteilt und damit der richterlichen Überprüfung entzogen
gelten, wenn über den Streitgegenstand insgesamt rechtskräftig entschieden
worden ist (BGE 125 V 416 Erw. 2b mit Hinweisen). Dass Teilaspekte des
Streitgegenstandes nach dem Gesagten der Rechtskraft in der Regel nicht
zugänglich sind, schliesst nicht aus, über gewisse Elemente des streitigen
Rechtsverhältnisses vorab rechtskräftig zu verfügen oder zu entscheiden (BGE
125 V 416 Erw. 2c mit Hinweisen).

Verfügungen sind nicht nach ihrem Wortlaut zu verstehen, sondern es ist nach
ihrem tatsächlichen rechtlichen Gehalt zu fragen, dies vorbehältlich der
Problematik des Vertrauensschutzes (BGE 120 V 497 Erw. 1a mit Hinweisen).

2.2  Die IV-Stelle hat mit Verfügung vom 12. Juni 2002 den Invaliditätsgrad
auf 50 % festgesetzt und dem Versicherten dementsprechend eine halbe
Invalidenrente (samt Kinderrente) zugesprochen. Wörtlich hat sie angefügt:
"Wir haben das Ergänzungsblatt 4E für die Ermittlung der spanischen
Versicherungszeiten an die Schweizerische Ausgleichskasse in Genf geschickt.
Nach Erhalt werden wir Ihre Rente mit den spanischen Zeiten (befristet)
berechnen und neu verfügen."
2.3 Gemäss der Rechtsprechung sind die einzelnen Teilaspekte (bei
Invalidenrenten etwa der Invaliditätsgrad, die Rentenberechnung oder der
Rentenbeginn) grundsätzlich erst dann der richterlichen Überprüfung entzogen,
wenn über den Streitgegenstand insgesamt rechtskräftig entschieden worden
ist; dies trifft vorliegend jedoch gerade nicht zu, indem der Teilaspekt
Rentenberechnung mit der Verfügung vom 12. Juni 2002 nicht abschliessend
geregelt wurde. Auch ist nicht massgeblich, dass die IV-Stelle über die
Teilaspekte Invaliditätsgrad und Rentenbeginn vorab rechtskräftig entscheiden
wollte; denn dem kann - wie vorliegend - der Vertrauensschutz entgegen stehen
(BGE 120 V 497 Erw. 1a mit Hinweisen): Auf Grund des oben erwähnten Zusatzes
durfte der Beschwerdegegner davon ausgehen, dass über seinen Anspruch auf
eine Invalidenrente eine weitere Verfügung erfolgt. Er musste nicht annehmen,
dass dies - wie die IV-Stelle in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend
macht - mehrere Jahre dauern könnte. Zudem konnte er als Laie nicht wissen,
dass mit dieser angekündigten Verfügung lediglich die Berechnungsgrundlagen
neu festgesetzt würden, die übrigen Teilaspekte jedoch auf Grund der ersten
Verfügung in Rechtskraft erwachsen sollten; denn dafür fehlt es an einem
eindeutigen, auch für einen Laien verständlichen Hinweis in der Verfügung vom

12. Juni 2002.

Entgegen der Auffassung der IV-Stelle beziehen sich diese Überlegungen auf
die Stammrente, d.h. die Invalidenrente des Versicherten selbst, und haben
nichts mit dem (abgeleiteten) Anspruch auf eine Kinder- und eventuell auf
eine Zusatzrente zu tun, weshalb ihre diesbezüglichen Einwände ins Leere
gehen. Die Vorinstanz ist somit zu Recht vollumfänglich auf die Beschwerde
eingetreten.

3.
Im Übrigen ist auf Grund der Akten die Rückweisung an die IV-Stelle zur
Einholung eines interdisziplinären Gutachtens sowie der Prüfung des Anspruchs
auf eine Zusatzrente nicht zu beanstanden, zumal die IV-Stelle keine Einwände
dagegen vorbringt. Eine Rückweisung rechtfertigt sich umso mehr, als dass die
IV-Stelle entgegen der Rechtsprechung unzulässigerweise von der
Arbeitsunfähigkeit direkt auf den Invaliditätsgrad geschlossen und nicht
einen Einkommensvergleich durchgeführt hat; selbst wenn sowohl beim Validen-
als auch beim Invalideneinkommen auf denselben statistischen Basiswert
abgestellt wird, so hat beim Invalideneinkommen zumindest eine Begründung zu
erfolgen, weshalb kein Abzug vom Tabellenlohn vorgenommen wird (BGE 126 V 78
Erw. 5 mit Hinweisen). Ebenfalls wird die IV-Stelle abzuklären haben, ob beim
Versicherten zu Recht die allgemeine Methode des Einkommensvergleichs
angewandt wurde, da er in den letzten Jahren seiner Erwerbstätigkeit nicht zu
einem vollen Pensum arbeitstätig war (gemäss Auszug aus dem individuellen
Konto betrug sein jährliches Einkommen kaum je über Fr. 20'000.-, was selbst
für das Gastgewerbe weit unter den Mindestlöhnen für ein Vollzeitpensum
liegt, und an der letzten Arbeitsstelle arbeitete er 4 bis 5 Stunden pro Tag
[vgl. Bericht des Dr. med. A.________ vom 11. März 2002, S. 3]). Schliesslich
wird die IV-Stelle auch darzulegen haben, wie sie das (eindeutig unter den
Tabellenlöhnen gemäss LSE liegende) hypothetische Valideneinkommen von Fr.
28'616.- ermittelt hat, da dies weder aus den Akten noch den Verfügungen
hervorgeht.

4.
Es geht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen,
weshalb von der Auferlegung von Gerichtskosten abzusehen ist (Art. 134 OG).
Dem Prozessausgang entsprechend ist dem Beschwerdegegner eine
Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG).
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, einschliesslich der
unentgeltlichen Verbeiständung, ist damit  gegenstandslos.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle Basel-Stadt hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2000.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt,
der Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 5. August 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: